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CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt
"Die Integrationsfähigkeit eines Landes hat eine Obergrenze"

Bevor man eine Obergrenze für Flüchtlinge einhalten könne, müssten unter anderem Dinge wie sichere Drittstaaten festgelegt werden, sagte der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt im Dlf. Außerdem habe auch die Integrationsfähigkeit des Landes eine Obergrenze.

Alexander Dobrindt im Gespräch mit Katharina Hamberger |
    Verkehrsminister Alexander Dobrindt, CSU, kommt am 26. September 2017 in Berlin zur Sitzung der neuen Landesgruppe der CSU im Bundestag.
    Verkehrsminister Alexander Dobrindt, CSU, kommt am 26. September 2017 in Berlin zur Sitzung der neuen Landesgruppe der CSU im Bundestag. (picture alliance / Michael Kappeler/dpa)
    Katharina Hamberger: Herr Dobrindt, Sie haben in den vergangenen Jahren sehr unterschiedliche Rollen bekleidet. Sie waren Generalsekretär der CSU, Sie waren in den letzten vier Jahren Verkehrsminister in einer Großen Koalition und jetzt sind Sie CSU-Landesgruppenchef, also der Vorsitzende der Bundestagsabgeordneten der CSU.
    Ihre Vorgängerin, Gerda Hasselfeldt, die hat dieses Amt immer sehr diplomatisch gemacht. Sie galt so ein bisschen als Vermittlerin zwischen Berlin und München. Ist das auch Ihre Auslegung des Amtes oder muss sich Angela Merkel jetzt auf schärferen Wind einstellen?
    "Wir sind kein 16. Landesverband der CDU, wir sind eine eigenständige Partei"
    Alexander Dobrindt: Ach, ich glaube, dass man ja immer vieles zusammenbringen muss. Klar, dass man in einer Position als Vorsitzender immer für den Ausgleich auch zuständig ist unterschiedlicher Interessen, unterschiedlicher Personen, unterschiedlicher Ansprüche, die auch gegenüber der Politik immer wieder formuliert werden. Aber als CSU-Landesgruppenchef hat man ja auch eine Aufgabe, die Eigenständigkeit der CSU in Berlin zu betonen, sie auch gegenüber der CDU darzustellen. Und deswegen habe ich an die Adresse der CDU ja gleich an meinem ersten Tag formuliert: Wir sind kein 16. Landesverband der CDU, wir sind eine eigenständige Partei. Und das muss man auch merken. Das muss man feststellen. Und – ja – da kommt mir vielleicht auch meine frühere Verwendung als Generalsekretär gar nicht so schlecht gelegen.
    Hamberger: Also, Landesgruppenchef mit Generalsekretärsschulterklappen?
    Dobrindt: Zumindest ein Landesgruppenchef, der den Anspruch hat, die Eigenständigkeit und die Bedeutung der CSU – und ihrer Vertretung des Freistaats Bayerns – in Berlin sehr wahrzunehmen.
    Hamberger: Das zu zeigen haben Sie ja gleich am Sonntag – wir zeichnen dieses Interview am Freitag auf …. - also, übermorgen treffen Sie sich mit der CDU, mit mehreren Vertretern der CDU – unter anderem Angela Merkel, auch Volker Kauder wird dabei sein – und bei Ihnen, bei der CSU, sind auch noch mal vier weitere Vertreter außer Ihnen bei einem gemeinsamen Gespräch dabei. Da geht es um den Kurs der Union. Darüber hat Horst Seehofer gesagt: Es wird eines der schwierigsten Gespräche seit Kreuth 1976. Und Sie haben auch gesagt, dass Sie nicht davon ausgehen, dass das mit einem Treffen vorbei sein wird, dass es nicht nur um Kommazeichen geht, sondern um Grundsätzlicheres. Wie können denn die tiefen Gräben – so wie das bei Ihnen durchklingt – wieder aufgeschüttet werden?
