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Cum-Ex-Geschäfte
Neuer Prozess, alte Vorwürfe

Vor dem Landgericht Wiesbaden soll am Donnerstag der nächste Prozess um Cum-Ex-Geschäfte zulasten des Fiskus beginnen. Im Zentrum steht ein Steueranwalt. Ob er vor Gericht erscheint, ist unsicher - ebenso eine mögliche Verurteilung. Denn: Experten bezweifeln, dass sich die Geschäfte noch beweisen lassen.

Von Katja Scherer |
Auf Geldscheinen steht ein Stempel mit dem Schriftzug Cum-Ex
Der Cum-Ex-Skandal sorgt für politische und juristische Streitigkeiten (Imago / Steinach)
Ab Donnerstag sind alle Augen auf ihn gerichtet: Hanno Berger, 70 Jahre alt und einst renommierter Anwalt, muss sich vor dem Landgericht Wiesbaden wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung verantworten.
Die Staatsanwaltschaft hält ihn für eine der Schlüsselfiguren beim jahrelangen Cum-Ex-Betrug: "Er ist nicht der Erste, der Cum-Ex gemacht hat. Er ist nicht der Einzige, der Cum-Ex gemacht hat. Aber er ist einer, der die Vermarktung von Cum-Ex massiv vorangetrieben hat und das richtig auch als Investorenmodell entwickelt und vertrieben hat", sagt Gerhard Schick, der sich seit Langem für eine Aufarbeitung des Steuerbetrugs einsetzt. Früher saß er für die Grünen im Bundestag, heute ist er Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende.
Für Schick ist klar: Der Prozess gegen Hanno Berger hat Symbolkraft. "In dem Moment, wo jetzt eine Reihe von Leuten wegen dieser Cum-Ex-Geschäfte verurteilt werden und ins Gefängnis wandern, ist das ein klares Zeichen an die Leute in der Finanzbranche, die sich gerade den nächsten Trick überlegen: Vorsicht, das könnte im Gefängnis enden."
Illustration - An der Richterbank eines Sitzungssaals beim Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe (Baden-Württemberg) sitzt am 12.09.2014 ein Richter mit Richterrobe, davor stehen Gesetzesbücher. Foto: Uli Deck/dpa
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Ob Berger und seine zwei Mitangeklagten tatsächlich wissentlich Steuern hinterzogen haben, gilt es vor Gericht aber erst noch zu klären. Berger zog im Jahr 2012 in die Schweiz, nachdem Steuerfahnder seine Kanzlei in Frankfurt durchsuchten. Ob Berger morgen vor Gericht erscheint – der Prozess also wie geplant starten kann – ist allerdings unklar.
"Cum-Ex steht für den größten Steuerraub in der Geschichte der Bundesrepublik." - "Es ist der wohl größte Steuerskandal der bundesdeutschen Geschichte." - "Deutlich mehr Staaten als bisher bekannt sind von Geschäften auf Kosten der Steuerzahler betroffen."

Mindestens zehn Milliarden Verlust für den Staat

Cum-Ex: Diese Bezeichnung steht für Finanzgeschäfte von Investoren und Banken in den Jahren 2001 bis 2011, durch die der deutsche Staat mindestens zehn Milliarden Euro verloren hat. Sie haben Aktien mit – also: cum – und ohne – also: ex – Dividende gehandelt und sich vom Staat Steuern erstatten lassen, die sie gar nicht bezahlt haben.
Wie das funktioniert, erklärt Christoph Spengel, Professor für Steuerlehre an der Universität Mannheim: "Bei Cum-Ex-Geschäften handelt es sich um den Verkauf von deutschen Aktien kurz vor dem Tag der Hauptversammlung der betreffenden Aktiengesellschaft. Und es sind sogenannte Leerverkäufe. Das heißt, der Verkäufer hat die Aktien zum Zeitpunkt des Verkaufs noch gar nicht im Besitz."
Bei Cum-Ex-Geschäften werden solche Deals von Leerverkäufern gezielt um einen sogenannten Dividendenstichtag herum ausgeführt – also kurz vor beziehungsweise nach der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft. Vor der Hauptversammlung sind Aktien eines Unternehmens vergleichsweise viel wert. Zu diesem Zeitpunkt ist nämlich die Dividende, mit der Firmen ihre Anleger am Gewinn beteiligen, noch eingepreist.
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Nach der Hauptversammlung wird die Dividende ausgezahlt und die Aktie verliert an Wert: "Wenn man die vor dem Tag der Hauptversammlung verkauft, dann sind die Aktien noch dividendenberechtigt. Also cum – mit Dividende. Der sogenannte Leerverkäufer, der kann die Aktien aber erst nach dem Dividendenstichtag erwerben und dann liefern. Also liefert er sie ex Dividende, ohne Dividendenanspruch."
Die Dividende verbleibt bei dem Aktionär, der die Aktien am Tag der Hauptversammlung besessen hat. Dieser muss darauf Kapitalertragssteuer zahlen – kann sich diese aber unter bestimmten Bedingungen später vom deutschen Staat zurückholen: "Nehmen wir mal einen ausländischen Fonds in den USA, einen Pensionsfonds, der zahlt in den USA keine Steuern, die sind steuerbefreit. Und unter bestimmten Voraussetzungen heißt das, dass einem US-Amerikaner, der deutsche Dividenden bezogen hat, die Kapitalertragssteuer erstattet wird."

