Es sei sicher auch kein Höhepunkt bayerischer Gastfreundschaft gewesen, ergänzte Spahn im DLF. Zum Verhältnis der beiden Schwesterparteien sagte er: "Es gibt viele Gemeinsamkeiten und die mehr zu betonen wäre schon eine Hilfe". Zur Flüchtlingskrise sagte der CDU-Politiker, es seien sich alle einig, dass die Zuwanderung begrenzt werden müsse.
Über den Koalitionsvertrag sei die Zeit hinweggegangen, ergänzte Spahn. Das betreffe etwa die Regulierung der Zeit- und Leiharbeit. Die Ausnahmen, die es beim Mindestlohn für Langzeitarbeitslose gebe, müssten auch auf Flüchtlinge ausgeweitet werden.
Das Interview in voller Länge:
Jürgen Zurheide: Natürlich, das Flüchtlingsthema beherrscht die Debatte. Ist es wirklich das wichtigste Thema in Deutschland? Auch darüber werden wir gleich reden. Allerdings, zunächst einmal werden wir über das Flüchtlingsthema sprechen, weil es ein neues Buch zum Beispiel gibt: "Ins Offene. Deutschland, Europa und die Flüchtlinge" heißt der Titel und es schreiben ganz unterschiedliche Leute aus unterschiedlichen Parteien. Jens Spahn, mit dem wir gleich reden werden, ist der Herausgeber von der CDU, es schreiben aber auch Männer wie Dohnanyi, SPD, und Söder, CSU. Über all das wollen wir reden, und zunächst einmal begrüße ich Jens Spahn am Telefon, guten Morgen, Herr Spahn!
Jens Spahn: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Herr Spahn, erst mal die Frage: Warum jetzt gerade dieses Buch?
Spahn: Weil unser Eindruck war – es sind ja gut 20 Beiträge, Sie haben es gesagt, unterschiedliche Autoren darin –, dass es Sinn macht, mal einen Schritt zurückzutreten und die Debatte zu strukturieren. Wir sind ja jeden Tag sehr im Problem, wie kriegen wir die Flüchtlinge untergebracht und die Einwanderer, wir brauchen Feldbetten, DIXI-Klos, also, in den Kommunen, beim DRK, THW wird gearbeitet und geackert. Aber ich finde, wir haben zu wenig eine grundsätzliche Debatte darüber, was macht das eigentlich mit diesem Land, soll es was machen, in welche Richtung wollen wir das steuern, auch beim Thema Integration, welche Werte müssen gelten, aber auch, wo müssen wir uns verändern und wo liegt auch eine Chance in der Veränderung, etwa wenn wir flexibler werden auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wirtschaft, die Wirtschaft muss wachsen, sonst kriegen wir die Flüchtlinge nicht integriert, oder im Bildungssystem.
Zurheide: Jetzt haben Sie gesagt, die Spannbreite ist natürlich so groß, dass man auch sagen könnte, na ja, so ähnlich wie bei den Grünen, da haben wir vorhin drüber gesprochen, auf ihrem wunderbaren Parteitag haben die alles diskutiert und man fragt sich, was sagt uns das jetzt? Oder ist das eine zu böse Frage eines bösen Journalisten?
"Das war sicher kein Höhepunkt der Beziehung zwischen CDU und CSU"
Spahn: Na ja, es ist natürlich ... Das Buch hat natürlich nicht den Anspruch, jetzt abschließende Antworten zu geben, das ist auch viel zu früh, weil das ja eine Entwicklung ist, die über Monate, über Jahre gehen wird. Sondern was wir wollen mit dem Buch, sind Fragen aufwerfen, auch Perspektiven aufzeigen, da wird über Flucht gesprochen, auch geschaut, welche Fluchterfahrungen in der Geschichte der Menschheit, auch in der Geschichte Deutschlands etwa bei der Vertreibung gibt es, was ist vergleichbar und was nicht, es geht darum, welche Werte, auch welche Wertkonflikte gibt es. Wir haben einen islamischen Theologen, der sich auch mit solchen Fragen in dem Buch beschäftigt, wir beschäftigen uns mit Wirtschaftspolitik oder mit Bildungspolitik. Und natürlich sind das nicht abschließende Antworten und auch nicht immer einhellige Antworten. Was wir wollen, ist, zum Denken anregen, weil ich finde, wir sind bei dem bisherigen Diskutieren in dieser Flüchtlings- und Einwanderungsfrage ein bisschen zu eng unterwegs, ein bisschen zu sehr im Alltag. Und dieses Buch mit dem Titel "Ins Offene", was ja auch vielerlei hoffen lässt, das soll es durchaus anzeigen, das soll vor allem das mal strukturieren, auch ein Stück Emotion rausnehmen, aber vor allem auch zum Denken anregen.
