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Credo
Ich zweifle, also glaube ich

Im Christentum war es einst lebensgefährlich, der offiziellen Lehre zu widersprechen. Mittlerweile gelten öffentlich geäußerte Zweifel als Zeichen eines selbstbewussten Glaubens. Veronika Hoffmann erforscht die brüchigen Gewissheiten und kommt zu dem Schluss: Der ungläubige Thomas war kein Zweifler.

Von Mechthild Klein |
Der ungläubige Thomas berührt die Wunden des auferstandenen Jesu, das Gemälde von Hendrick ter Brugghen (1622) hängt im Rijksmuseum in Amsterdam.
"Kein Zweifler im modernen Sinn" - der ungläubige Thomas gemalt von Hendrick ter Brugghen (1622) (www.imago-images.de / Artokoloro)
Früher gab es weniger Zweifel im christlichen Glauben - könnte man meinen. Zweifeln galt irgendwie als sündig. Als häretisch. Zumindest als Makel. Hochgehalten wurde das Ideal eines festen Glaubens. Wer Teile der Kirchenlehre bezweifelte, der konnte auf dem Scheiterhaufen landen. Auch fürchtete man im Mittelalter göttliche Strafen im Jenseits für seine Glaubenszweifel.
Diese Zeiten sind zwar im 21. Jahrhundert weitgehend vorbei. Aber mit Scham ist das Zweifeln immer noch behaftet - jedenfalls in konservativen Kirchenkreisen. Und Professoren, die am katholischen Lehramt zweifeln, können immer noch ihren Lehrstuhl verlieren. Für alle anderen gilt wohl: Der Glaubenszweifel ist Privatsache. Zumindest in Westeuropa.
"Der Zweifel ist eigentlich ein ganz großes Thema. Ich treffe so gut wie niemanden, der nicht reagiert und sofort was zu sagen hat, wenn ich sage, ich forsche über den Zweifel. Und gleichzeitig ist es komischerweise noch ein relativ wenig beforschtes Thema, sondern wir forschen über Glauben und über Glaubensverlust und Atheismus und anderen Glauben und solche Dinge. Aber Zweifel als Thema? Der ist, glaube ich, gerade erst richtig im Kommen. Und der ist dran."
Zweifel statt Gewissheit
Sagt Professorin Veronika Hoffmann, Dogmatikerin an der Universität Fribourg in der Schweiz. Sie sieht eine Verschiebung bei der Wahrnehmung und Bewertung des Zweifels.
"Während über lange Zeiten der Christentumsgeschichte die Gewissheit das Ideal war, dass man sich seines Glaubens gewiss ist, darauf kann man stehen. So ist er heute ziemlich in Verdacht geraten, der gewisse Glaube. Dann kommt man schnell mit den Stichworten von Intoleranz oder gar Fundamentalismus."
Angesehener als die Gewissheit sei in Teilen der Gläubigen heute der Zweifel. Viele Christen wollen selbst entscheiden, was sie glauben. Sie wollen es sich nicht vorschreiben lassen. Teile der Kirchenlehre werden einfach bezweifelt, von den Älteren teilweise verschämt, von den Jüngeren selbstbewusst. Nach Hoffmann geht dieses Phänomen in die Richtung intellektueller Zweifel.
"Und so kommt es dazu, dass der Zweifel sehr oft als ein Ausweis von einem solchen selbstbestimmten Glauben verstanden wird. Oder dass man sagt, der Glaube wird eigentlich erst durch den Zweifel wirklich gesund und erwachsen. Und man eher den Verdacht hat, jemand, der nicht zweifelt, der ist naiv oder eben ein Fundamentalist. "
Die Glaubensgewissheit war ein frühes Ideal der Christenheit davon zeugen schon die ältesten Heiligen- und Märtyrergeschichten. Die heilige Katharina von Alexandrien aus dem 4. Jahrhundert gehört zu diesen Vorzeige-Märtyrerinnen. Man erkennt sie auf Bildern an einem Wagenrad, das neben ihr steht. Während der Christenverfolgung fordert der Kaiser von ihr, dass sie ihrem christlichen Glauben abschwört. Weil Katharina das der Legende nach ablehnt, wird sie gefoltert und auf ein Rad gespannt. Weil sie bei ihrem christlichen Glauben bleibt, wird sie geköpft.
"Wir haben von ihr nur Legenden. Wir wissen nicht, was historisch war. Aber die Legende ist sehr eindrücklich, wenn es um Glaubensgewissheit geht. Hier haben sie wirklich in Reinstform das Idealbild eines nicht nur gewissen Glaubens, sondern eines Glaubens, der daraufhin auch so ausstrahlt, dass um sie herum sich quasi alles bekehrt. "
Mutter Teresa und die Abwesenheit Gottes
Heute im 21. Jh. werden im Katholizismus immer noch Heilgengeschichten hochgehalten. Aber die modernen Heiligen sind oft von starken Zweifeln geprägt – wie beispielsweise Mutter Teresa, die 1997 gestorben ist. Für ihre Arbeit in den Elendsvierteln von Kalkutta wurde die Ordensschwester heilig gesprochen.
"Mutter Teresa, von der alle, ich eingeschlossen, zu ihren Lebzeiten geglaubt haben, dass sie so einen Katharina-von-Alexandrien-Glauben hat. Einen ganz festen, sicheren, völlig unerschütterlichen Glauben, der sie dazu befähigt, das zu tun, was sie tut. Nicht nur den ärmsten der Armen zu dienen, sondern auch in einer unglaublichen Weise arm zu leben, also solidarisch mit ihnen."
