Die SPD will Ende Januar einen konkreten Vorschlag für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht in Deutschland vorlegen. Das gab Fraktionschef Rolf Mützenich bekannt. Unmittelbar nach der ersten "Orientierungsdebatte" im Bundestag Ende Januar würden Abgeordnete der Partei Eckpunkte für einen Gesetzentwurf vorlegen, so Mützenich. Sie sollen dann Grundlage für einen Gruppenantrag zusammen mit Parlamentariern anderer Fraktionen sein. "Wir werden das im März abgeschlossen haben", erklärte Mützenich.
Kommende Corona-Wellen verhindern
Auch die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Dagmar Schmidt sprach sich im Dlf für Gruppenanträge aus. Es gehe um eine Gewissensentscheidung, bei der es dem Parlament gut anstehe, sie in Gruppenanträgen zu treffen. Es gehe bei diesem Zeitplan darum, die kommenden Wellen zu verhindern, damit es nicht zu einer Entwicklung komme, wie im vorletzten Herbst und Winter. Es sei wichtig, viele Fragen sorgfältig zu klären, etwa wie eine solche Impfpflicht ausgestaltet werde, betonte Schmidt. Dafür müsse man sich Zeit nehmen.
Zeitplan zur Impfpflicht liegt vor
Damit liegt nun ein Zeitplan für die Umsetzung einer geplanten Impfpflicht vor. Allerdings könnte es bis zu einer Entscheidung länger dauern als von Bundeskanzer Olaf Scholz (SPD) damals vorgeschlagen. Dieser hatte auf eine Impfpflicht ab spätestens Anfang März gehofft, das wäre nur mit Sondersitzungen des Bundestags zu machen. Eine mögliche Impfpflicht käme somit frühestens im Mai.
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Barenberg: Frau Schmidt, der von Bundeskanzler Scholz angestrebte Zeitplan ist nicht mehr zu halten. Der einzige Antrag aus den Reihen der Ampel-Koalition ist ein Antrag gegen die Impfpflicht. Ist das die politische Führung, die Olaf Scholz als Bundeskanzler versprochen hat?
Schmidt: Olaf Scholz ist jemand, der immer dafür sorgt, dass Dinge nicht nur im Schaufenster stehen, sondern dass sie auch in die Realität umgesetzt werden. Aber ich bin mir sicher, dass es auch in einer so wichtigen Frage und wichtigen Debatte Olaf Scholz nicht darauf ankommt, ob so ein Beschluss einen Tag früher oder später stattfindet, sondern das, was jetzt wichtig ist, ist, dass wir eine gute, eine intensive Diskussion mit wirklich allen Argumenten auf dem Tisch führen, um zu einem guten Antrag für eine Impfpflicht dann auch zu kommen.
Für die ersten 35 Tage ganz ordentlich
Barenberg: Und dafür war bisher keine Zeit?
Schmidt: Manchmal kriegen Regierungen ja 100 Tage Zeit. Ich glaube, wir haben jetzt Tag 35. Es ist ja nicht so, dass wir bisher irgendwie die Beine hochgelegt hätten, sondern die Pandemie-Bekämpfung besteht ja nicht nur aus der Frage Impfpflicht, auch wenn das ein Teil einer Exit-Strategie aus dieser Pandemie sein kann, sondern das, was die Regierung schon alles gemacht hat, vorneweg Olaf Scholz und Karl Lauterbach, damit, dass wir die ganzen Fragen Infrastruktur und Beschaffung vom Kopf auf die Füße gestellt haben, damit, dass die Medikamente besorgt werden, dass Sicherheit gegeben wird, dass die Impfzentren offenbleiben, alles das ist ja bereits geschehen und ich glaube, das ist für die ersten 35 Tage schon ganz ordentlich.
Barenberg: Aber es ist immerhin – Sie haben Olaf Scholz als Macher vorgestellt – eine zentrale Aussage, die er getroffen hat und wo man jetzt, Frage an Sie, konstatieren muss, auf eine eigene Mehrheit in der Koalition kann er sich im Moment nicht verlassen.
