Der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer hat die in der Großen Koalition diskutierte Einrichtung von Transitzonen für Flüchtlinge an den deutschen Grenzen verteidigt. Diese wären eine Maßnahme, um noch stärker zwischen berechtigten und unberechtigten Antragstellern zu selektieren, sagte er im Deutschlandfunk. "Es wäre eine klare Signalwirkung." Es gehe um ein rechtstaatlich vorgesehenes Verfahren, das in anderen EU-Ländern bereits umgesetzt werde. Außerdem gebe es hierzu eine EU-Richtlinie. Flüchtlinge ohne Anspruch auf Asyl könnten in den Transitzonen schneller abgeschoben werden. Diese wären eine enorme Entlastung für die Behörden und Kommunen, sagte der CSU-Bundestagsabgeordnete.
Mayer betonte: "Es geht nicht um Massenlager. Es geht nicht um Konzentrationslager." Es sei auch im Interesse des Antragstellers, schnell eine Entscheidung über den Verbleib in Deutschland zu erhalten.
Das Interview in voller Länge:
Mario Dobovisek: Der bayerische Löwe hat gebrüllt vergangene Woche in München. Aus den angedrohten Notmaßnahmen gegen Flüchtlinge im bayerischen Alleingang blieb zwar "bloß" ein möglicher Gang vor das Bundesverfassungsgericht übrig. Und dennoch: Was Seehofer und seine CSU in München sagen, hat in Berlin durchaus Gewicht. So haben sich beide Unions-Parteien gestern darauf geeinigt, das sogenannte Flughafenverfahren auf Transitzonen an den Grenzen auszuweiten.
O-Ton Horst Seehofer: "Ich kann Ihnen heute mitteilen, dass wir uns verständigt haben zwischen CDU und CSU, jetzt für Transitzonen einzutreten. Wir werden im Laufe dieser Woche die Konzepte im Einzelnen ausarbeiten."
Dobovisek: Sozusagen der erste Schritt beim Ausarbeiten der Transitzonen findet heute im Kanzleramt statt, wenn nämlich am Vormittag alle Innenpolitiker der Unions-Fraktion im Bundestag Angela Merkel besuchen und dabei die eine oder andere Frage mit im Gepäck haben dürften. Einer der besagten Unions-Innenpolitiker ist Stephan Mayer. Er ist innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion und selbst CSU-Mitglied. Guten Morgen, Herr Mayer.
Stephan Mayer: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
Dobovisek: Wandertag der Innenpolitiker ins Kanzleramt. Haben Sie nur Fragen eingepackt, oder auch schon die ersten Antworten?
Mayer: Dieses Gespräch ist ja nichts Außergewöhnliches. Es ist regelmäßig so, dass sich die Arbeitsgruppen der Fraktion auch mit der Bundeskanzlerin treffen. Und natürlich gibt es derzeit viele Themen, die die Innenpolitik betreffen, allen voran natürlich im Bereich der Asyl- und der Flüchtlingspolitik, und ich gehe davon aus, dass wir uns sehr intensiv und auch sehr sachlich austauschen über die derzeitigen Herausforderungen, und ich habe auch die Bundeskanzlerin immer so kennengelernt und schätze auch dies sehr an ihr, dass sie auch sehr offen ist für die Einschätzungen und Auffassungen auch von anderen, vor allem auch von Fraktionskollegen. Deswegen, glaube ich, werden wir ein sehr gedeihliches Gespräch führen.
Dobovisek: Jetzt haben Sie, Herr Mayer, noch nichts darüber gesagt, ob Sie selber Antworten mit im Gepäck haben. Versuchen wir es mal damit, auf die Transitzonen zu blicken. Haben Sie denn da eine Antwort drauf, wie eine solche aussehen soll?
Mayer: Diese Transitzonen sind jetzt auch nichts komplett Neues. Es gibt andere Länder, die diese schon eingerichtet haben. Es gibt zwei EU-Richtlinien, die in deutsches Recht umzusetzen sind, und die sehen eben auch die Einrichtung von diesen Transitzonen im Rahmen dieses Landgrenzen-Verfahrens vor. Es gibt, schon seit Jahren bewährt, das sogenannte Flughafenverfahren in Deutschland, sprich, dass am Flughafen in einer Transitzone überprüft wird, ob jemand, der Asyl beantragt, auch offenkundig berechtigt ist, Asyl zu beantragen. Gleiches könnte man genauso auch an den deutschen Außengrenzen etablieren.
Dobovisek: Aber der Flughafen ist ein geschlossener Bereich, die Landesgrenzen Deutschlands nicht.
"Es wäre aus meiner Sicht eine klare Signalwirkung"
Mayer: Ich behaupte auch gar nicht, dass es eine 100-prozentige Lösung ist und dass es vor allem auch eine Lösung ist, die jetzt von einem Tag auf den anderen ...
