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Dagmar Freitag (SPD) zu Doping in Russland
"Der russische Staat dürfte nicht unschuldig an diesem System sein"

Die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, Dagmar Freitag (SPD), hält eine Kollektivstrafe gegen russische Leichtathleten für gerechtfertigt. Es gelte, das gesamte System sanktionieren, sagte Freitag im DLF. Zwar hätten saubere Athleten nun den schwarzen Peter, es falle ihr aber schwer, zu glauben, dass es davon in Russland allzu viele gebe.

Dagmar Freitag im Gespräch mit Doris Simon |
    Die Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, Dagmar Freitag (SPD).
    Die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, Dagmar Freitag (SPD) (dpa)
    Es gehe vor allem um das System, das sanktioniert werde, betonte Freitag. Nach allem, was bisher bekannt sei, habe es sich nicht um die Taten Einzelner gehandelt. Auch der Staat und einzelne russische Politiker dürften in dieser Frage nicht völlig unschuldig sein, so Freitag.
    Der internationale Leichtathletik-Weltverband IAAF hatte die Sperre für russische Athleten an internationalen Wettkämpfen einstimmig verlängert. Hintergrund sind Berichte über systematisches Doping. Der IAAF-Beschluss lässt Ausnahmen für einzelne Sportler zu.
    Freitag räumte ein, dass womöglich nicht nur die Leichtathletik betroffen sei. Es gebe auch Hinweise auf andere Sportarten. Sie könne aber nicht sagen, ob es vor den Olympischen Spielen in Rio noch zu weiteren Entscheidungen kommen werde.

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Mitgehört hat Dagmar Freitag (SPD), die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag. Guten Abend.
    Dagmar Freitag: Schönen guten Abend.
    Simon: Frau Freitag, halten Sie den Ausschluss des russischen Leichtathletik-Verbandes von den Olympischen Spielen, wie begründet vom IAAF, für angemessen?
    Freitag: Ja, ich halte ihn für richtig - aus unterschiedlichen Gründen. Wir haben ja nun Belege dafür, dass das russische System nicht nur ineffizient ist, das Anti-Doping-System, sondern auch korrupt gewesen ist. Athletinnen und Athleten konnten sich freikaufen. Das waren alles Dinge, die die Sportwelt dermaßen erschüttert haben, dass aus meiner Sicht der Internationale Leichtathletik-Verband auch gar nicht anders konnte, als so zu reagieren.
    Simon: Der russische Präsident, der Sportminister kritisieren, man könne doch nicht das ganze russische Leichtathletik-Team verantwortlich machen für Einzelne, die gegen Regeln verstoßen. Ist es gerecht, saubere Sportler kollektiv für Fehlverhalten für andere mit zu bestrafen?
    Freitag: Ich glaube, jeder hat ein etwas ungutes Gefühl bei einer Kollektivstrafe. Das dürfte Ihnen nicht anders gehen als mir auch. Aber Herr Mutko, der russische Sportminister, übersieht in seiner Stellungnahme, dass es vor allen Dingen um das System geht, das sanktioniert wird, und nach allem, was man bisher weiß, dürfte auch der russische Staat, einzelne russische Politiker ja nicht völlig unschuldig an diesem System sein. Das belegen zum Beispiel durchaus auch Untersuchungen von Journalisten, dass wir ja wissen, dass das keine Tat nur Einzelner gewesen ist. Ich glaube, da macht man es sich zu einfach, wenn man sagt, Einzelne haben ein Fehlverhalten gezeigt. Nein, ein System ist nicht in Ordnung, und das gilt es zu sanktionieren.
    Starten unter neutraler Flagge
    Simon: Frau Freitag, beim Beschluss heute des Internationalen Leichtathletik-Verbands gibt es ja ein Hintertürchen, was aufgemacht wurde. Der Verband will Sportlern das Recht einräumen, unter neutraler Flagge zu starten. Als Beispiel wurden zum Beispiel verdiente Doping-Gegner genannt, wie die Whistleblowerin Julia Stepanowa. Die hatte ja den Doping-Skandal mit ihrem Mann mit publik gemacht. Ist das der richtige Weg?
