Eigentlich beginnt die ganze Geschichte von Greg Gonzalez' Band "Cigarettes After Sex" mit einer ziemlich langen Verzögerung: 2008 hat der US-Amerikaner aus El Paso die Band schon gegründet, aber es dauert acht Jahre bis sie mit dem Song "Nothings gonna Hurt you Baby" quasi über Nacht einen viralen Youtube-Hit landen.
So populär wie "Cigarettes After Sex" heute sind, wären sie vor zehn Jahren allerdings wohl nie geworden, meint Gonzalez: "Ich bin nicht sicher, ob die Leute unsere Alben davor gefunden hätten – aber wir wären sicherlich nicht da, wo wir jetzt stehen."
Und das heißt: Sehr viele ihrer Songs wurden mal 20, 30 manchmal sogar fast 70 Millionen Mal beim Streamingdienst Spotify angehört. Für eine Band, die bei einem Indielabel ihre Songs veröffentlicht, und keinen Rap oder Katy Perry-Pop produziert, ist das enorm viel.
"Es soll sich wie eine Romanze anfühlen"
Die Songs auf ihrem zweiten Album funktionieren wie die alten Songs auch, nur der Sound, an dem haben sie etwas mehr herumgefeilt. Was bleibt: Unter diesem wolligen Soundmantel stecken lupenreine Popmelodien. Aber noch wichtiger: Die Atmosphäre. Sie wechselt nur minimal und klingt eigentlich immer nach einem Instagram-Filter mit viel Weichzeichner, durch den selbst ein noch so vollgemülltes und durchschnittliches Wohnzimmer nach Wohlfühloase ausschaut.
Warum die Band aber nun gerade in Zeiten des Streamings so erfolgreich ist, hat noch einen anderen Grund. Das ist der Song "Cry" von ihrem neuen Album. Das heißt genau so. Losheulen soll aber keiner.
"Es soll leidenschaftlich klingen, und süß. Es soll sich wie eine Romanze anfühlen. Es soll auf jeden Fall irgendwie positiv sein und nicht deprimierend sein."
Das ist der Kern des Albums: Musik, die Hörerinnen und Hörer aufmuntern soll und ihnen ein gutes Gefühl schenkt – und das nicht so plump und mit dem Vorschlaghammer wie viele Taylor Swift-Songs.
Aufgenommen im spanischen "Niemandsland"
Um diesen Sound zu erreichen, meidet die Band Studios. Dieses Album haben sie deshalb an einem besonderen Ort aufgenommen: "Wir waren einfach nur in diesem Haus, das kilometerweit nur von Wüste und Wildnis umgeben war."
Er meint: Mallorca. Natürlich hat die Insel hübsche Seiten, nicht alles dort ist Ballermann – trotzdem, das klingt für europäische oder deutsche Ohren ein wenig absurd. Für die US-Amerikaner ist das aber eben das Niemandsland und die Oase, in der sie einfach mal nichts von dieser Welt mitkriegen: Keine Trump-Tweets mehr oder Nachrichten über eine Gesellschaft, die immer weiter auseinanderdriftet. Alles einfach zu viel.
"Cigarettes After Sex" liefern den Sound zur Alltagsflucht. Genau wie am Ende doch alle immer wieder ihre Lieblingsserie Friends schauen, weil die Halt und Heimeligkeit versprüht in der medialen Überforderungswelt. Am Ende wollen sich wohl alle irgendwie gut fühlen. Und genau darum geht es Greg Gonzalez: "Ich habe viel mit Ängsten zu tun, sowas. Ich wünsche mir, entspannt zu sein, dann geht’s mir nämlich am besten – ruhig und entspannt. Mit meiner Musik will ich einen Raum schaffen, in dem ich mich wohl fühle, mich entspannen kann ohne all die Ängste."
Musik als Stimmungsmaschine
Musik als Medizin, nennt er das. Musik für passgenaueres Marketing nennen es die Streamingdienste. Spotify als einer der weltweit größten Streamingdienstanbieter wirbt nicht etwas damit, Musik aus allen Genres und Jahrzehnten anzubieten, sondern sagt: Wir haben die Musik für jede Stimmung.
Die Musikjournalistin Liz Pelly nennt die Dienste längst die "Big Mood Machine". In dem gleichnamigen Artikel aus dem amerikanischen Magazin "The Baffler" hat sie zwei Strategien aufgezeigt: Spotify setzt bei seinen Stimmungsplaylists darauf, den Gemütszustand der Hörerinnen und Hörer zu verbessern. Und: Der Streamingdienst will vor allem Hintergrundbeschaller sein, damit die Hörerinnen und Hörer möglichst lange dabei bleiben. Und sie werden merken: beide Kriterien erfüllt die Band "Cigarettes After Sex" perfekt.
Dass sie so gut in diese Streamingwelt passen, ist allerdings eher Zufall. Sie scheinen ihre Musik nicht für die Streamingdienste zu konfektionieren. Sondern existieren in einer Welt, die vor zehn Jahren noch Indie oder Alternative hieß und sich vom großen Mainstream abgrenzen wollte. Heute erfüllen einige dieser Bands den Wunsch nach ständiger Hintergrundmusik perfekt.
Ein unfreiwillig sehr zeitgemäßes Album
All das klingt nun viel negativer, als es gemeint ist. Die Texte sollte man sich zwar lieber nicht zu genau anhören – zu viele klingen nach plumper und unangenehm schlüpfriger Unterhaltung aus einem Softporno aus rein männlicher Perspektive. Aber irgendwie legt sich dann doch immer wieder diese leicht süßliche Popmelodie darüber und schon ist der Rest da draußen vergessen.
"Cry" ist unfreiwillig ein sehr zeitgemäßes Album, ohne auch nur eine Sekunde diese Welt explizit zu kommentieren oder im Sound im Hier und Jetzt verwurzelt zu sein.