Boris Pistorius: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Herr Pistorius, haben Sie heute Nacht die Bilder aus dem Kopf bekommen?
Pistorius: Nein, das bekommt man auch nicht. Die Bilder überschlagen sich aus Magdeburg und anderswo. Man ist jetzt in Sorge, was passiert bei uns in Niedersachsen an der Elbe bis rauf nach Lauenburg. Nein, die Bilder, die bleiben schon einem erhalten. Und wie muss es dann erst den Menschen vor Ort gehen?
Müller: Sie sind viel gereist in den vergangenen Tagen, haben sich viele Szenarien, viele Situationen vor Ort angeguckt. Inwieweit ist man dann noch Politiker?
Pistorius: Überhaupt nicht mehr. Man ist Mitbürger, man macht sich Sorgen, man macht sich Gedanken, man ist voller Hochachtung und Anerkennung für das, was die Menschen dort leisten, die Hauptamtlichen, die unzähligen Ehrenamtlichen von Feuerwehren aus ganz Niedersachsen und darüber hinaus und die Freiwilligen. Man ist einfach nur wirklich begeistert einerseits und fassungslos über das, was da drohen könnte. Also Politiker ist man in dem Moment überhaupt nicht mehr.
Müller: Haben Sie viel Solidarität erkennen können?
Pistorius: Ja überall. Wenn Sie sehen: Im Bereich Lüchow hat mir der Landrat erzählt, wie in einer Kiesgrube junge Leute aus ganz Niedersachsen und aus den angrenzenden Bundesländern zusammenkommen und wie begeistert sie Sandsäcke füllen, einfach weil sie gebraucht werden und weil man helfen kann. Und das zieht sich durch alle Bereiche, die Leute sind hilfsbereit, solidarisch, zum Teil erstaunlich gelassen und ruhig, trotzdem man überhaupt nicht weiß, was am Ende wirklich kommt.
Müller: Kennen Sie denn als Politiker, um darauf wieder zurückzukommen, Herr Pistorius, ein Gefühl einer potenziellen solchen Ohnmacht, dass, wenn das Wasser immer weiter steigt, man dann doch ab einem bestimmten Punkt zumindest hilflos ist?
Pistorius: Das ist ja das Problem. Man hat über die Jahre den Deichschutz immer weiter verbessert, hier und da, aber auch in Sachsen-Anhalt, aber eben auch an der Elbe hier in Niedersachsen, und trotzdem kommt jetzt wieder ein Hochwasser, das nach den jüngsten Prognosen im Höchststand sich einpendeln wird zwischen 8,20 Meter und 8,50 Meter bei Hitzacker. Das sind bislang nicht vorstellbare Größenordnungen. Und dann ist man schon ein Stück hilflos. Aber das zeigt auch die Versäumnisse der letzten 50, 60 Jahre in der Siedlungspolitik und anderer Dinge. Wenn die Flüsse keinen Auslauf mehr haben, wird man am Ende gezwungen sein, die Deiche immer höher zu bauen, oder an anderer Stelle umzudenken.
Müller: Jetzt ist die Frage: Wird umgedacht, oder wird höher gebaut?
Pistorius: Ich bin ja nun Innenminister und mehr für Katastrophenschutz zuständig als für die Frage von Auenanlagen oder Deichbau. Aber ich bin schon dezidiert der Auffassung, dass wir uns hier und da Gedanken machen müssen, denn wir können nicht jedes dritte Jahr ein Jahrhunderthochwasser aushalten.
Müller: Haben wir denn im Hochwasserschutz, gerade was die Deiche, die Höhe anbetrifft – Sie haben das ja gerade noch mal thematisiert -, haben wir da zu wenig getan deutschlandweit?
Pistorius: Das kann ich nicht beurteilen. In Niedersachsen kann ich das nur grob beurteilen. Wir haben einige Deichstellen, die noch sogenannte Minderhöhen aufweisen, bei Wussegel zum Beispiel. An anderer Stelle ist sehr viel gemacht worden. Hitzacker zum Beispiel scheint, wenn die Prognosen sich nicht noch verschlimmern, mit der jetzigen Situation fertig zu werden, vorausgesetzt die Deiche halten dann auch über den Tagesstand, wenn das Wasser steht. Das ist ja das zweite Problem: nach dem Überschreiten der Dämme die Gefahr von Dammbrüchen durch Aufweichen. Nach meiner unmaßgeblichen – ich bin ja nicht Fachpolitiker in dem Punkt – Meinung glaube ich schon, dass das ausreicht.
Müller: Die Innenminister untereinander, sind die auf der Höhe der Zeit dahin gehend, dass viel miteinander kommuniziert wird, dass überlegt wird, was man gemeinsam tun kann?
Pistorius: Gerade die Zusammenarbeit zeigt das jetzt wieder im Bereich der Elbe zwischen Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Niedersachsen. Das sind exzellente Kooperationen, die da routiniert ablaufen. Man kennt sich, man versteht sich, man hat gemeinsam abgestimmte Vorgehensweisen. Ich habe nicht den Eindruck nach den ersten Tagen mit dieser Situation, dass dort Nachholbedarf wäre – ganz im Gegenteil!