Die Geschichte ist bekannt. Aus ihren posthum veröffentlichten Tagebüchern geht hervor, dass Mutter Teresa mehr als 50 Jahre lang fast ununterbrochen mit großen Glaubenszweifeln gelebt hatte. Sie litt unter einer Abwesenheitserfahrung Gottes. Trotzdem trat sie nicht aus ihrem Orden aus, sondern lernte offenbar, in dieser Spannung zu leben und die Zweifel in ihren Glauben zu integrieren, sagt Hoffmann. Offenbar sei der Zweifel nicht immer das Gegenteil von Glauben, der jeglichen Halt zerstört, meint die Theologin.
In ihren Büchern und Vorträgen unterscheidet die Theologin Veronika Hoffmann verschiedene Formen des Zweifels.
"Ich glaube, es wurde schon immer auf viele verschiedene Weisen gezweifelt. Was Menschen, die konkret in Zweifel leben, gezweifelt haben, das wissen wir nicht, wenn sie es nicht aufgeschrieben haben. Das ist immer das Problem.
Wenn man sich die Texte dazu anschaut, dann sieht man wohl zwei wesentliche Linien. Das eine sind die inhaltlichen Zweifel. Ist Jesus wirklich auferstanden? Und solche Fragen, die vor allem mit Argumenten angegangen werden oder mit der Autorität der Bibel oder des kirchlichen Lehramtes. Und es sind die eher persönlichen Zweifel, die sich auf die Beziehung zu Gott, auf das Gebetsleben und solche Dinge beziehen. Der Eindruck zum Beispiel: Ich bete, aber keiner hört mich. Was mache ich hier eigentlich? Eine Krise, in der Gottesbeziehung, also Zweifel eher als eine Vertrauenskrise."
Der ungläubige Thomas
In der Bibel hingegen ist vom Zweifel wenig die Rede. Auch der sogenannte ungläubige Apostel Thomas sei kein Zweifler im modernen Sinn, sagt Hoffmann.
"Thomas zweifelt weder an Gott, das ist damals sowieso schwer vorstellbar, noch zweifelte an der Auferstehung Jesu. Das kommt in Osterpredigten gerne vor. Das ist aber nicht wahr. Für Thomas ist die Auferstehung Jesu selbst vermutlich kein allzu großes Problem. Viele Juden der damaligen Zeit haben an die Auferstehung geglaubt. Das Problem ist, wenn schon, dass Jesus JETZT aufersteht. Aber man muss diesen Thomas vor allem als eine literarische Figur lesen. Eine literarische Figur, die der Evangelist benutzt, um die Gemeinde der zweiten Generation zu bezeichnen. Also diejenigen, die Jesus nicht mehr persönlich gekannt haben. Die werden in diesem Thomas symbolisiert."
Hoffmann sieht keinen Zweifel: Thomas fragt eigentlich nur, wie die Botschaft Jesu zu verstehen sei, wenn man Jesus nicht selbst erlebt habe. Und so kommt die Theologin dann auch zu einem anderen Ergebnis über den vielzitierten Satz, den der Evangelist Jesus in den Mund legt: Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben.
"Der Satz ist ja auch sehr viel missbraucht worden, nach dem Motto: Frag nicht so blöd, glaub einfach, wenn man es dir doch sagt. Aber gemeint ist eben genau das: Selig sind die, die trotzdem zum Glauben finden können, und zwar zu einem eigenen, auch wenn sie nicht irgendwie mit dem irdischen Jesus unterwegs waren."
Wieso sitze ich dumm rum?
Die Theologin zeigt die Vieldeutigkeit des Zweifels auf. Dass der Begriff je nach Kontext eben ganz Verschiedenes bedeuten kann. Dabei sei völlig egal, ob es jetzt fünf oder acht verschiedene Sorten von Zweifel seien. Laut Hoffmann gibt es auch kein richtig oder falsch, sondern diese Vielheit von Kontexten. Immer ist der Zweifel eine Art Fragezeichen.
"Und im religiösen Kontext ist es eben noch einmal interessanter, weil es diese verschiedenen Ebenen gibt, die sich zum Teil auch mischen. Also die Ebene: Fragen an bestimmte Aussagen. Fragen an bestimmte Autoritäten oder Autoritäten, die ich infrage stelle. Hat die Bibel wirklich recht? Warum soll ich der Bibel glauben? Dieses Stichwort: Vertrauenskrise Gott gegenüber. Oder etwas, was für mich vorher tragend war, rutscht mir weg. Ich habe eine lange Meditationspraxis und auf einmal denke ich: Wieso sitze ich eigentlich jeden Morgen eine halbe Stunde dumm herum und mache nichts Produktives? Das ist auch eine Form von Zweifel."
Der Zweifel könne auch davon abhalten, sich zu positionieren, warnt die Theologin. Oder er könne eine existentielle schreckliche Glaubenskrise überdecken. Heute haben Menschen jedoch die Möglichkeit über ihren Glauben zu reflektieren, was wirklich ihr Glaube bedeutet, dann müssten sie es begründen können.
"Und dann ist natürlich klar, dass ich im Blick auf den Glauben nicht sagen kann: Hab ich halt so im Katechismus-Unterricht gelernt. Das reicht nicht mehr. Und das ist ein wesentlicher Grund dafür, warum diese Gestalt des Zweifels heute positiv gewertet wird. Und notabene zu Recht. "