Deutschland müsse seine wirtschaftliche Abhängigkeit von China überdenken, sagte der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt im Dlf. Es werde jetzt im Zuge der Coronakrise sehr deutlich, dass man diese Abhängigkeiten zugelassen habe. Dobrindt forderte daher ein stabileres und deutlicheres Auftreten gegenüber China - jedoch ohne Aggression. "Wir werden zukünftig Dinge selber machen, die wir anderen überlassen haben."
Dobrindt betonte außerdem, dass die Union die Personaldebatte um die Kanzlerkandidatur nicht zu öffentlich führen solle. Klar sei aber auch, dass am Schluss eine solche Entscheidung davon abhänge, dass Kompetenz, Zustimmung und auch Chancen stimmten. Ein Kandidat müsse diese drei Elemente erfüllen können, sagte Dobrindt.
Das Interview in voller Länge:
Katharina Hamberger: Wir sitzen hier im Hauptstadtstudio, zwischen uns eine Plexiglasscheibe. Das sind so die kleinen Dinge, die im Moment von dieser Corona-Pandemie bleiben, dass man mit Abstand sitzt, dass man eben auch einen Schutz zwischen sich hat, ob das eine Maske ist oder ob das, wie in unserem Fall, so eine Scheibe ist. Aber es gibt auch Dinge, die tatsächlich wohl längerfristig auch von Corona bleiben werden oder auch Fragen, die offen sind, und eine ist die, die sich gezeigt hat, dass Deutschland oder auch Europa bei gewissen Dingen abhängig ist von anderen Ländern. Also wenn es zum Beispiel um Lieferketten geht, Sie haben im Bundestag im April eine europäische Souveränitätsoffensive gefordert und gesagt, es sei notwendig, die Versorgung mit wichtigen Medizinprodukten, mit Medikamenten in Europa allein sicherzustellen, ebenso die Versorgung mit Komponenten für kritische Schutzbekleidung. Hat sich hier eine Fehlentwicklung bei der Globalisierung jetzt gezeigt durch Corona?
Alexander Dobrindt: Wir werden ja noch sehr lange mit den Auswirkungen von Corona zu tun haben. Es wird uns wirtschaftlich noch sehr stark auch belasten. Das sieht man schon jetzt, dass alle Prognosen, die gestellt worden sind, sicherlich falsch waren, sicherlich auch zu gering in ihrer Bedeutung, was die Auswirkungen anbelangt, waren. Deswegen wehre ich mich dagegen, dass man ständig darüber redet, wir müssen in eine Situation kommen, die heißt, der Status vor Corona muss wieder hergestellt werden und ich glaube, wir müssen deutlich weitergehen. Wir müssen jetzt diese Situation so nutzen, dass wir die Fehler, die wir erkennen, dass wir diese beseitigen und die Globalisierung hat Fehler und das ist in Corona sehr deutlich geworden. Es gibt Abhängigkeiten, einseitige Abhängigkeiten der Welt von einzelnen Regionen auf der Erde. Die müssen wir zurückdrehen. Das ist jetzt keine Absage an den Welthandel und an die Globalisierung an sich, aber es darf nicht zu diesen einseitigen Abhängigkeiten führen und dass man jetzt bei Medikamenten, bei kritischen Produkten, dass man bei Schutzkleidung gesehen hat, dass wir abhängig sind und damit unglaublich verletzlich geworden sind, das muss korrigiert werden und deswegen ist eine Souveränitätsoffensive für Europa, für Deutschland das Richtige, was jetzt Europa leisten muss, was Deutschland als Ratspräsidentin im nächsten halben Jahr auch mit leisten muss. Wir müssen wieder selber in der Lage sein bei kritischen Produkten, bei kritischer Infrastruktur als Europa die Versorgung sicherzustellen und das ist leider nicht mehr so gegeben.
