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"Da schmeißt Sarrazin alles durcheinander"

Sind Menschen bestimmter Herkunft von Natur aus dümmer? Einige Thesen von Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin suggerieren so etwas. Professor Ernst P. Fischer, Naturwissenschaftler an der Uni Konstanz, hält das für "platt" und "dumm".

Ernst P. Fischer im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Wenn es die Absicht von Thilo Sarrazin gewesen ist, die Werbetrommel für sein Buch zu rühren, das ist ihm voll und ganz gelungen. Nach dem Aufschrei um seine Kopftuchmädchen hat er jetzt mit Gedanken um jüdische Gene für einen neuen Eklat gesorgt. Der "Welt am Sonntag" hatte Sarrazin gesagt, es gebe eine genetische Identität von Bevölkerungen. Wörtlich: "Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen. Basken haben bestimmte Gene" und so weiter. Gestern hat er dann präzisiert, aktuelle Studien legten nahe, dass es in höherem Maße gemeinsame genetische Wurzeln heute lebender Juden gibt, als man bisher für möglich hielt. Professor Ernst P. Fischer lehrt Wissenschaftsgeschichte an der Uni Konstanz. Guten Morgen, Herr Fischer.

    Ernst P. Fischer: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Gibt es ein jüdisches Gen oder jüdische genetische Wurzeln?

    Fischer: Also es gibt jüdische genetische Wurzeln. Das ist etwas ganz anderes als zu sagen, es gibt ein jüdisches Gen. Das Wort Gen und das Wort Genetisch, die hängen nicht unmittelbar so einfach zusammen. Mein Lieblingsscherz an dieser Stelle ist immer, das Wort Genetisch kommt von Goethe, aber nicht von Genen her. Goethe hat das Wort schon im 18. Jahrhundert benutzt, aus ganz anderen Bedingungen, und wir sollten uns auch daran halten, und wie Goethe das gemeint hat, nämlich dass da etwas ist, was im Werden ist, eine Volksgemeinschaft, die im Werden ist, eine Intelligenz, die im Einzelnen im Werden ist, das ist natürlich genetisch in dem Sinne, dass es gemacht werden muss.

    Meurer: Aber dann war Thilo Sarrazin gestern also clever, wenn er korrigiert hat und von gemeinsamen genetischen Wurzeln heute lebender Juden spricht? Die gibt es also?

    Fischer: Wissenschaftler drücken sich da vorsichtiger aus. Genetische Wurzeln, das klingt wieder so, als ob das von einer bestimmten Genvariante ausgegangen ist. Was man feststellen kann ist, dass in diesem vielen genetischen Material, das wir jetzt haben und analysieren können, es bestimmte Formenvarianten gibt, die bei Juden deutlich häufiger vorkommen als bei anderen. Aber ich meine, so was wird es auch für Ostfriesen, Sauerländer und was weiß ich, Baden-Württemberger geben, wir müssen es nur nachgucken. Es hat halt keiner nachgeguckt. Wenn sie jetzt ein Genprojekt starten, die genetische Besonderheit von Ostfriesen rauszufinden, wird das nicht lange dauern und sie werden es wissen. Man wusste schon immer, dass es, wenn man so will, besondere jüdische Genvarianten gibt, weil es einzelne Erbkrankheiten gibt, die gerade bei Juden besonders häufig verbreitet waren. Jetzt beachten Sie bitte: Es geht immer nur um Häufigkeiten, um Wahrscheinlichkeiten, um Verteilungen, nicht um ein exakt in jedem Juden befindliches Stück, das sie finden können.

    Meurer: Das sagt ja insgesamt Thilo Sarrazin auch in der Diskussion, wenn es darum geht, um die Vererblichkeit von Intelligenz, es geht um eine Wahrscheinlichkeit von 50 bis 80 Prozent, dass Intelligenz vererbt wird. Kann Intelligenz sozusagen in ganzen Völkern vererbt werden? Ist ein Volk intelligenter als andere?

