Lars Ohlenburg ist unser Reporter in Göttingen. Herr Ohlenburg, wie laufen diese Massentests der Hochhausbewohner denn ab?
Lars Ohlenburg: Seit zehn Uhr wird getestet, man hat dafür ein Einbahnstraßensystem in der Tiefgarage des Gebäudes aufgebaut. Das sind zwei Zelte, es gibt Warteschlangen mit Abstandsmarkierungen, damit sich da keiner zu nahe kommt. Das Zelt wird betreten, die Daten werden aufgenommen, es wird ein Abstrich gemacht, dann geht es durch einen anderen Aufgang wieder zurück in das Haus. Man muss das Haus gar nicht verlassen, um an diesem Test teilzunehmen.
Das Konzept scheint nach Angaben von Göttingens Krisenstabsleiterin Petra Broistedt aufzugehen, 200 Menschen werden wohl heute getestet – und bis jetzt läuft das ganz gut.
Petra Broistedt: Gestern Nachmittag haben alle in ihre Briefkästen Einladungen bekommen, wir haben das zeitlich auf drei Tage gestreckt. Wir haben sie im Viertelstundentakt geladen, sodass wir immer sieben Personen pro Viertelstunde haben. Wie gesagt, wir rechnen mit circa zweieinhalb Minuten pro Test.
"Die Kooperation läuft gut"
Ute Meyer Mindestens 600 Bewohner soll das betroffene Hochhaus haben, die Verwaltung schätzt, dass es sogar noch viel mehr sind. Die Bewohnerinnen und Bewohner kooperieren also demnach bislang gut?
Ohlenburg: Ja, tatsächlich, die Kooperation ist gut. Es sind 600 Menschen im Haus gemeldet, 700 leben dort wohl, das ist so die Schätzung der Stadt. Ausgangspunkt für den Zweifel an der Kooperation war der Fall einer Person, die gegen die Quarantäneauflagen mehrfach verstoßen hat. Die Person wurde dann in eine Wohnung der Stadt gebracht, wurde von einem Sicherheitsdienst bewacht, da ermittelt jetzt auch die Staatsanwaltschaft. Aber heute bei dem Test läuft es nach anfänglichen Schwierigkeiten am Wochenende auch wirklich gut und alle geplanten Tests konnten durchgeführt werden.
Tests notfalls mit Zuhilfenahme der Polizei
Meyer: Die Stadt Göttingen hat ja gesagt, zur Not wolle sie die Tests mit Polizei durchsetzen. Also damit ist jetzt nicht mehr zu rechnen?
Ohlenburg: Na ja, zumindest vertrauen Ordnungsamt und Polizei nicht völlig auf die Kooperationsbereitschaft der Bewohner. Das liegt vielleicht auch ein bisschen an der Struktur dieses Hauses. Das sind oft Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen. Es gibt 400 Wohnungen, enge Flure, vier Fahrstühle, 18 Stockwerke. Das sind ganz viele kleine Wohnungen, alle gleich geschnitten, alle irgendwie ein bisschen runtergekommen oder oft runtergekommen. Da leben Menschen, die Hartz IV beziehen, Menschen, die alkoholabhängig sind, die wenig Geld haben und die vielleicht auch einfach Schwierigkeiten haben mit der Sprache oder mit der deutschen Bürokratie. Das betrifft natürlich nicht alle, auch für Studenten ist es eine Anlaufstelle, weil das Gebäude direkt an der Uni angrenzt, oder eben für Geringverdiener, die sonst auf dem Wohnungsmarkt in Göttingen nichts finden können.
Meyer: Haben Sie mit Menschen aus diesem Hochhaus sprechen können? Wie reagieren die?
Ohlenburg: Das ist ganz schwierig, mit den Leuten in Kontakt zu kommen. Es ist eine relativ abgeschlossene Gesellschaft, so ist zumindest der Eindruck. Wir hatten vor drei Tagen den Fall, dass auch ein Kamerateam beworfen wurde mit Tomaten und mit Kartoffeln. Man ist da, glaube ich, gesättigt von Medienanfragen und gesättigt von Journalisten, die vor dem Haus stehen, deswegen ist es ganz schwer, da dranzukommen.
"Es liegt nicht an Andachten in einer Moschee"
Meyer: Der Anlass für das Infektionsgeschehen waren ja Privatfeiern anlässlich eines hohen muslimischen Festes, des Zuckerfestes, Ende des Fastenmonats Ramadan. Gibt es da eigentlich Reaktionen der muslimischen Gemeinden in Göttingen?
Ohlenburg: Ja, da gibt es keine richtige Reaktion. Es gab wohl eine Andacht in einer Moschee, die war wohl auch genehmigt. Bei der ganzen Geschichte kommt es ganz schnell zu Schuldzuweisungen, dass man schaut, sind jetzt Muslime daran schuld, weil es das Zuckerfest war. Da hat die Stadt aber noch mal betont, dass es hier um das Fehlverhalten einzelner Personen geht. Es geht um Einzelpersonen und nicht um eine Massenignoranz, wenn man das so nennen darf. Die Lage ist deswegen so angespannt und die Infektion verbreitet sich deshalb so schnell, weil eben die Umstände ungünstig sind. Ein großes Haus mit engen Fluren und vielen Menschen, deswegen kommt es eben zu diesem Ausbruch. Es liegt nicht an Andachten in einer Moschee zum Beispiel.
Gegenseitige Schuldzuweisungen
Meyer: Sie haben es gesagt, es kommt da sehr schnell zu Schuldzuweisungen, wenn man nicht aufpasst. Wie ist denn insgesamt die Stimmung in der Stadt Göttingen nach diesem Vorfall?
Ohlenburg: Auch da ist die Stimmung sehr unterschiedlich – je nachdem, wo man fragt. Fragt man rund um das Hochhaus bekommt man teilweise rassistische Antworten, sehr vorurteilsgeladen, es wird immer wieder gesagt, die, Zitat, Asozialen da im Haus sind schuld. Wenn man gut 800 Meter weitergeht in die Innenstadt, dann sind es sehr differenzierte Meinungen.
Straßenumfrage: "Ich finde es richtig, dass die Menschen getestet werden, das ist ja nichts Böses." - "Es bleibt ja nicht aus, dass man sich im Treppenhaus, im Fahrstuhl, wie auch immer trifft. Ich glaube nicht, dass da regelmäßig alle Leute Mundschutz aufsetzen." - "Ich glaube auch nicht, dass die sich daran halten, in Quarantäne zu bleiben, dass einige von denen auch weiterhin in die Göttinger Innenstadt gehen und das weiter verbreiten." - "Ich halte es sogar für richtig, weil jeder, der getestet wird und der am Ende negativ ist, kann über diese Gewissheit eigentlich nur froh sein."
Ohlenburg: Zusammenfassend kann man sagen, die Göttinger lassen sich nicht unterkriegen, trotzdem wird es zunehmend zu einer Belastungsprobe für die Menschen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.