"Einseitige Abhängigkeiten werden jetzt sehr deutlich"
Hamberger: Und diese Abhängigkeit eben bei kritischen Produkten, wie Sie sagen, ist ja vor allem eine Abhängigkeit von China. Müsste man da, wenn Sie sagen, wir müssen jetzt auch Fehler korrigieren, nicht möglicherweise sogar einen Schritt weitergehen, Stichwort Hongkong und das Sicherheitsgesetz der chinesischen Regierung, dass man eigentlich sagt, die Bundesregierung muss hier wirklich noch mal auch stärker die wirtschaftliche Abhängigkeit von China hinterfragen, nicht nur was Medizinprodukte betrifft?
Dobrindt: Genau darum geht es auch. Man muss viel stärker diese Abhängigkeit hinterfragen und Wettbewerb, wie wir ihn verstehen, auch Marktwirtschaft, wie wir sie verstehen, geht ja davon aus, dass es wechselseitige Beziehungen, dass es auch eine Balance gibt und dass es Partnerschaft gibt und diese Partnerschaft, die kommt ins Wanken, wenn es sehr einseitige Abhängigkeiten gibt und dass diese Abhängigkeiten zugelassen worden sind in der Vergangenheit, das wird jetzt sehr, sehr deutlich und deswegen ein stabileres, ein deutlicheres Auftreten, auch gegenüber den Chinesen. Jetzt nicht in Aggression, überhaupt nicht, sondern einfach wirtschaftlich sagen, wir wollen Dinge auch selber machen und wir werden Dinge zukünftig selber machen, die wir anderen überlassen haben, auch wenn das dann nicht bedeutet, dass wir den billigsten Preis in der Zukunft haben. Ich bin sowieso der Überzeugung, dass auch dieser Wettbewerb um den billigsten Preis auf Dauer nicht mehr zu halten ist. Das sehen wir ja an vielen Dingen. Es gibt ein aus der Balance geratenes Verhältnis in der Weltwirtschaft um diesen billigsten Preis, weil er eben durch soziale Standards und ökologischen Missbrauch entstanden ist, den wir nicht tolerieren können auf der Welt und deswegen muss man sehr klar sagen, wer versucht, den Wettbewerb um den billigsten Preis zu gewinnen, der wird ethisch scheitern und ethisch versagen und das wollen wir nicht und deswegen muss dieses alte Modell von made in Germany, was wir ja übersetzen jetzt in made in Europe, das war ja nicht ein Versprechen an den billigsten Preis, das war ein Versprechen an die höchste Qualität und noch viel mehr. Made in Germany, made in Europe das steht ja auch für ein ethisch verantwortliche Wirtschaft, steht für Werte und diese Kombination, Qualität und Werte, die muss auch wieder in einer Wirtschaftsdebatte eine große Rolle spielen, in der wir nach Corona sein wollen und eben nicht den Stand von vor Corona erreichen wollen, sondern besser sein.
China: "Sensibel mit Partnern umgehen"
Hamberger: Auf die tatsächlich ethische Frage von Lieferketten würde ich gleich noch mal kommen, aber ich würde einmal noch zurück auf China, speziell Norbert Röttgen hat bei uns im Deutschlandfunk auch noch mal kritisiert, dass die deutsche Regierung im Moment, was den Druck auf China betrifft, nur ein Minimum liefert. Also, er glaubt, bei uns in Deutschland stünde noch die Sichtweise im Vordergrund, dass China so ein großer Markt sei und dass man darauf Rücksicht nehmen müsse. Also, er fordert ein deutlich härteres Auftreten von der Bundesregierung. Sehen Sie das ähnlich?
