Jörg Münchenberg: Endlich, muss man sagen, geht es heute los in Berlin mit den Sondierungen für eine mögliche Jamaika-Koalition, also eine Zusammenarbeit zwischen CSU, CDU, FDP und den Grünen. Und es wird wohl eine ganze Weile dauern, denn Streitpunkte gibt es viele, angefangen von der Flüchtlingspolitik über Klimafragen bis hin zur Steuerpolitik. Und vorsorglich heißt es deshalb schon einmal, das Ganze könne bis Weihnachten dauern.
Am Telefon ist nun Peter Ramsauer, ehemals Verkehrsminister und derzeit Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Bundestag und von der CSU. Einen schönen guten Morgen.
Peter Ramsauer: Guten Morgen aus Berlin.
Münchenberg: Herr Ramsauer, wären Sie denn heute gerne dabei bei den Gesprächen, um das Schlimmste aus CSU-Sicht zu verhindern?
Ramsauer: Ich war ja bei vielen solchen Gesprächen bei früheren Regierungsbildungen mit dabei und kenne deshalb die Regeln. Man darf sich das nicht als Wirtshausprügelei vorstellen, sondern es geht nach strengen Regeln ab. Erst mal diese Vorsondierungen, bei denen man klärt, hat man überhaupt genügend Themen, die sich lohnen, ergebnisorientiert zu verhandeln, und dann kommen erst die Sondierungen und dann erst die Koalitionsgespräche als solches. Also ich beneide diejenigen, die für jede Partei die Verhandlungen zu führen haben, in der Tat nicht. Und was Sie gerade angeschnitten haben, ist in der Tat diese riesige inhaltliche und grundsätzliche Diskrepanz zwischen den Grünen einerseits und der CSU andererseits. In der Anmoderation haben wir schon einige dieser Themen gehört, die auch nach meiner Überzeugung schier unüberbrückbar erscheinen.
"Die Grünen wollen Deutschland massiv verändern"
Münchenberg: Herr Ramsauer, dann lassen Sie uns das gleich mal festmachen. Stichwort Flüchtlingspolitik. Da haben sich ja CDU und CSU erst auf eine Einigung verständigt. Die ist aber auch nicht in Stein gemeißelt bei den Flüchtlingszahlen 200.000. Das Wörtchen Obergrenze steht da auch nicht drin in dieser Einigung. Die Grünen zum Beispiel lehnen das kategorisch ab. Ist das zum Beispiel ein Konflikt, wo Sie sagen, da werden beide erst mal aufeinander krachen?
Ramsauer: Da werden beide Seiten mindestens aufeinander krachen, vollkommen klar. Denn für die Grünen ist die Flüchtlingspolitik ein Mittel für einen besonderen Zweck. Die Grünen wollen ja Deutschland massiv verändern und die CSU auf der anderen Seite will, dass Deutschland auch Deutschland bleibt und wir Deutschen Herr im Haus. Und die Flüchtlingspolitik ist für die Grünen Mittel zu dem Zweck, Deutschland kulturell und in jeder Hinsicht massiv zu verändern. Das wollen wir nicht und deswegen die Begrenzung, die wir fordern. Da wird es ordentlich krachen, jawohl!
Münchenberg: Auf der anderen Seite sagt ja auch die Bundeskanzlerin eher "Weiter so" als "Wir haben verstanden". Besteht da auch nicht weiterhin noch der Konflikt zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU gerade bei der Flüchtlingspolitik?
Ramsauer: Sie dürfen die Trennlinie nicht zwischen CDU einerseits und CSU andererseits ziehen, sondern die CSU-Haltung ist auch die tief sitzende Haltung und Überzeugung von mindestens der Hälfte der CDU, und deswegen spricht die CSU auch für große Teile der CDU. Das kann man in der Bundestagsfraktion, im CDU-Teil der Bundestagsfraktion bei vielen Kolleginnen und Kollegen der CDU exakt nachvollziehen.
"CDU-Kollegen sagen uns: Haltet ihr massiv Kurs!"
Münchenberg: Ihre Hoffnung ist, dass letztlich die Fraktion auch die Bundeskanzlerin in Richtung CSU drängen könnte?
Ramsauer: Ganz sicherlich. Ich kenne die Spannungen und die Lagerbildungen innerhalb der CDU sehr genau. Nicht anders ist es zu erklären, dass viele, viele Kolleginnen und Kollegen aus dem CDU-Teil der Fraktion oder der CDU als Partei zu uns in der CSU sagen: Haltet ihr massiv Kurs, wir verlassen uns auf euch in einer konservativ-liberalen Politik, die weit über die Flüchtlingsfrage hinausgeht.
