Hochschulen und Forschende in ganz Europa kooperieren aktiv mit chinesischen Militäreinrichtungen. Die chinesische Führung nutzt das Wissen aus der gemeinsamen Forschung für die strategische Aufrüstung des Militärs. Zu diesem Ergebnis kommt eine gemeinsame Recherche der niederländischen Investigativ-Plattform Follow the Money mit dem gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv und neun weiteren europäischen Medien, darunter die Süddeutsche Zeitung und Deutschlandfunk. Die Hintergründe.
- Worum geht es bei der China Science Investigation?
- Was wurde bei der China Science Investigation untersucht und wer war beteiligt?
- Was hat die Analyse ergeben?
- Mit welchen Einrichtungen gab es die meisten Kooperationen?
- Wie wurde bei der Analyse vorgegangen?
- Was genau heißt Dual Use und welche Bedeutung hat dies?
- Was ist das Ziel Chinas?
- Wie steht die Bundesregierung zu den Forschungskooperationen?
- Wie bewerten europäische Sicherheitsbehörden die gemeinsame Forschung an sensiblen Technologien mit China?
- Wie stehen die USA zu Forschungen mit China?
Worum geht es bei der China Science Investigation?
In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind knapp 3.000 wissenschaftliche Arbeiten in Kooperation von europäischen mit chinesischen Forschenden entstanden, die enge Verbindungen zum chinesischen Militär haben. Das hat der internationale Rechercheverbund in seiner China Science Investigation (CSI) nachgewiesen.
Die Forschungsarbeiten betreffen militärisch sensible Bereiche wie künstliche Intelligenz, Robotik, Halbleiter, unbemannte Fahrzeuge und Radartechnologie. Mindestens 349 dieser sensiblen Veröffentlichungen sind mit deutscher Beteiligung entstanden
Was wurde bei der China Science Investigation untersucht und wer war beteiligt?
Ein Konsortium von elf europäischen Medien, unter ihnen der Deutschlandfunk, hat mehr als 350.000 wissenschaftliche Studien ausgewertet, die in Zusammenarbeit von europäischen Forschern mit chinesischen Kollegen entstanden sind. Die Studien wurden zwischen dem 1. Januar 2000 und dem 1. Februar 2022 veröffentlicht. Der Rechercheverbund hat dabei analysiert, welche dieser Kooperationen mit chinesischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen stattfanden, die in Verbindung zur Volksbefreiungsarmee stehen. Die Initiative für die Recherche kam von der niederländischen Investigativplattform Follow the Money in Zusammenarbeit mit dem deutschen Recherchezentrum Correctiv. In Deutschland sind auch die Deutsche Welle und die Süddeutsche Zeitung an der Untersuchung beteiligt.
Was hat die Analyse ergeben?
Die Analyse der über 350.000 Studien zeigt, dass es in vielen Bereichen nicht nur eine Zusammenarbeit mit zivilen Universitäten aus China gibt, sondern auch mit Instituten und Laboren des chinesischen Militärs, also der Volksbefreiungsarmee. Im Rahmen der China Science Investigation wurden 2.997 wissenschaftliche Veröffentlichungen erfasst, bei denen europäische Universitäten mit chinesischen Kollegen aus Militäreinrichtungen zusammengearbeitet haben. Die Zahl liegt möglicherweise noch höher, da bei einigen chinesischen Instituten, die in den wissenschaftlichen Studien genannt wurden, nicht festgestellt werden konnte, ob sie zur Volksbefreiungsarmee gehören.
Mit welchen Einrichtungen gab es die meisten Kooperationen?
Die überwiegende Mehrheit dieser Studien (2210) wurde mit Forschenden der Universität für Wissenschaft und Technik der Landesverteidigung (National University of Defense Technology / NUDT) durchgeführt, der wichtigsten Universität des chinesischen Militärs. Sie untersteht direkt der Zentralen Militärkommission, dem höchsten Verteidigungsgremium Chinas. Diese Militäruniversität gehört in den Bereichen Informatik und Kommunikationstechnik sowie Luft- und Raumfahrt zu den besten in China.
