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COVID-19
Krisenforscher: Corona überlagert andere drängende Probleme

Ein Problem müsse erst als echte Gefahr wahrgenommen werden, bevor politisch gehandelt würde, sagte der Krisenforscher Stefan Kroll im Dlf. Beim Klimawandel habe das lange gedauert. Die Coronakrise aber habe schnell drastische Maßnahmen ausgelöst - und die Wahrnehmung anderer Probleme verdrängt.

Stefan Kroll im Gespräch mit Benedikt Schulz |
Frau mit Gesichtsmaske läuft auf Gehweg
Die Konzetration auf eine Krise vernachlässige die Beachtung aller anderen Probleme, sagte der Sozialwissenschaftler Stefan Kroll im Dlf (www.imago-images.de)
Der Sozialwissenschaftler Stefan Kroll arbeitet bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung und ist Koordinator des Leibniz-Forschungsverbunds "Krisen einer globalisierten Welt". Damit auf Krisen tatsächlich politische Reaktion erfolge, müssten sie überhaupt erst wahrgenommen und als bedrohlich eingestuft werden, sagte er im Dlf.
Die Erde wird in rund einer Milliarde Jahre für höheres Leben zu heiß.
Klimaforscher: "Der Klimawandel macht keine Pause"Fridays for Future streikt wieder – in Zeiten der Corona-Pandemie aber nur digital. Der Protest sei wichtig, denn die Klimakrise sei eine noch größere und lang anhaltendere Krise als Corona, sagte der Klimaforscher Wolfgang Lucht im Dlf. Solche langfristigen Fragen dürften nicht weggeschoben werden.
Wo die entsprechende Wahrnehmung fehle, gebe es keinen Handlungsdruck - so geschehen beispielsweise bei der Klimakrise. Jahrzehntelang sei sie von Fachleuten als Krise und Bedrohung beschrieben worden, jedoch nicht in der gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung angekommen. Das habe sich erst durch die Fridays-for-Future-Bewegung geändert - und die Europawahl, die sozusagen zur Klimawahl geworden sei.
Fokussierung auf eine Krise verdrängt andere Probleme
Das Klimaproblem gebe es nach wie vor, ebenso wie andere große Probleme, etwa die Situation von Flüchtlingen, so der Sozialwissenschaftler. Durch Corona seien sie aber nun in den Hintergrund getreten. Die Aufmerksamkeit auf ein Problem zu fokussieren habe die Funktion, Komplexität zu reduzieren, denn Krisen bedeuteten für eine Gesellschaft Momente großer Herausforderung und auch Überforderung. Dadurch, sich auf eine Sache zu konzentrieren, gewinne man Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten zurück. Aus der Krisenforschung könne man nun lernen, ein Bewusstsein, ein Reflexionswissen zu entwickeln, dass eben dieses Ausblenden anderer Problemlagen Folgeprobleme schaffen könne.
Lernen aus der Krise
Der Umgang mit großen Krisen erzeuge immer auch Wissen darüber, welche Maßnahmen hilfreich seien, erklärte der Sozialwissenschaftler. So könne man derzeit in Europa ein koordiniertes Handeln beobachten, um die ökonomische Krise abzufangen. Und dieses Handeln wirke sehr mutig, "wagemutig quasi, wenn man sich die Zahlen anschaut". Das habe vermutlich mit der Erfahrungen aus der Wirtschafts- und Finanzkrise aus den 2010er-Jahren zu tun, wo ähnliche Maßnahmen ergriffen worden seien und man gelernt habe, dass dieser Mut belohnt werden kann.
Heribert Prantl, früher Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung". 
Heribert Prantl:"Hoffnung ist der Wille zur Zukunft"
In der Coronakrise sei es wichtig, sich Hoffnung zu bewahren, sagt der Journalist Heribert Prantl. "Man muss das Gefühl stärken, dass es eine gute Zukunft gibt." Dies helfe, nicht in Apathie zu verfallen, und mache "die Menschen größer als die Angst".
Eine zweites Beispiel sei der Umgang mit Corona in Asien und Afrika, wo es Erfahrungen mit Epidemien gibt: Dort seien die Menschen offensichtlich besser darauf vorbereitet gewesen, mit einer solchen Gefahr umzugehen, was sich in den Infektionverläufen zeige. Und für Europa und Deutschland sei zu erwarten, dass wir im Falle einer eventuellen zweiten Welle oder zukünftig ähnlichen Gefahren auf gewisse Lehren und Handlungspraktiken zurückgeifen könnten.