Archiv

Dagmar Freitag zur DFB-Schmiergeld-Affäre
"Franz Beckenbauer hat den Schlüssel zur Aufklärung"

Der Chef des deutschen Organisationskomitees der Fußball WM 2006, Franz Beckenbauer, sollte bei der Aufklärung der Schmiergeld-Affäre mitwirken, sagte Dagmar Freitag (SPD), Vorsitzende des Sportausschusses, im DLF. Denn Verbleib und Verwendung der bisher bekannten 6,7 Millionen Euro seien noch nicht geklärt.

Dagmar Freitag im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Dagmar Freitag (SPD), Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag
    Dagmar Freitag (SPD), Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag (dpa / picture-alliance / Gregor Fischer)
    Man habe gegenwärtig das Problem, dass "viele sich durch Schweigen auszeichnen". Verständnis zeigte sie für diese Haltung, wenn Ermittlungen bereits laufen: "Dann schweigt man in der Öffentlichkeit sinnvollerweise," sagte sie. "Franz Beckenbauer hat den Schlüssel zur Aufklärung in der Tasche", sagte sie. Gegen Beckenbauer laufen noch keine offiziellen Ermittlungen in der Schmiergeld-Affäre.
    Niersbach-Rücktritt große Chance für DFB
    Zum Rücktritt von Wolfgang Niersbach als DFB-Präsident sagte Freitag: Er habe keine Chance gehabt, "Dauerpräsident zu bleiben", da er selbst im Fokus der Ermittlungen stehe. Sie nannte die neue Situation im DFB eine Stunde der Transparenz: "Der Deutsche Fußball Bund muss nun den staatlichen Ermittlern alles auf den Tisch legen."
    Politiker müssen Verbände auf rechtsstaatliche Vorgaben hin beobachten
    Zur Einflussmöglichkeit der Politik sagte die Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag: "Einladen kann ich jeden, aber niemanden vorladen." Sie bekräftige aber, dass Politik die Pflicht habe zu schauen, wie sich Verbände bei internationalen Veranstaltungen präsentieren würden. "Wir müssen ein hohes Interesse haben, dass es nach rechtsstaatlichen Vorgaben abläuft, aber zwingen können wir sie nicht", sagte Freitag.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Wurde die Fußball-WM 2006 gekauft? War es gar kein Sommermärchen, sondern eine WM, die nur durch Korruption und Schmiergelder zu uns nach Deutschland geholt wurde? Das sind Fragen, die man sich zurzeit beim Deutschen Fußballbund stellt. Gestern ist DFB-Chef Wolfgang Niersbach zurückgetreten, weil er immer noch nicht genau erklären konnte, welche Rolle er bei einer dubiosen Millionen-Überweisung gespielt hat. Mehr als sechs Millionen Euro, die der DFB möglicherweise zum Stimmenkauf eingesetzt hat.
    Am Telefon ist jetzt die SPD-Abgeordnete Dagmar Freitag. Sie ist die Vorsitzende im Sportausschuss des Deutschen Bundestages. Guten Morgen, Frau Freitag.
    Dagmar Freitag: Einen schönen guten Morgen.
    Armbrüster: Frau Freitag, Niersbach geht, die Funktionäre Rauball und Koch übernehmen beim DFB. Ist das der erwartete Neuanfang?
    Freitag: Das wird sich zeigen. Auf jeden Fall ist es eine ganz, ganz große Chance für einen Neuanfang, der ja - ich glaube, da sind wir uns alle einig - ganz dringend geboten ist beim Deutschen Fußballbund. Wolfgang Niersbach hatte aus meiner Sicht keine Chance, auf Dauer Präsident zu bleiben, da er ja letztlich selber auch im Fokus von Ermittlungen steht.
    "Offensichtlich kommen Dinge schon auf den Tisch"
    Armbrüster: Was muss denn jetzt als nächstes geschehen? Was muss der DFB machen?
    Freitag: Ich glaube, das Stichwort der Stunde ist Transparenz. Der DFB muss alles auf den Tisch legen gegenüber staatlichen Ermittlern, gegenüber denjenigen, die er selbst beauftragt hat, und im Moment scheint es ja - ich formuliere das mit aller Vorsicht - so zu sein, denn die Ermittler haben ja wohl ein weiteres belastendes Dokument gefunden. Offensichtlich kommen Dinge schon auf den Tisch.
