Dagmar Freitag erklärte, sie glaube, dass der DFB noch lange nicht aus der Krise heraus sei. Denn noch sei unklar, wie die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 tatsächlich nach Deutschland gekommen sei. Nach dem Bericht der Wirtschaftskanzlei Freshfields gebe es keinen Beleg, dass die WM gekauft worden sei. Aber auch keinen Gegenbeweis. Ob für den DFB der Fall damit abgeschlossen sei, sei nicht klar. Ihr persönlich reiche die Erkenntnis nicht, so Freitag.
Keine Scheu vor "Legenden"
Wenn Ermittlungen ergeben sollten, dass Fußball-Prominente sich nicht gesetzeskonform verhalten haben, müsse man als DFB-Präsident Konsequenzen fordern, auch wenn es sich bei den Beschuldigten um "Legenden" handele. Wenn nur die Kandidatur Deutschlands um die Europameisterschaft 2024 auf der Tagesordnung des neuen Präsidenten stände, wäre ihr das zu wenig, so Freitag weiter.
Die Tatsache, dass Reinhard Grindel zuvor gleich mehrere Ämter inne hatte - als CDU-Bundestagsabgeordneter war er Mitglied des Sportausschusses und zugleich DFB-Schatzmeister- , sei "nicht unbedingt von Nachteil", erklärte Freitag. Im Gegenteil könne es von Vorteil sein, wenn man seine Kenntnisse einbringen könne - solange man die Tätigkeiten "klar und deutlich trennt". Der DFB sei vor der Sommermärchen-Affäre auch kein Gegenstand des Sportausschusses gewesen.
Peter Kapern: Entscheidend ist auf’m Platz und nicht im Plenum, hat sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Reinhard Grindel wahrscheinlich irgendwann gedacht, und jetzt wird er heute zum DFB-Präsidenten gewählt. Das war viele Jahrzehnte lang ein wirklich prächtiger Job, der beständigen Applaus und auch noch lebenslang freien Eintritt zu Fußballspielen sicherte. Heute sieht das etwas anders aus: Nicht, dass DFB-Präsidenten heute für die Tickets zahlen müssten, aber der DFB ist ein schwer lädierter Verband, der immer noch nicht nachweisen konnte, dass die WM 2006 nicht durch Korruption und Bestechung nach Deutschland gekommen ist. Heute beim außerordentlichen Bundestag des DFB wird Grindel gewählt, und welche Erwartungen an ihn gerichtet sind, das soll uns seine SPD-Abgeordnetenkollegin Dagmar Freitag jetzt erläutern, die Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Morgen, Frau Freitag.
Dagmar Freitag: Guten Morgen, Herr Kapern.
Kapern: Was denken Sie, was die wichtigste Aufgabe des neuen DFB-Präsidenten Reinhard Grindel sein muss? Was muss für ihn an erster Stelle stehen?
Freitag: Es ist schwierig, eine Rangfolge aufzustellen. Aber wenn ich das versuchen soll, würde ich das Stichwort Transparenz an die allererste Stelle setzen. Ich glaube nämlich, dass der Deutsche Fußballbund noch lange nicht aus seiner Krise heraus ist. Erstens wissen wir nach wie vor noch nicht, Sie haben es in der Anmoderation gesagt, wie die WM tatsächlich nach Deutschland gekommen ist. Da werden wir noch die staatsanwaltlichen Ermittlungen abwarten, denke ich mal, um vielleicht aus weiteren Ergebnissen andere Schlüsse ziehen zu können.
Aber es geht natürlich auch um Transparenz nach innen, um Geschäftsgebaren des Deutschen Fußballbundes, die Frage der Gemeinnützigkeit könnte auf dem Spiel stehen. Da sind eine Menge Fragen, aber Transparenz ist, glaube ich, das erste, was gemacht werden muss, um Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.
"Eine Chance einräumen zu zeigen, dass er es ernst meint"
Kapern: Er selbst hat als seine wichtigste Aufgabe die Bewerbung um die Austragung der Europameisterschaft 2024 genannt. Jetzt steht der Verdacht im Raum, jedenfalls bei mir, er hat eine völlig andere Prioritätensetzung als Sie. Wird er möglicherweise ein Präsident des "Schwamm drüber" sein wollen?
Freitag: Das wird die Zeit zeigen. Das kann ich jetzt im Vorfeld noch nicht beurteilen. Ich denke, grundsätzlich sollte man jedem, der ein Amt in schwierigen Zeiten übernimmt, auch eine Chance einräumen zu zeigen, dass er es ernst meint mit dem Zurückgewinnen der Glaubwürdigkeit. Ich glaube, das ist der Deutsche Fußballbund all denen schuldig, die sich für den Fußball, der ja nun eine faszinierende Sportart ist, ehrenamtlich an der Basis engagieren. Denn die Ehrenamtlichen, die vielen Trainer, Vereinsvorsitzenden, die schauen auch schon sehr gebannt und gespannt auf das, was jetzt kommt.
