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"Da ist natürlich ein Stück Symbolkraft dahinter"

Markus Löning, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, hat sich enttäuscht über die erneute Verurteilung des Kremlkritikers Chodorkowski geäußert. Vor Ort habe er den Eindruck gewonnen, dass die Staatsanwälte keine Leute seien, die "nach Ratio" verhandelten.

Markus Löning im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Dass der ehemalige Ölmagnat und Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski schuldig gesprochen wurde bei seinem zweiten Prozess in Moskau, davon waren die meisten Beobachter ausgegangen. Alles andere wäre eine Riesenüberraschung gewesen, nicht allerdings, weil die Beweise gegen ihn und den Mitangeklagten Lebedew so erdrückend gewesen wären, sondern weil für viele Beobachter offensichtlich war: Das Urteil stand bereits im Vorfeld fest. Und so ist Chodorkowski tatsächlich wegen des angeblichen Diebstahls von Erdöl schuldig gesprochen worden. Das Strafmaß wird in den kommenden Tagen erwartet. Am Telefon begrüße ich Markus Löning von der FDP, er ist der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung. Guten Morgen; Herr Löning!

    Markus Löning: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Löning, westliche Länder wie Deutschland und die USA haben gesagt, der Chodorkowski-Prozess sei ein Test für die Reformversprechungen Präsident Medwedews, und bei diesem Test ist Russland krachend durchgefallen, oder?

    Löning: Ja, das ist sehr enttäuschend, muss man sagen, was wir da erlebt haben, das reiht sich vor allem leider in eine Reihe von Enttäuschungen ein. Auf der einen Seite sehen wir Herrn Medwedew, wie er vieles verspricht, er sagt, wir wollen unser Land modernisieren, die Rechtsstaatlichkeit soll auch in Russland einziehen, und dann auf der anderen sehen wir aber eben jenseits der Ankündigungen, in der faktischen Politik: Das Geheimdienstgesetz wird verschärft, der Geheimdienst hat mehr Möglichkeiten, in die Rechte der Bürger einzugreifen. Wir sehen, dass die Demokratie schrittweise zurückgedrängt wird, wir sehen Polizisten… wir sehen Journalistenmorde, die nicht aufgeklärt werden, wir sehen eine Presse, die immer abhängiger wird und immer weniger frei ist, und nun sehen wir dieses Urteil gegen Herrn Chodorkowski und gegen Herrn Lebedew, das eindeutig politisch motiviert ist. Das ist schon seine sehr, sehr große Enttäuschung, muss man sagen.

    Heckmann: Was ist denn das Motiv für dieses Vorgehen aus Ihrer Sicht – Herrn Chodorkowski aus dem Feld zu schlagen, ihn beiseite zu lassen bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2012?

    Löning: Da kann man über vieles spekulieren. Ich kann nicht in die Köpfe der Herren hineinschauen, die so etwas entscheiden. Was ich sagen muss: Da ist natürlich ein Stück Symbolkraft dahinter. Michail Chodorkowski ist derjenige unter den russischen Dissidenten, wenn man ihn so nennen kann, die am deutlichsten und mit der größten öffentlichen und weltweiten Resonanz sich dafür einsetzen, dass Russland demokratischer wird, dass rechtsstaatliche Grundsätze auch in Russland gelten. Er hat Oppositionsparteien finanziert, er hat unabhängige Medien finanziert, und er steht damit natürlich für eine Menge mutiger Leute, die in Russland für Menschenrechte, für Bürgerrechte kämpfen und die alle unter Druck sind. Insofern – es liegt schon eine gewisse Vermutung dahinter, dass da jemand symbolisch abgestraft werden soll.

    Heckmann: Herr Löning, Sie sprechen von politischer Willkürjustiz. Vize-Regierungssprecher Steegmans ist da weit zurückhaltender. Er hat gestern gesagt: Die Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahrensschritte stehe auf dem Prüfstand, und eine genaue Bewertung sei erst dann möglich, wenn die Urteilsbegründung vorliegt. Über welche Erkenntnisse verfügen Sie, über die der Kanzlersprecher nicht verfügt?

