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"Da wird weiter zusammengestrichen"

Nach der Ankündigung General Motors, Opel im Konzern zu belassen, befürchtet der Wirtschaftswissenschaftler Max Otte weitere Einschränkungen für den Rüsselsheimer Autokonzern. GM werde sicherlich auf kurzfristige Optimierung, Renditen und Kürzungen setzen.

Max Otte im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Mit Arbeitsniederlegungen und Massenprotesten haben die 25.000 deutschen Opel-Beschäftigten ihrer Wut auf den US-Mutterkonzern General Motors Luft gemacht. Allein zu der Auftaktkundgebung am Stammwerk in Rüsselsheim kamen 10.000 Opelaner.

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    Des einem Leid ist des anderen Freud. In Großbritannien wurde die Entscheidung mit Genugtuung aufgenommen, auch in anderen Ländern auf dem alten Kontinent. Rund 55.000 Menschen arbeiten in Europa für Opel, zum Beispiel in Spanien.

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    Karl-Heinz Büschemann ist Automobilexperte der "Süddeutschen Zeitung". Er teilt die Wut und die Enttäuschung über die Entscheidung von General Motors nicht, wie er heute früh im Deutschlandfunk sagte.

    O-Ton Karl-Heinz Büschemann: "Es ist die beste unter allen möglichen Lösungen. Sie ist deswegen sinnvoll, weil die beiden Konzernteile, weil General Motors und Opel über Jahrzehnte aufeinander eingespielt sind. Man muss sich vorstellen, dass Opel innerhalb eines großen arbeitsteiligen Konzerns bestimmte Aufgaben hatte, die Entwicklung bestimmter Aufgaben für die gesamte Welt übernehmen musste und die Produktion von Autos für Europa. Wenn man das aus dem General-Motors-Konzern raustrennt, müsste General Motors so was ganz neu aufbauen. Umgekehrt ist ziemlich klar, dass Opel ohne General Motors nicht zurechtkommt."

    Heinemann: Karl-Heinz Büschemann von der "Süddeutschen Zeitung". Am Telefon ist der Kölner Wirtschaftswissenschaftler und USA-Experte Professor Max Otte, Autor eines Buches mit dem Titel "Amerika für Geschäftsleute". Guten Tag!

    Max Otte: Guten Tag, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Otte, es gab offenbar zwar unterschriftsreife Verträge, aber keine Unterschriften. Wie erklären Sie sich die große Überraschung in Deutschland und in Europa?

    Otte: Na ja, man hat ein Politspiel mitgespielt im letzten Herbst oder auch im letzten Jahr, wo man dachte, das sei wahlwirksam. Die Kanzlerin, auch Politstar zu Guttenberg, alle haben sie mitgespielt und haben gesagt, wir tun was für die Rettung.

    Aber letztlich hat die eine Seite Rugby gespielt und die andere Seite Fußball. Und das passt nicht zusammen. Wenn wir Fußball spielen und denken, die andere Seite würde das auch tun, dann haben wir eben falsch gedacht. Und das war fehlendes Wissen oder auch Blauäugigkeit.

    Heinemann: Was heißt Rugby und Fußball für die Zukunft von Opel?

    Otte: Ganz konkret hieße das, dass man im Kanzleramt natürlich auf die Zusagen, die ja vor einigen Monaten gemacht wurden, vertraut hatte. Es gab da das Bild, wo sie alle zusammenstanden, Steinbrück, die Kanzlerin, Guttenberg und alle, wie sie waren, und jemand, der das Bild geschossen hat, ein Bild durch ein Fenster geschossen hat, wie sie dann alle, abends oder nachts von einem Rechtsanwalt, sagen wir mal auf der dritten Ebene, düpiert worden war.

    Man hatte einfach auf mündliche Zusagen auch im Gespräch mit dem Präsidenten Obama vertraut. Und mündliche Zusagen bei Amerikanern sind zunächst einmal sehr mit Vorsicht zu genießen. Das sind Absichtserklärungen, aber es sind keinesfalls Zusagen, auf die man bauen kann.

    Heinemann: Ist denn dieses Hin und Her, also erst die Ankündigung, verkaufen zu wollen, und dann eben doch nicht zu verkaufen, ist das typisch für amerikanische Unternehmensführung oder für Verhandlungsstrategie?

    Otte: Ach, das weiß ich nicht. Aber natürlich: Solange nichts festgeschrieben ist, solange es keine juristischen Verträge gibt, kann man eben hin und her. Und in dem Falle war es opportun und jetzt hat man eben eine Kehrtwende gemacht.

    Heinemann: Wie ist zu erklären, Herr Professor Otte, dass viele US-Automobilkonzerne in den letzten Jahren von Managern geführt worden sind, die vor allem die Aktionäre zufriedenstellen wollten?

    Otte: Nun gut, das ist ja ein allgemeiner Trend in der Wirtschaft. Das sehen Sie bei der Deutschen Bank genauso, wo die Eigenkapitalforderungen für die Rendite bei 25 Prozent lagen.

    Heinemann: Aber das sind immerhin Banker, die die Bank führen.

    Otte: Ja gut, aber in den Konzernen geben in der Tat immer mehr auch die Finanzleute, also die Chief Financial Officers, den Ton an. Das ist mittlerweile nach dem Vorstandsvorsitzenden meistens der zweitwichtigste Posten. Und zum Teil rücken die dann eben auch in Vorstandsvorsitzende-Positionen hinein und es geht da wirklich um Renditeoptimierung, um kurzfristige Renditeoptimierung, immer weniger um die Produkte. Und das ist natürlich auch sowohl Ursache, als auch Ausdruck unseres jetzigen Zustands in der Wirtschaft, dass wir da zum Teil die Substanz aufzehren.