    Dobrindt: Wir kommen ja jetzt von einem sehr schwierigen Wahlergebnis her – einem enttäuschenden Wahlergebnis für die CSU genauso wie für die CDU – und da hat der Wähler uns ja eine Agenda gegeben. Und ganz oben auf dieser Agenda stehen Fragen der Flüchtlingspolitik, der Sozialpolitik, aber auch des zukünftigen Kurses in Europa. Und die gilt es zu klären mit der CDU. Ich will wissen, ob wir noch inhaltliche Schwestern sind, das heißt, ob wir bei diesen Fragen eine gleiche Vorstellung haben. Wir haben ja den Wählerauftrag, in Koalitionsgespräche zu gehen. Und dazu muss es vorher eine grundsätzliche Klärung zwischen CDU und CSU geben, ob wir bei diesen zentralen politischen Feldern, die die Wahlen mitentschieden haben, eine gleiche Verhandlungsstrategie und eine gleiche inhaltliche Erkenntnis darüber haben, was als Lehre aus so einem Wahlergebnis geschehen muss.
    Hamberger: Was passiert denn, wenn Sie jetzt zu dem Ergebnis kommen, dass Sie dann nicht mehr Schwestern sind, die an einem Strang ziehen?
    Dobrindt: Na ja, erst mal steht jetzt im Vordergrund zu klären, wie sind denn die Positionen und gibt es eine gemeinsame Sichtweise, mit der man verhandeln will. Wir haben sehr klar gegenüber der CDU schon formuliert, dass es bei uns mit einem Formelkompromiss oder einem einfachen Hinweis, das sei doch eine Scheindebatte, nicht erledigt sein kann. Sondern wir wollen Klärungen haben, wie gehen wir beispielsweise bei der Flüchtlingspolitik einen gemeinsamen Weg zukünftig.
    Hamberger: Was sind denn diese Punkte, die die CDU bringen muss, damit Sie als CSU zufrieden da rausgehen? Sie haben das so ein bisschen umrissen und sagen Europapolitik, Flüchtlingspolitik, Sozialpolitik – aber das sind ja große Oberthemen. Gibt es ganz konkrete Punkte, wo Sie sagen, das muss da rauskommen, da muss die CDU einschwenken, da hat sie Bringschuld?
    "Das ist eine politische Eruption und da muss daraus natürlich eine Handlung entstehen"
    Dobrindt: Also erstes Mal ist es die Erkenntnis aus dem Wahlergebnis, dass es einen Vertrauensverlust im konservativen Lager gegeben hat. Ansonsten kann man ja 13 Prozent AfD, also, eine Partei, die aus dem Stand heraus so ein Wahlergebnis bekommt, das ist eine politische Eruption und da muss daraus natürlich eine Handlung entstehen. Und aus unserer Sicht hat ja dieser Vertrauensverlust, den man identifizieren kann, nicht erst mit der Flüchtlingskrise begonnen, sondern ja schon viel früher eingesetzt bei der Euro-Krise, bei der Griechenland-Rettung. Das waren die Grundlagen auch für das Entstehen der AfD. Und deswegen gilt es jetzt dafür zu sorgen, dass wir Vertrauen in diesen Wählerschichten wieder zurückbekommen. Und das geht nur, wenn man bereit ist, auch die rechte Flanke zu schließen. Wenn man bereit ist, mit Lösungsansätzen die Grundlage für diese Wahlentscheidungen zu verändern und diese Wähler wieder zurückzugewinnen.
    Hamberger: Wie ging es Ihnen denn eigentlich am Wahlabend persönlich als Sie das Ergebnis gesehen haben? Es ist ja so, dass die CSU massiv verloren hat. Dass, wenn Sie mal in ihren eigenen Wahlkreis – um das mal ein bisschen klein zu fassen – gucken, war es ja auch so, dass Sie tatsächlich auch Verluste hinnehmen mussten, dass bei den Zweitstimmen die AfD sogar auf dem zweiten Platz gelandet ist. Was ist Ihnen da durch den Kopf gegangen an dem Abend?
    Dobrindt: Wir haben ja gesehen, dass überall in Deutschland die Situation eintritt, dass es ein Ergebnis deutlich schlechter für die Unionsparteien gibt als vor vier Jahren und dass es einen deutlichen Zuwachs bei der AfD gibt. Also von daher, es ist ein Problem, das deutschlandweit erkennbar ist.
    Hamberger: Es hat Sie eigentlich nicht überrascht?