Zurheide: Das ist alles wunderbar, Diskurs brauchen wir und ich gehöre zu denen, eigentlich brauchen wir mehr davon in dieser Republik. Auf der anderen Seite, wenn wir es dann so konkret auf der Bühne sehen wie gestern beim CSU-Parteitag, dann schrecken wir auch hoch. Haben Sie auch ... Welche Reaktionen hatten Sie, fragen wir es offen, gestern, als Sie die Bilder von Merkel und Seehofer inklusive der Verabschiedung gesehen haben?
Spahn: Das war sicher kein Höhepunkt der Beziehung zwischen CDU und CSU. Das war auch sicher kein Höhepunkt bayrischer Gastfreundschaft, das muss man auch sagen. Ich würde mir insgesamt wünschen, dass wir mehr die Gemeinsamkeiten betonen, auch in der Union. Denn wir haben ja viele gemeinsame Punkte. Das fängt an bei der Frage, dass wir eine Lösung zwischen der Europäischen Union und der Türkei brauchen, dass wir über den Syrien-Konflikt reden, was ja jetzt auch passiert in Wien, dass wir über das Thema reden, wie können wir die Zahlen begrenzen. Ich finde die Debatte über eine Obergrenze als feste Zahl müßig, aber wir sind uns doch einig in dem Ziel, die Zahl der Flüchtlinge und Einwanderer, die da jeden Tag kommen, zu begrenzen, vor allem schneller auch zu schauen, wer ist tatsächlich ein Flüchtling und wer kommt aus anderen Gründen. Es gäbe viele Gemeinsamkeiten, und die mehr betonen statt die Unterschiede, würde auch schon helfen.
Zurheide: Aber Sie sagen ja auch selbst, in anderen Zusammenhängen, dass der Koalitionsvertrag, dass man da gescheitert sei. Was muss sich denn konkret ändern in der Politik?
Spahn: Der Koalitionsvertrag ist nicht gescheitert, sondern über den Koalitionsvertrag ist die Zeit im Grunde hinweggegangen. Den haben wir vor gut zwei Jahren geschlossen unter anderen Vorbedingungen, unter anderen Vorzeichen, und ein Beispiel will ich nur sagen: Beim Arbeitsmarkt etwa, jeder weiß mittlerweile, es kommen nicht nur Ärzte und Ingenieure, da kommen viele auch mit geringer oder keiner Qualifikation, die werden vor allem auch im Dienstleistungsbereich, in der Gastronomie am Ende einen Job finden müssen, und das gelingt nur, wenn wir Wirtschaftswachstum haben, nur dann gibt es neue Jobs. Und dann ist die Frage, tun wir wirklich genug, um wirtschaftliches Wachstum zu haben? Sollten wir in einer solchen Zeit den Arbeitsmarkt weiter regulieren und belasten? Nein, sollten wir nicht, also sind die Vorschläge aus dieser Woche, die wir gerade bekommen haben aus dem Arbeitsministerium, bei der Zeitarbeit mehr zu regulieren, sind die falschen. Das sind Vorschläge aus einer alten Zeit, aus einer anderen Zeit, und die passen im Moment nicht in die Aufgabe, viele Menschen im Arbeitsmarkt zu integrieren.
"Wie können wir Unternehmen dazu bringen, mehr zu investieren"
Zurheide: Das heißt, Sie sind gegen die Regulierung der Leiharbeit. Wie sehen Sie es mit Mindestlohn? Da gibt es ja auch viele in Ihren Reihen, die sagen, da müssen wir ran und da müssen wir den nach unten aufweichen. Klammer auf: Was die Wirtschaft übrigens gar nicht will!
