Gerda Hasselfeldt hat es als eine von wenigen Frauen in der CSU nach oben geschafft. Geboren im niederbayerischen Straubing, ging sie es als Tochter eines politisch sehr aktiven Vaters in die Politik - und wurde in der Amtszeit von Kanzler Helmut Kohl (CDU) Bundesministerin. Später wurde sie Bundestagsvizepräsidentin und CSU-Landesgruppenchefin. Heute ist Hasselfeldt Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes. Im Dlf rief die 70-Jährige Frauen zu einem stärkeren Engagement auch für Machtpositionen in der Politik auf: "Meine Beobachtung ist, dass sich viele Frauen auch dem politischen Wettbewerb nicht stellen wollen, Niederlagen nehmen sie in aller Regel eher persönlich, nicht so sportlich wie die meisten Männer."
Katharina Hamberger: Frau Hasselfeldt, Sie sind aufgewachsen in einer Umgebung, die man als ganz klassisch ländlich beschreiben kann – also es gab da ein Gasthaus Ihrer Familie, eine Metzgerei, einen Bauernhof. Können Sie mal beschreiben, wie das ist, da aufzuwachsen in dieser Umgebung, wie ist diese Umgebung?
Gerda Hasselfeldt: Ich denke gerne an diese Zeit zurück, denn sie hat mich schon wesentlich geprägt. Ganz wesentlich war neben dem, was Sie gerade angesprochen haben, auch die Großfamilie. Wir waren sechs Geschwister, die ersten fünf waren Mädchen, und dann kam der langersehnte Stammhalter. Es war noch eine Oma da, die Mutter meiner Mutter, das heißt also alle Generationen unter einem Dach und das auch noch öffentlich mehr oder weniger durch das Gasthaus. Das Gasthaus war ja nicht nur Broterwerb für die Eltern, sondern auch letztlich Treffpunkt für die Menschen im Dorf. Damals sind noch wesentlich mehr auch einfach zum Stammtisch oder am Abend oder wann auch immer, am Sonntag zum Frühschoppen beispielsweise, ins Gasthaus gekommen, um sich einfach auszutauschen, sodass wir Kinder schon ganz normal öffentlich aufgewachsen sind.
Ich kann mich erinnern, als Kind hatten wir nicht mal ein eigenes Wohnzimmer. Wir hatten den Christbaum an Weihnachten im Gastzimmer, und da war auch die Bescherung, weil einfach sechs, sieben, zehn Leute manchmal im Dorf waren, die keinen Familienanschluss hatten und die eben dann am Heiligen Abend auch ins Gasthaus gehen wollten und unterhalten werden wollten und Familienatmosphäre miterleben wollten. Das heißt also, ich bin öffentlich mehr oder weniger aufgewachsen, und das hat meine Beziehung zur öffentlichen Verantwortung schon wesentlich geprägt.
Hamberger: Hat das auch manchmal gestört, dass das Leben so öffentlich war?
Hasselfeldt: Ach ja, als Kind kann ich mich erinnern, dass wir schon gelegentlich eine heimeligere Atmosphäre haben wollten, aber wir haben es ja nicht anders gekannt. Wir haben es nur von Erzählungen von Freundinnen und Freunden mitbekommen, aber ansonsten war das für uns letztlich relativ normal. Und es ging uns nichts ab, also nichts an Zuneigung und Liebe, sondern das war genauso vorhanden wie in anderen Familien, aber halt immer mit einer gewissen Art größeren Anteilnahme von Leuten aus dem Dorf.
Besonderes Verhältnis zum sehr politischen Vater
Hamberger: In so einer Großfamilie ist wahrscheinlich auch die Aufgabenteilung dann entsprechend, vor allem, wenn man die Metzgerei dabei hat, das Wirtshaus dabei hat und den Bauernhof dabei hat. Was sind so Aufgaben, die man da als Kind wahrnehmen muss?
Hasselfeldt: Wir haben schon sehr früh mitgeholfen, zunächst mal in der Küche natürlich, beim Putzen, beim Abspülen, wir hatten auch noch 50 Ferienbetten im Haus, also auch beim Saubermachen der Zimmer. Als wir dann ein bisschen unter die Leute schon geschickt werden konnten – mit, ich weiß nicht, zwölf, 13 –, haben wir dann auch schon bedient und natürlich auch in der Landwirtschaft, ob das bei der Kartoffelernte war oder bei der Heuernte oder so, da waren wir ganz normal mit dabei. Es war nicht nur so, dass man auf dem Traktor dann sitzen durfte, sondern eben auch wirklich körperlich mitarbeiten musste. Das war, da kann ich mich erinnern, so in der Phase ums Abitur rum schon eine schwierige Angelegenheit, denn da kamen auch gelegentlich dann Freundinnen und Freunde zu Besuch, die was anderes machen wollten, und ich musste halt dann zur Heuernte zum Beispiel oder so – das war nicht so ganz lustig.
Hamberger: Die dann abends weggehen wollten.
Hasselfeldt: Genau. Aber wir hatten es nicht anders gekannt, und wir hatten gespürt, dass das einfach notwendig ist.
Hamberger: Können Sie mal beschreiben auch, was das für eine politische Zeit war. Sie sind 1950 geboren, das waren in Deutschland auch Jahre des Umbruchs, auch der Aufarbeitung der NS-Zeit. Können Sie da mal sagen, wie das war, wie Sie das mitbekommen haben?