Müller: Wie wichtig ist, Herr Pistorius, wenn wir die Gesamtsituation betrachten, auch die Rolle der Bundeswehr?
Pistorius: Die Bundeswehr zeigt wieder einmal erstens, wie großartig man sich auf sie verlassen kann. Ich habe die Tage noch mit dem kommandierenden General gesprochen und mich ausdrücklich dafür bedankt. Die Bundeswehr ist unglaublich schnell und flexibel, hilft überall mit starken Mannschaftsgrößen. Das ist wirklich beeindruckend und wir können froh sein, dass wir als Niedersachsen ein Bundesland sind mit einer so hohen Bundeswehrrepräsentanz.
Müller: Jetzt wird viel im Rahmen dieser Katastrophe im Zeichen der steigenden Pegelstände diskutiert: Wir brauchen einen nationalen Notfallplan, wir brauchen einen nationalen Einsatzplan, überhaupt eine nationale Konferenz zum Krisenmanagement. Werden da alle Beteiligten mitmachen?
Pistorius: Ich glaube, soweit der Bedarf erkannt wird, wird das so sein. Ich habe ja gerade schon gesagt: Da, wo es regional darauf ankommt, arbeitet man hervorragend zusammen. Man wird jetzt, wenn alles vorbei ist und hoffentlich glimpflicher vorbei ist, als die schlimmsten Annahmen erwarten lassen, sehen: Dann müssen wir uns hinsetzen und genau analysieren, wo hat es Schwachstellen gegeben in der Bewältigung der Katastrophenlage. Das tut man aber routinemäßig nach jeder Lage, einfach um auch beim nächsten Mal besser, noch besser werden zu können.
Müller: Kennen Sie schon eine?
Pistorius: Nein! Das wäre jetzt auch wirklich zu früh. Mir ist bislang auch keine bekannt geworden, muss ich ehrlich sagen. Es mag im kleinen Hier und da Pannen geben. Das wäre aber auch ein Wunder, wenn das anders wäre. Das muss man in Ruhe sich angucken, wenn es vorbei ist. Dann müssen auch die Lagezentren ihre Berichte liefern und müssen sagen, da haben wir jenes oder dieses festgestellt. Das muss man dann in Ruhe machen, das ist jetzt nicht der Zeitpunkt dafür.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD). Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
Pistorius: Danke gleichfalls, Herr Müller. Tschüß!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Müller: Herr Pistorius, haben Sie heute Nacht die Bilder aus dem Kopf bekommen?
Pistorius: Nein, das bekommt man auch nicht. Die Bilder überschlagen sich aus Magdeburg und anderswo. Man ist jetzt in Sorge, was passiert bei uns in Niedersachsen an der Elbe bis rauf nach Lauenburg. Nein, die Bilder, die bleiben schon einem erhalten. Und wie muss es dann erst den Menschen vor Ort gehen?
Müller: Sie sind viel gereist in den vergangenen Tagen, haben sich viele Szenarien, viele Situationen vor Ort angeguckt. Inwieweit ist man dann noch Politiker?
Pistorius: Überhaupt nicht mehr. Man ist Mitbürger, man macht sich Sorgen, man macht sich Gedanken, man ist voller Hochachtung und Anerkennung für das, was die Menschen dort leisten, die Hauptamtlichen, die unzähligen Ehrenamtlichen von Feuerwehren aus ganz Niedersachsen und darüber hinaus und die Freiwilligen. Man ist einfach nur wirklich begeistert einerseits und fassungslos über das, was da drohen könnte. Also Politiker ist man in dem Moment überhaupt nicht mehr.
Müller: Haben Sie viel Solidarität erkennen können?
Pistorius: Ja überall. Wenn Sie sehen: Im Bereich Lüchow hat mir der Landrat erzählt, wie in einer Kiesgrube junge Leute aus ganz Niedersachsen und aus den angrenzenden Bundesländern zusammenkommen und wie begeistert sie Sandsäcke füllen, einfach weil sie gebraucht werden und weil man helfen kann. Und das zieht sich durch alle Bereiche, die Leute sind hilfsbereit, solidarisch, zum Teil erstaunlich gelassen und ruhig, trotzdem man überhaupt nicht weiß, was am Ende wirklich kommt.
Müller: Kennen Sie denn als Politiker, um darauf wieder zurückzukommen, Herr Pistorius, ein Gefühl einer potenziellen solchen Ohnmacht, dass, wenn das Wasser immer weiter steigt, man dann doch ab einem bestimmten Punkt zumindest hilflos ist?