Spahn: Also zum einen, zur Leih-, zur Zeitarbeit: Wir haben gerade diese Woche gesehen, dass ein Großteil der Flüchtlinge, die bis jetzt einen Job gefunden haben – das sind etwa 70.000 –, auch viele von denen über Zeitarbeit in den Arbeitsmarkt gekommen sind. Also sollten wir es da leichter machen, da gibt es immer noch 15 Monate Wartezeit, als tatsächlich weiter zu erschweren. Und beim Mindestlohn, eine Ausnahme ausdrücklich für Flüchtlinge wäre das falsche Signal. Aber zu sagen, etwa bei den Langzeitarbeitslosen gibt es eine Ausnahme für das erste Jahr, kann man vom Mindestlohn abweichen, dass das auch für Flüchtlinge geöffnet wird, das finde ich zum Beispiel ein richtiges Zeichen, eine richtige Sache. Ich muss auch ehrlich sagen, wer als Deutscher und als jemand, der in Deutschland geboren ist, am Ende nicht mit einem nicht hier geborenen Syrer oder Iraker, der eigentlich kein Wort Deutsch gesprochen hat, bis er hier war, am Ende auf dem Arbeitsmarkt nicht mithalten kann ... Ich finde, wir sollten da weniger Sorgen haben.
Zurheide: Jetzt frage ich Sie noch mal was anderes, jetzt treten wir noch mal eine Stufe zurück! Der politische Diskurs, auch wir haben die ganze Zeit über Flüchtlinge geredet, so wichtig es im Moment ist: Ist das eigentlich das wichtigste Thema dieser Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2015? Mir würden da noch ein paar andere einfallen, Stichwort zu wenig Investitionen, wir haben Investitionsstau, wir haben gespart, wir haben die Haushalte ausgeglichen, aber eben nach meiner Beobachtung viel zu häufig zulasten der Investitionskraft dieses Landes in jeder Beziehung. Sie gerade als Jüngerer oder als Vertreter einer jüngeren Generation müsste das doch viel massiver noch umtreiben. Sehe ich das falsch?
Spahn: Das tut es. Und ohne Zweifel überlagert natürlich die Debatte aktuell zu den Flüchtlingen seit Wochen alle anderen Themen. Und da soll ja auch das Buch durchaus die Anregung sein, jetzt mal aus der Flüchtlingsdebatte heraus wieder breiter zu werden. Denn wie gesagt, wenn wir wirtschaftliches Wachstum brauchen, sie zu integrieren, dann geht es auch um das Thema Investieren. Wie können wir im Haushalt umschichten, weg vom Konsum hin zu mehr Investition in die Infrastruktur, wie können wir Unternehmen dazu bringen, wieder mehr in Deutschland zu investieren, die meisten investieren leider gerade im Ausland, wie können wir beim Thema Qualifizierung, Bildung jetzt noch mal gemeinsame Anstrengungen machen, es verlassen immer noch 50.000 junge Menschen in Deutschland die Schulen ohne Abschluss. Wenn wir jetzt über Flüchtlinge und Bildung reden, können wir doch vielleicht das Thema auch mit angehen! Also, jetzt die Chance zu nehmen über die Debatte zu den Flüchtlingen, wie Integration gelingen kann, übrigens bis hin zu dem Thema auch Leitkultur, Leitwerte ... Wir haben bisher schon in Neukölln gesehen, in Duisburg-Marxloh gesehen, dass Integration nicht überall gelungen ist, dann lasst uns doch da auch noch mal mit neuer Power rangehen in der aktuellen Debatte! Also, die aktuelle Flüchtlingsdebatte als Chance nehmen, als Anreiz nehmen, jetzt auch andere Politikfelder noch mal neu zu denken. Das ist das, wofür wir in diesem Buch vor allem werben.
Zurheide: Das war ein vehementes Plädoyer, wir haben Sie plädieren lassen, Jens Spahn, für einen Neustart in der Flüchtlingsdebatte und mit dem Hinweis, dass das auch andere Politikfelder umfassen muss. Ich bedanke mich heute Morgen für das Gespräch, danke schön und auf Wiederhören!
Spahn: Ja, gerne!
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