Mario Dobovisek: Knapp war es, das Ergebnis auf dem SPD-Sonderparteitag am Sonntag in Bonn. Jetzt können Union und SPD mit ihren Koalitionsverhandlungen beginnen - theoretisch. Doch die Skepsis bei den Sozialdemokraten, sie bleibt. Die Sondierungspakete noch einmal aufschnüren wollen sie deshalb, nachverhandeln sagen die einen, bloß über Details sprechen die anderen. Über das große Ganze sprachen jedenfalls am Abend erst einmal die Parteichefs von CDU/CSU und SPD. Einen Fahrplan haben sie sich und ihren Parteien für die Koalitionsverhandlungen gegeben.
Am Telefon begrüße ich Dorothee Bär. Sie ist stellvertretende CSU-Vorsitzende. Guten Morgen, Frau Bär.
Dorothee Bär: Guten Morgen.
"Die Punkte wurden wurden auch von der SPD-Delegation festgehalten"
Dobovisek: Ihre Reaktion auf die Abstimmung beim SPD-Sonderparteitag am Sonntag kam ziemlich schnell per Twitter-Nachricht: "Kein sehr deutliches Ergebnis", schreiben Sie da der "lieben SPD. Nachverhandeln gibt es nicht mehr. Steht jetzt mal zu Ergebnissen und eurer Verantwortung." - Was meinen Sie damit, Frau Bär, kein Nachverhandeln?
Bär: Na ja. Wir haben ja ganz viele Punkte festgelegt in den Sondierungen, aber nicht zu allen Themen. Aber die Punkte, die wir festgelegt haben, die wurden tatsächlich am Freitag, vor elf, zwölf Tagen von allen einmütig angenommen, auch von der gesamten SPD-Delegation. Und es war schon merkwürdig, kaum dass das Papier ausgedruckt war, noch warm war, dass die ersten aus der SPD sich schon gemeldet haben und gesagt haben, das haben wir alles gar nicht so gemeint.
Dann wissen Sie selber, dann gab es jetzt eine gute Woche die Diskussionen auch im ganzen Land, und dann haben sich am SPD-Parteitag ja nicht nur der gesamte Vorstand, alle Bundesminister, auch die sehr geschätzten Ministerpräsidenten der SPD mit Verve reingehängt und dann kommen trotzdem nur 56 Prozent raus. Da habe ich mir schon mehr vorgestellt.
"Man kann statt Sondierungs- auch schon Koalitionspapier drüber schreiben"
Dobovisek: Aber die Verhandlungen, die beginnen ja erst.
Bär: Ja, es kommt immer darauf an, wissen Sie. Wenn man sagen würde, es wären Sondierungen gewesen, wie ich sie mir eigentlich gewünscht hätte, nämlich was auch mal ursprünglich angedacht war …
Dobovisek: Dann erklären Sie uns doch bitte den Unterschied zwischen Sondierungsgesprächen, die vor Koalitionsverhandlungen geschehen.
Bär: Theoretisch ist es so, zumindest nach meiner Auffassung, dass man sagt, eine Sondierung soll erst mal dazu dienen, kann man und will man miteinander, ja oder nein. Dann ist es aber natürlich so gewesen: Bei Jamaika waren dann plötzlich nach vier Wochen 60 Seiten und man hat gesagt, man macht den gleichen Fehler nicht noch mal, so lange und so detailliert. Dann war ursprünglich mal das Ziel fünf Seiten. Dann sind es ja doch, auch weil Herr Schulz ja auch ein riesen Europaprogramm, gegen das ich gar nichts habe, detailliert aufnehmen wollte, dann waren es am Schluss ja wieder knapp 30 Seiten, und 30 Seiten sind schon …
Dobovisek: Daran ist aber das Europaprogramm nicht schuld. Da steht ja auch noch viel, viel mehr drin auf den 28 Seiten.
Bär: Eben! - Eben! - Eben!
Dobovisek: Auch viele Punkte der CSU.
