Durch ihre Undiszipliniertheit nach der Kür von Armin Laschet (CDU) zum gemeinsamen Kanzlerkandidaten habe auch die CSU zum Umfragetief der Union beigetragen, sagte Heinrich Oberreuter. Der Politikwissenschaftler ist selbst Mitglied der CSU und hat viele Jahre die Akademie für Politische Bildung Tutzing geleitet.
"Nach der Entscheidung hätte dann die Diskussion aufhören müssen", sagte Oberreuter rückblickend. Die "Söder’schen Sticheleien" seien "ein Knackpunkt, woran einige Beobachter nun festmachen, warum Markus Söder nur mit 87,6 Prozent als Parteichef wiedergewählt wurde."
Oberreuter kritisierte, dass einige Parteitagsdelegierte ihre kleinen Gegenpositionen bei der Stimmabgabe für den Parteivorsitzenden nicht hätten überwinden können. "Eigentlich hätte man ein Wahlergebnis von 99,1 Prozent gebraucht, um mich mal übertrieben auszudrücken." Die bevorstehenden zwei Wochen von CSU und CDU bezeichnete Oberreuter als Tage der "versuchten Geschlossenheit".
Das Interview in voller Länge:
Silvia Engels: Haben Sie die Rede von Armin Laschet als Aufbruchssignal wahrgenommen oder ist es mehr ein Augen-zu-und-durch, weil ja den Delegierten gar nichts anderes übrig bleibt, als Laschet zwei Wochen vor der Wahl den Rücken zu stärken?
Heinrich Oberreuter: Na ja, ich glaube, die erste Interpretation des Aufbruchssignals ist die richtigere. Ihr Korrespondent hat das ja auch beobachtet. Es war zunächst, denke ich, eine orchestrierte Zustimmung, als er den Saal betrat, aber es ist ihm dann gelungen, mit seiner Argumentation und seiner sehr konzentrierten Vortragsweise und mit den Rückgriffen auf die bayrische Seele und auf Politikfelder der CSU wie Franz Josef Strauß, aber das alles eingeordnet in aktuelle Zusammenhänge, die Seele des Parteitags zu treffen. Die Zustimmung ist eigentlich immer deutlicher und immer jubilierender geworden, bis sie zum Schluss eigentlich als Ovation zu bezeichnen sein muss – von daher kein Opportunismus, aber doch eine große Erleichterung, aus der Konfliktsituation herausgekommen zu sein, und das in der Überzeugung, dass die Kooperation der beiden Parteien stimmt.
Engels: Die Kooperation solle jetzt stimmen, ist denn aber auf den Fluren rund um die Messehalle in Nürnberg nicht doch die Angst dominant, dass möglicherweise auch die CSU selbst durch Laschet mit in Umfragetiefen und dann vielleicht auch Wahltiefen gezogen wird?
Oberreuter: Nicht nur auf den Fluren, sondern das ist natürlich Gegenstand der ganzen Auseinandersetzung, der ganzen Diskussion der letzten zehn, zwölf Tage, seitdem die Daten so in die Tiefe sinken. Das ist ja ein Ausgangspunkt, den man ernst nehmen muss, und die Frage ist: Wie kommt man aus dieser Tiefe raus? Die geistlichen Worte heute zum Beginn des Parteitages zitierten ja einen Psalm, in dem vom Wandern durch ein tiefes, dunkles Jammertal die Rede war, und das hat eigentlich aus meiner Sicht auf die Ausgangsposition für diesen Parteitag sehr gut gepasst, und aus diesem Jammertal muss man raus. Man kann aber auch nur raus, wenn man weiß, dass man drin ist, und man darf natürlich auch nicht unterdrücken die Fehleranalyse, warum ist es so. Und es ist natürlich so, weil Laschet in den vergangenen Tagen einen viel schwächeren Eindruck gemacht hat als hier, und das hat die CSU kritisiert, aber sie hat ja selber durch ihre Undiszipliniertheit, was die Kandidatenfrage betrifft – und nach der Kür und nach der Entscheidung hätte dann die Diskussion aufhören müssen. Die Söder’schen Sticheleien sind ja an diesem Abstieg in der Demoskopie nicht ganz schuldlos, insofern sitzen sie alle im gleichen Boot.
Sticheleien gegen Laschet als Mitgrund für Söders Wahlergebnis
Engels: Das ist ja auch ein Knackpunkt, woran einige Beobachter nun festmachen, warum gestern Markus Söder nur mit 87,6 Prozent als Parteichef wiedergewählt wurde – ein solides, aber kein strahlendes Ergebnis. Ist da den Delegierten doch auch mal die Kritik in dieser Form wichtig gewesen an ihm wegen der Sticheleien, oder war es auch die Landespolitik selbst, die Söder betreibt?
Oberreuter: Ich glaube, die Sticheleien sind mit ein Grund gewesen, und die anderen Gründe liegen in der entschieden grünen Klimapolitik, die Mittelständler und Landwirte vor allen Dingen besorgt machen in der Partei. Ich glaube, dass auch die Corona-Disziplin, die er ausgestrahlt hat, den einen oder anderen Delegierten dazu gebracht hat, ihm die Stimme nicht zu geben. Also es ist vielschichtig, und es ist natürlich auch wieder so erstaunlich, dass Parteitagsdelegierte in dieser schwierigen Situation, in diesem Jammertal, diese detaillierte Gegenposition bei der Stimmabgabe für den Parteivorsitzenden nicht überwinden. Eigentlich hätte man ein Wahlergebnis von 99,1 Prozent gebraucht, um mich mal übertrieben auszudrücken.
Engels: Das heißt, Söder ist in seiner Position durchaus angreifbar, falls er jetzt tatsächlich mit der CSU bei der Bundestagswahl ein Ergebnis um die 30 Prozent – und die CSU tritt ja nur in Bayern an –, um die 30 Prozent oder darunter erzielt?
Oberreuter: Söder hat, seitdem er verantwortlich ist für den ganzen Verein, immer nur Wahlergebnisse unter 40 Prozent erzielt. Und wenn Sie jetzt auch noch die 30-Prozent-Grenze streifen und wenn die Union gemeinsam in die Opposition verbannt werden sollte, dann werden wir ohnehin eine aufsehenerregende Diskussion kriegen, auch in Bayern und im Unionslager insgesamt. Die Unangefochtenheit von Söder wäre bei einer solchen Entwicklung mit Sicherheit perdu, und es gäbe auch innerparteiliche Diskussionen.
Engels: Spricht das nicht dafür, dass die CSU trotz aller Bekenntnisse zur Geschlossenheit jetzt weitermachen wird mit dem widersprüchlichen Kurs? Auf der einen Seite stärkt man Laschet verbal den Rücken, auf der anderen Seite versucht man sich abzugrenzen, damit man nach einem schlechten Abschneiden Laschet allein für den Unionswahlkampf verantwortlich macht?
Oberreuter: Das kann man, glaube ich, nach dem heutigen Tag und nach dem, wie er inszeniert worden ist, nicht erwarten und auch nichts unterstellen. Die nächsten 14 Tage werden Tage der – wie soll ich mal sagen – versuchten Geschlossenheit sein, Betriebsunfälle kann man nie ausschalten, aber die Idee wird schon sein, so in die Wahlnacht zu gehen, dass am Ende man nicht selber noch Stolpersteine aufgebaut hat.
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