Es geht um ziemlich viel Geld. Investoren, Banken und Börsenspekulanten ließen sich europaweit unrechtmäßig um die 55 Milliarden Euro als Steuer vom Fiskus erstatten. Das haben Recherchen mehrerer Medien ergeben. In der letzten Woche wurde ein neuer Skandal um Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte bekannt. Obwohl es sich um Steuergelder handelt, hält sich die Empörung darüber hierzulande in Grenzen. Kann ein Theaterstück daran etwas ändern? Kann die Kunst den komplexen Stoff besser als Zeitung, Fernsehen und Radio vermitteln? Am Hamburger Lichthoftheater hat heute Abend das Stück "Cum-Ex-Papers" Premiere.
Die Revolution bleibt aus
Nachrichteneinspieler: "Cum-Ex." - "Cum-Ex und Cum-Cum." - "Dubiose Cum-Ex-Geschäfte." - "Dieses Geschäft gilt als irre kompliziert."
Helge Schmidt: "Ich hatte das Gefühl, es wird schnell wieder verschwinden, aber es sollte jeden interessieren."
Meint Regisseur Helge Schmidt. Der Mittdreißiger mit zerzaustem Haar und Harry-Potter-Brille inszeniert am Hamburger Lichthoftheater "Cum-Ex Papers". Eine ungewöhnliche Produktion, weil sie in enger Zusammenarbeit mit Journalisten entstanden ist. Mit denjenigen, die in der letzten Woche einen neuen europaweiten Steuerbetrug in Milliardenhöhe aufgedeckt haben. Vor eineinhalb Jahren begann Schmidt sich für das Thema "Cum-Ex" zu interessieren. Weil ihn die Fragen nicht losgelassen haben.
Helge Schmidt: "Warum stehen nicht Leute vor den Banken und rütteln zumindest an der Tür? Warum gibt es da eigentlich keine Revolution? Oder was ist hier los, dass man das so liest und auch Schwierigkeiten hat, ein Gefühl dafür zu bekommen?"
Streng geheime Proben
Womöglich, weil die Summe – 55 Milliarden – die Vorstellungskraft übersteigt und Steuern ein ziemlich langweiliges Thema sind. Also nahm Schmidt Kontakt zu Journalisten des unabhängigen Recherchezentrums "Correctiv" auf, die schon in der Vergangenheit über Cum-Ex-Geschäfte berichtet hatten. Auf der Grundlage ihrer aktuellen Enthüllungen – dem Interview mit einem Insider, das am 18.Oktober veröffentlicht wurde - entstand das Theaterstück. Alles war streng geheim, bei regelmäßigen Treffen mit den Journalisten in Berlin erhielt Schmidt das Material nur auf verschlüsselten USB-Sticks.
Auszüge aus dem Interview mit dem maskierten Steuerräuber werden auf der Bühne immer wieder auf einen riesigen Büro-Lamellenvorhang projiziert. Im Zentrum stehen jedoch zwei Schauspieler und eine Schauspielerin. Alle sind im seriösen Business-Anzug gekleidet.
Drei Schaupieler: "Wir drei ziehen das Ding durch, weil wir die Steuer haben wollen, die nie gezahlt wurde. Alle Eckdaten in diesem Deal stehen von Vorneherein fest." – "Wir einigen uns auf die Kaufpreise." – "An- und Verkaufstag sind untereinander abgesprochen." – "Die Dividenden stehen lange im Voraus fest." – "Wir wollen nur dieses Steuergeld klauen. Mehr nicht." – "Also, wer nicht damit leben kann, das wegen unseren Geschäften weniger Kindergärten gebaut werden, der ist hier falsch." – "Ja, ja, passt schon."
Das Theater kann schnell reagieren
Aus dem Fernsehen oder von der Kinoleinwand kennt man die filmische Aufarbeitung von Finanzpolitskandalen und anderen Großverbrechen. Allerdings erscheinen sie erst Monate, manchmal Jahre, nach den Ereignissen. Das Theater kann jenseits von Set und aufwendigem Dreh viel schneller reagieren. Trotzdem passiert das selten. Der Verdienst der Inszenierung "Cum-Ex Papers" liegt in der schnellen Umsetzung. Dabei sei es nicht das Anliegen, sich in den Menschen hinter dem Insider einzufühlen...
Helge Schmidt: "... sondern, es geht eigentlich eher darum, den als Prototyp zu verstehen. Um zu begreifen, wie denken die und aus was für einer Welt kommt der."
Das gelingt den drei Schauspielern auch, die mit Verve und Ernst die Cum-Ex-Industrie spielen, und größtenteils den Originaltext sprechen, den der Insider im Fernsehen vorgegeben hat.
Schauspielerin: "Es ging nicht mehr um Zahlen. Nicht mehr um die nächste Million. Es ging um den Thrill. Es ging um die Herausforderung, schlauer zu sein als alle anderen. Wir sind die Schlausten, wir sind die Genies, und ihr seid alle doof."
Komplizierter Stoff
Dennoch ist das Stück im Stil eines Wirtschaftsthrillers mit zwei Stunden Spielzeit etwas langatmig, trotz humorvoller Einlagen. Der Stoff bleibt kompliziert. Außerdem stellt sich die Frage: Wie viele Menschen erreicht ein Theaterstück in einem kleinen Off-Theater in Hamburg-Bahrenfeld? Trotzdem, der Journalist und Chefredakteur vom Recherchezentrum Correctiv, Oliver Schröm, setzt auf das Theater als Medium.
Oliver Schröm: "Theater ist nochmal eine andere Facette, hat auch den Vorteil, dass man sich aus dramaturgischen Gründen nicht so an die Fakten halten muss – also man kann voll auf die Emotion setzen. Was als Journalist nicht möglich ist. Ich muss mich an die Fakten halten, und manchmal sind die Fakten etwas sperrig. Da kann Theater über eine Hürde hinweghelfen, indem es halt total emotionalisiert und die Leute ganz anderswo abholt."
Zwei Schauspieler im Dialog: "Was machen die mit dem Geld?" – "Man kauft sich die Insignien der Macht, des Wohlstands. Man kauft sich einen Porsche. Weil ich auch immer schon gedacht habe, die Menschen, die einen Porsche fahren, das sind die besseren Menschen. Ja, da lachen sie vielleicht heute drüber, aber so habe ich wirklich gedacht" – "Besser? Besser im Sinne von moralisch höherwertig? Oder was heißt besser?" – "Nein, nein, nicht moralisch. Ich habe einfach gedacht, da oben scheint immer die Sonne, da willst Du hin."
Eine Frage der Moral
"Cum-Ex Papers" fragt auch nach der Moral. Damit stellt das Stück auch der Politik ein Armutszeugnis aus. Denn warum findet dieser Diskurs auf einer kleinen Theaterbühne statt und nicht viel stärker im Parlament? Die Kunst – in diesem Fall im Zusammenschluss mit dem Journalismus - macht das, was die Politik seit Jahren versäumt.
Schauspieler: "Ich erwarte, dass wir unsere Zuschauer sensibilisieren für dieses Thema." – "Teil davon zu sein, dass das, diese Art von Betrug, nicht mehr möglich ist. Das fände ich am allerbesten."