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Cricket in Deutschland
Flüchtlinge sorgen für Aufschwung

Cricket ist vor allem in den Staaten des Commonwealth beliebt, die Begeisterung kommt aber auch mit Flüchtlingen nach Deutschland. Menschen aus Afghanistan, Pakistan oder Bangladesch betreiben den Sport nun hierzulande - Integration gibt's inklusive.

Von Daniela Müllenborn |
    Arif Jamal mit einem Cricketschläger
    Arif Jamal mit einem Cricketschläger (Daniela Müllenborn/Deutschlandradio)
    Es schüttet wie aus Kübeln. Die Cricket-Spieler aus Essen und Lemgo suchen Schutz unter Bäumen, am Rande einer großen Grünfläche im Düsseldorfer Nordpark, der Heimspielstätte der DJK Altendorf 09 aus Essen. Umkleidekabinen, Unterstellmöglichkeiten: Fehlanzeige. Arif Jamal lugt immer wieder unter seinem Schirm hervor und schaut gen Himmel. Er möchte so gerne spielen. "Ich hab mir heute extra frei genommen", sagt er.
    Cricket ist aber nun mal ein Schönwetter-Sport. Die Gefahr, dass Spieler auf dem nassen Rasen ausrutschen und sich verletzen ist zu groß. Also warten sie. Die Gäste aus Lemgo und die Essener mit ihrem Kapitän Arif Jamal. Der hat schon in seiner Heimat Afghanistan Cricket gespielt. Wie fast jedes Kind dort. "Da haben wir schon mit drei Jahren einen Ball und ein Holzteil in der Hand gehabt", sagt Arif.
    Leidenschaft der Flüchtlinge lässt Cricket wachsen
    Vor acht Jahren kam Arif als Flüchtling nach Deutschland. Nach Essen. Lebte dort in einem Jungendheim, guckte ständig im Internet Cricket-Spiele. Ein Betreuer entdeckte die Leidenschaft des Jungen, recherchierte und fand Brian Mentle. Der sagt: "Dann hat der Heimleiter sich bei mir gemeldet und ich hab den Arif kennengelernt. Und über meine Kinder, die Handball spielen bei der DJK 09 haben wir überlegt, da eine Mannschaft aufzumachen."
    Brian Mentle ist nicht nur der Trainer der DJK Altendorf 09, er ist auch Geschäftsführer des Deutschen Cricket-Bundes. Der Mann, der vor gut 20 Jahren als Germanistik-Student aus England nach Deutschland kam, hat einen ganz eigenen Blick auf den Zustrom von Flüchtlingen, die seinem Lieblings-Sport einen unverhofften Boom bescheren. "Es sieht sehr gut aus. Vor ein paar Jahren hatten wir 70 Mannschaften, jetzt haben wir über 300. Das hat mit den vielen Flüchtlingen zu tun. Wir bekommen jeden Tag neue Anfragen von Vereinen, es wächst und wächst, aber wir wachsen eigentlich zu schnell, wir haben gar nicht die Bedingungen. In Nordrhein-Westfalen haben wir 49 Mannschaften und nur vier Plätze."
    Der Crickettrainer Brian Mentle
    Der Crickettrainer Brian Mentle (Daniela Müllenborn/Deutschlandradio)
    Teure Ausrüstung, wenig Unterstützung
    Ein Cricketplatz ist in der Regel größer als ein Fußballfeld, und aus Naturrasen. Die Essener haben keinen eigenen Platz, müssen deshalb nach Düsseldorf ausweichen. Und auch die Kosten für die teuren Ausrüstungen und den Spielbetrieb können die Vereine größtenteils nicht alleine stemmen. Sie sind auf Spenden angewiesen. Einen Teil übernimmt auch der Deutsche Cricket-Bund. Der wiederum wird unterstützt vom Weltverband, der die Entwicklung in Deutschland überrascht verfolgt. Vom Deutschen Olympischen Sportbund gibt es nichts, sagt Mentle.
    "Es gibt zwei Möglichkeiten, erstens, wenn Cricket olympisch wird, und das könnte passieren, dann werden wir automatisch Mitglied beim DOSB. Oder wir bekommen zehntausend aktive Cricketspieler, wir sind irgendwo zwischen 6.000 und 7.000 jetzt und wenn es so läuft wie es jetzt läuft, haben wir in ein, zwei Jahren 10.000 und dann sieht es für uns hoffentlich ein bisschen besser aus."
    In gut sieben Jahren sieht Brian Mentle das deutsche Cricket auch sportlich auf der Überholspur. Vielleicht ja sogar bei einer Weltmeisterschaft. Sieben Jahre müssen seine zugewanderten Spieler in Deutschland leben, um in der Nationalmannschaft spielen zu dürfen. Wobei er perspektivisch nicht nur auf die großen Talente baut, die jetzt aus Afghanistan, Pakistan oder Bangladesh gekommen sind. Der Deutsche Cricket-Bund geht auch in die Schulen, bietet Schnupperkurse an. Und was der Verband im Großen macht, macht die DJK Altendorf 09, mit ihrem Vorsitzenden Michael Stottrop, im Kleinen.
    Integration im Verein wird leichter
    "Was wir im Judo schon gemacht haben, weil wir da auch schon ein bisschen Integration betreiben, Judo trifft Handball, jetzt machen wir Cricket trifft Handball, da wollen wir uns einfach näher kennenlernen", sagt Stottrop. "Die Syrer, Afghanen, Pakistani, dass sie sich in anderen Sportabteilungen ausprobieren und sich viele von uns auch mal beim Cricket ausprobieren."
    Cricket und Integration - ein gutes Doppel, weiß Brian Mentle aus eigener Erfahrung. Angst, dass die Cricketspieler in den Vereinen unter sich bleiben, dass sich sozusagen Parallelgesellschaften bilden könnten, hat er nicht. "Und ich weiß es auch als Engländer hier in Deutschland, man braucht hier in der ersten Zeit Kontakt zu seinen Landsleuten, das eigene Essen, die eigene Sprache und natürlich den eigenen Sport", sagt Mentle. "Die Leute, die bei uns spielen, die kriegen auch ein bisschen von ihrem Zuhause, die werden in den Verein integriert, die treffen viele Leute, die merken, dass die Deutschen sie auch unterstützen möchten, und sie sprechen deutsch miteinander, obwohl es hier keinen Deutschen gibt."
    Integration ist auch die große Aufgabe von Arif Jamal. Er war zwar damals, als er ankam, im Kinderheim und ist zur Schule gegangen, hatte aber trotzdem oft Langeweile und kann sich gut vorstellen, wie es ist, wenn man in der Flüchtlingsunterkunft Tag für Tag stundenlang auf dem Bett liegt und die Decke anstarrt. Deshalb hilft er neu zugereisten Flüchtlingen nicht nur bei Behördengängen oder Arztbesuchen: Er bringt sie vor allem zum Cricket. "Dadurch kommen die einfach aus diesen Asylheimen und Cricket ist eine Sache, sich in dieser Gesellschaft zu mischen", sagt Arif. Dann muss er aufs Feld. Der Regen hat aufgehört, das Spiel findet statt. Die Essen Tigers gewinnen gegen Cricket Lemgo und jetzt winkt der Aufstieg in die Bundesliga.