    Armbrüster: Aber komischerweise kommen sie nicht ans Licht der Öffentlichkeit. Eine offene Frage ist zum Beispiel immer noch, was wusste Franz Beckenbauer. Was halten Sie von seiner Rolle in dieser ganzen Angelegenheit?
    Sepp Blatter und Franz Beckenbauer unterhalten sich auf einer Veranstaltung im Jahr 2014
    Der inzwischen gesperrte FIFA-Chef Blatter und der frühere Vorsitzende des Organisationskomitees für die WM 2006, Beckenbauer im Jahr 2014 (picture alliance / dpa / Anthony Anex)
    Freitag: Na ja, wir haben ja das Problem, dass sich sehr viele im Moment eher durch Schweigen auszeichnen. Das ist natürlich insofern zumindest ansatzweise nachvollziehbar. In dem Moment, wenn gegen jemanden Ermittlungen laufen, was im Fall Beckenbauer aber noch nicht der Fall ist, dann schweigt man natürlich in der Öffentlichkeit sinnvollerweise. Aber ich glaube, Franz Beckenbauer hat den Schlüssel zur Aufklärung sozusagen in der Tasche, und ich denke, es wäre für alle Beteiligten gut, wenn er aktiv an der Aufklärung mitwirken würde.
    "Beckenbauer hat ersten Wohnsitz nicht in Deutschland"
    Armbrüster: Könnte man ihn denn von außen irgendwie dazu bringen, seine Rolle etwas näher zu erläutern?
    Freitag: Jedenfalls kann Politik das nicht. Sagen wir mal so. Ob staatliche Ermittlungen die Möglichkeit haben, das ist immer dann der Fall, wenn es einen konkreten Anfangsverdacht gibt. Aber das kann ich natürlich nicht beurteilen, ob das irgendwo gesehen wird. Und dann muss man natürlich auch noch sehen, dass Franz Beckenbauer seinen ersten Wohnsitz meines Wissens jedenfalls nicht in Deutschland hat.
    Armbrüster: Könnten Sie denn zum Beispiel DFB-Funktionäre einladen in den Sportausschuss, um genauere Auskunft dort zu geben?
    Freitag: Ja natürlich. Einladen kann ich jeden, aber ich kann niemanden vorladen. Wir sind ein Ausschuss des Deutschen Bundestages; wir sind aber kein Untersuchungsausschuss. Ich habe nur die Möglichkeit, jemanden einzuladen, aber derjenige hat auch die Möglichkeit, im Zweifel abzusagen.
    Armbrüster: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie von diesen 6,7 Millionen Euro lesen, deren Rolle in dieser ganzen Angelegenheit nach wie vor ungeklärt ist, aber über die auch niemand so richtig beim DFB Auskunft geben will?
    Freitag: Das ist ja nach wie vor die große Frage. Wofür ist dieses Geld eigentlich de facto verwandt worden? Wir wissen weder ganz genau, über welche Wege es wohin gekommen ist, in welche Richtung es auch wieder abgeflossen ist. Es gibt dieses ominöse Schreiben, das deutlich macht, dass es wohl wieder zu Herrn Dreyfus von Adidas zurückgehen soll, aber nach wie vor weiß man nicht, wofür ist dieses Geld eigentlich transferiert worden. Und hinzu kommt ja jetzt ein neuer Beleg, der zumindest wohl offenbart, dass über eine Einflussnahme im Rahmen der WM-Vergabe auch beim DFB nachgedacht worden sein könnte. Sie merken, wie vorsichtig ich formuliere.
    Armbrüster: Das heißt konkret: Da hat man Pläne gemacht, wie man für die WM 2006 weitere Stimmen kaufen kann?
    Freitag: Das ist zumindest das, was heute auch in den Medien gemutmaßt wird. Man muss natürlich jetzt abwarten, was die konkreten Ermittlungen ergeben. Aber selbst Rainer Koch, einer der beiden Interimspräsidenten, hat ja schon gesagt, dass man sich auch noch mal die Vorgänge um die eigentliche Vergabe der WM sehr genau anschauen müsse.