Die meisten Kooperationen verteilen sich auf Hochschulen in Großbritannien, gefolgt von Deutschland und den Niederlanden. Im Rahmen der internationalen Recherche China Science Investigation stellte sich heraus, dass seit dem Jahr 2000 mindestens 230 wissenschaftliche Texte in Zusammenarbeit zwischen deutschen Forschenden und der NUDT entstanden sind. Die Liste wird angeführt von der Universität Hamburg, gefolgt vom Max-Planck-Institut.*
Europäische Universitäten arbeiteten auch mit der China Academy of Engineering Physics (CAEP) zusammen. Zu den Hauptaufgaben dieser Armeeeinheit - die indirekt der Zentralen Militärkommission, der höchsten Verteidigungsorganisation, untersteht - gehören die Erforschung der Entwicklung von Atomwaffen, die Erforschung von Mikrowellen- und Laserwaffen, sowie die Erforschung und Entwicklung konventioneller Waffen. Die Datenbank enthält 457 Studien mit dem CAEP. Frankreich liegt mit 51 Untersuchungen an der Spitze.
Wie wurde bei der Analyse vorgegangen?
Grundlage für die Analyse ist eine Liste des Australischen Strategischen Politik-Instituts ASPI. Das Institut hat Verbindungen zwischen zivilen chinesischen Universitäten und militärischen oder sicherheitspolitischen Einrichtungen Chinas systematisch untersucht, mit dem Ziel zu bewerten, wie nahe eine Forschungseinrichtung dem Militär steht. Je enger die Verbindung, umso höher wäre danach das Risiko, dass Forschungsergebnisse weitergegeben werden. Das ASPI wird vor allem von der australischen Regierung finanziert, aber auch von staatlichen Stellen in den USA, Kanada, Japan und Großbritannien unterstützt.
Auf eine Correctiv-Umfrage zum Thema in Deutschland haben 63 Hochschulen geantwortet. In die ASPI-Kategorie eines hohen oder sehr hohen Risikos würden demnach 48 Kooperationen mit chinesischen Hochschulen gehören. Die Hälfte davon ist sich, der Umfrage zufolge, der Risiken ihrer Kooperation auch bewusst.
Was genau heißt Dual Use und welche Bedeutung hat dies?
Dual Use (eng.: doppelter Verwendungszweck) beschreibt das Phänomen, dass eine Technologie sowohl zivil, als auch militärisch genutzt werden kann. Beispielsweise wurde der Klein-Lkw Unimog ursprünglich für die Landwirtschaft hergestellt, aber der größte Abnehmer wurde die Bundeswehr. Auch gibt es bestimmte Lippenstifthüllen aus Aluminium, aus denen Patronenhülsen hergestellt werden können.
China will die Forschung an solchen Dual-Use-Technologien vorantreiben. So führte die China Academy of Engineering Physics (CAEP) auch die sogenannte Military Civilian Fusion ein. Die Military Civilian Fusion ist ein Konzept, das bereits von Mao Zedong und seinen Nachfolgern erdacht und von Xi Jinping 2017 in ein ehrgeiziges Programm umgewandelt wurde. Ziel dieses Projekts ist es, die Nutzung von Technologien mit doppeltem Verwendungszweck und den Austausch von Wissen und Technologie zwischen dem Militär, Universitäten und Technologieunternehmen zu fördern.
Was ist das Ziel Chinas?
Während China jahrzehntelang für seine zurückhaltende Außenpolitik bekannt war, ist das mit dem Regierungsantritt Xi Jinpings 2013 stark geändert. Im Jahr 2049, wenn die Volksrepublik China 100 Jahre alt wird, soll das Land nach seinen Vorstellungen die technologische, wirtschaftliche, politische und militärische Supermacht der Welt sein. Diese Ambitionen gehen mit einer groß angelegten Modernisierung der chinesischen Armee einher.