Münchenberg: Herr Ramsauer, Sie gelten ja nicht unbedingt als Freund der Grünen. Sie haben das Thema Flüchtlingspolitik schon angesprochen. Es gibt aber auch andere Themen, wo man weit auseinanderliegt, Stichwort Verkehr, Stichwort Energiepolitik. Kann sich, sollte sich die CSU da mit den Grünen sozusagen ins politische Bett legen?
Ramsauer: Ja wir müssen zumindest mal darüber sprechen, und zusammengefasst kann man sagen, dass natürlich bei der Fülle von Streitthemen heute niemand sicher vorhersagen kann, dass Jamaika auch erfolgreich zu Ende verhandelt wird. Ich halte es durchaus für denkbar, dass man vor Weihnachten oder im Januar sagt, das Ganze ist sinnlos, und man spricht dann mit der SPD, die sich in meinen Augen im Hintergrund immer noch so ein bisschen bereit hält. Aber gut, dafür haben wir jetzt diese Sondierungsgespräche, um zu eruieren, ob es gewisse Schnittmengen gibt, beispielsweise in der Energiepolitik. Wir haben eine CO2-Problematik als solche, wo wir übereinstimmen, aber auf der anderen Seite mehr oder weniger von heute auf morgen auch die Braunkohle-Nutzung und -Verstromung abzuschaffen, die ja ein heimischer Energieträger ist, das ist vollkommen verrückt. Und am Ende muss man sehen: Haben wir denn überhaupt genügend Substanz, haben wir genügend Schnittmenge, mit der man über vier Jahre - und eigentlich sind es dann nur noch dreieinhalb Jahre- überhaupt sinnvoll Politik für dieses Land machen kann. Denn wenn man zu dem Ergebnis kommt, das ist sinnlos, wir haben nicht genug Stoff und wollen uns nicht dem Risiko aussetzen, dass wir vorzeitige Neuwahlen ausrufen, das kann sich Deutschland nicht leisten. Ja dann muss man sofort das Steuer herumreißen.
"Politische Selbstaufgabe dürfen wir nicht hinnehmen"
Münchenberg: Aber, Herr Ramsauer, genau das ist doch der Punkt. Sie sagen, das Ganze könnte noch platzen. Auf der anderen Seite: Ist der politische Druck nicht längst so groß, dass sich Union, FDP und die Grünen ein Scheitern gar nicht leisten können?
Ramsauer: Ja. Aber wenn das Ergebnis einer solchen Verhandlungsreihe in der politischen Selbstaufgabe liegt, dann kann keine Seite damit leben. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Wir als CSU, wir sind der Garant einer bürgerlich-konservativen, auch liberalen Politik. Das ist unser Credo und das ist auch das Credo wie gesagt von großen Teilen der CDU, und genau darin liegt das Problem, dass wir zu wenig geistigen Überbau insgesamt zwischen Grünen einerseits und den Unions-Parteien auf der anderen Seite haben.
Münchenberg: Das klingt aber danach, als würden Sie sagen, eigentlich geht das doch alles gar nicht.
Ramsauer: Ja. In meinen Augen ist das auch schwer vorstellbar. Ich kenne die Grünen vom Grundsatz her und auch in vielen, vielen sachlichen Details lange genug in streitigen Auseinandersetzungen, wo es bisher, um jetzt Ihr Wort vom Anfang aufzugreifen, in der Regel immer gekracht hat. Wie es hier plötzlich harmonisch über vier Jahre gut gehen soll, das frage ich mich in der Tat. Aber deswegen wird ja jetzt erst gesprochen.
Münchenberg: Herr Ramsauer, nun ist ja Horst Seehofer politisch schwer angeschlagen, ebenso die Bundeskanzlerin nach der neuerlichen Pleite bei den Landtagswahlen in Niedersachsen. Was heißt das für diese Sondierungsgespräche?
Ramsauer: Das heißt ganz einfach, dass diejenigen, die jetzt in diese Verhandlungen von ihren Parteien geschickt werden als Spitzenverhandler – das ist Angela Merkel und das ist Horst Seehofer für die Unions-Parteien -, dass man die nicht vorher vermöbeln darf und dann losschicken in einen schwierigen Verhandlungskampf, sondern dass man sie bestens ausstattet mit Verhandlungsmandat, damit sie kraftvoll verhandeln können. Als erfahrener Politiker ist die Marschrichtung und die Strategie hier vollkommen klar.