Pistorius: Das ist ja das Problem. Man hat über die Jahre den Deichschutz immer weiter verbessert, hier und da, aber auch in Sachsen-Anhalt, aber eben auch an der Elbe hier in Niedersachsen, und trotzdem kommt jetzt wieder ein Hochwasser, das nach den jüngsten Prognosen im Höchststand sich einpendeln wird zwischen 8,20 Meter und 8,50 Meter bei Hitzacker. Das sind bislang nicht vorstellbare Größenordnungen. Und dann ist man schon ein Stück hilflos. Aber das zeigt auch die Versäumnisse der letzten 50, 60 Jahre in der Siedlungspolitik und anderer Dinge. Wenn die Flüsse keinen Auslauf mehr haben, wird man am Ende gezwungen sein, die Deiche immer höher zu bauen, oder an anderer Stelle umzudenken.
Müller: Jetzt ist die Frage: Wird umgedacht, oder wird höher gebaut?
Pistorius: Ich bin ja nun Innenminister und mehr für Katastrophenschutz zuständig als für die Frage von Auenanlagen oder Deichbau. Aber ich bin schon dezidiert der Auffassung, dass wir uns hier und da Gedanken machen müssen, denn wir können nicht jedes dritte Jahr ein Jahrhunderthochwasser aushalten.
Müller: Haben wir denn im Hochwasserschutz, gerade was die Deiche, die Höhe anbetrifft – Sie haben das ja gerade noch mal thematisiert -, haben wir da zu wenig getan deutschlandweit?
Pistorius: Das kann ich nicht beurteilen. In Niedersachsen kann ich das nur grob beurteilen. Wir haben einige Deichstellen, die noch sogenannte Minderhöhen aufweisen, bei Wussegel zum Beispiel. An anderer Stelle ist sehr viel gemacht worden. Hitzacker zum Beispiel scheint, wenn die Prognosen sich nicht noch verschlimmern, mit der jetzigen Situation fertig zu werden, vorausgesetzt die Deiche halten dann auch über den Tagesstand, wenn das Wasser steht. Das ist ja das zweite Problem: nach dem Überschreiten der Dämme die Gefahr von Dammbrüchen durch Aufweichen. Nach meiner unmaßgeblichen – ich bin ja nicht Fachpolitiker in dem Punkt – Meinung glaube ich schon, dass das ausreicht.
Müller: Die Innenminister untereinander, sind die auf der Höhe der Zeit dahin gehend, dass viel miteinander kommuniziert wird, dass überlegt wird, was man gemeinsam tun kann?
Pistorius: Gerade die Zusammenarbeit zeigt das jetzt wieder im Bereich der Elbe zwischen Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Niedersachsen. Das sind exzellente Kooperationen, die da routiniert ablaufen. Man kennt sich, man versteht sich, man hat gemeinsam abgestimmte Vorgehensweisen. Ich habe nicht den Eindruck nach den ersten Tagen mit dieser Situation, dass dort Nachholbedarf wäre – ganz im Gegenteil!
Müller: Wie wichtig ist, Herr Pistorius, wenn wir die Gesamtsituation betrachten, auch die Rolle der Bundeswehr?
Pistorius: Die Bundeswehr zeigt wieder einmal erstens, wie großartig man sich auf sie verlassen kann. Ich habe die Tage noch mit dem kommandierenden General gesprochen und mich ausdrücklich dafür bedankt. Die Bundeswehr ist unglaublich schnell und flexibel, hilft überall mit starken Mannschaftsgrößen. Das ist wirklich beeindruckend und wir können froh sein, dass wir als Niedersachsen ein Bundesland sind mit einer so hohen Bundeswehrrepräsentanz.
Müller: Jetzt wird viel im Rahmen dieser Katastrophe im Zeichen der steigenden Pegelstände diskutiert: Wir brauchen einen nationalen Notfallplan, wir brauchen einen nationalen Einsatzplan, überhaupt eine nationale Konferenz zum Krisenmanagement. Werden da alle Beteiligten mitmachen?
Pistorius: Ich glaube, soweit der Bedarf erkannt wird, wird das so sein. Ich habe ja gerade schon gesagt: Da, wo es regional darauf ankommt, arbeitet man hervorragend zusammen. Man wird jetzt, wenn alles vorbei ist und hoffentlich glimpflicher vorbei ist, als die schlimmsten Annahmen erwarten lassen, sehen: Dann müssen wir uns hinsetzen und genau analysieren, wo hat es Schwachstellen gegeben in der Bewältigung der Katastrophenlage. Das tut man aber routinemäßig nach jeder Lage, einfach um auch beim nächsten Mal besser, noch besser werden zu können.
Müller: Kennen Sie schon eine?
Pistorius: Nein! Das wäre jetzt auch wirklich zu früh. Mir ist bislang auch keine bekannt geworden, muss ich ehrlich sagen. Es mag im kleinen Hier und da Pannen geben. Das wäre aber auch ein Wunder, wenn das anders wäre. Das muss man in Ruhe sich angucken, wenn es vorbei ist. Dann müssen auch die Lagezentren ihre Berichte liefern und müssen sagen, da haben wir jenes oder dieses festgestellt. Das muss man dann in Ruhe machen, das ist jetzt nicht der Zeitpunkt dafür.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD). Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
Pistorius: Danke gleichfalls, Herr Müller. Tschüß!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.