Hasselfeldt: Ich hatte das Glück, sag ich heute, in einem politischen Haushalt aufzuwachsen. Neben dem, was Sie angesprochen haben, war mein Vater ja schon in der Zeit, als ich geboren wurde, ehrenamtlicher Bürgermeister in der Gemeinde, das war er dann fast 40 Jahre lang, und später dann auch zusätzlich im Landtag und im Bundestag. Das heißt, ich hab die Aufbauarbeit ab 1965 rum durchaus bewusst mitbekommen, und das hat mich auch fasziniert – gerade das, was in der Gemeinde stattfand, was im Landkreis stattfand. Durch die Gespräche mit meinem Vater – er kam 1958 in den Landtag und 1965 dann in den Bundestag – war das immer für mich ein Highlight, mit ihm zu diskutieren. Er hatte nicht allzu viel Geduld mit Frauen, aber als er merkte, dass eine seiner Töchter sich für seine Arbeit intensiver interessierte, da ist er dann auch aufgetaut und hat öfter mal mit mir auch diskutiert. Das hab ich sehr genossen.
Hamberger: Über was haben Sie diskutiert?
Hasselfeldt: Über alles Mögliche. Wir haben diskutiert, auch gestritten, zum Beispiel über die Herabsetzung des Wahlalters damals, das war ja noch 21.
Hamberger: Und Sie wollten 18.
Hasselfeldt: Ich war natürlich für die Herabsetzung auf 18, und da weiß ich noch, hab ich als damalige JU-Vorsitzende – ich war mit 18 Jahren Ortsvorsitzende der Jungen Union – eine öffentliche Versammlung gemacht nur zu diesem Thema. Und die älteren Herren, das waren ja fast nur Herren, die da in die Versammlung gegangen sind, die haben alle gesagt, was wollt’s eigentlich und so. Ich hab da mit Argumenten versucht, sie zu überzeugen, und an das denke ich noch sehr gerne zurück: Es hat mich einfach begeistert zu erleben, dass es sich lohnt, sich einzumischen, und es hat mich auch begeistert, so unterschiedliche Argumente auszutauschen und damit den eigenen Horizont zu erweitern.
"Dann mach ich’s halt"
Hamberger: Das ist ja auch eine Zeit, wenn Sie jetzt auch beschreiben, Sie waren mit 18 JU-Vorsitzende, das war eine Zeit, in der in Deutschland Studenten auf die Straße gegangen sind, protestiert haben, also die sogenannten 68er. Ist das bei Ihnen in Niederbayern überhaupt angekommen?
Hasselfeldt: Ehrlich gesagt nein, bei mir zumindest nicht. Ich war geprägt eigentlich von dem politischen Umfeld, das in dem Vordergrund die Gestaltung des Lebens und die Verbesserung der Lebensverhältnisse auch damals im Grenzlandgebiet im Auge hatte und nicht die großen Veränderungen in der Gesellschaft. Es war immer im Mittelpunkt gestanden. Eigentlich bin ich mit dem, was ich habe, mit den Umständen, die ich habe, die ich vorfinde in diesem Land, in diesem Staat, grundsätzlich zufrieden, aber es gibt noch einiges, was man verbessern kann, aber nicht revolutionär. Ich bin nicht aus Protest gegen irgendetwas in die CSU eingetreten, sondern mit dem festen Willen, etwas mitzugestalten. Ich glaube, das hat mich auch bis zum Schluss meiner politischen Arbeit eigentlich geprägt.
Hamberger: Können Sie dann mal sagen, wie Sie selbst zur CSU dann gekommen sind?
Hasselfeldt: Das war eigentlich, ich will nicht sagen Zufall, aber der Anlass selber war Zufall. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich zur CSU tendiere und dass ich grundsätzlich eben, wie ich das vorhin angesprochen habe, mit dem Zustand in dem Land grundsätzlich zufrieden bin. Auf Bundesebene war dann schon die Phase, dass die Union nicht mehr die alleinige gestaltende Kraft war, da war es dann interessant, den Unterschied zwischen Bayern und der Bonner Politik zu erleben, aber ich war nicht Mitglied.
Als ich dann bei einer Versammlung der Jungen Union bei uns im Gasthaus bedient habe und die damals fast 40-jährigen Männer – ausnahmslos Männer – den Ortsverband auflösen wollten, weil keiner mehr den Vorsitz machen wollte, da hab ich dann als Bedienung gesagt, das könnt ihr nicht machen, dann haben wir Junge überhaupt nichts mehr zu sagen und können uns nicht mehr einmischen. Dann haben die gesagt, wenn’s schon so blöd daherredest, dann kannst du das auch selber machen oder kannst du es ja machen. Und dann hab ich gesagt, na ja, dann mach ich’s halt. Dann bin ich als noch nicht Mitglied der Jungen Union damals erst zur Jungen Union gegangen und dann auch direkt gewählt worden in der Versammlung danach, und mit dem Vorsitz der Jungen Union war dann auch verbunden die Mitgliedschaft in der CSU – das ist so die logische Folge. Das war für mich auch kein Problem, das wusste ich auch, und so kam ich als Mitglied in die CSU.
Hamberger: Wie haben das dann Ihre Eltern aufgenommen, dass Sie sich so stark in der Politik engagieren? Sie sagen, Ihr Vater hat zwar gesagt, ist schön, dass sich einer meiner Töchter dafür interessiert, aber fand er das auch gut, dass Sie dann auch Politik machen?
Hasselfeldt: Mein Vater hat grundsätzlich damals von Frauen in der Politik nicht so übermäßig viel gehalten, es waren dann schon teilweise abfällige Bemerkungen, die er über Frauen in der Politik gemacht hat. Vielleicht kommt daher auch ein Stück weit meine Motivation.
Hamberger: Also Trotz.