Um sich das nötige Wissen und die Technologie zu beschaffen, nutzt die Volksbefreiungsarmee nicht nur Spionage und Hacking, sondern sucht auch die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Universitäten und Wissenseinrichtungen im Ausland. Seit der Machtübernahme durch Xi Jinping gibt es auch deutlich mehr gemeinsame Forschung zwischen europäischen und chinesischen Forschungseinrichtungen.
Wie steht die Bundesregierung zu den Forschungskooperationen?
Auf das Thema angesprochen, argumentiert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dass die Hochschulen unabhängige Einrichtungen seien und sich die Bundesregierung auf „die Sensibilisierung” der Hochschullandschaft beschränke. „Wir beobachten mit großer Sorge, wie auf chinesischer Seite Themen wie Einschränkung der Forschungsfreiheit sich entwickeln oder auch gerade die Verwendung für militärische Zwecke”, sagt Staatssekretär Jens Brandenburg (BMBF) im Interview. Die drei Regierungsparteien bezeichnen China in der Koalitionsvereinbarung als „Systemrivalen“.
Angesichts der Recherche-Ergebnisse ist fraglich, ob die Sensibilisierung ausreicht. Sowohl befragte Expertinnen als auch der Grünen-Politiker Kai Gehring, Vorsitzender des Forschungsausschusses im Bundestag, fordern klare rote Linien bei Forschungskooperationen mit chinesischen Militäreinrichtungen. „Das halte ich für ethisch nicht vertretbar“, sagt Gehring.
Wie bewerten europäische Sicherheitsbehörden die gemeinsame Forschung an sensiblen Technologien mit China?
Das Problem ist den europäischen Sicherheitsbehörden durchaus bewusst. Sie warnen teils schon seit Jahren vor dem chinesischen Interesse an westlicher Technologie. Der Bundesverfassungsschutz, in Deutschland für die Spionageabwehr zuständig, warnt auf seiner Website, dass sich deutsche Wissenschaftler und Forschungsinstitute noch immer nicht aller Gefahren bewusst sind: "Oder sie ignorieren das Problem."
Der niederländische Auslandsgeheimdienst AIVD schrieb bereits in seinem Jahresbericht 2010, dass chinesische Geheimdienste an hochwertiger Technologie und Wissenschaft aus den Niederlanden interessiert seien. Der AIVD schrieb auch, dass die Universitäten diesbezüglich gewarnt worden seien.
Nachdem der dänische Inlandsgeheimdienst PET jahrelang allgemein vor dem Abfluss von hochwertigem Wissen und Technologie in andere Länder gewarnt hatte, nannte er in einem Bericht vom Februar 2022 zum ersten Mal China. Vor allem ausländische Studenten und Forscher können bei diesem Abfluss eine Rolle spielen.
Wie stehen die USA zu Forschungen mit China?
Die National University of Defense Technology (NUDT) und die China Academy of Engineering Physics (CAEP) stehen auf einer US-Sanktionsliste. Geschäfte mit diesen Instituten sind nur mit einer Lizenz möglich, und um diese zu erhalten, gelten strenge Auflagen.
Das CAEP steht seit Juni 1997 auf dieser Liste, weil es in der Forschung, Entwicklung und Erprobung von Kernwaffen tätig ist. Das NUDT wurde 2015 wegen der Entwicklung von Supercomputern für militärische Zwecke sanktioniert.
Amerikanische Wissenschaftler und chinesische Kollegen, die mit diesen beiden Militäreinrichtungen verbunden sind, können daher keine gemeinsame Forschung betreiben. Diese amerikanischen Beschränkungen gelten nicht für Europa. Deshalb haben chinesische Wissenschaftler begonnen, sich auf europäische Universitäten zu konzentrieren.
(Quellen: Follow the Money, Correctiv, Deutschlandfunk)
(*) Redaktioneller Hinweis: Wir haben eine inhaltliche Korrektur vorgenommen. Ursprünglich waren an dieser Stelle zwei weitere Unis aufgezählt. Aufgrund einer Veränderung der Datenlage kann die zunächst genannte Reihenfolge nicht aufrecht erhalten werden.