    Armbrüster: Was ist denn der Schaden aus dieser ganzen Angelegenheit für das Image, für das Außenbild des deutschen Sports, nicht nur des deutschen Fußballs?
    Freitag: Ich denke, wir haben Schaden in vielfacher Hinsicht zu beklagen: einmal natürlich, was den Deutschen Fußballbund und seine Rolle auch im internationalen Bereich angeht. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass bis vor wenigen Wochen zum Beispiel Wolfgang Niersbach sogar noch als Nachfolger von Platini in der UEFA gehandelt wurde, dass man vom deutschen Verband als dem weltweit größten Fußballverband, mitgliederstärksten Fußballverband auch eine reinigende Rolle letztlich im Bereich der Fifa erwartet hat. Ich glaube nicht, dass der DFB in seiner aktuellen Verfassung dazu noch geeignet ist. Und wenn man weiterhin sieht, dass Wolfgang Niersbach zwar im Exekutivkomitee der UEFA und der Fifa bleiben wird, aber letztlich jetzt ein Mandatsträger im internationalen Sport ohne Verband ist, ist das natürlich auch eine massive Schwächung des Einflusses auf der Ebene. Und es geht natürlich weit über den Fußball hinaus, da bin ich fest von überzeugt.
    "Auswirkungen auch auf Olympiabewerbung Hamburgs"
    Armbrüster: Nämlich wohin?
    Freitag: Na ja. Schauen Sie auf die Olympiabewerbung. Wir diskutieren ja nun gerade, wie das Referendum in zwei Wochen in Hamburg ausgehen wird. Ich befürchte persönlich schon, obwohl das eine mit dem anderen zumindest originär nichts zu tun hat, dass viele Menschen einfach sagen, wollen wir diesen Sport tatsächlich noch, und dann wird nicht mehr differenziert, sprechen wir über Fußball, sprechen wir über Olympische Sommerspiele, über Paralympische Spiele. Meine große Sorge ist, dass sich auch die Menschen an der Basis zunehmend vom Sport abwenden, wenn diese Skandale Überhand nehmen.
    Hamburg feiert die Olympia-Bewerbung
    Hamburg feiert die Olympia-Bewerbung (picture alliance / dpa / Axel Heimken)
    Armbrüster: Wenn wir uns das nun alles so vergegenwärtigen, wie Sie das schildern, Frau Freitag, auch wie die Dinge möglicherweise aus dem Ruder laufen beim DFB und welche Bedeutung das hat, nicht nur für den Fußball, sondern, wie Sie sagen, auch für andere Sportarten, ist man dann nicht ziemlich schnell bei der Forderung, dass wir eigentlich so eine Art staatliche Kontrollinstanz für diesen Verband brauchen?
    Freitag: Das ist natürlich schon sehr schwierig. Sie wissen, dass wir auch in Deutschland autonome Sportverbände haben. Das heißt, sie sind frei von staatlichem Einfluss. Und ich glaube, dass das sehr, sehr schwierig sein würde. Ich würde eigentlich die Sache anders angehen wollen. Ich glaube schon, dass wir von Seiten der Politik das Recht haben, nicht nur Fragen zu stellen. Wir haben auch die Pflicht, Fragen zu stellen und uns einzumischen. Und man muss einfach darauf schauen, wie präsentieren sich Verbände zum Beispiel bei Bewerbungen um internationale Veranstaltungen. Wir müssen ein hohes Interesse daran haben, dass das natürlich nach rechtsstaatlichen Kriterien abläuft, und da darf man die Verbände auch nicht aus der Pflicht entlassen. Nur zwingen können wir sie im Moment natürlich nicht, weil wir gar keinen Einblick in das operative Geschäft haben.
    Armbrüster: Frau Freitag, Sie sind auch amtierende Vizepräsidentin des Deutschen Leichtathletikverbandes und auch die Leichtathletik ist ja seit gestern in den Schlagzeilen, zwar nicht die deutsche, aber die russische. Russische Sportler haben offenbar jahrelang gedopt und wurden trotzdem zu Wettbewerben zugelassen, sie wurden gedeckt, so wie es aussieht, auch vom Internationalen Leichtathletikverband. Der ist da nicht eingeschritten. Was läuft da falsch in der Leichtathletik?
