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"Da muss es Konsequenzen geben"

Für die Dauer von Leiharbeitsverträgen müsse es Grenzen geben, findet Hubertus Heil, Vizechef der SPD-Fraktion im Bundestag. In den letzten Jahren sei diese Beschäftigungsart "auf breiter Front" dazu genutzt worden, Löhne zu drücken. Im Fall von Amazon warnt er vor "schamloser" Ausbeutung.

Hubertus Heil im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Es ist ja wirklich so praktisch: Wer ein Geschenk sucht, ein Buch, sagen wir, eine DVD, einfach im Internet "Amazon" anklicken. Es ist ja ein US-amerikanischer Internethändler. Die Umsatzzahlen von Amazon in Deutschland explodieren. Viele Fachgeschäfte leiden darunter. Seit letzte Woche wissen wir, warum Amazon auch so erfolgreich ist. Das Unternehmen setzt in seinen Logistikzentren in Deutschland Leiharbeiter ein, die schlichtweg ausgebeutet werden. Viele kommen aus Spanien, können sich nicht wehren, weil sie kein Deutsch können. Ein Sicherheitsunternehmen schnüffelt in ihren Wohnungen herum, die Leiharbeiter werden teilweise sogar überhaupt nicht bezahlt. Das nennt sich dann "betriebliches Trainingsprogramm". Ein krasses Beispiel, wie schlecht Leiharbeiter behandelt werden. Wer schiebt dem allem endlich einen Riegel vor und wie? – Hubertus Heil ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Heil!

    Hubertus Heil: Schönen guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Haben Sie schon mal bei Amazon bestellt?

    Heil: Ich nicht. Ich glaube aber, in meiner Familie haben wir auch schon mal da bestellt. Aber ich nicht persönlich; wenn, dann meine Frau.

    Meurer: Würden Sie zurzeit wieder bei Amazon bestellen, oder Ihre Frau?

    Heil: Nein. Ich glaube, im Moment hätte ich da ein sehr, sehr ungutes Gefühl. Deshalb sage ich, es muss aufgeklärt werden, was da passiert ist. Wenn die Vorwürfe stimmen, ist das wirklich ein handfester Skandal. Wenn da Menschen ausgebeutet werden, wenn die Not von Menschen aus anderen Teilen Europas ausgenutzt wird, und zwar schamlos, wenn Menschen bespitzelt werden, wenn Arbeitnehmerrechte mit Füßen getreten werden, dann ist das nicht zu tolerieren. Das muss aufgeklärt werden, da muss es Konsequenzen geben. Ich befürchte nur, dass dieser Einzelfall nur die Spitze des Eisberges ist, wenn wir über den Missbrauch von Leiharbeit in Deutschland reden.

    Meurer: Was ist denn der Eisberg?

    Heil: Wir haben vor Jahren eine Diskussion gehabt in Deutschland über die Frage der Sinnhaftigkeit von Arbeitnehmerüberlassung, von Zeitarbeit. Der ursprüngliche Sinn von Leiharbeit, nämlich Auftragsspitzen von Unternehmen abzudecken, der ist vollkommen in Ordnung. Aber Leiharbeit ist auf breiter Front zu einem Instrument von Lohndrückerei geworden, und deshalb müssen wir dafür sorgen, dass nicht nur im Fall Amazon Konsequenzen gezogen werden, wenn die Vorwürfe stimmen, sondern dass wir eine neue Ordnung am Arbeitsmarkt bekommen. Und das heißt: gleicher Lohn für gleiche Arbeit zwischen Stamm- und Leihbelegschaften. Das muss geschehen und wir müssen Höchstüberlassungsdauern, das heißt eine Begrenzung der Leiharbeit machen. Das darf kein Dauerzustand werden, weil es für die Auftragsspitzen von Unternehmen gemeint ist.

    Meurer: An welche Grenze denken Sie denn?

    Heil: Ich glaube, dass man an ein Jahr denken muss. Wir müssen auch über die Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten, was den Einsatz von Leiharbeit betrifft, denken. Aber am wichtigsten ist der Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit, damit das kein Instrument von Lohndrückerei ist, und das ist die Aufgabe von Arbeitsministerin von der Leyen. Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum sie hier nur "Aufklärung" ruft, aber selbst nicht tätig wird.

    Meurer: Tut es Ihnen im Nachhinein doch leid, Herr Heil, dass ja die SPD selbst vor ungefähr zehn Jahren das alles vereinfacht hat und auch die Dauer der Leiharbeit erweitert hat?

    Heil: Wir haben tatsächlich versucht, damals die Leiharbeit aus der Schmuddelecke zu holen, wie man damals sagte. Aber es gibt Fehlentwicklungen. Wenn man die erkennt – und wir haben die vor einigen Jahren erkannt -, dann muss man gegensteuern. Dafür muss der Deutsche Bundestag Entscheidungen treffen. Wir haben entsprechende Anträge mittlerweile in den Bundestag eingebracht, die sind von Schwarz-Gelb sämtlichst abgelehnt worden, und ich sage, die Verantwortung liegt bei der Merkel-Regierung, jetzt dafür zu sorgen. Ich erlebe nur, dass bei FDP und CDU/CSU da wenig sozusagen Wille zur Gestaltung ist. Das muss sich jetzt dringend ändern und der Fall Amazon gibt Anlass dazu, im Deutschen Bundestag dieses Thema wieder aufzurufen.