    Heinemann: Kehrseite der Medaille vor allen Dingen bei US-Autobauern ist, dass die Modellpalette oder die Modellpolitik als miserabel gilt. Ist die nachhaltige Unternehmensstrategie zweitrangig?

    Otte: Ja. In der Tat beißt sich das manchmal. Es ist natürlich schwer ökonomisch festzumachen, aber manchmal müssen sie eben längerfristig investieren, sie müssen auch Risiken eingehen. Wenn sie kurzfristige Rendite sehen wollen, dann machen sie die kurzen Geschäfte, dann machen sie das, was gerade läuft, aber nicht das, was vielleicht in drei, vier Jahren der nächste Renner sein könnte.

    Heinemann: Ist da ein Umdenken in Sicht, oder geht dort alles jetzt weiter wie zuvor?

    Otte: Leider geht es weiter wie zuvor, denn gerade im Zeichen der Krise ist der Sparzwang ja noch höher, aber es gibt natürlich Unternehmen, die nicht ganz so den Zwängen unterliegen. Das sind Familienunternehmen. Gut, es gibt auch die Fälle Schaeffler und so weiter. Aber im Großen und Ganzen denken Unternehmen mit Familieneinfluss oder auch börsennotierte Unternehmen, wo die Familien einen größeren Einfluss haben - nehmen Sie auch BMW -, solche Unternehmen denken dann schon längerfristig.

    Heinemann: Aber was könnte es jetzt für Opel bedeuten, wenn in den USA weiter in einem Vierteljahres-Rhythmus gedacht wird, wo Opel oder Autohäuser oder Autokonzerne insgesamt mehr in zehn oder 20 Jahren rechnen müssen?

    Otte: Wir müssen da ehrlich sein. Wir wissen es nicht. Es kann vollkommen sich ändern von heute auf morgen. Das ist wiederum typisch für amerikanische Strategien. Kommt ein neuer Chef, wird sofort alles umgeworfen. Das heißt, dadurch, dass GM Opel jetzt behält, stehen wir vor einer Riesen-Unsicherheit. Wir wissen gar nicht mehr, was passieren wird.

    Heinemann: Herr Professor Otte, das Verhältnis zwischen Management und Belegschaft ist bei General Motors entwicklungsfähig, um es mal vorsichtig auszudrücken. Wie wichtig ist das Klima und die Sozialpartnerschaft für Konzernchefs in den USA?

    Otte: Sie haben das sehr vorsichtig ausgedrückt. Gut, in den USA haben wir nicht diese deutsche solidarische Auffassung von Wirtschaft, die ich eigentlich sehr gut finde und die auch die Stärke des deutschen Modells war. Da gelten andere Spielregeln. Das wissen die Mitarbeiter auch. Da schneidet sich jeder sein Stück vom Kuchen raus. Also das ist einfach mal eine andere Grundvoraussetzung. Aber dass es hier in Deutschland sehr getrübt ist, das kann ich sehr gut nachvollziehen.

    Heinemann: Ein Kapitel Ihres Buches lautet "Amerika ist anders". Wenn Sie mal drei Regeln formulieren sollten, worin unterscheidet sich vor allem die US-amerikanische von der deutschen Unternehmenskultur?

    Otte: Ja, das Verhältnis zur Zeit. Wir denken an die Vergangenheit und sagen, das haben wir schon probiert, das geht so nicht. Wir denken in langen Zeiträumen. Für die Amerikaner ist die Vergangenheit wirklich beerdigt. Die schauen fast nur in die Zukunft. Das hat viele Vorteile, aber es hat eben auch Nachteile, dass also schnell Wissen verloren geht in den Konzernen.

    Das Zweite ist, dass Konzerne durchaus sehr hierarchisch sind in den USA, dass also dezentrale Organisation eigentlich eine deutsche Stärke war, wo auch bei den Mitarbeitern am Werkband und vor Ort sehr viel Wissen in den Köpfen war. In den amerikanischen Unternehmen ist das sehr viel mehr mechanisch und sehr viel stärker gesteuert.

    Heinemann: Sind diese Unterschiede in Deutschland bekannt? Wie sind Ihre Erfahrungen, wenn Sie mit deutschen Geschäftsleuten oder Managern reden?

    Otte: Also, in den letzten zehn, 15 Jahren ist das schon sehr viel deutlicher geworden und auch sehr viel bekannter geworden. Aber anscheinend hat es unsere Bundesregierung nicht gewusst und keiner dort.

    Heinemann: Das heißt, Sie müssten jetzt eigentlich ein Buch schreiben mit dem Titel "Amerika für Politiker"?

    Otte: In der Tat! Das wäre mal gut, dass man von den Wunschträumen wegkommt und anfängt, auf gleicher Ebene mit der gleichen Sprache miteinander zu verhandeln.

    Heinemann: Welche Zukunft prognostizieren Sie in dem jetzigen Pokerspiel?

    Otte: Ich denke, dass die Entscheidung, Opel zu behalten, erst mal endgültig ist - das ist ja auch eine Machtoption für General Motors -, aber dass das nicht unbedingt gut für Opel ist, denn es wird sicherlich wieder auf kurzfristige Optimierung, auf Renditen rausgehen, auf Kürzungen. Wir wissen eben nicht, was passiert, aber ich denke, da wird weiter zusammengestrichen werden.

    Heinemann: Der Kölner Wirtschaftswissenschaftler und USA-Experte Professor Max Otte, Autor eines Buches mit dem Titel "Amerika für Geschäftsleute". Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Otte: Vielen Dank.