    Dobrindt: Doch, ich war jetzt nicht davon überrascht, dass die AfD in den Bundestag eintritt, aber die Größenordnungen in manchen Regionen, die hat mich schon überrascht. Also, wenn man nach Sachsen schaut, wo die AfD auf einmal die stärkste Partei geworden ist mit 30 Prozent, das ist natürlich total erschreckend, was da passiert. Und deswegen muss Politik auch darauf reagieren. Das ist übrigens nicht nur Aufgabe von CDU und CSU dafür zu sorgen, dass der alte Grundsatz von Franz Josef Strauß weiter Gültigkeit hat, dass es rechts von uns keine demokratisch legitimierte Partei geben darf. Das ist eine gemeinsame Aufgabe, dafür zu sorgen. Wenn man die Wählerwanderungen sich anschaut, die zur AfD stattgefunden haben, dann ist das ja nicht nur die eine Million Wähler, die von den Unionsparteien dahin gegangen ist, sondern es ist ja auch eine halbe Million Wähler von der SPD, es ist auch eine halbe Million Wähler von der Linkspartei dahin gegangen. Und das zeigt ja auch mal die Größe und die Dimension dieser Eruption, die da stattgefunden hat. Und deswegen ist es ein gemeinsamer Auftrag dafür zu sorgen, dass diese Partei sich nicht langfristig im Deutschen Bundestag wiederfindet.
    Hamberger: Sie setzen sich am Sonntag mit der CDU zusammen. Wie sieht es denn eigentlich mit der Selbstkritik innerhalb der CSU aus? Also, ist ja eben so, was ich schon gesagt habe, die CSU hat in Bayern massiv verloren, ist unter 40 Prozent gerutscht. In anderen Bundesländern kein Problem – in Bayern ein riesiges Problem, vor allem mit Blick auf die Landtagswahl 2018. Haben Sie Fehler im Wahlkampf gemacht?
    Dobrindt: Ich glaube, dass man als erstes darauf hinweisen muss, dass die Inhalte, die wir vertreten haben, die richtigen sind. Dass auch die Rezepte da beinhaltet sind, wie man mit diesen politischen Themen, die momentan eine besondere Rolle spielen, umgehen muss. Aber das Vertrauen in uns, von Teilen der Wähler, dass wir auch diese Projekte umsetzen, diese Themen in Berlin einer Gültigkeit verschaffen können, wo erkennbar in der CDU da nicht sehr viel Sympathie dafür war, dieses Vertrauen, das hat wohl gelitten. Und das führt dazu, dass wohl einige dann gesagt haben: Ich bin mir nicht sicher oder ich glaube nicht, dass die CSU ihre richtige Politik in dem Fall umsetzen kann, und dann gehe ich zu einer Protestwahl über, um mal den klaren Finger nach Berlin zu strecken und zu sagen 'Leute, ein 'Weiter so' gibt es nicht!'
    Hamberger: Wie viel Schuld hat Ihr Parteichef, Horst Seehofer, daran? Er hat ja oft mit zum Beispiel einer Klage gedroht, hat von einer Herrschaft des Unrechts gesprochen und am Ende hat er doch wieder den Schulterschluss mit Angela Merkel geübt, und gleichzeitig der AfD eigentlich eine Munition geliefert, die jetzt ständig sagt: Es gab einen Rechtsbruch.
    "Für mich ist klar, dass Horst Seehofer meine Unterstützung hat"
    Dobrindt: Nein, wir haben in der Vergangenheit sehr klar ja darauf hingewiesen, was sich ändern muss in der Politik. Übrigens ist es richtig, dass ja Recht an einigen Stellen ja nicht eingehalten worden ist, wenn man mal die europäischen Regeln sich anschaut – die sogenannten Dublin-Regeln –, dass immer da, wo man in Europa ankommt, man Asyl beantragen muss. Das heißt in demjenigen Land, in dem man ankommt, Asyl beantragen muss. Das hat ja auch schlichtweg nicht stattgefunden.
    Das ist eines der Probleme, die wir ja auch diskutiert haben: Wie geht es mit der Lastenverteilung in Europa eigentlich einher? Kann es sein, dass ein Land wie Deutschland die Hauptlast in Europa tragen muss und es keine faire Verteilung, keine faire Lastenverteilung in Europa gibt?!
    Das sind die richtigen Themen, die angesprochen worden sind. Und ich habe während des ganzen Wahlkampfes nicht festgestellt, dass es Kritik an dieser Politik von Horst Seehofer gibt. Und von daher, klar ist für mich, wir haben jetzt in der Tat die schwierigste Aufgabe zu erledigen, in Berlin eine Regierung zu bilden unter den Bedingungen, den thematischen Bedingungen, aber auch unter den Bedingungen des vergangenen Wahlergebnisses, das keine bürgerliche Mehrheit per se möglich gemacht hat. Weswegen auch Verhandlungen mit der FDP und den Grünen ja stattfinden müssen.