Dobrindt: Nein, ich glaube, dass wir sensibel schon mit den Partnern umgehen müssen, auch wenn sie Dinge tun, die uns nicht gefallen können und nicht gefallen dürfen. Aber wenn man Einfluss nehmen will auf seine Partner, dann geht das natürlich nicht mit der Brechstange, sondern dann geht das auch, indem man versucht, Einfluss zu nehmen auf eine sinnvollere, geschicktere partnerschaftliche Art. Das heißt, nicht einfach nur Gespräche führen, das heißt schon auch den wirtschaftlichen Druck spürbar machen, den wir durchaus auch ausüben können, aber in einem Maß, in dem es auch verträglich ist und nicht zu Gegenreaktionen führt, die dann ein Gegenteil von dem erzeugen, was man will. Eines muss einem auch klar sein, eine chinesische Führung, die Werte vertritt, auch gegenüber Hongkong, die wir nicht teilen, die werden wir nicht bewegen können damit, indem wir Aggressionen wecken, sondern wir werden sie auch nur dadurch bewegen können, dass wir ihnen klar machen, es hat ein negatives Ergebnis für China, wenn sie dieses Verhalten weiterhin so an den Tag legt und das ist natürlich mit wirtschaftlichen Themen zu erreichen.
"Nicht beliebig zuschauen, wie andere Sozial- und Ökologiestandards unterlaufen"
Hamberger: Sie haben das Thema vorhin schon gestreift. Wenn es um das Thema Lieferketten geht, ist es ja auch oft eine ethische Frage, also eine Frage, wo kommen die Produkte her, die wir konsumieren, wie sind sie hergestellt worden, werden in der Region, wo sie herkommen, Menschenrechte eingehalten, auch Umweltstandards ist eine Frage. Die Bundesregierung hat sich ja im Lieferkettengesetz in den Koalitionsvertrag geschrieben, auch ihr Bundesentwicklungsminister der CSU, Minister Gerd Müller, treibt das ja voran. Jetzt gab es eine erste Welle von Umfragen bei Unternehmen, wo man sozusagen mal feststellen wollte, wie halten die eigentlich die Standards ein entlang ihrer Lieferkette. Davon hat erst mal nur ein Teil geantwortet und nur ein geringer Bruchteil hat auch gesagt, na ja, wir wissen, was bei uns in der Lieferkette eigentlich vorfällt oder sie kümmern sich darum und es soll auch noch eine zweite Welle geben. Wenn diese zweite Welle sozusagen veröffentlicht worden ist, das soll kommende Woche passieren, und die auch wieder zeigt, dass sich wenig Unternehmen um Umweltstandards, um Menschenrechtsstandards kümmern, muss dann wirklich auch bald dieses Gesetz kommen, dieses Lieferkettengesetz?
Dobrindt: Erst mal die Analyse, dass wenige Unternehmen sich um Umweltstandards, soziale Standards kümmern, die teile ich nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Gerade in der deutschen Wirtschaft, auch in der europäischen Wirtschaft macht man sich selbstverständlich Gedanken darüber, wo kommen die Vorprodukte, wo kommt das zugelieferte Material, wo kommt das her und auch wie wird das produziert, aber der Sinn eines Lieferkettengesetzes ist es ja, im Besonderen dafür zu sorgen, dass es zu keinen zusätzlichen Belastungen der Wirtschaft kommt. Diese Ängste sind ja da, sondern es geht erstens natürlich auch darum, dass man Entlastungen schafft, indem man sagt, man kann sich eben darauf verlassen, dass bestimmte Qualitätsmerkmale eingehalten werden, wenn man auf Lieferanten und auf Lieferketten zugreift, von denen man weiß, da ist das entsprechend auch gesichert und der zweite Punkt, der auch ganz wichtig ist, ist die Frage des Wettbewerbs. Wir werden einen Wettbewerb in der Welt nie gewinnen können mit Unternehmen, die Umweltstandards, Sozialstandards nicht in der Ernsthaftigkeit angehen, wie wir das heute richtigerweise auch tun und deswegen ist es in unserem Interesse, dass sich diese Standards weiter verbreiten in der Welt und die Unternehmen, die weltweit agieren, auch innerhalb ihrer Lieferketten an solche Standards mithalten, das gibt uns erstens Sicherheit und zweitens auch eine höhere Wettbewerbsfähigkeit, wenn wir nicht beliebig zuschauen, wie andere Sozial- und Ökologiestandards unterlaufen.
