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"Cykeltur" auf dänisch
Radfahren in Kopenhagen

Parkplätze weg, Radwege her, mit diesem Konzept hat Kopenhagen nicht nur die Pendler aufs Fahrrad gesetzt, sondern auch Touristen angelockt. Sie kommen aus ganz Europa und aus Übersee zum stressfreien Radeln in die dänische Hauptstadt, und mancher wünscht sich wohl ein Stück vom dänischen Fahrradwunder für die eigene Heimat.

Von Erhard Bultze |
    Jeder zweite Einwohner Kopenhagens fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit, wie hier fotografiert am 6.2.2014 auf dem Sotorvet. Foto: Thomas Uhlemann
    Jeder zweite Einwohner der dänischen Hauptstadt Kopenhagen fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit. (picture-alliance / dpa / Thomas Uhlemann)
    Zuerst zur "Kleinen Meerjungfrau", das muss einfach sein. Weiter zum Botanischen Garten. Und zu einem hippen Designladen. Alles in anderthalb Stunden. Und dann eine kleine Erfrischung: im Hafenwasser! Das schwimmende Freibad ist nur zehn Minuten "Cykeltur" vom Rathausturm entfernt.
    Und zum "Runden Turm" von 1642 - beste Aussicht auf viele andere Türme! -, da radeln wir auch noch hin.
    Und da kommt: die Königliche Garde! Die Ablösung marschiert zum Wachwechsel vor Schloss Amalienborg.
    Die Autos fahren im Schritttempo hinterher; auf dem Radweg haben wir die uniformierten Jungs zügig überholt. Und sind 20 Minuten später im beschaulichen alten Kanalviertel, wo Sightseeing-Boote an Wohnschiffen vorbeigleiten, an Motorjachten und Familien im Ruderbötchen.
    Beim Glockenspiel von der Kirche mit der Turmspirale machen wir Picknick an der Kaikante. Und lassen die anderen Radfahrer Revue passieren: Da kommt einer im Business Dress, dort, auf einem Omarad, ein Mädel mit Strohhut. Und eins der vielen Lastenräder mit breiter Ladefläche wird gerade auf die Kanalbrücke bugsiert: Da hat ein junger Vater sein Söhnchen geladen - und auch die Mama.
    "Überall sind Radwege dazugekommen"
    Den "Straßenverkehr als Balanceakt" besingt das Lied "Faerdsel" von 1935: "Gib dich dem Rhythmus hin!", heißt es da, und es geht um chromglänzende Lenker, um "kleine Damenschuhe, die in die Pedale treten" und "schnurgerade Fahrradwege".
    Von diesen schwärmt heute eine rumänische Wahlkopenhagenerin:
    "Überall sind Radwege dazugekommen, seitdem sie vor sieben Jahren aus Rumänien kam. Sie hat auch ein Auto, doch hier in Kopenhagen, da sei alles wirklich viel einfacher mit dem Fahrrad."
    Es gibt Fahrradstraßen, besondere Routen durch Grüngürtel und Radschnellwege, die ins Umland führen. Zwei davon sind in Betrieb, geplant ist ein Netz von 500 Kilometern. Und während der Rushhour haben die "Cyklister" auf ein paar Hauptverkehrsstraßen sogar "Grüne Welle" bei Tempo 20.
    Muss man doch mal bei Rot warten, braucht man an mancher Ampelkreuzung noch nicht mal abzusteigen: Da ist nämlich an der Absperrung zum Gehsteig eine Fußstütze!
    Nirgends in Dänemark wird so viel geradelt wie im alten Arbeiterviertel Nörrebro. Hier wurde ein großes Stück der Hauptstraße komplett für Autos gesperrt und der Radweg ist noch breiter als sonst. Da fährt man schon mal zu dritt nebeneinander - und steht vor der Ampel im Stau:
    "Bei so viel Rädern kommst du halt nicht in der ersten Grünphase mit rüber", sagt Ionee. Die Architektin bringt ihren kleinen Sohn jeden Morgen mit dem Fahrrad zum Kindergarten. Sie hatte mal ein Auto, aber das fehlt ihr nicht. Sie liebt ihr Rad!
    Dänisches Street-Design
    Kopenhagen gilt schon lange als Fahrradstadt, doch erst seit den 80er-Jahren wird der Stadtraum den Autos Stück für Stück wieder abgerungen: weniger Parkplätze, höhere Gebühren. Das ergibt: weniger Autos. Und ermöglicht neues Design für Straßen und Plätze, manche ganz ohne Autos.
    Viele Altstadtgassen müssen sich Fußgänger und Radfahrer weiter mit ein paar Autofahrern teilen. An allen Boulevards aber sind Radwege vom Feinsten. Hier fließt zur Rushhour ein Strom von Radlern schnell dahin, und wer in der Kolonne nicht recht in Schwung kommt, dem wird schon mal "Idiot!" zugerufen.