    Aber wir kommen auch dieser Verantwortung nach und werden mit aller Ernsthaftigkeit in diese Gespräche gehen. Und diese schwierigste Aufgabe, die wir da zu erledigen haben, die werden wir mit Horst Seehofer abarbeiten. Und ich will auch mal deutlich sagen, ich halte gar nichts davon, wenn hinterher alle die, die in den letzten Monaten gemeinsam einen Wahlkampf bestritten haben, hinterher meinen, sie wüssten alles besser. Ich bin eher auf dem Standpunkt: Wir haben gemeinsam gekämpft und deswegen tragen wir auch gemeinsam Verantwortung.
    Hamberger: Und dennoch haben Sie im Moment eine Personaldebatte innerhalb der CSU, die sich am Parteitag wahrscheinlich dann auch zuspitzen wird.
    Dobrindt: Ja, dass man nach einem Wahlergebnis, so wie wir das ja auch erlebt haben, dass man da Diskussionen hat, das ist ja jetzt, sage ich mal, Normalität. Alles andere würde einen ja auch verwundern. Aber noch mal, ich bin der tiefen Überzeugung, dass jeder auch nach seiner eigenen Verantwortung fragen muss und wenn man gemeinsam gekämpft hat, dann trägt man gemeinsam Verantwortung.
    Hamberger: Sie glauben also nicht, dass nach dem Parteitag der Parteichef Markus Söder heißen könnte?
    Dobrindt: Ich gebe jetzt an einzelne Kollegen ja keine Empfehlungen. Aber für mich ist klar, dass Horst Seehofer meine Unterstützung hat.
    Hamberger: Ich würde gerne auf ein Thema kommen, das Horst Seehofer doch sehr häufig genannt hat und das auch zu Ihrem Wahlkampf der CSU gehört hat und wo es tatsächlich um eine inhaltliche Geschichte geht mit der CDU. Eine inhaltliche Auseinandersetzung, nämlich das leidige Thema Obergrenze. Die Obergrenze – sagen Sie selber – soll nicht mehr auf ein Wort verengt werden, hat einen thematischen Unterbau, der heißt Fluchtursachen bekämpfen, Grenzen schützen, Integration fördern. Das haben Sie in der Bild am Sonntag gesagt.
    Dobrindt: Ja, Rückführungen beschleunigen.
    Hamberger: Auch.
    "Die Obergrenze ist deutlich komplexer als diese Verengung auf ein Wort"
    Dobrindt: Und sichere Drittstaaten festlegen. Also, mir geht es darum, den Hinweis zu geben, dass die Obergrenze deutlich komplexer ist als diese Verengung auf ein Wort. Da gibt es natürlich einen großen thematischen Unterbau – so – und der muss gelöst werden, dann kann man eine Obergrenze auch einhalten. Und das ist das, was auch gelöst werden muss. Man kann nicht mit den Schlagwörtern dann im politischen Betrieb arbeiten, sondern man muss auch dann mit den entsprechenden Regelungen, die notwendig sind, eine Einigung erzielen können mit möglichen Partnern. Und deswegen sagen wir das heute in der Breite: Was muss alles geregelt werden, damit eine Obergrenze entsprechend auch eingehalten werden kann?
    Hamberger: Aber der Dissens mit der CDU liegt doch sicher nicht darin, dass Sie sagen, wir müssen Rückführungen beschleunigen, wir müssen Integration fördern, wir müssen die Grenzen schützen, wir müssen Fluchtursachen bekämpfen. Der Dissens liegt ja wirklich in der Frage, wie kann man eine Obergrenze von 200.000 einführen und wie kann man das rechtlich verankern. Hat die CSU da einen Plan?
    Dobrindt: Ja, worin überall der Dissens liegt, das werden wir am Sonntag erst mal sehen. Und dann gibt es ja auch noch weitere Verhandlungen mit anderen Partnern in einer Koalition – die FDP und die Grünen – und da werden sich ja ...
    Hamberger: Aber erst mal müssen Sie sich ja mit der CDU einig werden.