Wo der Betrug beginnt

Der Leerverkäufer dagegen muss seinem Käufer einen Ausgleich bezahlen, da die Aktien ohne Dividende nun weniger wert sind. Dieser Ausgleich entspricht aber nicht der vollen Höhe der Dividende, sondern der Dividende abzüglich einer angenommenen Kapitalertragssteuer.
Cum-Ex-Geschäfte - Wie das Verwirrspiel mit Aktien funktioniert
Mit dubiosen Finanzgeschäften haben Banken und Großinvestoren den deutschen Staat und damit auch die Steuerzahler um über 30 Milliarden Euro betrogen. Cum-Ex- oder Cum-Cum-Geschäfte führten zu unberechtigten Steuerrückzahlungen. Ein Überblick.
Steuerexperte Christoph Spengel nennt ein fiktives Beispiel: "Nehmen wir mal an, wir haben eine Dividende von zehn Euro. Von den zehn Euro werden 2,50 Euro Kapitalertragssteuer einbehalten. Er muss die Nettodividende dem Leerkäufer vergüten als Schadensersatz und das sind 7,50 Euro."
Der Leerverkäufer zahlt also statt zehn Euro Entschädigung nur 7,50 Euro und behält die restlichen 2,50 Euro als Gewinn. Für seinen Geschäftspartner, den Aktienkäufer, wäre das normalerweise ein schlechtes Geschäft. Doch genau da beginnt Betrug.
Die Banken der Aktienkäufer merkten nämlich lange Zeit nicht, dass diese keine echte Dividende, sondern nur eine Ausgleichszahlung vom Leerverkäufer bekamen. Sie stellten ihnen daher fälschlicherweise eine zweite Steuerbescheinigung aus. Genau wie der Aktionär, der die Dividende tatsächlich bekommen hatte, konnten die Käufer diese Bescheinigung beim Bundeszentralamt für Steuern einreichen und sich so die vermeintlich gezahlten Steuern ein zweites Mal zurückerstatten lassen.
Hochhäuser im Bankenviertel von Frankfurt am Main
Tricks oder Steuerdiebstahl - Wer haftet für Cum-Ex-Geschäfte?
Dem deutschen Staat sind durch die sogenannten Cum-Ex-Geschäfte Milliarden entgangen. Gerichte in Deutschland müssen klären, ob es sich dabei bloß um die geschickte Ausnutzung von Gesetzeslücken handelte – oder ob die Beteiligten illegal gehandelt haben.
In dem fiktiven Rechenbeispiel holten sie sich also quasi ihre fehlenden 2,50 Euro einfach vom Fiskus: "Und nur durch die Steuerbescheinigung und die Steuererstattung in Höhe von 2,50 Euro ist der Leerkäufer sozusagen Null gestellt."
Damit waren sie durch die Deals also zumindest nicht schlechter gestellt als vorher. Diese doppelte Steuererstattung auf gar nicht gezahlte Steuern sei immer illegal gewesen, betont Spengel: "Das war in dem Sinn eine Lücke im Abrechnungssystem der deutschen Börse. Legal war die zweite Steuerbescheinigung nie."
Kompliziert, aber lukrativ waren diese Geschäfte. Dabei wurden zum Teil Aktien im Wert von Milliardenbeträgen gehandelt, sagt Spengel. Er geht davon aus, dass sich die beteiligten Akteure kannten, absprachen und die "Rendite" durch Provisionen und Beraterhonorare untereinander aufteilten: "Diese Geschäfte, die sind nicht zufällig aufgesetzt worden, sondern Käufer und Verkäufer und handelnde Banken, die kannten sich alle und haben diese Geschäfte minutiös geplant."

