Seit zwei Monaten dürfen die 179 Bewohner des Pflegeheims Seebrücke in Berlin-Spandau nicht das Haus verlassen, allenfalls im Garten spazieren gehen. Sieben Wochen lang konnten sie mit ihre Angehörigen nur am gekippten Fenster sprechen. Jetzt steht am Eingang ein weißes Zelt, zugänglich von außen und vom Gebäude aus. In der Mitte ist eine durchsichtige dicke Plastikplane gespannt. Karl Josef Gegner, ein 75-jähriger Berliner, der aus Bayern stammt, trifft hier seine Freundin Ilona Spottke.
"Mir fehlt am meisten die Berührung. Nicht der Sex, sondern die Berührung einfach und der Körperkontakt. Na, da lachst du!" Für Gegner ist das Treffen mit Ilona bewegend. Immer wieder bekommt er feuchte Augen. Er sitzt im Rollstuhl, drückt die Handfläche an die seiner zehn Jahre jüngeren Freundin, getrennt durch den Plastikvorhang.
Ilona Spottke: "Hier hat man doch die Möglichkeit – zumindest so pseudo – mal zu sagen: Na, komm mal her, es geht schon und wird schon. Und das finde ich ganz angenehm. Das war in der letzten Woche die große Überraschung für die Bewohner und auch für uns Angehörige. Das wurde eingerichtet, damit wir mit den Bewohnern, die wir besuchen, da Blickkontakt haben. Und dass man sich also auch anders sieht als durch eine Glasscheibe. Und das finde ich prima. Wir waren alle ganz glücklich und begeistert."
Bisher keine einzige Corona-Infektion
Die Gespräche am gekippten Fenster waren weniger beliebt. Die Scheibe spiegelte, draußen war es kalt, und Ilona Spottke sah nur das Gesicht ihres Freundes.
Karl Josef Gegner: "Am Anfang hab ich das gar nicht so bewusst aufgenommen, aber nachdem die ersten fünf, sechs Wochen vergangen sind, dann ist es ein Problem geworden. Nicht nur wegen der Angehörigen, sondern zu entscheiden: So, jetzt gehst du raus, jetzt gehst du zum Einkaufen, jetzt machst du eine Spazierfahrt. Und das ging dann plötzlich nicht mehr. Dann hab ich mich persönlich in meiner Freiheit eingeengt gefühlt, und es gab dann Zeiten, wo ich mich psychisch gesagt hab: So, jetzt habe ich mir ein Gefängnis gesucht."
Die Corona-Kommunikationsregeln fordern Bewohnern und Mitarbeitern viel Geduld ab. Antje Stschepin, Leiterin des Hauses in Berlin-Spandau, hat auch verzweifelte Töne gehört.
"Was immer wieder ganz häufig gesagt wird von unseren Bewohnern, ist, dass uns keiner gefragt hat. Wir haben ein Leben gelebt. Ob ich jetzt an Corona sterbe oder ich sterbe anders – das ist mir ziemlich egal. Aber dass ich meine Angehörigen nicht mehr sehen darf, das ist einfach schwierig."
"Vermisse, sie in den Arm zu nehmen"
In einem Erdgeschoss-Zimmer sitzt Anne van Batenburg, eine Frau mit fröhlicher Ausstrahlung, in ihrem Rollstuhl. Sie ist 82 – und dankbar für jedes Gespräch mit ihrem Sohn – egal wie. "Ich hatte das große Glück auch schon, meinen Sohn durch das Fenster zu sprechen, sodass ich eigentlich gut damit umgehen kann."
Van Batenburgs Sohn Matthias Dreißig, Redakteur, 62 Jahre alt, meldet sich an diesem Nachmittag per Videoschalte aus dem heimischen Büro bei seiner Mutter. Ein Sozialarbeiter hilft ihr, die Verbindung mit einem Tablet herzustellen.
Matthias Dreißig: "Was ich tatsächlich sehr vermisse, ist, sie in den Arm zu nehmen. Keine Plastikscheibe dazwischen zu haben oder eine Fensterscheibe, sondern, ja, die Hand zu halten, zu gucken, wie sie ist, wie sie fühlt. Ich glaube, das, was jeder von uns mittlerweile doch sehr vermisst: Kontakt, Körperkontakt auch."
Nur eins wünscht sich Matthias Dreißig: Dass die Leitung des Hauses WLAN im Pflegeheim installiert. Das fehlt nämlich bis heute.