Schmidt: Erst mal ist das Verfahren jetzt ein Verfahren der Fraktionen und im Parlament. Olaf Scholz hat seine Position dazu klargemacht. Ich bin mir auch sicher, dass das die Position ist, die mehrheitlich in der SPD-Fraktion getragen wird. Jetzt geht es darum, dass wir im Parlament uns damit beschäftigen, diese Impfpflicht auch klug auszugestalten und dazu kluge Vorschläge zu machen.
Ich bin immer ein bisschen vorsichtig bei Leuten, die immer schon gleich wissen, wie alles genau richtig funktioniert. Es sind viele Fragen. Die sind dabei sorgfältig zu klären, wie man diese Impfpflicht ausgestaltet, wie man eine solche Impfpflicht durchsetzt. Das sind keine Fragen, wo jeder schon gleich genau weiß, wie es ist, sondern darüber muss man sich unterhalten, da muss man Argumente austauschen. Wenn man sieht, wie umfangreich ja auch die Stellungnahme des Ethikrats zu dem Thema ist, dann sieht man, dass diese Entscheidung nicht trivial ist, und es steht uns gut an, in einer solchen Situation bei einer solch wichtigen Entscheidung uns auch die Zeit zu nehmen, sie ordentlich zu diskutieren. Ich finde, das können die Menschen von uns auch erwarten. Und ganz ehrlich: Ich habe in meinem Posteingang noch keine Mail gefunden, wo sich Leute darüber beschweren, dass sich vielleicht die Entscheidung verschiebt, sondern das, was die Menschen beschäftigt, ist, ob wir einen Weg raus aus dieser Pandemie finden können.
"Steht dem Parlament gut, das in Gruppenanträgen zu tun"
Barenberg: Wenn es in diesem Punkt, bei dieser Frage so ist, dass die Bundesregierung findet, dass der Bundeskanzler findet, dass die allgemeine Impfpflicht ein zentrales, ein wichtiges Mittel ist, um aus der Pandemie herauszukommen, warum muss sie dann dafür keinen Vorschlag dem Parlament vorlegen?
Schmidt: Weil es eine Entscheidung ist, die eine Gewissensentscheidung ist, und da steht es dem Parlament gut an, das in Gruppenanträgen zu tun. Ich nehme auch im Moment nicht so wahr, auch wenn die CDU das versucht hat, dass wirklich knallhart entlang von Fraktionsgrenzen diskutiert wird, wie man mit einer Impfpflicht umgeht. Deswegen glaube ich, dass es der Frage angemessen ist, das in Gruppenanträgen zu machen. Das hindert uns nicht, daran auch eine breite Unterstützung dafür zu organisieren.
Barenberg: Wenn Sie sagen, der Bundestag ist gefragt, dann sagen Sie auch, die Regierung ist raus bei diesem Thema?
Schmidt: Die Regierung ist bei dem Thema dann insofern raus, als dass der Bundestag darüber entscheidet. Natürlich werden sich einzelne Regierungsmitglieder – und das haben sie auch getan – persönlich dazu positionieren, aber es ist natürlich unsere Aufgabe, jetzt dafür eine Position als Bundestag zu finden, die dann auch leitend ist.
Barenberg: Da hat ja Fraktionschef Brinkhaus von der Union ein Szenario gestern (11. Januar) ins Spiel gebracht, dass es am Ende möglicherweise verschiedene Gruppenanträge im Bundestag gibt - eine Ahnung davon haben wir gerade im Bericht aus Berlin bekommen – und sich dann einer am Ende knapp durchsetzt. Ist das der demokratische Konsens – das ist ja das Argument von Ralph Brinkhaus -, der bei einer so zentralen, einer solch wichtigen Frage nötig wäre?
Schmidt: Ich finde es interessant, dass Herr Brinkhaus schon am Anfang dieser Diskussion weiß, wie sie am Ende ausgeht. Ich weiß das nicht und genau deswegen nehmen wir uns die Zeit über Information in den Fraktionen. Wir haben das in der SPD-Fraktion gestern sehr ausführlich mit sehr, sehr vielen Expertinnen und Experten, aber auch Abgeordneten getan. Wir werden das tun in einer Orientierungsdebatte und wir werden es dann tun auch in den parlamentarischen Verfahren, die wir kennen, mit Anhörungen und allem, was dazugehört, und am Ende werden wir ein Ergebnis haben. Wenn Herr Brinkhaus das jetzt schon kennt, dann ist das sehr prophetisch.