    Freitag: Im Fall Stepanowa, wenn wir über Whistleblower sprechen, wenn wir über Athleten oder Athletinnen sprechen, die aktiv dazu beigetragen haben, korrupte Strukturen aufzudecken und an den Tag zu bringen, dann finde ich das absolut in Ordnung. Es gibt ja noch ein weiteres Hintertürchen. Das ist deutlich geworden in einer der vier Empfehlungen, die gegeben worden sind. Es wird ja auch erwogen, Athleten ein Startrecht einzuräumen, die in einem anderen Land als Russland einem vertrauenswürdigen Anti-Doping-System unterworfen waren. Und da muss man natürlich in der Tat noch mal genauer hinschauen, was genau ist damit gemeint. Wie lange müssen die sich in solch einem anderen Land außerhalb Russlands aufgehalten haben? Das war mir noch ein bisschen unspezifisch. Da würde ich in den nächsten Tagen gern noch genauere Erklärungen seitens der IAAF sehen.
    Simon: Was ist denn aus Ihrer Sicht ein vertrauenswürdiges Land? Athleten, die zum Beispiel in Aserbaidschan oder Kasachstan trainiert haben und da auch die Doping-Kontrollen gemacht haben, wäre das für Sie dasselbe wie welche, die in Großbritannien und in Deutschland trainiert haben?
    Freitag: Nein, natürlich nicht. Wir wissen ja einigermaßen zuverlässig, in welchen Ländern nationale Anti-Doping-Agenturen installiert sind, die ihren Job auch frei und unbeeinflusst machen können. Da hat man ja schon einen gewissen Überblick, wo zumindest der WADA-Code eingehalten wird. Es kann sich natürlich nicht um Länder handeln wie die, die Sie gerade genannt haben. Aber das gehört für mich zu den offenen Fragen, die heute in der Pressekonferenz noch nicht beantwortet worden sind, und da muss man natürlich schon sehr genau hinschauen. Denn wir wissen ja auch, dass das ein Vorschlag oder eine Erwägung von IOC-Präsident Bach gewesen ist,…
    Simon: Das ist nämlich das weitere Hintertürchen.
    Freitag: …, sogenannten sauberen Sportlern das Startrecht zu ermöglichen. Und da muss man jetzt schon sehr genau hinschauen, welches Türchen tatsächlich geöffnet worden ist. Rune Andersen, der Norweger, der ja heute in der Pressekonferenz auch sehr viel gesagt hat, hat mehrfach gesagt, der Spalt in der Tür ist sehr, sehr eng. Ich glaube, da werden wir gemeinsam in den nächsten Tagen versuchen rauszufinden, was damit tatsächlich gemeint ist.
    Keine 100-prozentige Sicherheit
    Simon: Noch mal eine Frage zu dem, was auch in der Pressekonferenz vorkam und Sie jetzt, Frau Freitag, angesprochen haben. Wenn Athleten wirklich sauber sind - wir haben ja jetzt erlebt im russischen Fall, dass die Doping-Tests gezielt verfälscht worden sind. Dazu kommt die Problematik: In den letzten Wochen und Monaten vor einem Wettkampf wird ja in der Regel nicht mehr gedopt. Wie kann man überhaupt sicherstellen, dass die Leute wirklich sauber sind?
    Freitag: Ganz sicherstellen kann man das überhaupt nicht. Das wissen wir ja aus Fällen wie Marion Jones zum Beispiel, die letztlich nie eine positive Doping-Kontrolle hinterlassen hat oder eine Doping-Probe hinterlassen hat, die aber dann von Staatsanwälten überführt worden ist. Und es wurde klar: Natürlich hatte sie auch gedopt. Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Aber natürlich gibt es Länder, in denen Athleten schon sehr zuverlässig kontrolliert werden, und das ist dann doch etwas anderes als zwei, drei Kontrollen mal eben jetzt vor Olympia. Sie haben natürlich völlig recht: Jetzt haben wir nicht mehr die Hoch-Doping-Zeit. Die liegt in den Phasen stärkster Trainingsbelastungen. Das ist in der Leichtathletik in der Regel im Herbst des Vorjahres vor einem großen Wettkampf oder auch noch im Frühjahr. Wenn das IOC jetzt sagt, wir schauen mal, wen wir noch testen können und wer jetzt drei negative Proben abliefert, das ist jetzt das falsche Signal zur völlig falschen Zeit.
