Die SPD müsse wissen, dass die mit einem Wahlergebnis von 20 Prozent nicht 100 Prozent ihrer Forderungen umsetzen könne, sagte Dobrindt.
Bei den Flüchtlingen gebe es eine klare Unterscheidung zwischen denen, die bleiben dürften und denen, die keine Perspektive in Deutschland hätte. Das müsse sich auch in den Leistungen widerspiegeln. Laut Dobrindt sei es möglich, abgesenkte Leistungen bis zu 36 Monate aufrechtzuerhalten.
Mit Blick auf den Familiennachzug sagte Dobrindt, man könne nicht akzeptieren, dass ein weitere Zustrom nach Deutschland stattfinde. "Wenn man den Familiennachzug ermöglicht, würde das unsere Integrationskraft überfordern." Vielmehr müssten Fluchtursachen in der Herkunftsländern bekämpft werden.
Dobrindt verteidigte die Einladung des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban zur CSU-Klausur in Seeon. Wenn man solidarische Entscheidungen innerhalb der EU treffen wolle, müsse man auch mit den osteuropäischen Nachbarn reden. Und Orban sei maßgeblicher Entscheider in Osteuropa.
Das Interview in voller Länge:
Silvia Engels: CSU-Landesgruppenchef hat im Vorfeld der Klausur in Seeon mit Forderungen in der Flüchtlingspolitik kräftig von sich Reden gemacht. Er will Leistungen für Asylbewerber kürzen. Die Zeit, in der Asylbewerber nur einen Grundbedarf erstattet bekommen, soll von jetzt 15 Monaten auf 36 Monate verlängert werden. Erst dann sollen sie Leistungen auf dem höheren Niveau der Sozialhilfe erhalten. Nun ist er am Telefon. Guten Morgen, Herr Dobrindt!
Alexander Dobrindt: Guten Morgen, Frau Engels!
Engels: Was versprechen Sie sich von dieser Forderung, außer die SPD zu ärgern?
Dobrindt: Wir dürfen ja nicht blauäugig sein. Wir wissen, dass es Menschen gibt, die auch unser System ausnutzen wollen und in den Genuss von Privilegien kommen wollen, besondere Schutzrechte erreichen wollen. Deswegen gilt es, von unserer Seite da sehr genau drauf zu schauen. Das heißt, wir wollen wissen, wer zu uns kommt. Dazu gehört auch die Bestimmung des Alters, selbstverständlich auch mit medizinischen Maßnahmen, und natürlich die Unterscheidung, ob jemand ein Recht hat, einen Schutzstatus in Deutschland zu erreichen, oder ob er dieses Recht nicht hat und deswegen unser Land auch wieder verlassen muss. Allein diese Unterscheidung muss sich doch auch in den Leistungen widerspiegeln, und deswegen legen wir Wert darauf, dass wir auch im Asylbewerberleistungsgesetz diese Unterscheidungen vornehmen und gekürzte Leistungen für diejenigen haben, die auch wieder gehen müssen.
"Ein Zeitraum bis zu 36 Monaten ist rechtlich heute möglich"
Engels: Die SPD-Innenexpertin Eva Högl hat vor einer Stunde hier im Deutschlandfunk gekontert, das Bundesverfassungsgericht lasse solche Leistungskürzungen, die Ihnen da vorschweben, gar nicht zu. Damit ist sie auf einer Linie vieler Experten. Und jetzt?
Dobrindt: Nein, das ist falsch. Das Bundesverfassungsgericht hat die Entscheidungen getroffen, dass Kürzungen über 48 Monate ein zu langer Zeitraum wären, weil man in diesem Zeitraum auch Entscheidungen treffen können muss, was den Schutzstatus betrifft. Wir sagen, ein Zeitraum bis zu 36 Monaten ist rechtlich heute möglich. Das ist auch der Zeitraum, in dem Entscheidungen getroffen werden können. Und den anderen Punkt, den ich angesprochen habe, diese Unterscheidung zwischen einem Asylbewerber, der berechtigt Asyl beantragt, und demjenigen, der abgelehnt ist und deswegen unser Land auch wieder verlassen muss, das wurde so überhaupt noch gar nicht verhandelt. Das ist Aufgabe des Gesetzgebers, dafür entsprechende Regelungen zu finden.
Engels: Herr Dobrindt, gestern Nachmittag waren Sie ja auch bei der Sitzung zur Vorplanung der Sondierung mit den Spitzen von Union und SPD dabei. Haben Sie mit Andrea Nahles und Martin Schulz über diese Pläne schon mal gesprochen?