Hasselfeldt: … dass ich zeigen wollte, die können schon auch, und ich kann’s erst recht. Aber das ist mir erst so im Alter aufgefallen, dass das vielleicht eine Motivation gewesen sein kann. Am Anfang war es etwas befremdlich für ihn, aber als er dann merkte, dass ich auch ein interessanter Gesprächspartner für ihn bin – wir sind dann häufig gemeinsam auf Veranstaltungen gefahren, auf Versammlungen gefahren, ich war bei Sprechstunden dabei, hab dann mit aufgeschrieben und auch unterstützt, das war damals ja mit den Mitarbeitern noch nicht so wie heute –, da hat er das dann schon anerkannt. Wir hatten ein sehr gutes emotionales Verhältnis bis zu seinem Tod. Ich glaube, dass von den sechs Geschwistern ich wohl das intensivste emotionale Verhältnis hatte, und er hat sich von mir verstanden gefühlt, obwohl wir ganz unterschiedliche Typen waren.
"Ich hatte nie ein Problem mit der Akzeptanz von den Männern"
Hamberger: Hat Ihnen das später dann auch geholfen in Ihrer politischen Karriere, dass Sie solche Kämpfe schon mit Ihrem Vater ausgefochten haben, sich da durchgesetzt haben?
Hasselfeldt: Ich weiß es nicht, ob es dieses war. Ich glaube, dass die Selbstverständlichkeit, mit der ich als junge, politisch Interessierte akzeptiert wurde, von der CSU insgesamt – nicht nur von meinem Vater, sondern auch von denen im Ort –, ich spürte, dass ich von den Älteren im Ort Respekt und Anerkennung bekomme, ohne dass ich jetzt auf die Frauenschiene pochte. Das war so selbstverständlich, war halt dann mal eine Frau. Ich war das erste halbe oder Dreivierteljahr, ich weiß nicht mehr, als JU-Vorsitzende das einzige Mädchen und hab dann versucht, halt auch einige andere Mädchen dazuzuholen, aber es waren immer nur wenige. Ich hatte nie ein Problem mit der Akzeptanz von den Männern, weder von den jungen noch von den älteren, und ich glaube, diese Selbstverständlichkeit, dass man mit Arbeit, mit Übernahme von Verantwortung, mit Argumenten, mit Moderation was bewegen kann, das hat mich letztlich geprägt.
Hamberger: Das ist ja quasi dann auch direkt übertragbar auf Ihre Zeit im Bundestag, quasi vom Kleinen ins Große. Sie sind in Ihrer ersten Legislatur tatsächlich als Nachrückerin in den Bundestag gekommen, nämlich für Franz Josef Strauß 1987. Können Sie sich an Ihre ersten Tage im Bundestag erinnern?
Hasselfeldt: Es war nicht so ganz überraschend, die Phase zwischen der Wahl und meinem Einzug war in etwa zwei Monate. In dieser Zeit waren die Koalitionsverhandlungen, und Strauß hatte damals noch offengelassen, ob er nach Bonn geht oder in München bleibt, aber es war mehr oder weniger vorauszusehen, dass er in München als Ministerpräsident bleibt. Deshalb war es nicht so ganz überraschend, dass ich dann nachgerückt bin. Als ich dann kam – wir waren drei Frauen von etwas über 50 Abgeordneten, war natürlich schon eine Minderheit –, ich wurde eigentlich positiv aufgenommen, vielleicht auch deshalb, weil viele der Kollegen auch meinen Vater noch kannten und ich deshalb nicht so ein ganz unbeschriebenes Blatt war und im Übrigen ja auch, wenn man über die Liste damals mit einem guten Listenplatz platziert war, ja auch nicht so ganz unbeschrieben ist. Das muss man ja auch zuerst mal schaffen. Deshalb hatte ich schon viele vorher gekannt.
In der Landesgruppe wurde ich sehr positiv aufgenommen, und auch in der Fraktion war die Aufnahme positiv. Ich habe dann auch gesagt, ich gehe in die Ausschüsse, wo ich gebraucht werde, und dann kam auf mich zu der Ausschuss für Arbeit und Soziales – das lag auf der Hand, weil ich ja in der Bundesagentur für Arbeit vorher Abteilungsleiterin war –, und als zweiter Ausschuss dann Bildung und Wissenschaft. Das war in der damaligen Zeit nicht unbedingt nicht ein begehrter Ausschuss, weil die Kompetenzen in Bonn relativ gering waren. Und dann auch noch die Stellvertretung im Familienausschuss – das ist natürlich auch klar, wenn schon drei Frauen da sind, dann müssen die da untergebracht werden –, und noch die ordentliche Mitgliedschaft im Petitionsausschuss. Dann hab ich mir gedacht, ist ja super, kriegst alles mit, ohne zu wissen, dass das ein Haufen Arbeit ist.
"Im Auto auch ein Stück weit geweint"
Hamberger: Sie waren damals aber auch schon Mutter von zwei Kindern. Frauen und Mütter in der Politik – Sie haben selber gesagt, Sie waren eine von drei Frauen –, das war damals noch eine Seltenheit. War da zu Hause der Wechsel nach Bonn sofort klar, also hat Ihre Familie sofort gesagt, mach das, oder wurde da erst mal diskutiert?