    Simon: Frau Freitag, versuchen wir mal einen ganz kurzen Perspektivenwechsel. Wenn Sie ein russischer Sportler wären, der nicht gedopt hat, was bliebe Ihnen jetzt an Möglichkeiten, um in absehbarer Zeit an internationalen Wettkämpfen teilzunehmen?
    Freitag: Ich glaube, so viele Möglichkeiten sind da nicht. Der russische Verband könnte aus meiner Sicht zum Beispiel CAS, bei dem internationalen Sportgerichtshof gegen diese Entscheidung vorgehen. Ob einzelne Athleten das auch können, das kann ich juristisch im Moment nicht beurteilen. Ich denke, dass ein sauberer Athlet natürlich im Moment den schwarzen Peter hat, aber es fällt mir relativ schwer vorzustellen, dass es allzu viele davon geben soll. Wer in einem System wie in Russland seinen Hochleistungssport betrieben hat, wer möglicherweise Medaillen-Kandidat ist, der kann sich einem solchen System eigentlich nicht entziehen. Das haben wir ja früher in der DDR gesehen, wo es vergleichbare Strukturen gegeben hat.
    Simon: Wir haben ja bisher von der Leichtathletik gesprochen. Sie sprechen jetzt vom System. Wenn das alles so politisch unterstützt und breit gestreut ist, reicht es da, die Leichtathleten zu suspendieren?
    Hinweise auf andere Sportarten
    Freitag: Ja, man muss natürlich schon Belege haben. In der Leichtathletik gab es durch die Whistleblower Stepanowa konkrete Hinweise, die dann auch durch entsprechende Untersuchungen insbesondere von Journalisten belegt worden sind. Heute gab es weitere Hinweise, dass im russischen Schwimmverband es wohl möglich gewesen ist, sich gegen Zahlung von rund 70.000 Euro freizukaufen. Also es gibt auch Hinweise auf andere Sportarten. Ob das jetzt noch reicht, vor den Olympischen Spielen in Rio zu weiteren Entscheidungen zu kommen, das kann ich im Moment nicht beurteilen. Aber es gibt weitere Hinweise und möglicherweise werden das ja auch nicht die letzten bleiben.
    Simon: Eingangs sagten Sie, dass es natürlich Länder gibt, wo die Doping-Bekämpfung funktioniert, wenn die Politik das unterstützt, wenn die Verbände das wirklich unterstützen. Das russische Beispiel ist ein Paradebeispiel, dass nationale Doping-Bekämpfung auch total versagen kann. Wie stehen denn die Chancen, dass man das System ändert, Schluss mit nationalen Agenturen und Doping-Bekämpfung, Funktionäre raus aus der übernationalen Doping-Bekämpfung?
    Freitag: Ja wenn es möglich wäre, international tatsächlich einheitliche Standards zu schaffen, wäre schon ein großer Schritt nach vorne getan. Das ist ja auch das, was viele saubere Athletinnen und Athleten fordern, die in Ländern leben, die eine recht stringente Anti-Doping-Politik betreiben. Nur ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn ich sehe, wie die WADA teilweise agiert hat, auch im Übrigen im Falle der russischen Leichtathleten, ist mein Vertrauen in die übergeordnete Welt-Anti-Doping-Agentur zumindest zurzeit unter dem Präsidenten Riedie auch nicht allzu groß. Ich denke, die nationalen Regierungen, die nationalen Verbände dürfen nicht aus der Verantwortung gelassen werden. Das muss ein Gemeinschaftswerk aller sein, nämlich den Schutz der sauberen Athleten endlich im Sport wieder zu verankern.
    Simon: … sagt Dagmar Freitag (SPD), die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag. Vielen Dank, Frau Freitag.
    Freitag: Sehr gerne.
    Simon: Auf Wiederhören!
    Freitag: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.