"Wirtschaft sollte ihre Position überdenken"
Hamberger: Weil Sie sagen, viele Unternehmen kümmern sich darum, diese erste Welle der Befragung hat allerdings ergeben bei den 400 Unternehmen, die geantwortet haben von 3.000 angeschriebenen, haben nur 20 Prozent angegeben, dass sie eben Vorkehrungen treffen, dass Sozial- und Umweltstandards eingehalten werden. Das ist ja eigentlich doch eine sehr niedrige Zahl.
Dobrindt: Es kommt immer darauf an, wer jetzt da wie antwortet. Wenn genau diese Unternehmen, die sehr stark im internationalen Handel unterwegs sind in der internationalen Produktion unterwegs sind, die eben gerade auch viele Produktionsstätten in anderen Regionen der Welt haben, darauf achten, dann kann auch ein prozentual kleiner Wert eine schon sehr hohe Auswirkung haben. Jeder weiß doch auch heute, es gibt Unternehmen, die aktiv damit werben, dass sie diese Standards betrachten und es gibt eine Reihe von Unternehmen, die tun das nicht. Wir werben dafür, ich werbe dafür, dass wir uns selber Regeln geben, die dafür sorgen, dass alle dann unter gleichen Wettbewerbsbedingungen auch wirtschaften können. Dazu aus meiner Sicht ist ein Lieferkettengesetz notwendig und auch hilfreich und deswegen wollen wir es so umsetzen, dass es nicht zu einer Belastung der Wirtschaft wird, sondern dass es einen Nutzen der Wirtschaft hat und gleichzeitig aber dafür sorgt, dass wir diese Standards auf der Welt verbessern können.
Hamberger: Gerade die Wirtschaft hat aber tatsächlich Angst vor Belastung. Also, wenn man mal dem BDA zuhört: Herr Kampeter, der Hauptgeschäftsführer, spricht von einem derart schädlichen Gesetz, das hat er Mitte 2019 gesagt, und der Arbeitgeberpräsident Kramer spricht von Unfug. Also, das ist ja schon harte Kritik an diesem Gesetz.
Dobrindt: Ja, ich teile diese Einschätzung nicht, abgesehen davon, das Gesetz gibt es ja noch nicht. Das heißt, das Gesetz wird jetzt entworfen und dann muss man es sich auch genau anschauen und bewerten. Das ist auch berechtigt, das darf man auch, aber eine grundsätzliche Ablehnung, dass wir als die größten Profiteure auch der Globalisierung, dass wir Verantwortung dafür übernehmen, dass die Fehler der Globalisierung korrigiert werden, also dagegen kann man ehrlichweise nicht sein. Das ist unsere Aufgabe als Politik und auch als Wirtschaft, diese Art der Verantwortung mit zu übernehmen und deswegen dafür zu sorgen, auch übrigens noch mal, im Eigeninteresse der Wirtschaft in Europa, dass diese Lieferketten so organisiert werden, dass sie die ökologischen und sozialen Standards einhalten. Wenn man das nicht tun würde und sich dagegen wehren würde, dann wäre meine Prognose, dass der Verbraucher irgendwann diesen Unternehmen, die sich da aktiv dagegen wehren, dies auch spüren lässt. Von daher würde ich auch der Wirtschaft raten, doch mal dringend noch mal so eine Position zu überdenken.
Wahlrechtsreform: SPD-Vorschlag nicht vereinbar mit Grundgesetz
Hamberger: Sie hören das Interview der Woche mit Alexander Dobrindt, dem Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Herr Dobrindt, ich würde jetzt auf ein Thema springen, das in den letzten Wochen tatsächlich noch mal ein bisschen Schwung bekommen hat, nämlich das Thema Wahlrecht. Es liegt mittlerweile ein Vorschlag der Union auf dem Tisch, der tatsächlich eine Reduzierung der Wahlkreise vorsieht, um den Bundestag am Ende zu verkleinern, auch dass sieben Überhangmandate nicht ausgeglichen werden. Es ist ein Vorschlag, der tatsächlich auf die CSU zurückgeht. Sie haben sich bislang optimistisch gezeigt, dass das möglicherweise noch für die Bundestagswahl 2021 möglich sein könnte. Die Fraktion hat jetzt auch ein Gutachten erstellen lassen, in dem es auch heißt, es könnte noch möglich sein, selbst wenn einzelne Kandidaten schon aufgestellt sind für Wahlkreise. Sehen Sie da eine Chance, sich mit der SPD noch zu einigen, denn das ist ja tatsächlich der Knackpunkt. Sie müssen sich erst mal einigen.