Kapern: Wie steht der DFB Ihrer Meinung nach derzeit da?
Freitag: In der öffentlichen Wahrnehmung nach wie vor nicht besonders gut. Das wäre auch schwierig gewesen, das innerhalb von wenigen Wochen wiederherzustellen. Aber es sind ja auch noch interne Probleme. Die Zerreißprobe, die eventuell noch kommen könnte, zwischen Amateuren und der Profiliga, der DFL, steht noch im Raum. Da sind noch so viele Baustellen, die bearbeitet werden müssen. Ich denke, vor Herrn Grindel liegt eine schwierige Aufgabe. Man sollte ihm im Interesse des Fußballs und des Sports eigentlich auch eine gute und glückliche Hand dafür wünschen.
"Ich würde mir eine schlagkräftige Ethikkommission wünschen"
Kapern: Also ein Verband mit einem ramponierten Image. Reinhard Grindel selbst zeigt sich immer empört, wenn man den DFB mit der FIFA vergleicht. Ist diese Empörung gerechtfertigt, oder ist der Vergleich gerechtfertigt?
Freitag: Vergleiche sind immer schwierig, weil man nie eins zu eins vergleichen kann. Aber ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass der Deutsche Fußballbund eine wirklich schlagkräftige und glaubwürdige Ethikkommission einrichten würde, meinetwegen auch mit einem Zwei-Kammer-System, die einen ermitteln, die anderen entscheiden. Wichtig ist, dass solch eine Kommission unabhängig ist, unabhängig arbeiten kann von Weisungen. Das wäre zum Beispiel etwas, was ich für sehr wichtig halten würde. Aber möglicherweise steht so etwas ja auch auf der Agenda und wir wissen es nur noch nicht.
Kapern: Im Fokus der Vorwürfe - und damit noch mal zur WM-Vergabe 2006 - stehen ja Legenden des deutschen Fußballs wie Franz Beckenbauer. Glauben Sie, dass Reinhard Grindel die Statur hat, solche lebenden Denkmale gegebenenfalls vom Sockel zu stoßen?
Freitag: Möglicherweise stoßen die sich sogar selbst vom Sockel. Wenn ich die Ereignisse der letzten Monate betrachte, sind ja nicht nur viele Männerfreundschaften innerhalb des Fußballs kaputt gegangen, sondern die Legenden haben auch schon gewaltige Kratzer bekommen. Aber unabhängig davon: Wenn Ermittlungen ergeben sollten, dass jemand sich nicht gesetzeskonform verhalten hat und möglicherweise sogar noch zur Rechenschaft gezogen werden kann, dann muss man auch als Verbandspräsident Konsequenzen ziehen.
"Der Freshfields-Bericht kann nicht der Schlusspunkt gewesen sein"
Kapern: Sie haben eben in Sachen WM-Vergabe 2006 Transparenz gefordert. Diese Forderung nach Transparenz gehört ja, nehmen Sie mir es nicht krumm, einfach zum Standardrepertoire. Damit ist noch nichts Genaues gesagt. Der DFB hat eine eigene Untersuchung gestartet. Er hat der Staatsanwaltschaft die Aktenschränke öffnen müssen. Was an Transparenz fehlt Ihnen da noch? Was genau verstehen Sie unter Transparenz? Durch was wollen Sie durchblicken können?
Freitag: Ich glaube, dass da mehrere Punkte eine Rolle spielen. Erstens ist für die Öffentlichkeit noch nicht ganz klar geworden, ob mit dem Bericht von Freshfields dieses Kapitel für den Deutschen Fußballbund abgeschlossen ist. Es gibt Äußerungen, die lassen das vermuten. Wir haben uns aber auch im Sportausschuss mit dem Bericht von Freshfields - Herr Dr. Dube war selber als Berichterstatter im Ausschuss - befasst und mir persönlich reicht zum Beispiel der Satz nicht, es gibt keinen Beleg, dass die WM gekauft worden ist, aber es gibt auch keinen Beweis für das Gegenteil. Beides ist nach wie vor möglich und ich erwarte eigentlich, dass man spätestens dann, wenn staatliche Ermittlungen möglicherweise noch was ans Licht bringen, dass man dann auch innerhalb des DFB weiter daran arbeitet. Das kann nicht der Schlusspunkt gewesen sein.