    Dobrindt: Genau. Und deswegen sitzen wir ja zusammen. Und da werden sich ja dann auch noch weitere Differenzen stellen. Für mich ist jetzt wichtig, dass wir dieses gemeinsame Verständnis mit der CDU erreichen, dass es ein breites Maßnahmenspektrum gibt, das auch abgearbeitet werden muss, um dazu zu kommen, dass sich so ein Jahr wie 2015 nicht mehr wiederholen kann.
    Hamberger: Das will ja auch die CDU nicht.
    Dobrindt: Ja, das ist richtig ...
    Hamberger: Aber?
    Dobrindt: ... deswegen muss man sich auch darauf verständigen, was braucht man dazu alles. Man kann nicht einfach den Hinweis geben: 'Zurzeit kommen ja nicht so viele Flüchtlinge.' Wir wissen, es gibt 65 Millionen Menschen auf der Flucht zurzeit in der Welt. Und deswegen muss man sich vorbereiten, dass man nicht mehr mit so einer Situation wie 2015 auf einmal dann überrascht wird und nicht wirklich handlungsfähig ist.
    Hamberger: Aber sagen Sie noch mal, die ...
    Dobrindt: Ich will, dass wir mit solchen Themen, wenn sie noch mal auf uns zukommen, dann vorbereiteter umgehen. Und dafür brauchen wir diese Regeln. Und ich habe gegenüber den Kollegen der Union auch schon gesagt, es gibt bereits Regelungen, die Obergrenzen beinhalten – das Bundesvertriebenengesetz –, das kennt auch heute schon eine Obergrenze, da kann man sich natürlich auch ein Vorbild daran nehmen und diese Regelungen entsprechend dem, was im Bundesvertriebenengesetz gemacht ist, auch umsetzen. All das gehört zu einem entsprechenden Maßnahmenpaket.
    Hamberger: Das Bundesvertriebenengesetz besagt, dass es eine gewisse Grenze gibt von Spätaussiedlern, die nach Deutschland kommen können. Die müssen aber den Antrag in der Herkunftsregion stellen. Das heißt ja, wir sprechen von einer Art Kontingent, wo in einem Herkunftsland ein Asylantrag oder was auch immer gestellt werden würde, wenn man das jetzt auf die Obergrenze – die Sie wollen – übertragen würde. Spricht die CSU tatsächlich auch von einer Art Kontingentlösung dann?
    Dobrindt: Wir sprechen von einer Obergrenze. Und wir haben unterschiedliche Situationen, wenn wir heute die Migrationsbewegungen uns betrachten. Das eine ist das Asyl. Wir haben bei den Asylfragen eine Anerkennungsquote im einstelligen Prozentbereich – also eine Größenordnung, die in dem ganzen Bereich Flüchtlingsthematik die absolut geringste ist. Dann haben wir eine Frage… - Fachkräftezuwanderung, die geklärt werden muss. Klar, können wir darüber reden, welche Fachkräfte braucht unser Land oder wie können die zu uns kommen.
    Hamberger: Aber die Fachkräfte sind ja unabhängig von der Obergrenze.
    "Dass Menschen zu uns kommen können, die bei uns gebraucht werden"
    Dobrindt: Die Fachkräftezuwanderung ist aber etwas – was in diesem Zusammenhang ja auch immer wieder thematisiert wird. Wir wollen, wenn wir ein Fachkräftezuwanderungsgesetz haben, Regeln schaffen, die dafür sorgen, dass Menschen zu uns kommen können, die bei uns gebraucht werden in der Wirtschaft, die für unser Wachstum und für unseren Wohlstand nützlich sind. Aber das wird eine Prüfung erfordern in den Heimatländern dieser Menschen. Das ist dann ein legaler Weg für Fachkräfte nach Deutschland zu kommen. Und dann gibt es diese Frage der Humanität, die auch noch dazukommt und das alles zusammen kann man in einer Obergrenze dann auch regeln.
    Der Hintergrund – warum kommt man auf eine Obergrenze – ist doch, dass es auch eine Grenze dessen gibt, was man an Integration in einem Land machen kann. Also, die Integrationsfähigkeit eines Landes hat eine Obergrenze und das mal anzuerkennen, dass man nicht beliebig viele Menschen anderer Kulturen hier aufnehmen kann ohne zu glauben, dass sich nicht dann deutlich etwas verändert – es wird schon irgendwie gehen –, das mal anzuerkennen, dass das genau nicht so ist, das gehört auch zur Debatte, die wir mit der CDU, aber auch mit den Kollegen der anderen Parteien führen werden.