Dobrindt: Ja, wir müssen uns politisch einigen, das ist wahr, und es ist eine Diskussion, die geht ja schon über lange Zeit, nicht nur in dieser Wahlperiode, auch in der Wahlperiode davor, und da gibt es unterschiedlichste Vorschläge und nicht alle sind gleich gut tauglich, damit man diese Begrenzung hinkriegt. Ich habe zum Beispiel diesen Vorschlag, der ja von der SPD kam, dass man Direktmandate nicht zuteilt, so wird ja da formuliert, für vollkommen abwegig gehalten, weil sowohl mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar ist als auch unseren Demokratievorstellungen nicht entspricht, weil das würde bedeuten, dass jemand direkt gewählt ist in seinem Wahlkreis, damit quasi direkt abgeordnet in dem Deutschen Bundestag. Man würde ihm den Einzug in den Bundestag verweigert, weil man sagt, der Bundestag wird dadurch zu groß. Das geht nicht. Ein Wahlkreis wird nicht zugeteilt, sondern da finden Wahlen statt und jemand gewinnt diese Wahlen und damit ist er Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Das kann man nicht einfach umdrehen und dass wir so lange über so einen Vorschlag diskutiert haben bei uns, hat mich schon sehr, sehr verwundert, vor allem, nachdem auch der Bundesinnenminister sofort gesagt hat, dass das nicht dem Grundgesetz entspricht und es gibt ja auch ein großes Gutachten von Udo di Fabio darüber, der sehr klar darüber spricht, dass das nicht der Verfassung…
Hamberger: Obwohl es ja auch gegenteilige Gutachten gibt, muss man auch dazu sagen.
Dobrindt: Man muss sich die Qualität der Gutachten schon auch anschauen. Ein großes Gutachten von Udo Di Fabio, das zu einem klaren Ergebnis kommt, oder fünf Seiten, die von jemanden aufgeschrieben wurden, der sehr viel im Konjunktiv arbeitet und sagt: Na ja, müsste, sollte könnte. Also wissen Sie, machen wir es einfach. Manchmal genügt auch der gesunde Menschenverstand und in einer Demokratie zu fragen, ist es denn unseren Prinzipien entsprechend, dass jemand, der gewählt ist, nicht ins Parlament einziehen darf, würde ich sagen, eine überwiegende Mehrheit kommt zu dem Ergebnis, das passt nicht zu unserer Demokratie.
Hamberger: Jetzt haben Sie aber sehr lang über den Vorschlag der SPD geschimpft.
Dobrindt: Weil es ein wichtiger Teil des Prozesses war, dahinzukommen, wo wir jetzt sind. Ich glaube, dass wir einen sehr klugen Vorschlag in der Unionsfraktion uns erarbeitet haben. Das haben wir uns auch nicht sehr leicht gemacht, aus den Elementen, die halt machbar sind und das heißt, die Reduzierung der Zahl der Wahlkreise, die ausgleichslosen Überhangmandate, wie sie heißen, das ist jetzt aber ein sehr komplexes Thema und auch der Verteilung zwischen den Bundesländern der Mandanten, dass man, wenn man mit all diesen Elementen arbeitet, dann kommt man zu einer sehr klugen Reduzierung. Wir haben gesagt, die wollen wir für 2025 erreichen, aber wir können uns auch vorstellen, dass wir die schon 2021 umsetzen. Ich halte das für machbar und möglich. So, und jetzt muss unser Koalitionspartner, die SPD, und ich habe da eigentlich gute Hoffnung, mit uns diese Entscheidung auch treffen, aber das wird man jetzt im Laufe der nächsten Wochen sehen, ob man sich darauf dann verständigen kann und dann kann man das im September parlamentarisch beschließen und umsetzen.