Dobrindt: Wir haben ja einen anderen Auftrag gehabt gestern. Wir haben uns vorbereitet inhaltlich auf die nächsten Tage in der kommenden Woche, damit wir dynamisch, effizient auch die Sondierungen führen können. Wir wissen, dass wir über das Thema Flucht und Asyl sprechen müssen. Das ist eines der herausragenden Themen, die es in dieser Sondierung und vielleicht späteren Koalition auch zu bearbeiten gilt. Das kennt jeder. Unsere Forderungen, die kennen sowohl CDU und SPD an dieser Stelle auch. Aber wir haben ja nicht ergebnisorientiert gestern diese Themen abgearbeitet, sondern sie vorbereitet inhaltlich für die Gespräche nächste Woche.
"Dass wir eine Situation wie 2015 und 2016 nicht wieder erleben müssen"
Engels: Ihre Rolle im Vorfeld der Sondierung ist ja nicht ganz einfach. Einerseits waren Sie gestern konstruktives Planungsmitglied, andererseits müssen Sie heute in Seeon wieder lautstark CSU-Interessen verteidigen. Wie schwierig wird es dann wieder, eine gute Gesprächsatmosphäre für die Sondierungen am Sonntag zu schaffen?
Dobrindt: Den Widerspruch sehe ich nicht, weil beides ist konstruktiv. Nicht nur wir haben übrigens die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir bei dem Thema Flucht und Migration eine Situation wie 2015 und 2016 mit diesem massenhaften Zustrom nicht wieder erleben müssen. Auch die SPD hat da eine Aufgabe. Da gibt es übrigens auch einen Auftrag aus dem Wahlergebnis vom letzten Jahr. Da haben, glaube ich, alle drei Parteien ein großes Interesse daran, dass sich eine rechte Außenpartei (Rechtsaußenpartei) wie die AfD nicht langfristig im Deutschen Bundestag etabliert. Und wenn man mal die Zahlen genau anschaut, dann haben SPD und Linkspartei auch eine Million Wähler an die AfD verloren.
Engels: Und was ist daran konstruktiv?
Dobrindt: Daraus nicht die notwendigen Erkenntnisse abzuleiten, dass es hier ein herausragendes Thema gibt, dass bearbeitet werden muss, das wäre falsch.
Engels: Na ja, die SPD will ja über dieses Thema durchaus sprechen.
SPD solle "aus der Schmollecke rauskommen"
Dobrindt: Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass diesen Wählerauftrag, den ich gerade auch noch mal erklärt habe, die SPD ignorieren will.
Engels: In der Tat, die SPD ist ja gesprächsbereit auch zu diesem Thema. Aber wie konstruktiv ist es denn, wenn Sie vor den Sondierungen ständig die SPD mit neueren Forderungen überziehen und auf der anderen Seite via "Bild"-Zeitung heute davor warnen, dass die SPD ja keine überzogenen Erwartungen haben soll. Schafft man so ein gutes Gesprächsklima?
Dobrindt: Die SPD muss wissen, dass sie mit 20 Prozent aus der letzten Wahl herausgegangen sind. Da kann man keine 100 Prozent seiner Forderungen entsprechend auch mit umsetzen. Das heißt, wir erwarten, dass dieser Erkenntnisprozess, den die SPD jetzt seit Monaten hinter sich hat, aus der Verweigerungshaltung und der Schmollecke rauszukommen, dazu führt, dass wir Vereinbarungen bei diesen wichtigen Themen treffen können. Da geht es neben der Frage Migration natürlich auch um die Frage Europa. Da geht es auch um die Frage des sozialen Zusammenhalts in unserem Land. Das sind die Themen, die wir angemeldet haben, die wir hier in Seeon auch besprechen. Und es dient ja auch der Klarheit, wenn man seine Positionen deutlich formuliert. Wir brauchen kein Schattenboxen. Wir waren jetzt vier Jahre in einer Regierung zusammen. Wir kennen auch die Schmerzgrenzen des jeweilig anderen. Und jetzt geht es darum, haben wir die Kraft, gemeinsam zu sagen, wir wollen eine große Koalition für die nächsten vier Jahre machen, die auch ein Projekt Zukunft Deutschland beschreiben kann. Dieses Projekt Zukunft Deutschland heißt Wachstum, Sicherheit, Modernisierung. Das verlange ich von der SPD, dass sie da ein klares Bekenntnis auch dazu abgibt. Mit so einer SPD will ich dann eine Koalition für die nächsten vier Jahre machen. Mit einer SPD, die in einer alten sozialistischen Mottenkiste ihre Themen sucht, wird es schwierig.
Engels: Andererseits hat SPD-Parteivize Stegner Ihnen ja schon rund um die Asyl- und Flüchtlingspolitik Kraftmeierei vorgeworfen und Ihnen den Realitätssinn abgesprochen. Sie haben daraufhin gesagt, das jucke Sie nicht. Haben wir hier einen Vorgeschmack, wie die Koalitionäre in einer möglichen Koalition miteinander umgehen?