Barenberg: Ein bisschen entsteht, Frau Schmidt, der Eindruck, dass was als dringend und besonders wichtig zunächst galt und lange von Olaf Scholz so skizziert wurde jetzt doch noch etwas mehr Zeit hat. Sie haben ganz lapidar, möchte ich mal sagen, davon gesprochen, auf den einen oder anderen Tag kommt es nicht an, aber wir reden jetzt über eine Situation, wo klar ist, der bisherige Zeitplan wird nicht zu halten sein. Die Ankündigung, das Versprechen von Olaf Scholz, Anfang März werden wir das in Kraft haben, das wird es nicht geben. Sprechen wir dann über den Herbst?
Schmidt: Wir haben ja eine Impfpflicht für Einrichtungen bezogen. Diese tritt in Kraft im März. Das ist ein erster Schritt einer Impfpflicht. Wenn wir darüber reden, wofür eine allgemeine Impfpflicht ist, dann ist die Orientierung natürlich die, die nächsten Wellen zu verhindern und zu verhindern, dass wir noch mal wieder einen Herbst und einen Winter erleben, wie wir das dieses und letztes Jahr gemacht haben. Das muss das Ziel sein, uns darauf vorzubereiten. Ich finde es richtig, dass wir da auch ein Stück weit einen Paradigmenwechsel in der Pandemie-Bekämpfung haben, nämlich dass wir nicht mehr hinterherrennen und immer versuchen, wir wünschen uns was, wie es sein könnte, und dann ist es nicht so und dann rennen wir hinterher, sondern uns vorzubereiten mit allen uns zur Verfügung stehenden Instrumenten.
Da gibt es die Impfpflicht, da gibt es aber auch noch die vielen anderen Dinge, um die sich bereits gekümmert wurde, wie die Beschaffung von Impfstoffen, die zur Verfügung Stellung der Infrastruktur, die Sicherung der Infrastruktur, das Beschaffen von Medikamenten. Alles das gehört dazu, um nicht mehr hinterherzulaufen, sondern um vorbereitet zu sein und möglichst dann auch in eine endemische Lage zu kommen, so dass die anderen großen Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung, die wir ja kennen, die alle große Einschränkungen für uns bedeuten, dass wir die dann zu einem Ende führen können
"Das Wesentliche ist, dass wir vorbereitet sind"
Barenberg: Mit anderen Worten, Ihre Beurteilung der Lage hat sich ein Stück weit verändert und es ist nicht mehr ganz so dringend, wie ursprünglich gedacht und zugesagt?
Schmidt: Die Beurteilung der Lage, Herr Barenberg, die ändert sich während dieser Pandemie kontinuierlich immer vor dem Hintergrund der Entwicklung und dessen, was wir auch wissenschaftlich an neuen Informationen bekommen. Alle diese Maßnahmen, die wir machen, sind ja kein Selbstzweck, sondern sie dienen immer dem Zweck der Pandemie-Bekämpfung, und wenn sich die Pandemie ändert, dann muss man auch die Instrumente anpassen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir weiterhin eine Impfpflicht brauchen werden als ein wichtiges Instrument. Sollten wir aber in eine Situation kommen, wo das nicht nötig ist, dann brauchen wir natürlich auch keine Impfpflicht. Das Wesentliche ist, dass wir vorbereitet sind und dass wir die Instrumente haben, um vor die Lage zu kommen und nicht immer wieder hinterherzurennen.
Barenberg: Letzte Frage. Ralph Brinkhaus hat jetzt auch angeboten, Gespräche mit der Union zu führen über einen gemeinsamen Vorschlag. Werden Sie der Union solche Gespräche anbieten?
Schmidt: Wir bieten allen im Rahmen der Gruppenanträge Gespräche an. Die Union ist herzlich eingeladen und ich weiß, dass da auch sehr viele sich sehr kluge Gedanken machen und einen Beitrag dazu leisten können, dass wir am Ende einen guten Antrag und eine gute Positionierung bekommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.