    Löning: Also es ist selbstverständlich richtig, dass wir ein abschließendes Bild von dem ganzen Prozess und auch von dem Urteil uns erst machen können, wenn die Urteilsbegründung vorliegt und dann auch das Strafmaß vorliegt

    Heckmann: Aber Sie haben sich ja schon bereits ein Bild gemacht, Sie sprechen von politischer Willkürjustiz.

    Löning: Ich bin vor Ort gewesen und ich habe mich natürlich mit denjenigen unterhalten, die den Prozess seit Monaten beobachten, und dabei sind ein paar Dinge schon sehr auffällig. Sie sehen dann, wenn Sie in diesem Gerichtssaal sind, auf der einen Seite eine ziemlich hilflose und im Grunde total überforderte Staatsanwaltschaft, die dann wirklich agiert wie eine Marionette. Sie sehen einen Richter, dem es schwerfällt, irgendwie bei der Sache zu bleiben, und sie sehen auf der anderen Seite zwei Angeklagte mit ihren Anwälten, die sehr genau wissen, worüber es geht, worum es geht.

    Und wenn Sie das erleben, dann sehen Sie, dass diese Staatsanwälte sozusagen, dass es ihnen offensichtlich nicht darum geht, aus eigenem Antrieb zu handeln, sondern Sie kriegen ein sehr gutes Gefühl dafür, dass hier mit, sagen wir mal, ob das eine Order ist oder eine gefühlte Order ist, oder ob das nur das Gefühl ist, man müsste in eine bestimmte Richtung, das kann man natürlich nicht sagen, aber Sie sehen, das sind keine Leute, die nach Ratio verhandeln, die nach Vernunft verhandeln.

    Und vor allem – und das ist glaube ich ein ganz, sind zwei entscheidende Indizien –, Sie haben in dem ersten Prozess gesehen, dass Chodorkowski und Lebedew eben verurteilt wurden dafür, dass sie angeblich Steuern auf Erdölverkäufe nicht geleistet haben, und Sie sehen jetzt im zweiten Prozess dass so gesagt wird, na ja, genau dieses Öl haben sie eben nicht verkauft, sondern sie haben es geklaut. Da kann nur eines von den beiden stimmen, und die Zeugen, die die Staatsanwaltschaft aufgefahren hat, konnten eben die Vorwürfe auch nicht belegen, im Gegenteil, es war so, dass der ehemalige Wirtschaftsminister Herr Gref oder der ehemalige Premierminister Michail Kasjanow, die ausgesagt haben, ganz klar: Das ist unmöglich, niemand kann über 200 Millionen Tonnen Erdöl klauen, ohne dass die Regierung es mitbekommt.
    Heckmann: Und dennoch spricht die Bundesregierung ganz offensichtlich nicht mit einer Stimme. Kann das daran liegen, dass sich die Bundesregierung es sich mit Moskau nicht verderben will?

    Löning: Nein, die Bundesregierung spricht selbstverständlich mit einer Stimme, wir sind da in sehr enger Abstimmung, und die Einschätzungen sind da völlig parallel.

    Heckmann: Gut. Sie drücken das wesentlich deutlicher aus als der Regierungssprecher Steegmans.

    Löning: Nun, ich bin vor Ort gewesen, ich habe mir das angeschaut, insofern ich denke, das ist wichtig, dass hier auch klar das benannt wird, was passiert ist, und der Regierungssprecher sagt aber im Grunde dasselbe wie das, was ich auch sage, ich sehe da überhaupt keinen Widerspruch.

    Heckmann: Herr Löning, Ihrer Analyse nach ist Russland noch weit von rechtsstaatlichen Prinzipien entfernt. Was folgt eigentlich aus dieser Analyse, oder folgt eigentlich gar nichts?

    Löning: Nun, es folgt daraus, dass wir selbstverständlich gegenüber Russland weiterhin darauf hinweisen und weiterhin, wie wir das in den letzten Jahren ja auch schon gemacht haben, immer darauf hinweisen, wie wichtig Rechtsstaatlichkeit für das Vertrauen der Bürger sowohl innerhalb des Staates ist, für die Einhaltung von Menschenrechten, zu denen sich ja Russland auch verpflichtet hat international und auch anhand seiner eigenen Gesetze, aber selbstverständlich ist natürlich Rechtsstaatlichkeit auch etwas, das Vertrauen schafft zwischen Staaten. Und wir wollen natürlich die Beziehungen ausbauen mit unseren Partnern, dazu zählt Russland, und deswegen ist es wichtig, dass Rechtsstaatlichkeit, dass wir da auf Vertrauen bauen können, auch mit unseren russischen Partnern.