"Rechtsextremismus hat sich in Parteienlandschaft festgesetzt"
Hamberger: Diese Woche hat der Bundesinnenminister den Verfassungsschutzbericht vorgestellt und ein Ergebnis ist, dass die Zahl der Rechtsextremisten in Deutschland so hoch ist wie nie zuvor. Dieser Bereich ist die größte Bedrohung für die Sicherheit, sagt Horst Seehofer, und was er aber auch gesagt hat, ist, nie hat eine Regierung diese Bedrohungslage so eindeutig identifiziert. Ehrlich gesagt habe ich kurz nachgedacht, weil die Union seit 15 Jahren mit in der Regierung sitzt. Die CSU hatte das Innenministerium, als der NSU aufgeflogen ist. Muss man sich das nicht eingestehen, dass man hier jahrelang ein Problem nicht gesehen hat?
Dobrindt: Der Rechtsextremismus taucht ja in den vergangenen Verfassungsschutzberichten auf, auch in seiner Bedrohungslage. Aber es ist eine sehr wachsende Bedrohungslage und das ist ja das Gefühl, das wir alle haben und das ist ja noch mal belegt durch den Bericht, den Horst Seehofer vorgelegt hat, und ich teile seine Einschätzung, dass die größte Bedrohung der Rechtsextremismus ist und wir erleben ja, dass ja auch selbst ein Teil einer in dem Deutschen Bundestag vertretene Partei dann in diesem Bericht auch mit auftaucht und das ist etwas, was einen schon wirklich schwer auch zu schaffen macht, auch politisch zu schaffen macht, weil wir eben feststellen, dass sich der Rechtsextremismus auch in der Parteienlandschaft doch stark festgesetzt hat inzwischen.
Hamberger: Aber noch mal zurück zu der Frage, hätten Sie nicht schon früher erkennen müssen: Da ist eine Gruppe, die wächst und da müssen wir schon viel früher aktiv werden?
Dobrindt: Ich sehe, dass die Auseinandersetzungen mit dem Rechtsextremismus, der eben wie gesagt wachsend ist, den gibt es seit vielen Jahren und auch sehr hart, auch sehr hart von Seiten der Politik geführt, und deswegen, ich glaube, die Erkenntnis, dass wir ein wachsendes Problem an dieser Stelle haben, das ist die entscheidende jetzt und dass man sowohl mit Prävention als auch mit starker Beobachtung als auch natürlich mit der vollen Härte des Gesetzes, wenn es um Ahndung von Straftaten geht, dagegen vorgehen muss, das ist der entscheidende Schluss aus diesem Bericht.
"Wir müssen die AfD in den Parlamenten stellen"
Hamberger: Der Verfassungsschutzpräsident, Thomas Haldenwang, hat auch gesprochen über geistige Brandstifter für Gewalttaten wie eben Teile der AfD, der Flügel, der sich offiziell auflösen sollte, aber der ja in den Personen sozusagen noch existiert. Für wie gefährlich halten Sie denn die AfD?
Dobrindt: Na ja, wir wissen ja, dass sich bei der AfD eine auch echte Wandlung vollzogen hat. Das heißt, von den Euro-Kritikern hat man eine Entwicklung hin zu den echten Systemgegnern auch gemacht und das ist natürlich eine Bedrohungssituation, die da entsteht. Deswegen ist die AfD auch unser entschiedener Gegner und wir sind alle gefordert, gegen diese Partei anzutreten. Man muss alles dransetzen, dass wir diese Partei auch wieder aus dem Deutschen Bundestag entfernen können.