Hasselfeldt: Wir hatten die Diskussionen natürlich im Vorfeld der Kandidatur schon, weil klar war, wenn ich gewählt werde, dann bedeutet das für die Familie schon eine Umstellung. Mein Mann damals – er ist mittlerweile schon verstorben – war Lehrer und hatte das voll mitgetragen. Die Kinder waren noch relativ klein – ich war die einzige Frau übrigens damals in der CSU-Landesgruppe von den dreien, die überhaupt Kinder hatte, so kleine Kinder. Die Tochter war vier und der Sohn zehn. Obwohl das alles organisiert war und in der Familie das mitgetragen wurde, war es schon auch für mich manchmal persönlich schwierig, vor allem, wenn ich am Montag dann zum Flughafen gefahren bin und nach Bonn und die ganze Woche in Bonn dann verbracht habe und mit der kleinen Vierjährigen eben nur telefonisch Kontakt hatte, und wenn ich dann zu Hause war, war ich ja auch nicht immer nur für die Familie da. Da kann ich mich schon erinnern, dass es Zeiten gegeben hat, wo ich die Kleine im Kindergarten abgeliefert habe und dann im Auto auch ein Stück weit geweint habe. Aber es war nie so, dass ich einen Gedanken daraufhin irgendwie hatte, dass ich das Ganze aufgeben möchte. Ich habe heute einen exzellenten Kontakt mit beiden Kindern und den Enkelkindern, und beide sagen, nein, das war schon gut, wir haben erlebt, dass du eine zufriedene Mutter warst, und wir waren auch immer gut aufgehoben beim Vater und es ist uns nichts abgegangen, auch nicht Liebe und Zuneigung abgegangen. Das ist etwas, was mich heute schon sehr glücklich macht.
Hamberger: Können Sie auch mal beschreiben, wie die Atmosphäre für Frauen im Bundestag zu dieser Zeit war? Es war ja doch eben die Gruppe, die in der Minderheit war. Wir kennen Fernsehbilder aus der Zeit, wo die Männer nicht zuhören, wenn Frauen sprechen, es wird getuschelt, es wird gelacht, es wird geredet. Wie haben Sie das erlebt?
Hasselfeldt: Ja, dadurch, dass wir so wenige waren, insbesondere in der Unionsfraktion natürlich, war das schon eine besondere Situation. Wir hatten dann aber auch über die Fraktionen hinweg immer wieder gemeinsame Gespräche mit Frauen anderer Fraktionen, wenn es beispielsweise drum ging, irgendwelche familienpolitischen Maßnahmen umzusetzen, durchzusetzen. Ich habe nicht erlebt, dass wir nicht ernst genommen worden wären, aber ein Stück so nach dem Motto, na ja, das sagen halt die Frauen – man muss dann hartnäckig bleiben. So ganz selbstverständlich auf Augenhöhe war es nicht immer. Es zeigte sich damals schon, und es zeigt sich manchmal heute auch noch, dass das Verständnis halt bei Männern aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen auch oft ein anderes ist. Ich denke jetzt an die Zeit – es war nicht die Anfangszeit, aber während der parlamentarischen Zeit –, an die Frage, als wir damals das Elterngeld eingeführt haben. Das waren hitzige Debatten auch in der eigenen Truppe, wo dann vom Wickelvolontariat und gegen die Vätermonate …
Hamberger: Das kam aus Ihrer Fraktion damals …
Hasselfeldt: Ja, genau.
Hamberger: Peter Ramsauer.
Hasselfeldt: … gesprochen wurde, das hat mich schon etwas befremdet. Aber dieses Beispiel macht deutlich, jeder argumentiert halt auch aus seiner Erfahrung heraus, aus seinem persönlichen Weltbild heraus, das ist ja auch legitim und auch spannend, und da war es schon ganz wichtig, dass die Frauen zusammengehalten haben. Das Beispiel Elterngeldeinführung war zum Beispiel etwas, was ohne die Frauen im Parlament mit Sicherheit nicht umgesetzt worden wäre.
Streben nach der Machtposition
Hamberger: Wenn Sie heute mal in Ihre frühere Landesgruppe schauen, Sie waren Landesgruppenvorsitzende und seit der letzten Legislatur sind Sie es nicht mehr, sind raus aus der Politik gegangen, aber wenn Sie jetzt mal in den Bundestag schauen und auf Ihre ehemalige Landesgruppe, dann ist da ja wieder sehr männlich geprägt – sehr wenige Frauen eben, weil Direktmandate nur gezogen haben, es niemand über die Liste geschafft hat. Wenn Sie da aus heutiger Sicht draufblicken, denken Sie, die Landesgruppe könnte anders aussehen, hätte die Partei vielleicht mehr Mut gehabt, mehr Bemühungen gemacht, Frauen in die Politik zu bekommen? Wie sehen Sie das?
Hasselfeldt: Ja, es ist wirklich schwierig, das zu analysieren. Ich glaube, dass es nicht an der Anerkennung der Frauen vor Ort liegt. Meine Beobachtung ist, dass sich viele Frauen auch dem politischen Wettbewerb nicht stellen wollen, Niederlagen nehmen sie in aller Regel eher persönlich, nicht so sportlich wie die meisten Männer, und Politik ist halt nun mal ein Wettbewerb, auch innerhalb der Partei. Und es ist zum Zweiten ein in aller Regel, vor allem in den Wahlkreisen, eine Arbeit, die nicht nur innerhalb eines Jahres zu erledigen ist, sondern wo Jahre vorher in aller Regel parteipolitische und kommunalpolitische Erfahrung erwünscht ist. Diese zusätzliche Belastung über viele Jahre hinweg, neben Beruf, neben Familie, die tun sich viele Frauen nicht an.
Hamberger: Aber dennoch ist ja die Frage, wenn es diese Probleme gibt, die Sie aufzählen, wie kann man Frauen dann trotzdem dazu bringen, in die Politik zu gehen? Dann muss es ja da einen Hebel geben, der möglicherweise wiederum dann bei den Männern liegt.