Bär: Ja, weil man kann ja auch nicht nur einen Punkt reinschreiben. Wenn man aber dann sagt, man macht so viele Punkte und man schreibt so viele Punkte rein, dann sind die schon so ausformuliert, dass die Mehrheit meiner Kollegen auch der Meinung ist, man kann statt Sondierungs- auch schon Koalitionspapier drüberschreiben.
Keine Verfechterin der "Basta-Politik"
Dobovisek: Frau Bär, die Leitung ist ein schwachbrüstig, wahrscheinlich viel schwachbrüstiger als Ihre starke Meinung. Vielleicht drehen Sie sich ein bisschen zum Fenster und dann stelle ich die Frage noch mal in die Richtung. - Das Paket (dieses Sondierungspaket) wird aus Ihrer Perspektive nicht mehr aufgeschnürt. Es sind Vorfestlegungen, Punkt, Aus, Basta!
Bär: Was heißt Vorfestlegungen, und ich gehöre jetzt auch nicht zur Basta-Politik.
Dobovisek: Klingt aber so.
Bär: Nee! Wir haben noch so viele Punkte, die noch beraten werden müssen, die gar nicht drinstehen im Sondierungspapier, dass wir da auch noch genug zu tun haben werden.
Dobovisek: Ich glaube, das hat so keinen Sinn mehr, weil wir verlieren Sie immer wieder, Frau Bär. Ich mache den Vorschlag, falls Sie mich noch hören, dass wir kurz auflegen. Wir rufen Sie noch einmal an und spielen solange noch ein bisschen Musik für unsere Hörer, und dann hören wir uns hoffentlich gleich wieder in ein paar Sekunden.
Dorothee Bär, CSU-Vize, ist wieder am Telefon. Hoffentlich verstehen wir uns jetzt an dieser Stelle besser. - Wir waren stehen geblieben bei der Frage, wie weiter mit den Sondierungen und Verhandlungen und so weiter und so fort. Spinnen wir das mal ein bisschen weiter. Die CSU könnte an dieser Stelle ja auch sagen: Gut, Verhandlungen ergeben unter diesen Umständen, wenn die SPD jetzt alles noch mal aufmachen will, keinen Sinn. Also sagen wir ab und wollen Neuwahlen.
Streit um die Härtefallregelung
Bär: Wir sind konstruktiv und wir haben von Anfang an gesagt, wir wollen diese Koalition. Wir wollen eine stabile Bundesregierung. Deswegen hoffen wir natürlich von allen jetzt auch ein bisschen Bewegung.
Dobovisek: Auch von der CSU?
Bär: Ich sage noch mal: Wir haben so viele Punkte schon verhandelt. Es ist ja nicht so, dass wir bei den Punkten, die wir jetzt durchgesetzt haben, bislang die reine CSU-Lehre durchgesetzt haben. Da gäbe es schon noch mal einige Punkte, wo wir uns auch noch selber mehr hätten vorstellen können. Das sind ja alles schon Kompromisse, die im Sondierungspapier drinstehen.
Dobovisek: Zum Beispiel gibt es den Familiennachzug, der soll begrenzt werden auf 1.000 Menschen im Monat. Die SPD fordert nun eine Härtefallregelung. Wir hören Stimmen auch aus der CDU, die sich das durchaus vorstellen können. Sie auch?
Bär: Wir haben ja da auch schon Kompromisse gemacht. Wir wollen ja auch die komplette Aussetzung. Jetzt gab es schon diese Kompromissformel und jetzt soll die Kompromissformel noch mal aufgemacht werden. - Wir haben bei der Mütterrente zum Beispiel jetzt den Kompromiss selber angeboten, dass diejenigen, die vor …
Dobovisek: Bleiben wir doch für einen Moment bei der Härtefallregelung. Wollen Sie eine Härtefallregelung mitgehen oder nicht?