    "Umdenken im internationalen Sport wird kommen müssen"
    Freitag: Es läuft ganz viel in den großen internationalen Verbänden falsch. Persönlich glaube ich, dass das über Fifa, über den Internationalen Leichtathletikverband hinausgehen wird, aber das wird die Zeit zeigen. Klar ist auch, dass solche Dinge erst ans Licht kommen, wenn sich Medien und staatliche Ermittler ernsthaft dafür interessieren. Eigene interne Gremien und Kommissionen des Sports sind entweder nicht fähig, oder nicht willens, da für Aufklärung zu sorgen. Aus meiner Sicht ist es gut, dass alles ans Licht gekommen ist. Es wird zu einem Umdenken auch im internationalen Sport führen müssen. Sonst - da schließt sich der Kreis zu dem, was ich eben gesagt habe - werden die Menschen sich von diesem Sport abwenden. Das ist nicht der Sport, den die Menschen wollen.
    Armbrüster: Aber wenn wir nun zum Beispiel hören, dass der russische Sport durchsetzt ist von Korruption, müssen wir dann nicht auch noch mal neu zum Beispiel über die Vergabe der Fußball-WM nachdenken?
    Freitag: Ja natürlich! Aber das liegt natürlich auch in der Verantwortung der internationalen Gremien. Da hat die Politik zum Beispiel in Deutschland überhaupt keinen Einfluss drauf. Aber um noch mal auf den Leichtathletikverband zurückzukommen: Es ist natürlich auch ganz wichtig, dass der Internationale Leichtathletikverband jetzt entsprechende Konsequenzen zieht, denn im Moment haben wir ja "nur" eine Empfehlung der Kommission der Welt-Antidoping-Agentur auf dem Tisch liegen, nämlich Russland aus dem internationalen Verband auszuschließen. Ganz entscheidend wird jetzt sein, wie der neue Präsident Sebastian Coe mit dieser Situation umgeht.
    Armbrüster: Jetzt sagen viele Leute, in den Verbänden, in den internationalen, auch im Deutschen Leichtathletikverband war das eigentlich lange Zeit schon bekannt, dass da nicht alles richtig läuft bei den russischen Leichtathleten.
    Sebastian Coe im Profil, vor einer gelben Wand, auf der das Wort "New" geschrieben steht.
    Sebastian Coe, Präsident des IAAF (JUSTIN TALLIS / AFP)
    Freitag: Na ja, es ist vermutet worden. Vermutungen gab es viele, aber das Problem ist, Sie müssen es ja auch belegen können und belegt worden ist es natürlich erst, indem es Whistleblower gab, also Kronzeugen, die endlich mal aufgedeckt haben, welche Sauereien - ich bezeichne das jedenfalls jetzt mal an dieser Stelle so - im Internationalen Leichtathletikverband abgelaufen sind. Das ist das Entscheidende, dass Sportler, die selber entweder beteiligt sind und den Weg zurückgehen wollen, oder dass andere, die etwas wissen, dieses auch mal offenbaren. Von außen kommen Sie da ganz schlecht dran. Wie soll man als jemand, der von außen draufschaut, wissen, was in russischen Antidoping-Laboren beispielsweise passiert.
    Armbrüster: Wenn ich das nun mal alles zusammenfasse, was Sie gesagt haben, Frau Freitag, dann können wir davon ausgehen, dass das, was wir bis jetzt wissen über die Vorgänge im Fußball und auch beim Leichtathletikverband, über diese ganzen Korruptionsfälle und diese Machenschaften, die da laufen, dass das bisher Bekannte eigentlich nur, auch wenn das ein bisschen platt klingt, die Spitze des Eisbergs ist.
    Freitag: Da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Ich bin sicher, wir stehen am Anfang und nicht etwa am Ende der Diskussion.
    Armbrüster: Live hier bei uns im Deutschlandfunk war das Dagmar Freitag von der SPD, die Vorsitzende im Sportausschuss des Deutschen Bundestages. Vielen Dank, Frau Freitag, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Freitag: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.