Die Coronapandemie hat Auswirkungen auf den Ausstoß von CO2-Emissionen. Genaue Daten dazu gibt es nun von einer internationalen Forscherinitiative. So haben die Umstände der Coronapandemie den CO2-Ausstoß weltweit um 8,8 Prozent reduziert. Für Deutschland im Forscherteam ist Hans-Joachim Schellnhuber, emeritierter Direktor des Instituts für Klimafolgenforschung in Potsdam. Gemessen an den "krisenbedingten finanziellen Aufwendungen" sei der Klimaeffekt trotzdem "erstaunlich gering", sagte er im Dlf.
Sandra Pfister: 8,8 Prozent CO2-Emissionen weniger. Hat Sie dieses Ergebnis wirklich überrascht?
Hans-Joachim Schellnhuber: Es gab eine Reihe von Spekulationen, aber das war auf der Grundlage von sehr lückenhaften Daten und auch sehr groben Daten. Wir haben jetzt in einem internationalen Team, wo vor allem unsere Kollegen von der chinesischen Xinhua-Universität in Beijing die Hauptarbeit geleistet haben, wie ich finde, eine sensationell gute Datenlage produziert, wo man zum Teil stündlich, in verschiedenen Sektoren täglich oder im schlimmsten Fall wöchentlich die Emissionen abfragen kann. Das ist der sogenannte Carbon Monitor, der übrigens jedermann zugänglich ist. Da haben wir festgestellt, dass im ersten Halbjahr 2020 im Vergleich zum gleichen Halbjahr 2019 die CO2-Emissionen um 8,8 Prozent zurückgegangen sind. Über das ganze Jahr wird das wahrscheinlich ein Rückgang von etwa sechs, sieben Prozent sein. Das hängt aber davon ab, wie stark jetzt die zweiten Lockdown-Maßnahmen ausfallen werden, die ja jetzt drohen, auch in Europa.
Pfister: Finden Sie, dass sechs bis sieben Prozent aufs Jahr gerechnet viel sind?
Schellnhuber: Was wir auch getan haben – und das fand ich noch interessanter an der Studie: Wir haben eine Grafik, die zeigt aufgeschlüsselt nach Sektoren, welche Sektoren wie stark reagiert haben. Da kommt heraus, dass etwa beim Flugverkehr, was auch jeder ahnte, massive Einbrüche da waren, während bei der Schwerindustrie relativ wenig, und im Hausbereich, Wärme, Strom und so weiter, gab es sogar Zunahmen zum Teil. Insgesamt muss man sagen: Gemessen an den gigantischen finanziellen Aufwendungen, über die wir hier sprechen – wir reden ja von vielen Billionen, was das Ganze kostet -, ist der Klima-Effekt erstaunlich gering.
"Es ist immer noch vergleichsweise wenig"
Pfister: Es ist nicht viel, diese sechs bis sieben Prozent?
Schellnhuber: Es ist jetzt historisch gesehen seit dem Zweiten Weltkrieg der größte relative Rückgang, stärker als in der Finanzkrise. Das ist schon bemerkenswert. Aber es ist immer noch vergleichsweise wenig. Manche haben ja spekuliert, das könnte eine der größten Klimaschutzmaßnahmen aller Zeiten sein. Wenn man das vergleicht, ist dieser Rückgang so, dass er sich im Anstieg etwa der CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre kaum spüren lassen wird. Wenn man dann auf die Kurve schauen würde, wie der CO2-Anstieg ist – und die Konzentration ist ja entscheidend für den Treibhaus-Effekt -, dann wird man einen ganz flachen Knick sehen. Das bedeutet aber jetzt – und das ist das Wichtige an der Studie -, dass wir genau schauen können, quasi ein unfreiwilliges Großexperiment mit dem Emissionsgeschehen, was wir durch die Corona-Krise erleben. Wir können genau schauen, in welchen Sektoren welche Maßnahmen wieviel bringen, und was sich herausstellt ist, dass es vor allem auf Schwerindustrie, auf das Baugeschehen und so weiter ankommt, also eher auf die mittellangfristigen Dinge. Wenn alle Menschen jetzt plötzlich aufs Fliegen verzichten würden, hätte man schon einen gewissen Effekt, aber er ist vergleichsweise gering. Warum? – Weil der gesamte Flugverkehr nur etwa drei Prozent zum Emissionsgeschehen beiträgt.
Pfister: Das ist im Grunde Ihre Schlussfolgerung? Es kommt gar nicht so sehr auf die Individuen an, die sich bemühen, elektrifizierte Autos zu kaufen und auf den Flugverkehr zu verzichten, sondern wir brauchen ein Umsteuern größeren Ausmaßes?
Schellnhuber: Ja, man darf jetzt keinen falschen Zungenschlag hereinbringen. Es kommt natürlich auf die Individuen an. Aber – und jetzt kommt eine ganz entscheidende Erkenntnis – es kommt nicht nur auf die kurzfristigen Entscheidungen der Individuen an. Wenn Sie zum Beispiel entscheiden, wenn Sie sich ein neues Haus bauen wollen, das aus Holz zu bauen statt aus Stahlbeton, dann haben Sie einen riesigen Beitrag zum Klimaschutz gemacht, weil Holz bindet ja sogar CO2, statt bei der Herstellung in irgendeiner Weise CO2 freigesetzt würde. Das heißt, es kommt auf die Individuen an, aber nicht nur auf ihre kurzfristigen Entscheidungen, fliege ich in den Urlaub oder nicht, sondern mittelfristig und langfristig. Es geht darum, welche Art von modernem Leben wir führen wollen, und dazu gehören natürlich auch die Produkte der Schwerindustrie oder des Baugewerbes dazu.
"Blinder Aktionismus bringt nicht viel"
Pfister: Und wenn Sie eine Handlungsempfehlung für die Politik daraus ableiten, wie sieht die aus?
Schellnhuber: Das ist genau die, dass Politiken, was wir schon lange sagen als Forscher, über verschiedene Zeitskalen denken müssen. Es hilft nichts, immer von Klimaziel zu Klimaziel sich durchzuhangeln. Blinder Aktionismus bringt nicht viel. Dass ich als Individuum sage, ich will einen Beitrag leisten, indem ich zum Beispiel auf unnötige Flugreisen verzichte, hat hohen symbolischen Wert und ist auch so etwas wie eine Selbstermutigung. Man fühlt sich nicht mehr hilflos. Aber Politik, die den Klimaschutz wirklich ernst nimmt, die muss in Zwei-Jahres-Schritten, Fünf-Jahres-Schritten, Zehn-Jahres-Schritten, 50-Jahres-Schritten gleichzeitig denken, und das ist natürlich sehr schwer. Politiker sind sehr gut bei kurzfristigen Maßnahmen, wie Sie ja jetzt wieder erleben, wo sich die Ministerpräsidenten überschlagen, welche Corona-Maßnahmen man ergreifen sollte. Aber strategisch langfristig zu denken, gewissermaßen ein Portfolio von Maßnahmen zu beschließen, das fällt der Politik schwer und das kann eigentlich nur gelingen im engen Dialog mit der Wissenschaft. Das sage ich nicht aus Besserwisserei, aber wir machen genau diese Studien, um zu sehen, auf welcher Zeitskala welche Maßnahme wirklich greift. Um wirklich das Klima zu schützen, muss man sehr viel wissen – Punkt!
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