Hasselfeldt: Ja, ich bin da selbst ein Stück weit ratlos und denke mir immer wieder, warum sind Frauen, die sich durchaus politisch in der CSU zum Beispiel engagieren, zufrieden damit, dass sie im Vorstand als Beisitzer sind oder als stellvertretende Vorsitzende sind, warum trauen sie sich nicht, eben auch den Vorsitz zu machen – wie Horst Seehofer mal gesagt hat: Stellvertreter ist für die Katz. Stellvertreter sind wichtig, aber sie sind nicht die Funktion, in der man sich profilieren kann, in der man gestalten kann, in der man beispielsweise als Kreisvorsitzende halt auch mal sagen kann, bei der Kreistagsliste, da bin ich verantwortlich dafür – das ist ein Haufen Arbeit, es ist auch ein Haufen Ärger oft. Ich war selbst acht lange Jahre CSU-Kreisvorsitzende, hab das miterlebt, aber ich hab auch miterlebt, dass es eben eine Machtposition ist, und davor schrecken manche Frauen zurück.
Ich persönlich - aber es ist wirklich meine persönliche Meinung - ich glaube deshalb, wenn wir zum Beispiel in der Partei die Möglichkeit eröffnen würden, auf allen Ebenen – Ortsverband, Kreisverband, von mir aus auch noch Bezirksverband –, wenn die Delegierten und Mitglieder das wollen, eine Doppelspitze zu machen, dann sollte man das machen. Das muss man nicht verpflichtend machen, aber wenn die Mitglieder und die Delegierten das wollten – die können wir abstellen vorher –, dann hätten wir an der Spitze schon mal zwei Gleichberechtigte. Und dann kann man auch als Frau zeigen, ich kann was, und dann wird man selbstverständlich auch überzeugen, und vielleicht wäre das ein Schlüssel, um mehr Mandate für die Frauen zu bekommen.
"Ich war nicht mit allen Wassern gewaschen"
Hamberger: Sie waren zweimal Ministerin, zunächst Bauministerin, relativ kurz nach dem Einzug in den Bundestag. Wie war das, wenn man so jung und kurz, nachdem man in den Bundestag gekommen ist, schon Ministerin ist?
Hasselfeldt: Das war wirklich eine Überraschung, nicht nur für alle anderen, sondern auch für mich persönlich. Kam wohl daraus, dass ich in den zwei Jahren der Zugehörigkeit zum Parlament wohl auch gezeigt habe, dass ich mich in neue Aufgaben relativ schnell einarbeiten kann – so wurde es mir auch vom Kanzler damals gesagt. Deshalb habe ich dann diese Aufgabe auch übernommen. Ich habe die Tätigkeit als Bauministerin sehr gerne gemacht, war auch erfolgreich, gerade auch in der Wiedervereinigungszeit erfolgreich, und es war damals ja – was man heute gelegentlich vergisst – auch eine Zeit der akuten Wohnungsnot, vor allem in den Städten. Wir hatten die Wohnungspolitik damals auch mit Unterstützung von Theo Waigel als Finanzminister umgestellt mit mehr Förderung, mehr Mietraumförderung, mehr steuerliche Förderung, mehr sozialer Wohnungsbauförderung. Deshalb hätte ich es durchaus gerne weitergemacht, aber es war halt damals so, nach der Bundestagswahl 1990, dass die FDP unbedingt das Bauministerium wollte und ich dann das Gesundheitsministerium übernahm.
Die Anfangsjahre als Bauministerin waren natürlich wahnsinnig arbeitsintensiv für mich, ich musste mich in ein völlig neues Gebiet völlig neu einarbeiten, und ich kann auch verstehen, dass so mancher Kollege, der sich damals Hoffnungen auf ein Ministerium gemacht hat, da mit der Stirn gerunzelt hat. Allerdings hat mich eine Bemerkung schon ein bisschen zunächst einmal wenigstens gekränkt, nämlich dass ein Kollege aus meiner Fraktion damals gesagt hat: Na ja, die kann ja nicht einmal ein Einfamilienhaus vom Zweifamilienhaus unterscheiden. Das hat er nicht mir gesagt, sondern einem Journalisten, von dem ich das dann wieder erfahren habe. Zunächst hat’s mir wehgetan, aber dann hab ich mir gedacht, eigentlich ist es ja auch irgendwo verständlich, dass man da den Unmut zum Ausdruck bringt, dass eine Frau nach zwei Jahren Bundestagstätigkeit schon Ministerin wird. Ich hab das abgehakt und dann war’s erledigt und hab meine Arbeit gemacht.
Hamberger: War das für Sie eine neue Erfahrung, dass jemand über die Presse über Sie lästert?
Hasselfeldt: Ja, das war damals schon neu, war damals für mich neu. Ich war ja mal zwei Jahre im Bundestag, ich war nicht mit allen Wassern gewaschen und bin’s heute auch noch nicht, aber es war eine neue Erfahrung, ja. So manches reiht sich halt dann ein, und daraus lernt man dann.
Hamberger: Haben Sie den Kollegen konfrontiert?
Hasselfeldt: Nein.
Hamberger: Sie haben selber gesagt, die FDP wollte dann das Bauministerium, Sie sind dann 1991 Gesundheitsministerin geworden. Ihre Zeit als Gesundheitsministerin war relativ kurz, 15 Monate, wenn ich das richtig im Kopf habe. Warum haben Sie dann so schnell aufgehört?