Dobrindt: Ich kann nur sagen, in den vergangenen Wochen, in den denen wir vor Weihnachten und nach Weihnachten miteinander gesprochen haben, ist das Vertrauen gewachsen, da ist eine ausgesprochen konstruktive Atmosphäre. Und ich habe immer noch wenig Verständnis, wenn Wortmeldungen wie von Herrn Stegner den Eindruck erwecken, als müsste man sich um diese Themen, Migration, Flüchtlinge und alles, was dazu gehört, nicht wirklich neu kümmern. Der Eindruck, der mir in den Gesprächen mit den Bürgern vermittelt wird und eben, was ich auch als Ergebnis der letzten Wahl noch in Erinnerung habe, ist ein anderer. An der Stelle eine Verweigerungshaltung einzunehmen und zu sagen, es gibt keinen Regelungsbedarf, das wird mit uns nicht gehen.
"Größtes Interesse daran, dass wir Fluchtursachen bekämpfen"
Engels: Regelungsbedarf ist das eine. Auf der anderen Seite gibt es ja einige Punkte, die für die SPD in diesem Bereich sehr wichtig ist. Kommen wir beispielsweise auf den Familiennachzug für Flüchtlinge aus Syrien, die nur subsidiären Schutz haben, zu sprechen. Die SPD möchte hier wieder Familiennachzug ermöglichen und sieht sich auch durch die vielfach zitierte Kriminalitätsstudie aus Niedersachsen bestätigt, die dort gemessenen höheren Kriminalitätsraten betreffen gerade die Ausländer, die Asylbewerber, die eben allein sind, junge Männer, und dementsprechend hier vielleicht wenig eingebunden sind. Ist also hier ein Entgegenkommen der CSU doch drin?
Dobrindt: Das weitere Aussetzen des Familiennachzugs ist klar Teil unseres Regelwerks, das wir mit der CDU vereinbart haben. Daran rütteln wir nicht. Wir können jetzt nicht akzeptieren, dass ein weiterer Zustrom nach Deutschland stattfindet. Wenn man den Familiennachzug auf einmal ermöglicht, das würde unsere Integrationskraft vollkommen überfordern. Und deswegen muss man auch da sagen, wir haben größtes Interesse daran, dass wir Fluchtursachen bekämpfen, dass wir in den Ländern, in denen maßgeblich die Ursachen für die Flucht stattfinden, den Menschen Perspektive auch geben. Deswegen werben wir auch so dafür, dass wir den Entwicklungshilfeetat deutlich erhöhen und diejenigen Länder davon profitieren, die mit uns kooperieren, wenn es auch um die Rücknahme von Flüchtlingen geht. Übrigens sind wir auch durchaus oder gibt es durchaus die Möglichkeit, dass man auch Familienzusammenführung in den Ländern wie Syrien oder Irak, wo wir in Regionen humanitäre Hilfe leisten, Wiederaufbauhilfe leisten, da gibt es auch Möglichkeiten, Familien, die flüchten, wieder zusammenzuführen.
Engels: Blicken wir noch einmal voraus auf die Klausur in Seeon. Gast ist wieder einmal der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban. Er steht symbolisch für die Grenzschließung im Balkanbereich. Er steht aber auch dafür, dass die beschlossene Umverteilung von Flüchtlingen in der EU nicht funktioniert, also das, was auch die CSU immer wieder gefordert hat. Wieso wollen Sie ihn dennoch bei sich haben?
Dobrindt: Wenn wir eine solidarische Entscheidung in Europa treffen wollen, auch bei der Frage Flucht und Migration, dann wird das ja nur mit unseren osteuropäischen Nachbarn gehen, und nicht gegen sie. Viktor Orbán ist auch Teil unserer Parteienfamilie der Europäischen Volksparteien. Er ist maßgeblich einer der Entscheider in Osteuropa. Das heißt, wenn wir Europa zusammenhalten wollen, und daran haben wir ein ganz großes Interesse, dann muss man auch über diese Fragen mit Viktor Orbán reden und darf ihn nicht ausgrenzen. Manches, was da zurzeit aus Brüssel immer wieder formuliert wird, nach dem Motto, entweder hat man die Meinung, die in Brüssel vertreten wird, oder man ist nicht mehr Teil der Europäischen Union, die können wir so nicht vertreten. Ein Europa der 27 Staaten wird nur funktionieren, wenn man auch respektvoll miteinander umgeht. Wir tun das, und dazu gehört, dass wir über die Herausforderungen auch mit denen reden, die nicht in jedem Moment unserer Meinung sind.
Engels: Alexander Dobrindt, der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe. Wir sprachen mit ihm über die bevorstehende Klausur seiner Landesgruppe im bayerischen Kloster Seeon. Vielen Dank für das Gespräch!
Dobrindt: Herzlichen Dank, Frau Engels!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.