    Hamberger: Trotzdem würde ich Sie da jetzt ungerne rauslassen und würde noch mal fragen: Können Sie mal definieren: diese 200.000, von denen die CSU immer spricht? Was sind das für Menschen? Sprechen wir da von Menschen, die im Land sind? Sprechen wir da von Menschen, die einen Asylantrag stellen? Sprechen wir da von Menschen, die einen Asylbescheid bekommen haben? Was ist die Definition dieser 200.000?
    Dobrindt: Ich habe doch sehr deutlich darüber gesprochen, was möglich ist in einem Land an Integrationsleistung zu erbringen. Ich glaube, dass man dies mit einer Grenze definieren können muss ...
    Hamberger: Das bezieht alle mit ein?
    Dobrindt: Diese 200.000 ist die Grenze, die wir uns vorstellen, die kann man in einem Jahr an Integrationskraft auch in einem Land ermöglichen. Darüber hinaus wird es immer deutlich schwieriger. Und ich bin übrigens auch der Überzeugung, wenn wir denjenigen, die politisch verfolgt sind, langfristig Hilfe geben wollen, dann müssen wir das, was der Bundespräsident auch am 3. Oktober gesagt hat, umsetzen können. Wir müssen wieder die Unterscheidungshoheit schaffen zwischen denjenigen, die politisch verfolgt sind und deswegen Anspruch auf Asyl haben und die, die aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen wollen.
    Hamberger: Die Unterscheidung gibt es rechtlich.
    Dobrindt: Das definiert nichts anderes als auch eine Grenzziehung – so wie der Bundespräsident das gesagt hat. Ich glaube, dass wir da deutlich stärker darauf schauen müssen und dafür sorgen müssen, dass diejenigen, die auf der Suche nach einem besseren Leben sind und hierherkommen, keine echten Fluchthintergründe vorweisen können auch wieder zurückgeführt werden. Dass wir mit den sicheren Herkunftsstaaten dafür sorgen, dass das Signal auch an diese Länder ausgesendet wird: 'Ihr braucht euch nicht auf den Weg zu machen. Ihr habt keine Möglichkeit hier in Europa oder in Deutschland zu bleiben.' All das gehört dazu, um langfristig sicherzustellen, dass wir solche Jahre 2015 nicht mehr erleben.
    Hamberger: Also ich sehe, wir werden eine ganz genaue Definition der Obergrenze dann wahrscheinlich erst erfahren, wenn Sie mit der CDU verhandelt haben und wenn die Koalitionsverhandlungen durch sind.
    Dobrindt: Nein, Sie haben jetzt von mir ja die Definition einer Obergrenze auch bekommen. Sie wollen wissen, was fällt da alles drunter. Das habe ich ja auch gerade deutlich formuliert. Es finden immer ganz wenige Argumente dafür zu sagen: 'Na ja, das ist alles irgendwie in Deutschland schon langfristig zu machen', wenn man die Frage stellt: Was ist eigentlich die Integrationsgrenze, was ist die Obergrenze der Integrationsfähigkeit in einem Land? Die ja niemand bestreitet, dass es die gibt? Aber keiner hat den Mut, sie zu definieren.
    Die Grünen erzählen irgendwas von einer Untergrenze der Flüchtlingsaufnahmen, die man definieren muss. Auf alle meine Fragen, wie hoch denn ihre Untergrenze sei, das, was also zwingend von Deutschland aufgebracht werden muss, gibt es überhaupt keine Antworten. Im Gegenteil, jeden Tag kommen neue Vorschläge: Wie kann man eigentlich noch mehr Flüchtlinge in Richtung Deutschland auf den Weg bringen? Zum Beispiel wenn gefordert wird von den Grünen, dass das Türkei-Abkommen jetzt aufgehoben wird. Ja, was hat das zur Folge? Dass man letztlich die Route wieder aufmacht? Mit all den menschlichen Tragödien, mit denjenigen, die auf dieser Route umkommen, die im Meer ertrinken? Über all diese Themen können wir nicht mehr in einer Diskussionslage uns befinden: Gibt es überhaupt Notwendigkeiten, dafür zu sorgen, gegen die Migrationsströme mit Maßnahmen anzugehen? Sondern die Frage ist nur: Wie viel Zeit haben wir noch, darüber zu debattieren, bis wir echte Maßnahmen haben, um eben Obergrenzen festzusetzen mit der ganzen Thematik Fluchtursachen bekämpfen und Grenzen sichern und Rückführungen ermöglichen und eben auch dafür zu sorgen, dass Integration gefördert wird.