    "Touristen kennen die ungeschriebenen Regeln nicht", sagt Ionee: Zum Beispiel, dass man die Überholspur gleich wieder freimacht und wenn man anhalten will Zeichen gibt - und mit angewinkeltem Arm die Hand hebt. Dann kann der Hintermann rechtzeitig überholen oder abbremsen.
    Gerade sind ihr vier Amerikaner in die Quere gekommen und abgebogen, ohne die Hand rauszuhalten.
    "Die bräuchten eigentlich erst mal einen Radfahrkursus. - Die gefährden ja sich und andere, wenn sie wie Vierjährige herumeiern!"
    Wer ein Fahrrad mietet, sollte auch wissen, wie Linksabbiegen geht: Dazu fährt man nämlich nicht in die Mitte der Kreuzung, sondern geradeaus weiter, überquert also die einmündende Straße, hält an der Ecke und wartet auf Grün für den Querverkehr. - So steht es auch in dem Faltblatt, das Kopenhagen-Besucher rät: "Machen Sie Ihre erste Fahrt nicht während der Rushhour. Und suchen Sie sich einen breiten Radweg aus."
    Die erste "Cykeltur" macht man am besten am Sonntag. Zum Strandpark am Öresund zum Beispiel. Da kann man auf einer künstlichen Badeinsel zwischen Dünen herumkurven.
    Und nervt mal der Gegenwind, steigt man einfach mit seinem "Cykel" in die Metro. Auch die Kopenhagener S-Bahn nimmt Räder mit, sogar kostenlos, verrät Jonas Pedersen, fahrradbegeisterter Student. Die S-Bahn hat sogar spezielle Wagen mit Haltevorrichtungen:
    "Sehr praktisch, aber sie sind zu Spitzenzeiten proppevoll", erzählt Jonas: "Und wenn einer mit seinem Rad mittendrin steht und damit dann aussteigen will, müssen alle gut kooperieren: 'Ich schiebe mein Rad hier hin und du deins da hin, dann schafft er das noch rechtzeitig bis zum Ausstieg!'"
    Hoch hinaus am Hafen
    Und dann zeigt uns Jonas die Fahrrad-Hochstraße am Hafen: Da radelt man, auf rot gefärbter Fahrbahn, zwischen Bürobauten zu einer Straßenüberführung hinauf und überquert dabei ein Hafenbecken - in einem elegant geschwungenen S.
    "Hier musste man früher sein Rad eine Treppe raufschleppen, zwei Etagen hoch! Und das taten Tausende von Radlern zwei Mal am Tag. Seit es hier nun die Fahrradschlange gibt, tritt man einfach ein paar Mal in die Pedale - und gleitet sanft in die Höhe. Und außerdem ist die Brücke doch wirklich schön!", sagt Jonas. Auf die sei er als Kopenhagener stolz.
    Weitere Fahrradbrücken sind geplant oder im Bau, eine davon hat Olafur Eliasson entworfen: eine Brücke aus fünf zueinander verschobenen Kreisen, zwei davon gleiten zur Seite, wenn ein Boot in den Kanal will; und weil von jedem Kreis ein Mast aufragt, wirkt das Ganze wie ein Mastenwald.
    Jeden Monat kommen in Kopenhagen tausend neue Einwohner dazu. Und immer mehr Räder. Fahrradständer sind knapp. Vor allem an Bahnhöfen stehen Hunderte "Cykler" dicht an dicht. Oder liegen, umgekippt, aufeinander. Fragt sich: Wohin mit dem eigenen?
    "Schwierig, aber nicht unmöglich", sagt dieser Kopenhagener und späht nach einer Lücke, in die er seins noch reinheben kann. Und später, wenn er das Rad wieder braucht, muss er es erst mal wiederfinden.
    "Der Platz vor dem S-Bahnhof ist kaum noch zu sehen. Da wächst bald Gras zwischen all den Rädern!", sagt dieser "Cyklist".
    Früher mal hat Henrik mit einer Fahrradrikscha Touristen herumkutschiert. Er zählt ein paar Straßen auf, wo die Radwege zu schmal sind. Und einige wenige, wo noch einer fehlt:
    "Nicht bloß eine aufgemalte Fahrradspur, sondern über dem Straßenniveau, von fahrenden und parkenden Autos durch einen Bordstein getrennt - und durch einen weiteren vom Gehweg."
    Gute Radwege gibt es auch in Jütland, wo Henrik aufgewachsen ist. Doch was sich tagtäglich auf den Kopenhagener Radwegen abspielt, davon ist er noch immer beeindruckt:
    "Du fährst morgens über die Königin-Louise-Brücke ins Zentrum, wenn über den Dächern die Sonne aufgeht. Und gleich hinter der Brücke, da steckst du in einem echten Fahrradstau, denn über diese Brücke kommen täglich 30-40.000 Radler. Und das ist doch fantastisch", sagt Henrik, "ein Teil dieser Bewegung zu sein!"