Juristische Aufarbeitung erst am Anfang

Strafrechtlich bewiesen ist das bisher in den allermeisten Fällen nicht. Die juristische Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte steht erst am Anfang. In den vergangenen zehn Jahren haben sich Finanzbeamte und Staatsanwälte zunächst durch E-Mails, Akten und Kontoauszüge gegraben, um die komplizierten Geschäfte überhaupt erst einmal zu entflechten.
Die Staatsanwaltschaft Köln, die für die meisten Fälle zuständig ist, ermittelt in rund 80 Fallkomplexen mit knapp 1.000 Beschuldigten: "Bei einem Fallkomplex handelt es sich um eine Gruppe von Tatverdächtigen, die zusammengearbeitet haben, und wo man aufgrund des Sachzusammenhangs sagt: Das wird jetzt zusammen angeschaut und auch zusammen vor Gericht gebracht", sagt Gerhard Schick von der Bürgerbewegung Finanzwende.
Ein älterer Mann mit Bart sitzt in einem Büro und lächelt.
Gerhard Schick von der Bürgerbewegung Finanzwende (Dieter Stürmer)
Klärungsbedarf gibt es dabei auf mehreren Ebenen. Steuerrechtlich muss untersucht werden, ob die Steuererstattungen tatsächlich illegal waren.
Kai Schaffelhuber, der Verteidiger von Hanno Berger, argumentiert auf Anfrage, sie seien legal gewesen: "Weil der Gesetzgeber das ausdrücklich so geregelt hat. Das kann man nachlesen in der Begründung zum Jahressteuergesetz 2007, dass es diese Möglichkeit gab für Leerverkäufe."
Der Staat habe offenbar erst spät verstanden, um wie viel Geld es dabei ging, sagt Schaffelhuber. Nun versuche die Regierung die Geschäfte nachträglich als illegal darzustellen, nachdem die Opposition ihr vorgeworfen habe, bei der Kontrolle versagt zu haben: "Das hat die Bundesregierung nicht auf sich sitzen lassen, hat sich umgedreht und hat gesagt nach der Devise: ‘Haltet den Dieb! Das stimmt ja gar nicht, wir haben nichts falsch gemacht. Möglicherweise konnte man die Gesetzesbegründung 2007 in einigen Passagen missverstehen. Aber wir haben nichts falsch gemacht und alle, die das gemacht haben sind Verbrecher.‘"
Eine Ansicht, die viele andere Experten nicht teilen. Heribert Anzinger, Professor für Steuerrecht an der Universität Ulm betont: "Hier geht es nicht darum, dass irgendwie die Bundesregierung sich verteidigen muss. Hier geht‘s darum, dass das Steuerrecht doch so ausgelegt werden muss, wie es seinem Zweck entspricht, nämlich die Finanzierungslasten eines Gemeinwesens auf die Bürger dieses Gemeinwesens zu verteilen. Und dem entspricht also eine Rechtsauffassung, die diese mehrfache Erstattung zulässt, auf gar keinen Fall und sie lässt sich auch dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen."
Für Anzinger ist klar: Dass Cum-Ex-Händler bei den Leerverkäufen beim Staat eine Steuererstattung beantragt haben, ist illegal: "Und diese Auffassung teilt die ganz herrschende Meinung im Steuerrecht mittlerweile."

Was bisher vor den Finanzgerichten geschah

In vier Fällen haben bisher Finanzgerichte über Cum-Ex-Geschäfte entschieden. Jedes Mal wurden diese für illegal erklärt. Eine abschließende Bewertung des Bundesfinanzhofs dazu steht noch aus. Diese soll im Laufe des Jahres folgen.
Parallel dazu läuft nun die strafrechtliche Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte. Denn auch wenn diese als Steuerbetrug gelten, heißt das nicht, dass sich die Beteiligten automatisch strafbar gemacht haben. Dazu müssten die Ankläger ihnen nachweisen können, dass sie den Betrug absichtlich begangen haben.
Bisher sei das in einem Verfahren gelungen, sagt Christoph Spengel von der Universität Mannheim: "Das Landgericht Bonn hat die Geschäfte für strafbar erklärt und Vermögenseinzug angeordnet und auch zwei Börsenhändler verurteilt. Die sind aber auf Bewährung rausgekommen."
Das Besondere bei diesem Verfahren war, dass die angeklagten Börsenhändler geständig waren und als Kronzeugen dienten. Kai Schaffelhuber, der Verteidiger der mutmaßlichen Schlüsselfigur Hanno Berger, sagt dagegen, sein Mandant sei unschuldig.
Aktienkäufer könnten bei Cum-Ex-Geschäften selbst gar nicht wissen, dass sie keine echte Dividende, sondern nur eine Ausgleichszahlung vom Leerverkäufer bekommen, argumentiert er. Daher hätten sie die Steuererstattungen wenn überhaupt unwissentlich falsch beantragt: "Die angebliche Strafbarkeit soll ja daraus folgen, dass sie dem Finanzamt hätten sagen müssen, dass sie im Fall, dass ihr Verkäufer ein Leerverkäufer ist, überhaupt keine Kapitalertragssteuerentlastung hätten anmelden dürfen. Nur, wenn sie das aber doch gar nicht wissen können, wie können Sie dann bestraft werden?"
Dass es zwischen den Beteiligten bei Cum-Ex-Geschäften Absprachen gegeben hat – wie es die Kronzeugen am Landgericht Bonn gestanden haben – hält Schaffelhuber für unmöglich. Schließlich würden Aktiengeschäfte über neutrale Zwischenhändler, sogenannte Clearingstellen, abgewickelt.