Hamberger: Wenn wir mal auf den Umgang der CSU mit der AfD schaut, dann muss man ja sagen, dass Ihre Partei eine Zeitlang rhetorisch, sagen wir mal, versucht hat, die AfD fast zu überbieten: Beispiele Asyltourismus, Herrschaft des Unrechts, von Ihnen kam die Anti-Abschiebeindustrie, Juli 2018 dann die Wende. Seitdem geht man anders mit der AfD um, ist ruhiger im Ton. Sehen Sie das Verhalten bis dahin, also bis zu dieser Wende, vielleicht heute auch als strategischen Fehler, mit dem man die AfD erst großgemacht hat?
Dobrindt: Nein, die Auseinandersetzung mit der AfD war immer in der ähnlichen Art. Die AfD war immer der Gegner und das Ziel ist immer das Gleiche gewesen, die AfD zu verhindern, die AfD aus den Parlamenten fernzuhalten, die AfD auch kleinzumachen. Dass da nicht alle Ideen und Strategien da gleichermaßen aufgegangen sind, ja, das ist auch Teil der Analyse heute. Aber man hat über lange Zeit ja auch gesehen, dass es der AfD möglich war, radikal zu denken, aber konzilianter zu formulieren und dass die AfD heute mit dem, wie sie spricht, nahe an dem ist, was sie denkt vermutlich, das halte ich auf jeden Fall für eine Situation, die notwendig ist, um auch zu zeigen, was hinter so einer Partei und hinter den Personen, die in dieser Partei Verantwortung übernehmen, auch steckt. Das heißt, wir brauchen die harte Auseinandersetzung mit der AfD. Wir müssen sie auch in den Parlamenten stellen. Sie ist der erklärte politische Gegner und ich kann auch nur sagen, ich bin angewidert von vielen Dingen, die man da erlebt, wenn man AfD und AfD-Politiker beobachtet.
Frauenquote auf Parteiebene löst nicht gleichberechtigte Beteiligung
Hamberger: Harter Themenbruch noch, die CDU hat in dieser Woche in einer Satzung- und Strukturkommission einen Vorschlag gemacht für eine verbindliche Frauenquote für Vorstandswahlen ab der Kreisebene. Das war ein hartes Ringen innerhalb der CDU und die CSU dürfte da ja auch ein gewisses Déjà-vu gehabt haben. Sie haben am letzten Parteitag versucht, auch eine härtere Frauenquote durchzusetzen auf der Kreisebene. Das war eigentlich für die Parteispitze ein Desaster, weil das vom Parteitag dann abgeräumt worden ist. Was raten Sie denn jetzt der CDU, um nicht so krachend zu scheitern?
Dobrindt: Erstes Mal würde ich in diesen Fragen der CDU keine Ratschläge geben, sondern das muss sie natürlich selber entscheiden, wie sie mit dem Thema umgeht. Richtig ist aber zweifellos, dass wir alle versuchen müssen, dafür zu sorgen, dass es eine bessere Beteiligung, eine stärkere Beteiligung von Frauen auch in der Politik, in den Parteien, in den Parlamenten gibt, und deswegen sind alle Überlegungen, die man da hat, erst mal per se positiv zu betrachten. Wie die Detailausführungen dann sind, da muss sich jede Partei selber ihre Gedanken darüber machen. Ich habe als Generalsekretär der CSU die Frauenquote in der CSU eingeführt. Das darf man nicht vergessen, dass wir vor Jahren da einen wichtigen Schritt in die Richtung gemacht haben und die Weiterentwicklung dieses Schrittes hat beim letzten Parteitag offensichtlich keine Mehrwert gefunden und jetzt muss man überlegen, wie kann man auch so was immer wieder weitermachen. Ich finde den ersten Schritt, den die CDU geht, nämlich das mal aktiv in ihrer Partei zu diskutieren, für absolut richtig. Diese Themen der Beteiligung, die werden uns auch in den nächsten Monaten und Jahren natürlich weiter begegnen, weil auch eine Quote jetzt auf Parteienebene, wie sie die CDU diskutiert, am Schluss ja dann die echte gleichberechtigte Beteiligung noch nicht löst, aber es ist in notwendiger Schritt.