Bär: Wir haben sie so beschlossen, wie sie im Papier steht, und das ist schon mehr, als wir ursprünglich wollten. Also weiß ich nicht, warum man bei so einem Kompromiss, der für die CSU auch nicht leicht ist, jetzt noch mal den Kompromiss aufschnüren muss.
Dobovisek: Die Härtefallregel schreiben ja auch im Prinzip deutsche Richter längst vor, Beispiel das Berliner Verwaltungsgericht vor einem Monat. Die Familie eines syrischen minderjährigen Flüchtlings dürfe nachziehen, weil andernfalls das Kindeswohl erheblich und akut gefährdet sei. Das war schon eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung und ihren Stopp des Familiennachzugs. Wie können Sie weiter an bloßen Zahlen festhalten?
Bär: Ich finde es immer ein bisschen merkwürdig, dass man jetzt in der gesamten Flüchtlingsdebatte nur über Härtefälle spricht. Wenn es wirklich so wenige sind, wie immer suggeriert wird, dann ist das kein Problem. Wenn aber die Regelung so großzügig ausgelegt wird, dass plötzlich jeder Fall ein Härtefall ist, dann wird die ganze Regelung ja ad absurdum geführt.
"Das kann für eine stabile Regierung schon reichen"
Dobovisek: Gibt es am Ende eine Obergrenze, anderes Thema aus diesem Bereich?
Bär: Die steht ja drin im Sondierungspapier und zumindest die Jusos haben das genauso gesehen wie wir, dass sie faktisch festgeschrieben ist. Und jetzt wird man mal sehen, ob da noch Forderungen kommen. Ich habe ja vollstes Verständnis auch für die Lage, in der sich die SPD befindet. Die Frage ist nur, ob man nicht ein bisschen noch realistischer bleiben kann. Und wenn man seine Leute auf die Bäume hochjagt, dann muss man sie irgendwann auch wieder runterholen.
Dobovisek: Weiterhin sagt Martin Schulz, der SPD-Chef, mit der SPD gibt es keine Obergrenze, und das sagt er in einer beeindruckenden Klarheit und das steht ja auch so im Sondierungspapier. So lesen Sie es zumindest selber, sagen Sie auch gerade. Ich sehe da viele, viele Hürden für eine gemeinsame Zusammenarbeit, auch wenn wir uns die Stimmung angucken. Können Sie sich beide überhaupt unter diesen Vorzeichen vertrauen?
Bär: Vertrauen? - Wem vertraut man schon so komplett im Leben, außer vielleicht seiner eigenen Familie? - Ich glaube, es ist wichtig, dass wir eine gute Arbeitsbeziehung haben. Natürlich wäre es schön, wenn da auch ein gewisses Maß an Vertrauen da wäre. Aber wenn einfach alle sich an das halten, was dann letztendlich ausgemacht ist, dann kann das für eine stabile Regierung schon reichen. Den Rest werden die nächsten Tage und Wochen zeigen, hoffentlich nicht zu lange, weil ich glaube nicht, dass es besser wird, je länger man jetzt verhandelt.
Dobovisek: Fassen wir zusammen. Sie erwarten von der SPD, dass sie sich bewegt, aber die CSU wird sich nicht bewegen?
Bär: Na ja, das ist jetzt eine sehr merkwürdige Zusammenfassung. Ich habe ja vorhin schon gesagt, dass wir so viele Themen noch gar nicht besprochen haben, dass ich eigentlich meinen Schwerpunkt darauf legen möchte. Wir haben zum Beispiel, was für mich das wichtigste Problem im Land ist, von einer Digitalisierungsstrategie der Bundesregierung noch gar nichts aufgeschrieben. Das wäre wichtig für Wachstum und Wohlstand in unserem Land. Die anderen Punkte sind formuliert, aber ehrlicherweise werden da auch mehr die Probleme von gestern gelöst. Ich will die Probleme von morgen lösen.
Dobovisek: Die stellvertretende CSU-Chefin Dorothee Bär bei uns im Deutschlandfunk-Interview. Ich danke Ihnen ganz herzlich.
Bär: Danke Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.