"Eine total verrückte Vorstellung"

Die Prozesse im Handel ließen solche Absprachen also gar nicht zu, sagt er: "Die Vorstellung, dass man jetzt mit einem bestimmten Verkäufer eine Absprache trifft: Du verkaufst so und so viele Aktien, ich kaufe die gleichzeitig und dass dann derjenige, mit dem er diese Absprache getroffen hat, der Verkäufer sei, der einem die Aktien verkauft – das ist für jeden, der vom Aktienhandel auch nur ansatzweise eine Ahnung hat, eine total verrückte Vorstellung."
Gerhard Schick von der Bürgerbewegung Finanzwende sieht das anders: "Man kann teilweise aus der Preisstellung sehen, dass es ohne Absprachen nicht denkbar gewesen ist. Weil einfach die Preise völlig unsinnig sozusagen für einen normalen Marktakteur wären, sondern nur mit Cum-Ex Sinn geben. Teilweise gibt es Chatprotokolle und teilweise eben die Aussagen von manchen Beteiligten, die eben die Zusammenarbeit gestanden haben."
"Massives Organisationsversagen im Finanzministerium"
"Es hat zehn Jahre gedauert, die Cum-Ex-Geschäfte zu beenden", sagte Gerhard Schick im Dlf. Das sei "ein Armutszeugnis", so der Finanzfachmann der Grünen. Die Regierungsparteien hätten im abschließenden Untersuchungsbericht versucht, den entstandenen Schaden "massiv runterzurechnen", so Schick.
Für ihn ist daher nun die wichtigste Frage: Schaffen es die Staatsanwälte, den Tatverdächtigen ihre mutmaßlich betrügerischen Absichten nachzuweisen? Und zwar auch dann, wenn diese kein Geständnis ablegen? "Meine große Befürchtung ist, dass am Ende dieser großen juristischen Anstrengung der Aufarbeitung von Cum-Ex nur sehr wenige, bis gar keine Verurteilungen stehen. Und es nur gelingt, sehr wenig Geld zurückzuholen."
Bisher, schätzt Schick, habe der Fiskus von den insgesamt über zehn Milliarden verlorenen Euro nur rund eine Milliarde zurückbekommen: "Alles wird man sicher nicht mehr zurückholen können. Dafür ist der Staat zu spät eingestiegen in der juristischen Aufarbeitung, mit zu wenig Ressourcen reingegangen, ist schon zu viel Zeit verstrichen. Manche der Täter sind im Ausland, viel von dem Vermögen auch."
Dazu kommt: Viele Fälle drohen zu verjähren. Erst kürzlich hat die Bundesregierung die Verjährungsfristen für Cum-Ex-Geschäfte verlängert – von zehn auf 15 Jahre. Ein Schritt in die richtige Richtung, sagt Schick – immerhin.
Viel diskutiert wird derzeit unter Experten außerdem die Frage, wie gut es dem Staat überhaupt gelungen ist, weitere Cum-Ex-Deals zu unterbinden. Die entscheidende Veränderung nahm die Bundesregierung dafür eigentlich Ende des Jahres 2011 vor. Sie beschloss, dass die Dividenden nicht mehr direkt von den Aktiengesellschaften, sondern von den Banken ausgezahlt werden.
Christoph Spengel von der Universität Mannheim: "Seitdem überweisen die Aktiengesellschaften die Dividenden brutto, das heißt ohne Steuerabzug, an die Deutsche Börse und die verteilt die dann brutto an die Depotbanken. Und die Depotbanken, die führen jetzt die Kapitalertragssteuer ans Finanzamt ab und nur wer Steuer abführt, darf auch eine Bescheinigung ausstellen und damit fällt sozusagen das in eine Hand."