Dobovisek: Das sagt auch die Kanzlerin. Es ist keine Lösung der Flüchtlingsfrage.
Mayer: Aber es wäre aus meiner Sicht eine klare Signalwirkung. Wenn die Möglichkeit bestünde, und das sind ja auch nicht alle, aber die zumindest, die offenkundig kein Recht auf Asyl haben, weil sie aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen, oder weil sie offenkundig nicht politisch verfolgt sind, unmittelbar im Grenzbereich aufzuhalten, dort aufzunehmen, in einem beschleunigten Verfahren zu prüfen - es findet nach wie vor eine individuelle Prüfung statt -, ob derjenige ein Recht auf Asyl hat, und wenn dem nicht so ist, dann die Zurückweisung unmittelbar von dieser Transitzone aus zu betreiben, ich glaube, das wäre eine enorme Entlastung für die Behörden, vor allem auch für die betroffenen Kommunen und für uns insgesamt.
Dobovisek: Sie haben gesagt, ein klares Signal. Ist es das, was Sie wollen, ein abschreckendes Signal in Richtung Flüchtlinge, die sich vielleicht noch in Syrien oder auf der Balkan-Route befinden?
Mayer: Es geht darum, dass wir noch stärker differenzieren zwischen denen, die wirklich schutzbedürftig sind, und denen, die offenkundig kein Recht auf Asyl haben, und davon gibt es immer noch zu viele. Mehr als 50 Prozent aller, die nach Deutschland kommen als Asylbewerber oder Flüchtlinge, werden nicht akzeptiert, weder als Flüchtling, noch als Asylbewerber, und vor dem Hintergrund wäre dies, glaube ich, eine wichtige Maßnahme, um hier stärker zu selektieren.
"Das ist keine Gettoisierung von Asylbewerbern"
Dobovisek: Die SPD ist weiter skeptisch. Fraktionschef Oppermann sagt, wir wollen keine Haftanstalten an den Grenzen. SPD-Justizminister Heiko Maas nennt die geplanten Zonen "Massenlager im Niemandsland". Sie unterstreichen das jetzt, Herr Mayer, indem Sie das Wort "Selektion" noch in den Mund nehmen. Wie wollen Sie die Sozialdemokraten von Ihrer Idee überzeugen?
Mayer: Ich wehre mich immer gegen diese Stigmatisierung durch bestimmte Begrifflichkeiten. Es geht nicht um Massenlager, es geht nicht um Konzentrationslager, sondern es geht darum, einfach um stärker zu differenzieren, zwischen denen, die wirklich schutzbedürftig sind, und denen, die kein Recht auf Asyl haben. Dieses beschleunigte Verfahren ist doch im Grunde genommen im Sinne aller Beteiligten. Es ist doch durchaus auch im Sinne des Betroffenen, des Antragstellers, schnell zu erfahren, ob er überhaupt die Möglichkeit und die Perspektive hat, in Deutschland dauerhaft zu bleiben, ein Recht auf Asyl eingeräumt zu bekommen. Das ist aus meiner Sicht nicht unmenschlich. Das ist keine Gettoisierung von Asylbewerbern, sondern das ist aus meiner Sicht eine sehr pragmatische Vorgehensweise, die wiederum auch in anderen EU-Ländern schon seit längerem vorgenommen wird und die uns an sich auch seitens der Europäischen Union aufgegeben ist, indem dieses Landgrenzenverfahren Bestandteil der beiden EU-Richtlinien ist, die wir ohnehin in deutsches Recht umzusetzen haben. Wir sind da, muss man auch dazu sagen, in Verzug. Es läuft derzeit schon ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland, weil wir es versäumt haben, bis Mitte dieses Jahres die beiden EU-Richtlinien in deutsches Recht umzusetzen.
Dobovisek: Nun wird sich ein Flüchtling vom Balkan, der nach Deutschland möchte, vielleicht gar nicht freiwillig darauf einlassen, in so eine Transitzone sich bringen zu lassen. Hören wir mal, was Cem Özdemir von den Grünen dazu sagt.
O-Ton Cem Özdemir: "Da muss man konsequent sein. Da muss man sagen, 3.000 Kilometer werden komplett abgeriegelt, mit Stacheldraht, mit Schießbefehl, mit so einer Art Mauer, wie wir sie früher zur DDR hatten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das wirklich jemand ernsthaft fordert."
Dobovisek: Die Schengen-Grenze wird noch bis zum 1. November kontrolliert. Und dann, Herr Mayer?