    Heckmann: Das heißt, mehr als Apelle sind nicht möglich?

    Löning: Die Bundesregierung hat in den letzten Monaten, letzten Jahren immer eine sehr klare Sprache gesprochen, wenn ich daran erinnern darf, wie deutlich die Bundeskanzlerin das in den letzten Jahren angesprochen hat, ganz anders als ihr Vorgänger zum Beispiel, und wie klar auch Außenminister Westerwelle das angesprochen hat, auch anders als seine Vorgänger. Ich glaube, die Bundesregierung legt da sehr großen Wert auf die Einhaltung der Menschenrechte, auf die Einhaltung von rechtsstaatlichen Standards. Das wird immer wieder angesprochen, und das heißt auch zum Beispiel, dass wir Leute, die sich in Russland engagieren für Rechtsstaatlichkeit, für Bürgerrechte, für Menschenrechte, dass wir die auch in Zukunft stark unterstützen werden.

    Heckmann: Herr Löning, Sie werden mit den Worten zitiert, die Europäische Union solle darüber nachdenken, Richter und Staatsanwälte, die eben an solchen Verfahren beteiligt sind, die Einreise zu verweigern. Diese Forderung erheben Sie jetzt nicht mehr?

    Löning: Das ist eine der Möglichkeiten, über die man nachdenken sollte. Ich glaube, dass sich Leute, die in Funktionen wie Staatsanwälte, wie Richter, die das Recht mit Füßen treten, die das Recht beugen so ganz offensichtlich, dass die Europäische Union sich da persönliche Maßnahmen gegen diese Menschen überlegen sollte. Das muss man sorgfältig machen, das muss man abstimmen mit den Partnern, aber aus meiner Sicht ist das einer der Punkte, die man unternehmen könnte, um klar zu machen: Das ist für uns Europäer nicht akzeptabel, was in solch einem Prozess passiert.

    Heckmann: Müsste aber dann nicht folgerichtig eigentlich auch Putin und Medwedew die Einreise verweigern? Denn Ihrer Einschätzung nach ist der Kreml ja dafür verantwortlich.

    Löning: Ich glaube, dass man sehr sorgfältig die Situation sich anschauen muss, dass man anschauen muss, was ist sinnvoll, was hat auch gegebenenfalls einen gewünschten Effekt? Ich glaube, man muss da vernünftig vorgehen, man muss da mit Augenmaß vorgehen, und man sollte da nicht in der Hitze des Gefechts vorpreschen.

    Heckmann: Präsident Medwedew, Herr Löning, der hat Ministerpräsident Putin indirekt gerüffelt und hat ja auch eine Stärkung des Rechtsstaats auf sein Programm genommen. Müsste man ihn nicht ermuntern, diesen Weg fortzusetzen, statt ihn zu kritisieren?

    Löning: Selbstverständlich, und das ist auch das, was wir tun, was wir von ihm einfordern, was wir insgesamt von Russland einfordern, immer wieder, das, was angekündigt wird, wo ja viele Menschen große Hoffnungen auch reinsetzen, was ja Medwedew bei verschiedenen Anlässen angekündigt hat, was er jetzt auch wieder angekündigt hat, dass diesen Ankündigungen eben auch Taten folgen müssen. Ich sehe das leider zurzeit nicht. Es gibt in einigen Bereichen winzige Fortschritte, aber in den großen Linien sehe ich eben diese Fortschritte nicht, und es ist wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, wie wichtig es ist, dass Menschenrechtsstandards, dass rechtsstaatliche Standards eingehalten werden. Auch russische Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, dass sie geschützt sind.

    Heckmann: Live hier im Deutschlandfunk Markus Löning, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung von der FDP. Herr Löning, ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Löning: Sehr gerne!