Was noch an Cum-Ex-Deals stattfindet

Allerdings: Bei Cum-Ex-Razzien bei Banken im vergangenen Jahr hat die Staatsanwaltschaft auf einen Tatzeitraum von 2010 bis 2016 verwiesen. Es scheint so, sagt Spengel, als ob die Geschäfte trotz der neuen Auszahlungsregeln weitergelaufen sind: "Das wurde auch in der Anhörung im Finanzausschuss Anfang September deutlich gemacht, dass Cum-Ex-Geschäfte in abgewandelter Form wohl immer noch am Markt anzutreffen sind."
Die europäische Finanzaufsicht ESMA kommt in einer Untersuchung zu einem ähnlichen Schluss. Der Steuerrechtler Heribert Anzinger von der Universität Ulm hingegen sieht das anders: "Es gibt zumindest in der Theorie schon noch Möglichkeiten, Cum-Ex-Geschäfte abzuwickeln. Das kann etwa der Fall sein, wenn Aktien nicht mehr in Deutschland verwahrt werden, sondern im Ausland. Mir ist aber nicht bekannt, dass der Weg bisher beschritten worden ist. "
Diese Einschätzung teilt auch das Bundesfinanzministerium. Die Debatte zeigt: Selbst für Experten ist es derzeit schwer einzuschätzen, ob und in welchem Umfang Cum-Ex-Deals und ähnliche Geschäfte stattfinden. Für den Mannheimer Betriebswirt Christoph Spengel ist daher klar, dass der Staat bessere Kontrollmechanismen benötigt: "Wir haben ein Riesendefizit bei der Digitalisierung, beim Austausch von Informationen auf elektronischem Wege."
 Olaf Scholz (SPD), Bundesminister der Finanzen, nimmt an der 167. Sitzung des deutschen Bundestages teil.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) im Bundestag (picture alliance / Kay Nietfeld)
So zahlen Anleger ihre Steuern auf Kapitalerträge an die Finanzämter – also Landesbehörden. Steuererstattungen beantragten sie dagegen beim Bundeszentralamt für Steuern – also einer Bundesbehörde. Da es zwischen diesen beiden Stellen zu wenig Austausch gebe, lässt sich bis heute kaum feststellen, ob Steuereinnahmen und -erstattungen zusammenpassen, sagt Spengel: "Das geht hier um Steuergelder im Milliardenbereich, die seit Jahren zu Unrecht erstattet werden und das ist verdammt nochmal die Hauptaufgabe eines jedes Finanzministers, dass das System gegen Betrug schützt."
Diese Kritik übt auch Gerhard Schick von der Bürgerbewegung Finanzwende. Er sagt: Die Regierung habe in den vergangenen Jahren viel zu wenig getan, um Steuerbetrug zu verhindern: "Aus der Finanzbranche ist in den letzten Jahren immer wieder gezielt versucht worden, Abwehranstrengungen des Staates auszubremsen und zu verwässern."
Beim Bundesfinanzministerium will man den Vorwurf, zu wenig unternommen zu haben, nicht auf sich sitzen lassen: "Die Finanzverwaltung verfolgt mit Nachdruck die Aufklärung einschlägiger Cum/Ex-Gestaltungen", schreibt das Ministerium auf eine Anfrage des Deutschlandfunks.
Seit Anfang 2020 gebe es beim Bundeszentralamt für Steuern eine spezielle Einheit für die Bekämpfung von Steuergestaltung. In Arbeit ist außerdem ein neues Gesetz, das Banken verpflichtet, dem Bundeszentralamt für Steuern mehr Daten zu Dividendenzahlungen zu übermitteln. Und auch der gesetzliche Schutz für Whistleblower soll verbessert werden. Ein konkretes Datum nennt das Bundesfinanzministerium dafür aber nicht:
"Der Entwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz für ein Hinweisgeberschutzgesetz wird derzeit innerhalb der Bundesregierung abgestimmt."
Sicher ist: Der Prozess gegen Hanno Berger wird viel Beachtung finden. Der in der Schweiz lebende Anwalt wird seit November per Haftbefehl gesucht. Seine Beschwerde dagegen hat das Oberlandesgericht Frankfurt Mitte März abgelehnt. Die Richter haben seine angeklagten Taten zudem als gewerbsmäßigen Bandenbetrug - und nicht nur als Steuerhinterziehung - eingestuft. Ein Delikt, das auch nach Schweizer Recht eine Auslieferung möglich macht, sollte Berger nicht vor Gericht erscheinen. Auch wenn sein Anwalt das als absurd bezeichnet: Sich einer Verhandlung zu entziehen, wird für Berger immer schwieriger.