Mayer: Ja wissen Sie, wenn man jetzt den Einspieler des Kollegen Özdemir sich vor Augen führt: Man kann natürlich mit jeder Rhetorik jede Maßnahme sofort ad absurdum und für obsolet erklären. Ich halte überhaupt nichts davon, hier jetzt da ein Horrorszenario an die Wand zu malen und von Stacheldrahtzäunen und Schießbefehl zu sprechen. Es geht darum, ein rechtsstaatlich ordentliches Verfahren zu etablieren an der Landgrenze, das es schon seit vielen Jahren an den Flughäfen gibt, ein Verfahren, das schon andere EU-Länder in ihr Recht umgesetzt haben, und das hat überhaupt nichts mit Stacheldraht oder anderen Drangsalierungsmaßnahmen zu tun, sondern es geht darum, ein rechtsstaatlich ordentliches Verfahren an der Grenze durchzuführen.
Dobovisek: Ist ein Flüchtling in einer Transitzone ein Häftling?
Mayer: Nein, er ist natürlich kein Häftling. Aber er hat natürlich auch noch kein Recht, in das deutsche Staatsgebiet einzureisen, weil erst geprüft werden muss, ob er offenkundig Recht auf Asyl hat. Es geht ja auch nicht darum, Syrer, Afghanen oder Iraki an der Grenze aufzunehmen, sondern es geht vor allem darum, die im Grenzbereich aufzunehmen, die offenkundig kein Recht auf Asyl haben, weil sie beispielsweise aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen.
Dobovisek: Nun spricht ein Referentenentwurf zu dem Gesetz ja über freiheitsentziehende Maßnahmen. So berichtet es unser Hauptstadtkorrespondent. Wie passt das denn dazu, dass die Flüchtlinge Ihrer Meinung nach keine Häftlinge sind?
Mayer: Es sind natürlich keine Häftlinge, aber sie haben wie gesagt noch kein Recht, komplett in das deutsche Staatsgebiet einzureisen, weil erst geprüft werden muss, ob sie offenkundig Recht auf Asyl haben.
Dobovisek: Dann noch mal die Frage: Wie wollen Sie die Flüchtlinge dazu bewegen, dann freiwillig in diese Zone zu gehen?
Mayer: Indem man ihnen natürlich auch signalisiert, dass dies das ordentliche und vorgesehene Verfahren für die Einreise in Deutschland ist. Das ist aus meiner Sicht vollkommen statthaft, dass ein Staat, auch um seine eigenen Staatsgrenzen zu sichern, hier ein ordentliches rechtsstaatliches Verfahren durchführt, das gewährleisten soll, dass nur die nach Deutschland einreisen, die offenkundig ein Recht auf Asyl haben. Natürlich hat jeder einen Anspruch auf ein individuelles Asylverfahren, aber man kann dies doch genauso auch in einem beschleunigten Verfahren im Grenzbereich durchführen in diesen sogenannten Transitzonen.
"In vielen Bereichen Deutschlands ist die Belastungsgrenze schon überschritten"
Dobovisek: Ist das eine Notmaßnahme?
Mayer: Ja, es ist natürlich eine Maßnahme, die dem geschuldet ist, dass wir in Deutschland vor einer enormen Herausforderung stehen, vielleicht sogar vor einer epochalen Herausforderung, und dass aus meiner Sicht in vielen Bereichen Deutschlands die Belastungsgrenze schon überschritten ist. Zu normalen Zeiten, sage ich mal, noch vor sieben oder acht Jahren, als wir im Jahr 20, 30.000 Asylbewerber hatten, so viele, wie wir heute in zwei, drei Tagen in Deutschland haben, wäre mit Sicherheit über ein derartiges Verfahren nicht intensiver nachgedacht worden. Aber jede Zeit erfordert oder stellt ihre Herausforderungen und erfordert auch ihre besonderen Maßnahmen, und es handelt sich eben - und da lege ich schon einmal Wert drauf - um ein rechtsstaatlich vorgesehenes Verfahren, das in anderen EU-Ländern schon etabliert ist und das auch Bestandteil dieser beiden EU-Richtlinien ist.
Dobovisek: Wo liegt die Grenze des Machbaren Ihrer Meinung nach in Zahlen ausgedrückt pro Jahr?
Mayer: Ja mit Sicherheit nicht darin, dass wir dauerhaft in Deutschland mehrere Hunderttausend Flüchtlinge und Asylbewerber aufnehmen können. Ich wehre mich dagegen, eine konkrete Zahl zu nennen, weil man natürlich immer sehen muss, es hängt immer davon ab, woher kommen die Asylbewerber und Flüchtlinge, welche Krisensituationen ergeben sich. Aber dauerhaft wird Deutschland nicht mehrere Hunderttausend Flüchtlinge und Asylbewerber jährlich aufnehmen können.
Dobovisek: Stephan Mayer, innenpolitischer Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag und CSU-Politiker. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.