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Dagobert Duck der Bücherwelt

Rund 30.000 Bücher nennt der italienische Schriftsteller und weltweit operierendem Büchersammler Umberto Eco, sein Eigen. Nun bringt ein deutscher Verlag eine dreiteilige Sammlung von Aufsätzen, Reden und Vorworten heraus.

Von Wolfram Schütte |
    Je prekärer die Zukunft des Buchs als Leitfossil des Gutenbergzeitalter zu werden scheint, desto emphatischer fallen die Weck-, Warn- und Nachrufe aus, die ihm laufend während der Chronik seines elektronisch angekündigten Todes gewidmet werden. Man könnte schon eine veritable Bibliothek mit allen jenen Büchern der letzten Jahre zusammenstellen, die sich autosuggestiv und selbstreflexiv mit dem Buch und seiner Geschichte oder dem drohenden Schwund der Kulturtechnik des Lesens beschäftigen.

    Es muss nicht gleich eine in einem ehemaligen Hotel untergebrachte Bibliothek von 30.000 Bänden sein, wie sie der italienische Semiotik-Professor, Bestseller-Romancier und politische Essayist Umberto Eco stolz sein eigen nennt, um immer seltener mit der Frage konfrontiert zu werden: "Haben Sie die alle gelesen?"

    Eco hat für diese "Zudringlichkeit” drei Standardantworten parat: "Gar keins habe ich davon gelesen, wieso würde ich sie sonst hier behalten” oder: "Nicht bloß die, mein Herr, nicht bloß die!", um schließlich den Besucher mit seiner dritten Replik in eine Schreckstarre zu versetzen: "Nein, das sind bloß die, die ich bis Ende nächster Woche lesen muss, die anderen habe ich in der Uni." Seit eine Privatbibliothek nicht mehr zum selbstverständlichen Renommee und Einrichtungsgegenstand eines gutbürgerlichen Haushalts gehört, sind solche kleine verbalen Triumphe des gebildeten Hausherrn ebenfalls rar geworden.

    "Die Kunst des Bücherliebens” hat Umberto Ecos deutscher Verlag eine dreiteilige Sammlung von Aufsätzen, Reden, Vorworten genannt, in denen sich der homme de lettres über Bibliophilie, historische Unikate oder Seltenheiten und über literarische und wissenschaftliche Bücher-Narren kennerhaft und passioniert äußert. Der deutsche Titel, erkennbar der ebenfalls dreiteiligen Ovidschen "Ars amatoria” nachempfunden, ist glücklich gewählt, weil es sich bei dem, was Eco hier vielfach und multiperspektivisch zur Bibliophilie und Bibliomanie ins Auge fasst, um ein erotisches Paralleluniversum handelt. Auf dessen zerebrale und taktilen Reize und Genüsse trifft (metaphorisch) die ganze Palette erotischen Empfindens und Handelns zu, von der naiven Schwärmerei bis zu den raffiniertesten Perversionen.

    So spricht Eco von einem Coitus interruptus, wenn ein Bibliophiler bemerkt, dass dem Buch, das er eben erworben und berührt und beschnuppert hat, etwas fehlt und "sei es auch nur ein Blatt mit Errata”. Treffender wäre es allerdings von der schmerzlichen Enttäuschung eines Liebhabers zu sprechen, der erkennt, dass er nicht die virgo intacta in Händen hält, die er zu besitzen glaubte, als er die kostbare Erstausgabe des seltenen Objekts an sich zog und sogar willens war, deren noch nicht aufgeschnittene Seiten in ihrem Ur- und Unschuldszustand zu lassen.

    Andererseits bezeugen Antiquariatskataloge, dass seltene Exemplare mit den Randnotizen und Kommentaren ihrer früherer Besitzer preislich höher bewertet werden, weil die Bücherliebhaber offenbar auf die Benutzerspuren ihrer Vorgänger als zusätzliche Erfahrungswerte erpicht sind, die ihnen gesteigerte Genüsse versprechen. Ohnehin scheint die Bibliothek bislang eine genuin männliche Leidenschaft zu sein, mit der sich ein bibliomanischer Sammler einen Serail seiner geliebten Buch-Objekte verschafft. Allerdings, gibt Eco zu Bedenken, verschließt der Bibliomane damit auch seine erworbenen Besitztümer vor der Öffentlichkeit, um ganz allein in ihnen zu blättern wie Dagobert Duck in seinem angehäuften Geld schwimmt: "Ein Bibliophiler dagegen würde wollen, dass alle dieses Wunderwerk sehen können und dabei wüssten, dass es ihm gehört”.

    Umberto Eco aber, ein Dagobert Duck im Reich seiner 30.000 Bücher, lässt uns nicht nur wissen, was ihm als weltweit operierendem Sammler alles zwischen dem schönsten und dem seltensten Buch gehört, sondern nimmt einen auch mit in die absonderlichsten Winkel und zu den närrischsten Ausschweifungen im Labyrinth des passionierten Bücherliebens.

    Dessen Kunst des Erlebens, der Erkenntnis und des Spiels basiert auf dem "pflanzlichen Gedächtnis”. So nennt Eco die Bücher - nach dem "animalisch-organischen” Ursprung in der oral history und dem "mineralischen Gedächtnis", das die Schrift in Tontafeln und in Stein gemeißelt festhielt, bevor es sich auf Pergament, Papyros und Papier individualisierte, privatisierte und kommunizierte. Ohne kulturpessimistisches Tremolo sieht er heute sowohl durch die Überproduktion von Büchern als auch durch das Internet die Qual der Wahl, nicht mehr die Spreu vom Weizen trennen zu können: "Es gibt kein größeres Schweigen als der absolute Lärm, und das Übermaß an Information kann zur absoluten Ignoranz führen". Dem entgeht, postuliert Eco, wem es gelingt, "ein Liebesverhältnis zu den Büchern seines Lebens zu entwickeln”. Omnia vincit amor, dachte schon Vergil - und Umberto Eco glaubt immer noch daran.

    Umberto Eco: "Die Kunst des Bücherliebens”. Aus dem Italienischen von Burkhard Kroeber. C. Hanser-Verlag, München 2009, 196 Seiten, 17,90 Euro