Hamberger: Sehen Sie da bei der CSU auch noch mal den Bedarf, dass man beim nächsten Parteitag es noch mal versucht, den weiteren Schritt der Quote zu gehen, denn die CSU hat im Momente einen Frauenanteil von 21 Prozent?
Dobrindt: Ja, deswegen sieht man ja schon daran, worum es geht. Es geht darum, dass man für mehr weibliche Mitglieder wirbt. Jetzt kann man sehr viel in Details gehen. Es gibt bei uns ja viel Beteiligung von Frauen, die aber nicht Mitglieder der CSU sind, aber Mitglieder der Frauenunion sind, dadurch aber auch nicht als Parteimitglieder in den Statistiken auftauchen, aber aus meiner Sicht haben auch wir die Aufgabe, uns mit diesem Thema weiter zu befassen. Der Entwurf, wie er halt beim letzten Parteitag war, war nicht mehrheitsfähig. Jetzt macht es auch keinen Sinn, einen gleichen Entwurf dann wieder reinzugeben, um dann festzustellen, dass die Argument immer noch die gleichen sind, die dafür und dagegen sprechen, sondern man muss sich natürlich andere Sachen überlegen. Das hat auch viel damit zu tun, wie dann die Beteiligung bei Wahlen stattfindet. Das heißt, wie Listen zusammengestellt werden und da gibt es exzellente und tolle Beispiele, auch in der CSU, wenn man die Kommunalwahl anschaut, wie Listen aufgestellt worden sind, wie viele schon darauf Wert gelegt haben, dass sie auch auf den vorderen Listenplätzen, gerade auf den vorderen Listenplätzen Parität herstellen zwischen Männer und Frauen. Also, das ist Gott sei Dank schon auch ein Umdenken und auch ein Prozess in den Parteien da, der dem Thema hilft.
Kanzlerkandidatur: Personaldebatte nicht öffentlich führen
Hamberger: Zum Schluss noch eine Frage, ohne die Sie, glaube ich, im Moment wahrscheinlich aus kaum einem Interview herauskommen werden. Die Union hat ja noch eine Entscheidung vor sich, nämlich wer wird Kanzlerkandidatin/Kanzlerkandidat. Frau Merkel tritt nicht mehr an. Im Moment ist es so, dass alle Kandidaten, die für die CDU möglicherweise ins Rennen gehen könnten, Friedrich Merz, Norbert Röttgen, Armin Laschet, nicht die Beliebtheitswerte haben, die Ihr Parteivorsitzender und bayerischer Ministerpräsident hat. Sehen Sie es tatsächlich als Möglichkeit, dass die CSU es zum dritten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik probiert, den Kanzler zu stellen?
Dobrindt: Ich rate unseren Parteien dazu, diese Debatte jetzt nicht so aktiv zu führen. Man hat doch aus der SPD und dem letzten Jahr und den Personaldebatten der SPD durchaus lernen können, dass es nicht mehr Zustimmung gibt, wenn man sehr öffentlich Personaldebatten führt. Ich glaube auch nicht, dass es die Zeit ist, in der sich die Menschen wirklich aktuell mit diesen Fragen ernsthaft beschäftigen wollen, sondern es geht darum, wie wir aus einer Krisenzeit Coronas mit jetzt, sagen wir mal, drohenden Themen bei Wirtschaft, bei zu geringem Wachstum, bei steigender Arbeitslosenzahl, uns um diese Fragen aktiv kümmern und nicht über die Frage einer Kanzlerkandidatur. Die zur falschen Zeit geführt kann auch Zustimmung kaputt machen, die man in der Bevölkerung sich hart erarbeitet hat, aber klar ist natürlich auch, dass am Schluss so eine Entscheidung davon abhängt, dass Kompetenz, Zustimmung und auch Chancen stimmen. Also, ein Kandidat muss diese drei Elemente am Schluss mit erfüllen können. Das Gegenteil wäre zumindest sehr verwunderlich, wenn man es diskutieren würde.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.