Die Genschere CRISPR-Cas9 ist ein Hoffnungsträger auf vielen Gebieten der Biotechnologie: Das Verfahren, bei dem DNA-Bausteine von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen mit extrem hoher Präzision ausgetauscht oder gelöscht werden können, soll helfen, neue Krebstherapien und schädlingsresistentes Getreide zu entwickeln. Am Ende könne es sogar den "Traum wahr werden lassen, Erbkrankheiten zu heilen", so das Nobelpreis-Komitee, das Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna zu den Nobelpreisträgerinnen 2020 ernannt hat.
Die beiden Genforscherinnen haben die Bestandteile von Genschere und dazugehörigem Zielfernrohr im August 2012 entschlüsselt und beschrieben. Methoden, um Genmaterial zu verändern, gab es schon zuvor, allerdings mit hoher Ungenauigkeit und Streubreite. CRISPR-Cas9 dagegen ist ein gentechnisches Präzisions-Werkzeug: Eine Schere, mit der sich Erbmaterial punktgenau schneiden und nach Wunsch umbauen und ergänzen lässt. Dazu noch preiswert und so einfach in der Handhabung, dass selbst Studenten mit wenig Laborerfahrung sie nutzen können.
Zielfernrohr und Protein-Schere
Molekularbiologisch besteht das CRISPR-Cas9-Verfahren aus zwei RNA-Molekülen, genannt CRISPR- und tracrRNA, sowie einem Proteinmolekül Cas9. RNA ist ein Informationsträger in allen lebenden Zellen, der dem Erbmolekül DNA ähnelt, aber vielseitiger ist. So wird RNA etwa von Bakterien benutzt, um schädliche Viren in ihrem Innern aufzuspüren. Beim Genschere-Verfahren bildet RNA eine Suchvorrichtung, die in der Lage ist, jede Stelle im Erbgut aufzuspüren: Die RNA-Moleküle wirken gewissermaßen wie ein Zielfernrohr, mit dem eine bestimmte DNA, zum Beispiel das Erbmolekül eines Virus, anvisiert wird und dann gezielt vom Cas9-Protein zerschnitten und damit unschädlich gemacht werden kann.
"Der Gentechniker muss lediglich eine RNA konstruieren, die genau auf den Bereich der DNA passt, der verändert werden soll", hat Charpentier die Methode im Deutschlandfunk beschrieben. "Die RNA führt das Protein Cas9 zur DNA, und das schneidet genau an dieser Stelle."
Die CRISPR-Cas9-Genschere hat bei allen bisher getesteten Organismen funktioniert: Pflanzen, Tieren und Menschen. Das Verfahren hat damit das Potenzial, Medizin und Landwirtschaft grundlegend zu revolutionieren.
Medizinethische Debatte - Angst vor dem Designerbaby
Längst haben die schier unendlichen Möglichkeiten eine medizinethische Debatte entfacht: Nachdem im April 2015 eine chinesische Arbeitsgruppe Experimente mit menschlichen Embryonen veröffentlicht und eine britische Forschungseinrichtung ebenfalls die Erlaubnis zur Manipulation von Embryos bekommen hatte, forderten Genforscher ein Moratorium über den Einsatz und die Grenzen der Technik, unter ihnen auch die spätere Nobelpreisträgerin Doudna, die einen Ethik-Gipfel einberief.
In der Humanmedizin kam das Verfahren bislang im Rahmen einer Gentherapie-Studie für die Sichelzellerkrankung zum Einsatz: eine Erbkrankheit, die vor allem im Malaria-Gürtel verbreitet ist. Forscher aus Deutschland und den USA erproben einen Therapieansatz mit dem CRISPR-Cas9-Verfahren, dabei konnten sie kürzlich erste Erfolge vorweisen.
Streit um Gentechnik in der Landwirtschaft
Aufbruchstimmung herrscht auch in der Landwirtschaft. Während die Züchtung neuer Eigenschaften mit konventionellen Methoden Jahrzehnte dauert, lassen sich Arten jetzt gezielt in kürzester Zeit verändern. In den Laboren existieren längst dutzende solcher CRISPR-Neukreationen. Und weil einige von ihnen genausogut mit regulären Züchtungsmethoden hätten hergestellt werden können, fordern Pflanzenbiotechnologen eine Gleichbehandlung mit konventionellen Sorten. In den USA und Kanada ist dies praktisch bereits der Fall. In Europa dagegen hat der Europäische Gerichtshof im Jahr 2018 entschieden, dass Pflanzen- und Saatgutzüchtungen, bei denen das Genschere-Verfahren zum Einsatz kommt, als gentechnisch verändert einzustufen sind. Diese Entscheidung stößt nach wie vor auf Widerstand. Die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung, Klimawandel und Energiewirtschaft seien auf diesen Fortschritt angewiesen und könnten profitieren, so die Argumentation.
Dieser Position schließen sich inzwischen auch Kritiker der bisherigen Gentechnik an. Große Hersteller von Saatgut wie Monsanto konnten auf diesem Gebiet bislang ihre Marktmacht ausspielen, die Kollateralschäden durch Monokulturen und exzessiven Einsatz von Ackergiften mit Folgeschäden für Mensch und Natur waren enorm. Die neuen, günstigeren Gentechnik-Verfahren wie CRISPR-Cas könnten es künftig auch kleineren Landwirtschaftsbetrieben und Genossenschaften ermöglichen, Produkte zu entwickeln, die der Umwelt zu Gute kommen. Ob diese Versprechen zu halten sind, wird sich zeigen.
Die Funktionsweise von CRISPR-Cas9 (Max-Planck-Gesellschaft):