Hasselfeldt: Ich hatte von Anfang an eine ganz schwierige Ausgangsposition, denn ich war ja als Abgeordnete zunächst ja schon auch im Arbeits- und Sozialausschuss, in dem Ausschuss, in dem damals auch schon die Gesundheitspolitik verortet war, aber ich musste eine völlig neue Verwaltung aufbauen. Die Verwaltung des damaligen Gesundheitsministeriums, das ja geteilt wurde, ist aufgeteilt worden in das Haus von Hannelore Rönsch und von Angela Merkel, und bei mir hat man gesagt, die hat schon Ministererfahrung, die kann das auch selber aufbauen. Das war eine Riesenhürde, die ich unterschätzt habe. Dann kam dazu, dass eine Gesundheitsreform zwingend notwendig gewesen wäre, da die Konzepte auch mehr oder weniger im Hause erarbeitet waren, aber sie durfte nicht umgesetzt werden oder es war nicht so klug, dies umzusetzen, weil einige Landtagswahlen, die von entscheidender Bedeutung waren, anstanden. Deshalb war der Druck, auch der öffentliche Druck, der fachliche Druck wahnsinnig stark, und dazu dieses, wie Horst Seehofer mal sagte, dieses Haifischbecken im Gesundheitswesen, was natürlich die Arbeit nicht unbedingt erleichtert hat. Es kam dazu, dass auch im Haus Unruhe war, und das alles hat dazu geführt, dass ich persönlich auch erhebliche gesundheitliche Probleme bekam und dann die Entscheidung getroffen habe, ich mach das nicht weiter, und dann aus freien Stücken aufgehört habe.
Hamberger: Haben Sie sich nach dem Ende im Gesundheitsministerium mal überlegt, ganz aus der Politik rauszugehen?
Hasselfeldt: Nein, nein. Ich hatte dann ab 1990 einen eigenen Wahlkreis in Fürstenfeldbruck-Dachau, einen Wahlkreis, den ich vorher nicht kannte, wo ich mich aber gegen einige Kandidaten bei der Nominierung dann durchgesetzt habe schon und auch die ganzen Jahrzehnte eine hohe Anerkennung und Akzeptanz gefunden habe. Ich bin umgezogen damals mit der Familie in den Wahlkreis, das heißt, das war für mich sowieso eine neue Phase, und ich konnte diese Phase nach der Ministertätigkeit nutzen, intensiv den Wahlkreis kennenzulernen und zu betreuen. Das war für die spätere Tätigkeit dann eine große Hilfe.
"Ich habe 14 Tage lang nein gesagt"
Hamberger: 2011 sind Sie dann erste Frau an der Spitze der CSU-Landesgruppe geworden. Eigentlich war damals eine ganze Reihe an Männern scharf auf diesen Job. Haben Sie sich da jemals, als Horst Seehofer Sie gefragt hat, ob Sie diesen Posten haben wollen, als eine Art Platzhalterin gefühlt?
Hasselfeldt: Also ich habe 14 Tage lang nein gesagt. Ich war damals Vizepräsidentin des Bundestages und hatte diese Aufgabe gerne gemacht, und mir war klar, dass der Sprung in das operative Geschäft, in dem man sämtliche Disziplinen und Ressorts fachlich mit abdecken muss, schon ein ganz gewaltiger wäre, und hab mir gedacht, das muss ich mir nicht antun, da gibt’s auch andere. Vier oder fünf waren es aus der Landesgruppe, die daran wirklich Interesse hatten und auch darum gekämpft haben und bereit waren, gegeneinander zu kandidieren. Es ist in diesen 14 Tagen keine Sitzung gewesen, sondern es wurde viel telefoniert und miteinander gesprochen – bilateral oder in kleinen Gruppen –, und immer wieder kamen Kollegen auf mich zu und sagten, wenn du kandidierst, dann kandidieren die anderen nicht, und dann hätten wir diesen Streit nicht. Dann kam tatsächlich die Bitte von Horst Seehofer, mir das doch noch mal zu überlegen, und es würden auch aus den Reihen der Basis immer wieder Stimmen kommen, dass ich kandidieren soll. Und dann hab ich mich in die Pflicht nehmen lassen, auch vor dem Hintergrund, dass die Landesgruppe geschlossen sein sollte und es erkennbar war, dass hinter dem einen oder anderen damals zumindest die Mehrheit nicht gestanden hätte, sondern das ein Stück weit zerfleddert worden wäre.
Ja, und dann war mir schon klar, ich bin da nicht die erste Wahl, sondern dieses Vorfeld kann man nicht ganz ausblenden. Und trotzdem war mir klar, das musst du jetzt gut machen. So habe ich alle meine politischen Ämter und auch meine berufliche Laufbahn gesehen: Wenn ich etwas mache, dann möchte ich’s gut machen, und dann setz ich mich auch ein und dann arbeite ich an mir und an der Sache, damit ich fachlich fit bin, damit ich die Mannschaft auch zusammenhalte und innerhalb der Fraktion auch den Stellenwert der CSU hochhalte, ohne die Fraktionsgemeinschaft zu gefährden. Das war dann eine verdammt anspruchsvolle, aber auch spannende und herausfordernde Tätigkeit. Ich bereue das nicht, habe viel dabei gelernt, aber ich hab auch wahnsinnig viel an mir gearbeitet.
Hamberger: Es gab auch Stimmen aus der Landesgruppe, auch von Journalisten oder Journalistinnen hat man das manchmal gehört, dass Sie vielleicht manchmal ein bisschen zu ruhig oder zu diplomatisch sind, also dass Sie wenig draufhauen. Braucht es nicht manchmal auch mehr brachiales Handeln in der Politik, mehr draufhauen, als Sie das gemacht haben?
