Der Sozialwissenschaftler Stefan Kroll arbeitet bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung und ist Koordinator des Leibniz-Forschungsverbunds "Krisen einer globalisierten Welt". Damit auf Krisen tatsächlich politische Reaktion erfolge, müssten sie überhaupt erst wahrgenommen und als bedrohlich eingestuft werden, sagte er im Dlf.
Wo die entsprechende Wahrnehmung fehle, gebe es keinen Handlungsdruck - so geschehen beispielsweise bei der Klimakrise. Jahrzehntelang sei sie von Fachleuten als Krise und Bedrohung beschrieben worden, jedoch nicht in der gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung angekommen. Das habe sich erst durch die Fridays-for-Future-Bewegung geändert - und die Europawahl, die sozusagen zur Klimawahl geworden sei.
Fokussierung auf eine Krise verdrängt andere Probleme
Das Klimaproblem gebe es nach wie vor, ebenso wie andere große Probleme, etwa die Situation von Flüchtlingen, so der Sozialwissenschaftler. Durch Corona seien sie aber nun in den Hintergrund getreten. Die Aufmerksamkeit auf ein Problem zu fokussieren habe die Funktion, Komplexität zu reduzieren, denn Krisen bedeuteten für eine Gesellschaft Momente großer Herausforderung und auch Überforderung. Dadurch, sich auf eine Sache zu konzentrieren, gewinne man Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten zurück. Aus der Krisenforschung könne man nun lernen, ein Bewusstsein, ein Reflexionswissen zu entwickeln, dass eben dieses Ausblenden anderer Problemlagen Folgeprobleme schaffen könne.
Lernen aus der Krise
Der Umgang mit großen Krisen erzeuge immer auch Wissen darüber, welche Maßnahmen hilfreich seien, erklärte der Sozialwissenschaftler. So könne man derzeit in Europa ein koordiniertes Handeln beobachten, um die ökonomische Krise abzufangen. Und dieses Handeln wirke sehr mutig, "wagemutig quasi, wenn man sich die Zahlen anschaut". Das habe vermutlich mit der Erfahrungen aus der Wirtschafts- und Finanzkrise aus den 2010er-Jahren zu tun, wo ähnliche Maßnahmen ergriffen worden seien und man gelernt habe, dass dieser Mut belohnt werden kann.
Eine zweites Beispiel sei der Umgang mit Corona in Asien und Afrika, wo es Erfahrungen mit Epidemien gibt: Dort seien die Menschen offensichtlich besser darauf vorbereitet gewesen, mit einer solchen Gefahr umzugehen, was sich in den Infektionverläufen zeige. Und für Europa und Deutschland sei zu erwarten, dass wir im Falle einer eventuellen zweiten Welle oder zukünftig ähnlichen Gefahren auf gewisse Lehren und Handlungspraktiken zurückgeifen könnten.