Jürgen Zurheide: Der Chefredakteur der türkischen Zeitung "Cumhuriyet", Can Dündar, ist zu knapp sechs Jahren Haft verurteilt worden, weil er unter anderem - mit einem Kollegen gemeinsam - einen Bericht geschrieben hat über Waffenlieferungen der Türkei nach Syrien. Dieser Bericht ist besonders von Staatspräsident Erdogan angegriffen worden und die Gerichtsverhandlungen haben wesentlich stattgefunden, weil Erdogan das so wollte. Can Dündar ist verurteilt worden, dann hat er allerdings seinen Pass bekommen, er ist zunächst auf freien Fuß gesetzt worden, ist inzwischen in einem europäischen Land, wir sagen bewusst nicht, wo er ist. Wir hatten gestern die Gelegenheit, mit ihm zu telefonieren angesichts der aktuellen Ereignisse. Und meine erste Frage an ihn war: Er ist eben zu dieser Haftstrafe verurteilt worden, ob er denn etwas darüber weiß, dass er möglicherweise auch auf einer der Listen derjenigen steht, die als Journalisten im Moment verhaftet werden sollen. Das war meine Frage gestern.
Can Dündar: Also, es gibt Gerüchte, es ist keine Entscheidung der Regierung, es würden viele Journalisten nach dem Militärputsch in Haft gesteckt. Ich kann natürlich nicht den Gerüchten trauen, aber ich werde zurückgehen, es ist mein Land natürlich. Wir müssen dort kämpfen. Den Gerüchten kann ich nicht trauen, aber natürlich ist da eine Art Angst unter vielen Journalisten, dass dort eine neue Welle von Inhaftierungen läuft und noch kommen wird.
Zurheide: Der Militärputsch ist gescheitert, aber wie würden Sie das nennen, was Erdogan im Moment betreibt?
Dündar: Das ist ein antidemokratischer Interventionsversuch gegen eine antidemokratische Regierung. Natürlich müssen wir die Rechte einer demokratischen Regierung gegen eine solche Intervention verteidigen, aber Erdogan hat diese Intervention genutzt, um seine eigene Macht zu vergrößern. Wir waren besorgt über die Militärintervention gegen die türkische Regierung, aber jetzt ist das ersetzt worden durch eine Art Polizeistaat - wir wollen aber weder das eine noch das andere, weder die Militärintervention noch den Polizeistaat. Wir sind gegen jede Form von aggressiver Regierung. Was wir brauchen, ist eine demokratisch gewählte Regierung.
Zurheide: Kanzlerin Merkel hat der deutschen Öffentlichkeit am Donnerstag gesagt, sie sei betroffen und besorgt über das, was in der Türkei passiert. Reicht das?
"Diese furchtbare Situation wird immer schlimmer, von Tag zu Tag"
Dündar: Es ist etwas spät, besorgt zu sein. Ich hoffe, die Kanzlerin wird ihre Verantwortung anerkennen, denn sie war eine der größten Unterstützerinnen von Erdogans Regierung. Deshalb ist es etwas spät, nur besorgt zu sein. Wir brauchen mehr im Moment.
Zurheide: Welche Reaktion, Can Dündar, hätten Sie denn erwartet von der deutschen Regierung?
Dündar: Die türkische Regierung muss vor weiteren anti-demokratischen Schritten gewarnt werden. Wissen Sie, diese Art von Notfall ist nichts anderes als Kriegsrecht, das ist kein demokratisches Regieren mehr. Diese furchtbare Situation wird immer schlimmer, von Tag zu Tag. Die europäischen Regierungen müssen da besonders genau hinschauen, sie müssten eigentlich den demokratischen Prozess und die demokratischen Kräfte in der Türkei unterstützen.
Zurheide: Sollte Europa all die Gespräche mit der Türkei stoppen oder ist es wichtig, gerade in dieser Phase miteinander zu reden – auch wenn man weiß, dass die Situation in der Türkei alles andere als demokratisch ist?
Dündar: Die Gespräche jetzt abzubrechen, wäre eine Bestrafung für die Menschen; für Menschen wie uns, die wir immer noch an die Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union glauben. Wenn das passiert, würde die Türkei einen anderen Weg gehen und sich Russland oder Asien annähern. Sie müssten aber die demokratischen Kräfte in der Türkei unterstützen und sie verteidigen, und nicht die Regierung der Türkei und den Polizeistaat.
Zurheide: Wenn Sie Frau Merkel treffen würden: Was würden Sie ihr erzählen, was würden Sie ihr persönlich sagen?
"Eine Enttäuschung für alle demokratischen Kräfte in der Türkei"
Dündar: Also, ich war im Gefängnis, als Journalist. Ich war dort wegen einer wahren Geschichte über die Verwicklung der Türkei in den syrischen Krieg. Und da kam Frau Merkel in die Türkei um Herrn Erdogan zu besuchen und Herrn Davutoglu, den damaligen Premierminister. Sie hatten zusammen eine Pressekonferenz. Einer der deutschen Journalisten fragte sie, ob es Journalisten in türkischen Gefängnissen gebe, und der türkische Premierminister antwortete, es gebe keine Journalisten in türkischen Gefängnissen. Ich war zu diesem Zeitpunkt als Journalist in einem türkischen Gefängnis. Ich hätte erwartet, dass Kanzlerin Merkel die Gelegenheit genutzt hätte, etwas über Pressefreiheit zu sagen, über Rechtsstaat oder Demokratie in der Türkei. Aber leider, sie sagte nichts. Natürlich war das eine Enttäuschung für mich, nicht nur übrigens für mich, das war eine Enttäuschung für alle demokratischen Kräfte in der Türkei, die an die europäischen Werte glauben, die an Demokratie, Menschenrechte und Pressefreiheit glauben. Diese Enttäuschung hält an!
Zurheide: Thankyou so far, Can Dündar, herzlichen Dank! Und hinzuzufügen ist vielleicht noch, dass Can Dündar seine letzte Antwort außerordentlich zurückhaltend formuliert hat. Wie wir wissen, hat er dieses Interview und diese Pressekonferenz selbst im Gefängnis verfolgt und deshalb hat er uns das so gerade erklärt. Das war also Can Dündar, der Chefredakteur von "Cumhuriyet", der sich im Moment an einem unbekannten Ort aufhält, den wir auch hier nicht preisgeben werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.