Kapern: Jetzt haben Sie eben etwas gesagt, Frau Freitag, das hat mich aufhorchen lassen, als Sie das Geschäftsgebaren des Deutschen Fußballbundes ansprachen und sagten, die Gemeinnützigkeit könne da in Frage gestellt sein. Was genau meinen Sie damit? Welche Geschäfte und was würde eine Aberkennung der Gemeinnützigkeit bedeuten?
Freitag: Zum Letzten: Das wäre eine Katastrophe für einen Verband. Da geht es um ganz, ganz viel Geld. Aber man muss natürlich irgendwann mal fragen, wann ist ein Verein oder ein Verband noch gemeinnützig, oder wann ist er ein reiner Geschäftsbetrieb. Das muss einfach sauber getrennt sein. Dann gibt es da keine Probleme.
Die aktuelle Gefahr sehe ich hier in der Frage, was mit den 6,7 Millionen Euro geschehen ist. Die sind ja dem Vernehmen nach steuermindernd in der Steuererklärung des Deutschen Fußballbundes geltend gemacht worden, zu Unrecht, und wenn das nachgewiesen werden sollte, dann droht dem DFB zumindest eine saftige Nachzahlung, Steuernachzahlung, und dann könnte auch die Frage der Gemeinnützigkeit berührt sein. Das Damokles-Schwert schwebt ohnehin zurzeit über dem Verband und ich denke, es ist immer ganz wichtig, dass man auf der einen Seite deutlich macht, hier verdienen wir Geld, hier zahlen wir Steuern, und auf der anderen Seite sind all die Belange der Amateure, die davon ja in dem Maße nicht betroffen sind.
Kapern: ist das nicht ein reichlich stumpfes Damokles-Schwert, denn nicht mal der ADAC hat ja seine Gemeinnützigkeit verloren bei all den Geschäften?
Freitag: Das ist eine Frage, die jetzt die Politik nicht zu entscheiden und zu beantworten hat. Ich bin in der Frage genauso Beobachterin wie Sie und viele andere auch. Aber allein die Tatsache, dass es jetzt diskutiert wird, zeigt natürlich, dass die Öffentlichkeit schon ein Interesse daran hat, denn ich sage es noch mal, was ich eingangs gesagt habe. Fußball ist weit mehr als das, was wir im Moment erleben. Das ist Emotion, das ist Leidenschaft, das ist Integration, all das, was an der Basis wirklich noch gelebt wird, und einfach im Sinne dieser Werte muss der DFB handeln und darf nicht zur Tagesordnung übergehen. Und die Tagesordnung: Wenn da nur draufstehen würde, EM 2024, das wäre mir persönlich ein wenig zu wenig.
Kapern: Frau Freitag, Reinhard Grindel, der hat ja gemeinsam mit Ihnen im Sportausschuss des Deutschen Bundestages gesessen, als DFB-Schatzmeister, der er ja damals auch schon war, und da war Beobachtern nicht immer ganz klar, wessen Interessen er da vertritt, die seiner Wähler oder die des Fußballbundes. Wie haben Sie das erlebt und wirft das möglicherweise einen Schatten auf seine Präsidentschaft?
Freitag: Im Prinzip ist es grundsätzlich erst mal nicht unbedingt von Nachteil, wenn Mitglieder in einem Ausschuss auch Ahnung haben von der Sache, über die geredet wird. Das heißt, wenn man sich ehrenamtlich in Sportorganisationen, in Verbänden organisiert - ich tue das im Übrigen auch -, ist das nicht grundsätzlich falsch und muss auch nicht schlecht sein. Wichtig ist, dass man seine Rolle klar und deutlich trennt. Der Deutsche Fußballbund ist ja in der Vergangenheit eigentlich nicht Gegenstand von Beratungen im Sportausschuss des Deutschen Bundestages gewesen, weil der DFB keine Zuschüsse vom Bund bekommt. Von daher war das eigentlich unproblematisch bis zu dem Zeitpunkt, als die DFB-Affäre auf den Tisch kam. Da war Herr Grindel natürlich plötzlich in einer Doppelrolle, auch in einer erkennbaren Doppelrolle im Ausschuss.
Kapern: Aber das ist jetzt vergessen und vorbei?
Freitag: Das ist insofern vergessen und vorbei, weil er, seit er seine Kandidatur offiziell bekannt gegeben hat, seinen ordentlichen Sitz im Ausschuss zurückgegeben hat. Er ist auch nicht mehr stellvertretendes Mitglied. Von daher war das Problem zumindest von dem Tag an gelöst.
Kapern: Reinhard Grindel wird heute zum neuen Präsidenten des Deutschen Fußballbundes gewählt und Dagmar Freitag, die Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, die hat uns erläutert, welche Aufgaben da auf ihn zukommen. Frau Freitag, danke für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und sage auf Wiederhören.
Freitag: Auf Wiederhören! Danke auch.
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