"Seehofer ist das stärkste Schlachtross"
Münchenberg: Finden Sie, Horst Seehofer ist politisch gut ausgestattet von der Heimatfront in Bayern?
Ramsauer: Ich glaube, dass Horst Seehofer als Parteivorsitzender und als Ministerpräsident des erfolgreichsten oder eines der erfolgreichsten Bundesländer keine Lektionen braucht, wie man jetzt solche Verhandlungen führt. Dazu hat er hinreichende Erfahrungen und er ist ja schon hier und er ist das stärkste Schlachtross, das wir jetzt losschicken.
Münchenberg: Und wenn er die Verhandlungen erfolgreich zu Ende führt, dann wird er abgesetzt?
Ramsauer: Der Parteivorstand (*) hat ja am Montag über die Fragen der Zeitpläne gesprochen. Jetzt steht im Vordergrund, dass wir, wenn überhaupt, vertretbare Verhandlungsergebnisse bekommen und dann wird alles Weitere geklärt. Wir haben ja noch in diesem Jahr einen Parteitag mit Neuwahlen des gesamten Führungsapparats der Parteivorstandschaft und natürlich richten wir auch den Blick auf die Landtagswahlen, die im September nächstes Jahr in Bayern stattfinden, und da müssen wir mit der stärkst möglichen Formation hineingehen. Ein Stratege wie Horst Seehofer weiß selbst ganz genau, wie man das am besten anstellt, in welcher Formation.
Münchenberg: Herr Ramsauer, was nehmen Sie mit vom Wahlerfolg der konservativen ÖVP in Österreich, die ja doch mit einem strammen rechten Kurs jetzt die Wahlen gewonnen hat?
Ramsauer: Sie bezeichnen das als strammen Rechtskurs. Ich bezeichne es als einen Kurs, der immer schon die ÖVP ausgezeichnet hat. Ich bin ja durch meine Herkunft, meinen Wahlkreis sehr eng mit Österreich verbunden. Die Gegend zwischen Chiemsee und Berchtesgadener Land ist ja sozusagen umschlossen von Österreich. Die Österreichische Volkspartei war dereinst eine extrem erfolgreiche Partei. Und wenn Sie mich fragen, was nehme ich von diesem Ergebnis mit: Ich nehme unter anderem mit, dass das bürgerliche Lager in Österreich seine alte Kraft immer noch bewahrt hat. Wenn Sie zusammenzählen ÖVP, FPÖ und die Neos, und dann könnte man noch Teile anderer Splittergruppen hinzuziehen, dann sind Sie bei über 60 Prozent. Das gibt mir Hoffnung, dass das bürgerlich-konservative Lager in unserem schönen Nachbarland wieder zusammenfindet und Mehrheiten bilden kann.
Nicht mit der Existenz der AfD abfinden
Münchenberg: Nun gibt es ja die Forderung, gerade aus der CSU, die rechte Flanke, wie es heißt, zu schließen. Die Bundeskanzlerin lehnt das ab. Herr Ramsauer, letzte Frage: Wie soll da auch eine tragfähige Koalition zustande kommen, wenn die CSU jetzt eher auf die rechte Karte setzt?
Ramsauer: Wenn ich mir so manche Stimme aus der CDU anhöre, dann erschrecke ich unter anderem deshalb, weil solche Stimmen den Schluss nahelegen, die Schlussfolgerung nahelegen, dass man sich in Teilen der CDU mit der Existenz der AfD einfach abgefunden hätte. Ich finde das schrecklich. Damit kann man sich unter keinen Umständen abfinden. Und ich halte auch die Diskussion für völlig unsinnig, ob wir einen Rechtsruck oder irgend so etwas brauchen, das Gerede von der rechten Flanke schließen. Die Unions-Parteien, und ich spreche jetzt für meine Partei, die CSU war immer eine Partei, die von der Mitte bis zum ganz rechten demokratischen Rand immer alles abgedeckt hat. Wir brauchen also hier keine Verrutschung irgendwo nach rechts, sondern wir müssen dieses Feld nur mit Überzeugung inhaltlich auch besetzen, und dann geht hier auch nichts nach der Seite.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
(*) Nach Hinweis des Büros von Dr. Peter Ramsauer muss es richtig "Parteivorstand" heißen.