    Meurer: Sie sagen, Sie wollen gleiche Arbeit haben. Vom ersten Tag ihrer Beschäftigung an sollen Leiharbeiter so viel Geld bekommen wie die regulär beschäftigten Kollegen?

    Heil: Man kann über kurze Einarbeitungszeiten immer reden, aber dann muss auch gelten, gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Es ist nicht zu tolerieren, dass zwei, die die gleiche Tätigkeit tun, unterschiedlich bezahlt werden. Das stiftet Unfrieden und das lädt gerade dazu ein, die Leiharbeit massenhaft einzusetzen, um Löhne zu drücken. Übrigens im Gesetz, im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, steht eigentlich schon der Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit, aber da gibt es eine Abweichungsmöglichkeit über die Tarifverträge, die oft missbraucht wurden in diesem Bereich. Davon und wie gesagt bei krassem Missbrauch, wenn das bei Amazon so stimmt, dann muss man auch stärker von dem Instrument Gebrauch machen, Überlassungsfirmen, die solchen Missbrauch betreiben, die Lizenz zu entziehen. Das kann heute schon die Bundesagentur für Arbeit und sie sollte es im Fall der Fälle auch tun.

    Meurer: Wir haben, ich glaube, ungefähr 16.000 Leiharbeitsfirmen. Zeigt nicht dieses Beispiel, dass eigentlich im Gesetz steht, gleicher Lohn und das wird dann ausgehebelt, dass hier eigentlich der Igel immer vor dem Hasen ist und die schwarzen Schafe der Verleihfirmen sich immer irgendwelche Tricks einfallen lassen, wie man das alles umgehen kann?

    Heil: Deshalb müssen wir über Zeit- und Leiharbeit hinaus über das reden, was wir "neue Ordnung am Arbeitsmarkt" nennen. Wenn es gelingt, den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit abzustellen, indem wir gleichen Lohn für gleiche Arbeit uneingeschränkt durchsetzen, dann ist das schon ein Riesenfortschritt. Aber Sie haben recht: Man muss dann aufpassen, dass nicht schwarze Schafe sich andere Wege suchen, zum Beispiel – und dafür gibt es heute schon Hinweise – eine massive Ausweitung des Missbrauchs von Werksverträgen in Deutschland bekommen. Deshalb brauchen wir insgesamt einen neuen Ansatz in der Arbeitsmarktpolitik. Wir müssen das Verhältnis von Sicherheit und Flexibilität neu vermessen am Arbeitsmarkt. Ich habe nichts dagegen, dass Unternehmen flexibel reagieren können. Dazu gehört eben auch Arbeitnehmerüberlassung. Aber dass immer mehr Menschen in prekäre Arbeit abgedrängt werden, das ist nicht zu tolerieren. Deshalb brauchen wir Regelungen bei der Leiharbeit, neue Regelungen auch gegen den Missbrauch von Minijobs und Werksverträgen und auch einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland. Das meinen wir mit "neuer Ordnung am Arbeitsmarkt".

    Meurer: Es gibt fast eine Million Leiharbeiter in Deutschland. Keine Branche boomt so sehr. Wollen Sie die Zahl herunterdrücken?

    Heil: Ja, wir wollen das begrenzen, ganz klar noch mal, auf den ökonomischen Sinn als flexibles Instrument, wenn die Unternehmen, wenn sie Auftragsspitzen haben zu bestimmten saisonalen Zeiten, die abgearbeitet werden müssen und befristet dort Leute auch eingestellt werden müssen, entweder befristet oder auch über Arbeitnehmerüberlassung. Es gibt auch, muss man sagen, seriöse Formen von recht qualifizierter Arbeit, aber in anderen Bereichen ist das zum Massenphänomen geworden, und das ist nicht der Sinn der Sache. Übrigens am Ende des Tages fällt das der gesamten Gemeinschaft der Steuerzahler und Sozialversicherungszahler auf die Füße, weil oftmals Menschen da so schlecht bezahlt werden, dass sie sich ergänzendes Arbeitslosengeld II vom Amt abholen müssen, in jedem Fall schlechte Anwartschaften für die Rente haben, die dann von der Grundsicherung abgedeckt werden müssen. Das heißt, diese prekäre Arbeit nützt einigen, die Menschen ausbeuten, aber sie schadet der Gemeinschaft der Steuerzahler, und deshalb müssen wir das ändern.

    Meurer: Sie haben die Leiharbeit mal verteidigt vor zehn Jahren in dieser Zeit. Damals hieß es bei der SPD, sozial ist, was Arbeit schafft. Gilt das nicht mehr bei der Leiharbeit?

    Heil: Noch mal: Bei der Leiharbeit haben wir solche Fehlentwicklungen erlebt und man muss aus Fehlentwicklungen auch lernen und Dinge korrigieren. Ich sage nicht, sozial ist, was Arbeit schafft, sondern sozial ist, was Arbeit schafft, von der Menschen auch leben können, und dazu gehört es, dass wir Arbeitnehmerrechten auch zur Geltung verleihen.

    Meurer: Hubertus Heil, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, heute Morgen im Deutschlandfunk zu Auswüchsen der Leiharbeit aus Anlass der Ermittlungen gegen den Internetkonzern Amazon. Herr Heil, besten Dank und auf Wiederhören nach Berlin.

    Heil: Danke Ihnen, alles Gute.

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