    Fischer: Da schmeißt Sarrazin alles durcheinander, was man durcheinanderschmeißen kann. Tatsächlich, dass es so etwas gibt wie eine jüdische Genvariante, oder jüdisches Gen, das liegt einfach an der Art, wie die Menschen gelebt haben. Die Juden waren immer in einer engeren Situation, die haben sich auch als Volk versucht zu etablieren, oder als Religion in einer gewissen Diaspora-Situation und vielen anderen Dingen. Und die Evolution, die im Laufe solcher Sachen, Jahre, Jahrhunderte stattfindet, sorgt eben dafür, dass dann bestimmte Häufigkeiten von Genen nur in der Gruppe zu finden sind, die man dann analysieren kann, der man dann einen Namen gibt, nämlich den Namen Juden, und dann kann man sagen, diese Gruppe hat eine bestimmte Genvariante, die sich identifizieren lässt. Das hat noch gar nichts mit Intelligenz zu tun, sondern es geht um Zugehörigkeiten zu einem Volk.

    Meurer: Es geht nur um Äußerlichkeiten wie Haarfarbe oder Ähnliches?

    Fischer: Zugehörigkeit zu einer Kultur. Sie gehören zu der Kultur der Juden, sie gehören zu der Kultur der Ostfriesen oder sie gehören zu der Kultur der Badenser. Das ist dann eine Zugehörigkeit. Wenn sie das über Jahrhunderte oder Jahrtausende machen, dann kann es gar nicht anders sein, als dass da eine bestimmte Form von Genen häufiger bei ihnen auftreten als bei Sauerländern, als bei Finnen, als bei Esten, als bei Russen oder so etwas.

    Meurer: Sagen die etwas aus über die Intelligenz?

    Fischer: Nein, überhaupt nicht, denn sie müssen ja fragen, unter welchen Bedingungen haben sich diese Gruppen durchgesetzt, unter welchen Bedingungen haben sich Ostfriesen durchgesetzt, unter welchen Bedingungen haben sich Juden durchgesetzt, und die haben dann eine bestimmte Qualität, mit der sie sich durchgesetzt haben, und dafür wird die Genvariante nützen. Intelligenz definieren wir ja als etwas, das in einem Test, Intelligenztest festgestellt werden kann. Das hat mit dem überhaupt nichts zu tun. Abgesehen davon würde ich niemals denken, dass dieser platte Ausdruck der Intelligenz was mit Genen zu tun hat in dem Sinne, dass Intelligenz ja etwas ist, was sie erwerben müssen. Sie müssen ja auch Sprache erwerben. Sie müssen bestimmte Sachen erwerben. Sie sind nicht von Anfang an Fußballspieler, sondern sie erlernen das in dem kulturellen Umfeld. Wenn sie in Japan aufwachsen, oder in den USA aufwachsen, oder in Deutschland aufwachsen, dann sind sie mit denselben Genen anderer Sportler, weil das sind ganz andere, oder dann sprechen sie eine andere Sprache und haben andere Fähigkeiten.

    Meurer: Was sagen Sie denen, Herr Fischer, die davor warnen, dieses ganze Gerede über unterschiedliche Gene der Völker führt schnurgerade in den Rassismus?

    Fischer: Ich würde das nicht so sehen. Ich denke, die Leute, die so argumentieren, sind schon rassistisch. Die brauchen nicht noch extra eine eigene Führung dafür, sondern die wollen ja gar nichts anderes hören. Da würde ich den Bibelspruch benutzen, "niemand ist so taub wie derjenige, der nichts hören möchte, niemand ist so dumm wie derjenige, der nichts lernen möchte".

    Meurer: Also das, was Sarrazin sagt, ist für Sie rassistisch?

    Fischer: Nein, ist einfach dumm. Ich würde das nicht als - - Wir reden ja jetzt nur über das, was Sarrazin zur Genetik, zur Wissenschaft sagt. Das ist etwas platt, das ist vielleicht auch dumm. Das andere ist ja, dass er dann daraus eine Abwertung von Muslimen vornimmt, eine Abwertung von bestimmten Menschen. Das hat ja zunächst mal mit Wissenschaft nichts zu tun, sondern das ist eine Bewertung. Diese Bewertung, die können wir jetzt diskutieren, aber dafür haben Sie mich nicht gefragt.

    Meurer: Ernst P. Fischer lehrt Wissenschaftsgeschichte an der Universität Konstanz, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk zu den Äußerungen von Thilo Sarrazin. Danke, Herr Fischer, und auf Wiederhören!

    Fischer: Ich danke Ihnen! Auf Wiederhören.