    Hamberger: Zeit ist ein gutes Stichwort. Es wird ja noch eine Zeitlang vergehen, bis Sie sich mit der CDU wahrscheinlich geeinigt haben. Wie lange müssen diejenigen, die Sie gewählt haben – und die ja offenbar der Union auch einen Regierungsauftrag gegeben haben – darauf warten, dass es eine Regierung geben wird?
    "Lassen wir uns nicht unter Zeitdruck setzen, sondern die Inhalte müssen ausverhandelt werden"
    Dobrindt: Inhalte gehen doch vor Zeit. Lassen wir uns nicht unter Zeitdruck setzen, sondern die Inhalte müssen ausverhandelt werden. Und dazu gehört, dass eine Diskussion zwischen CDU und CSU das Allererste ist und danach Sondierungsgespräche auch mit FDP und Grünen stattfinden können. Wie lange das dauert, kann ja heute keiner sagen. Aber ich weiß auch nicht, ob man nicht doch noch mal vielleicht noch mal mit der SPD ins Gespräch kommt. Ich halte dieses Verhalten der SPD für vollkommen verantwortungslos. Dass man aus einem durchaus schlechten Wahlergebnis, was die SPD bekommen hat, einfach für sich die Entscheidung trifft, dass man für Verantwortung in der Politik nicht mehr zur Verfügung steht. Das kann man, wenn man das inhaltlich begründet und man findet keinen Partner, ja erklären. Aber aus parteitaktischen Gründen zu sagen, man übernimmt keine Verantwortung, das finde ich schon mehr als schwach
    Hamberger: Da Sie das jetzt so betonen: Haben Sie denn die Befürchtung, dass man sich in einer Jamaika-Koalition nicht einig werden? Die CSU und die Grünen, das ist ja auch eine lange Geschichte von auch gegenseitiger Abneigung.
    Dobrindt: Wir werden das in aller Ernsthaftigkeit natürlich versuchen, Einigungen zu finden. Und ich kann das Ergebnis von Koalitionsverhandlungen jetzt nicht vorwegnehmen. Aber aktuell ist es doch so, dass uns mit den Grünen wesentlich mehr trennt als uns verbindet. Bei der Flüchtlingsfrage haben wir es ja gerade definiert. Wir können das weitermachen bei der Energiefrage, bei der Frage Industriestandort, bei der Frage Automobil, Verbrennungsmotoren 2030 verbieten. Also, die Grünen müssen sich bewegen und müssen sich entscheiden, ob sie mehr Kretschmann oder mehr Trittin sind. Sie müssen sich entscheiden, ob sie mit ihrem Realo-Flügel in der Lage sind, Politik für ein Industrieland wie Deutschland zu gestalten oder wenn sie mit ihren verblendeten alten Ideologien letztendlich linke Politik vertreten wollen, die wohlstandsfeindlich ist und unser Land nicht voranbringt.
    Hamberger: Ich würde mit Ihnen zum Schluss gerne noch mal auf ein Datum schauen, den 24. Oktober, wo sich der Bundestag voraussichtlich konstituieren wird. Da stehen auch solche Wahlen an, wie Bundestagspräsident, Bundestagsvizepräsident. Die AfD hat einen Kandidaten vorgeschlagen, dem sich viele Parteien verweigern: Albrecht Glaser. Volker Kauder – Ihr Kollege an der an der Unionsspitze – hat schon gesagt, er will Herrn Glaser nicht wählen. Stehen Sie da ähnlich dazu? Geben Sie eine Empfehlung an Ihre Landesgruppe raus?
    Dobrindt: Wissen Sie, ich will die AfD unter keinen Umständen in irgendeine Opferrolle bringen. Und ich habe auch überhaupt kein Interesse daran, dass jetzt noch wochenlang über die Rolle von einzelnen AfD-Mitgliedern breit gesprochen wird. Ich werde mir die Person und die Rolle von Herrn Glaser detailliert und ganz genau anschauen. Aber ich habe überhaupt kein Interesse, eine öffentliche Debatte über das Thema über Wochen zu führen und damit der AfD noch einen Gefallen zu tun.
    Hamberger: Vielen Dank für das Gespräch.
    Dobrindt: Ja gerne, Dankeschön.