Hasselfeldt: Ich glaube, das hängt vom Typ ab. Ich hätte mich verstellen müssen, wenn ich draufhaue. Ich war in manchen Bereichen dann durchaus hart, aber in der Sache hart, und habe da auch relativ viel erreicht – nicht für mich, sondern auch in der Sache viel erreicht. Ich kann mir das gut vorstellen, gerade bei CSU-Politikern, etwas, was man zunächst einmal nicht so gewohnt war. Ich weiß sehr wohl, dass das gerade in den Anfangsjahren der Landesgruppe bei manchen Journalisten etwas befremdlich war, hatte allerdings dann den Eindruck, dass das auch für manche durchaus wohltuend war und eben eine andere Art von Darstellung der Politik vonseiten der CSU war, als das vielleicht bei anderen der Fall ist. Es ist ja auch in Ordnung, dass jeder seinen eigenen Stil hat. Ausschlaggebend ist das, wie Helmut Kohl immer sagte, was am Ende rauskommt.
Hamberger: Zu der Aufgabe als Landesgruppenchefin gehörte ja auch, das Verhältnis zwischen Berlin und München halbwegs gut hinzukriegen und da auch als eine Art Transmissionsriemen zu agieren. Wie haben Sie das in Erinnerung?
Hasselfeldt: Das war eine ganz spannende Aufgabe von Anfang an, und mir war klar, dass dieses eine ganz zentrale, aber doch sehr wichtige Aufgabe ist, zwischen München und Berlin zu vermitteln und gleichwohl die Besonderheit der CSU auch innerhalb der Fraktionen in der Bundesregierung immer wieder zum Ausdruck zu bringen und auch die Anliegen Bayerns in Berlin zu vertreten. Das ist eine der spannendsten Aufgaben, was in der Landesgruppe zu erledigen ist. Besonders schwierig war es in der Phase 2015 folgende, wo in der Flüchtlingskrise zwischen CSU und CDU zwischen den beiden Parteivorsitzenden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt wurden und das schon bei manchen Situationen dann auch Gefahr lief zu eskalieren.
Hamberger: Darauf will ich auch gleich noch mal eingehen, aber hatten Sie auch manchmal das Gefühl, Sie müssen sich zugunsten Münchens vielleicht auch mal bei der ein oder anderen Position verbiegen?
Hasselfeldt: Ach ja, es waren schon so manche schwierige Themen, bei denen es mir zumindest am Anfang der Diskussionen schwergefallen ist, beispielsweise beim Betreuungsgeld. Das war schon eine Diskussion im Vorfeld der Entscheidung schon und dann auch um die Entscheidung rum, dass weite Teile der Partei eben dieses wollten, während innerhalb der Gesamtfraktion die Bereitschaft dazu nicht allzu groß war. Ich gebe auch gerne zu, dass ich mich selber damit zunächst einmal schwergetan habe, das aber dann vertreten habe, weil ich auch die Argumente nachvollziehen konnte, die für ein Betreuungsgeld sprachen. Das ist so ein Beispiel, wo wir schon miteinander gerungen haben.
"Diese Sitzung werde ich auch in meinem ganzen Leben nicht vergessen"
Hamberger: Schauen wir auf das Jahr 2015, das Sie schon angesprochen haben, das war das Jahr, in dem im September viele Menschen nach Deutschland geflohen sind, viele Flüchtlinge hierherkamen. Erzählen Sie einfach mal, wie Sie dieses Jahr, vor allem diesen Herbst in Erinnerung haben!
Hasselfeldt: Es war ein Herbst voller Unruhe, nicht nur im politischen Bereich in Berlin, sondern auch im Land. Deshalb ist es auch verständlich, dass in den Regierungsfraktionen das auch durchaus kontrovers diskutiert wurde, weil jeder aus den Erfahrungen vor Ort natürlich auch geprägt war – in Bayern noch stärker als in anderen Regionen, weil der Großteil der Flüchtlinge ja in Bayern ankam. Die Behörden, die Organisationen, die vor Ort dafür sorgen mussten, dass die Menschen versorgt wurden, dass sie untergebracht waren, dass sie menschenwürdig behandelt werden, dass sie aber auch registriert werden und dass Ordnung und Sicherheit gewahrt wird, das war schon eine Riesenherausforderung für die Leute vor Ort bis hin zu den Grenzen der Belastbarkeit. Auf der anderen Seite war natürlich die humanitäre Situation, der Wunsch und die Notwendigkeit, die Menschen, die da aus ganz verschiedenen Regionen mit unterschiedlichen Motivationen und so weiter kamen, auch wirklich human und humanitär gut zu behandeln. Das Ganze in Einklang zu bringen, war verdammt schwierig und deshalb auch die große Belastung der politisch Verantwortlichen.
Hamberger: Wie haben Sie damals persönlich auf das Thema geguckt, wo standen Sie?
Hasselfeldt: Ich habe den humanitären Bereich als sehr wichtig betrachtet, unsere Verantwortung auch gegenüber den Menschen, ich habe aber gleichzeitig gesehen, dass die Belastbarkeit der Bevölkerung und der Organisationen, der Behörden an Grenzen stößt und dass wir diese Grenzen nach Möglichkeit nicht überschreiten dürfen, denn sonst haben wir ein Sicherheitsproblem im Land und wir haben vor allem auch ein dauerhaftes Akzeptanzproblem im Land mit hin zu Radikalisierung mancher Gruppen. Diesen Spagat hab ich persönlich gespürt, und in der Partei war damals schon, vor allem in der Landtagsfraktion, der Fokus mehr auf der Frage Begrenzung des Zustroms, der Begründung Sicherheit und Ordnung, und deshalb hat es natürlich auch immer wieder Diskussionen, auch streitige Diskussionen gegeben, die teilweise sehr heftig ausgeführt wurden.
Hamberger: Ich kann mich da erinnern, da gab es eine Landtagsgruppensitzung, wo Sie auch eingeladen waren – ich glaube, das war die Klausur der Landtagsfraktion in München –, das muss sehr heftig gewesen sein.
Hasselfeldt: Allerdings, und diese Sitzung werde ich auch in meinem ganzen Leben nicht vergessen, denn das hat mir zunächst mal persönlich sehr wehgetan, dass ich da von Kolleginnen und Kollegen aus der Landtagsfraktion, also aus der eigenen Partei, schon sehr heftig angegangen wurde. Sie haben das, glaube ich, nicht persönlich gemeint, aber ich hab es so empfunden, und letztlich die Regierung und auch die Kanzlerin persönlich gemeint, weil in deren Augen die humanitäre Seite stärker betont wurde als die Sicherheit und Ordnung und die Begrenzung.
Hamberger: Das war auch die Zeit, in der die AfD ziemlich zugelegt hat, viele Menschen sich dorthin gewandt haben. Haben Sie im Nachhinein jetzt mal überlegt, was hätten wir anders machen müssen, um das zu verhindern?
Hasselfeldt: Ich weiß nicht, ob es zu verhindern gewesen wäre. Die Situation als solche hat schon dazu geführt, dass der Boden ein Stück weit bereitet war, der ja nicht nur wegen der Flüchtlingskrise sich gefestigt hat, sondern der war ja bereitet schon durch die Diskussion um den Euro und die Griechenland-Krise – das darf man nicht vergessen. Das war ja eigentlich der Anfang dieser Bewegung. Es ist eine Protestbewegung generell gegen etablierte Parteien, und deshalb ist es auch so gefährlich, weil sich das nicht an irgendeinem besonderen konstruktiven politischen Beitrag orientiert, sondern eher ein destruktives Element in unserer Gesellschaft ist – das macht mir die Sorge.
"Ich bin kein anderer Mensch deshalb geworden"
Hamberger: Dennoch gab es ja öfter mal auch den Hinweis darauf, man hätte mehr erklären müssen. Es wurden damals ja sehr viele gesetzliche Maßnahmen erlassen, unter anderem wurden die Asylgesetze so verschärft wie 25 Jahre lang nicht, und dennoch kam – vor allem eben dann vonseiten der CSU – immer wieder der Ruf: Mehr, mehr, mehr. Wir müssen eigentlich noch mehr tun, was ja eigentlich die eigene Regierungsarbeit in ein schlechtes Licht gestellt hat – solche Dinge, betrachten Sie das im Nachhinein als Fehler?
Hasselfeldt: Ja, ein Stück weit schon. Ich glaube, dass wir in der Tat dadurch, dass wir relativ schnell nach einer Entscheidung – beispielsweise was zu verschärfen oder zu begrenzen und so, immer wieder das gleiche Lied gesungen haben von noch mehr Begrenzung - wir versäumt haben, das, was tatsächlich an Begrenzungsmaßnahmen geschehen ist, in das Bewusstsein der Bevölkerung zu bringen. Es blieb auch in der öffentlichen Darstellung immer wieder bei dem - ich sag mal - Streit innerhalb der Union und weniger bei dem, das zu erklären und zu begründen, warum man schon gute Schritte auf dem Weg zu einer Begrenzung gemacht hat. Und das Ergebnis hat ja gezeigt, es sind weniger da, nicht nur wegen äußerer Bedingungen, sondern auch wegen so mancher restriktiver Bedingungen, die wir entschieden haben. Das glaube ich schon, dass das ausschlaggebend war für das Aufschaukeln von weiteren Diskussionen.
Hamberger: Sie sind heute Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes, reisen auch viel in der Welt herum, auch eben an Punkte, wo es Menschen so schlecht geht, dass sie möglicherweise ihre Sachen packen und fliehen müssen. Blicken Sie mit Ihrer heutigen Erfahrung, mit Ihrer Arbeit als DRK-Präsidentin noch mal anders auf das Jahr 2015 und folgende?
Hasselfeldt: Nun, ich bin kein anderer Mensch deshalb geworden, und es ist vielleicht der Fokus etwas stärker auf die Flüchtlinge bezogen. Insofern hab ich nicht meine Sichtweise, was die Probleme betrifft, geändert. Ich weiß sehr wohl auch, dass es Aufgabe der Politik ist, für Recht und Ordnung und Sicherheit zu sorgen, und unsere Aufgabe ist es, die Politik dabei in der Umsetzung zu unterstützen – momentan in erster Linie natürlich in der Integrationsarbeit.
Hamberger: Sie unterstützen zwar, aber in die Tagespolitik mischen Sie sich ja als DRK-Präsidentin heute nicht mehr ein, was ja früher Ihr tägliches Geschäft war. Fällt es schwer, das irgendwann loszulassen?
Hasselfeldt: Nein, ich habe diese Entscheidung ja ganz bewusst getroffen. Als ich sie getroffen habe, war nicht klar, dass ich die Präsidentschaft des Deutschen Roten Kreuzes übernehmen würde, das hat sich erst dann wenige Monate vor der Bundestagswahl ergeben. Es ist eine andere Aufgabe, ich hab das ganz rational entschieden. Die politische Verantwortung, die Entscheidung, die haben die Politiker zu treffen, ich weiß das sehr wohl zu unterscheiden, aber es ist spannend, mal aus der Politik in Verbindung zu kommen.
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