Von dem Soziologen Karl Mannheim stammt die Zuschreibung der Intellektuellen als einer "relativ klassenlosen nicht allzu fest gelagerten Schicht im sozialen Raum", die auf die perspektivische Standortgebundenheit politischen Denkens nicht festgelegt sei. Was politische und ideologische Formationen angeht, sei der Intellektuelle stets ein unsicherer Kandidat, ein potenzieller Abweichler und Verräter gewesen.
Diese funktionale Distanz zwischen intellektuellem Raisonnement und politischer Praxis hat Arnold Gehlen im Nachkriegsdeutschland auf die abschätzige Formel gebracht:
"Intellektuelle sind diejenigen, die die Macht des gesprochenen und geschriebenen Wortes handhaben, die keine direkte Verantwortung für praktische Dinge tragen und keine Kenntnisse aus erster Hand haben und deshalb eine 'Neigung zu einer kritischen Haltung' aufweisen."
Diese Grenzziehung zwischen Intellektualität und Politik wurde in der bundesrepublikanischen Realität nicht allzu oft überschritten, vor allem in den Jahren der Regentschaft Konrad Adenauers und Ludwig Erhards, wo Intellektuelle keine besondere Wertschätzung durch die Politik erfuhren. Erhards Wort von den "Pinschern" stand sogar für einen dezidiert anti-intellektuellen Zeitgeist.
Das sollte sich erst in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre ändern, als die Studentenbewegung die etablierte Politik nicht nur vor eine politische sondern auch intellektuelle Herausforderung stellte.
Unter den Parteien wurde im Nachhinein vornehmlich die SPD mit der Studentenbewegung in Zusammenhang gebracht. Doch dieses wohlwollende Bild stimmte noch nie. Während der Anfangs- und Hochphase von 1966 bis '68 stand die SPD vielmehr als Teil der Großen Koalition und vor allem wegen der heiß umstrittenen Notstandsgesetze im Fokus des Protestes.
Hingegen entfesselte die Unruhe der Studenten in der FDP eine Dynamik, die zu einer völligen Umorientierung der Partei führen sollte: Das "liberale Korrektiv zur Union", das der konservative Vorsitzende und Ritterkreuzträger Erich Mende in den sechziger Jahren verkörperte, mauserte sich unter dessen Nachfolger Walter Scheel zur "Partei der dritten Kraft".
Die Rede ist von der kurzen Ära des Sozialliberalismus, die noch heute mythischer Bezugspunkt innerparteilicher Orientierung, koalitionärer Spekulationen und der öffentlichen Wahrnehmung der FDP ist - auch wenn sie selbst schon lange inhaltlich dafür keinen Anlass mehr bietet.
Dieser Mythos der FDP trägt drei Namen: Ralf Dahrendorf, Karl-Hermann Flach und Werner Maihofer. Sie verkörperten auf recht unterschiedliche Weise die Verbindung von Geist und Macht. Mit ihren Namen verbinden sich politische Karrieren von Intellektuellen, wie sie eine Zeit lang nur in der FDP möglich waren. Die Namen Dahrendorf und Maihofer stehen allerdings in gewisser Weise auch für das Scheitern des Intellektuellen in diesem Metier. Sie können auch als später Beleg für die Richtigkeit der Thesen von Karl Mannheim und Arnold Gehlen angesehen werden.
Dahrendorf ist 1967 der FDP beigetreten und seine Biografie hat diesen Weg keinesfalls vorgezeichnet. Als Sohn eines sozialdemokratischen Widerstandskämpfers, der die Folgen des 20. Juli überlebt hatte, war er in jungen Jahren Mitglied der SPD. Sein Engagement erlahmte allerdings bereits 1953, als er seine wissenschaftliche Laufbahn in England begann. Er selbst bekannte einmal, dass er als Sozialist nach England gegangen und als Liberaler zurückgekommen sei.
Einen wesentlichen Anteil an Dahrendorfs Wandel hatte dessen Londoner Lehrer, der Philosoph Karl Popper, dessen kritischer Rationalismus ihn nachhaltig intellektuell prägte.
Als Dahrendorf in die FDP eintrat, war er nicht nur ein renommierter Wissenschaftler, der sich auf den Höhen der soziologischen Theorie bewegte, sondern auch ein anerkannter Wissenschaftspolitiker, der sowohl Willy Brandt bei dessen erster Kanzlerkandidatur 1961 als auch hernach den christkonservativen Kurt-Georg Kiesinger als Ministerpräsident von Baden-Württemberg beraten hatte. Dahrendorf prägte Anfang der sechziger Jahre die eingängige Formel vom "Bürgerrecht auf Bildung" und nahm damit eine zentrale Forderung der Studentenbewegung vorweg.
Über die Motive von Dahrendorfs FDP-Beitritt ist viel gerätselt worden. Ein Wechsel in die Politik war nicht abwegig, zumal in den sechziger Jahren wissenschaftliche Politikberatung, wenn nicht gar -steuerung im Trend lag. Konflikt, Partizipation, Reform waren Leitbegriffe seiner Soziologie, er befand sich damit auf der Höhe der Zeit. Was fehlte, war ein politischer Ort, der nach seinen Worten folgende Anforderungen erfüllen musste:
"Eine liberale Position durchhalten - und wenn schon Partei, dann bitte eine Volkspartei."
Die Volkspartei SPD, in der er politisch aufgewachsen war, genügte den Ansprüchen Dahrendorfs nicht: Ihr attestierte er schon damals die "Erschöpfungssituation einer politischen Entwicklung", da die Grundforderungen des demokratischen Sozialismus inzwischen erfüllt worden seien. Zu dieser scharfsinnigen Diagnose hat sicher auch die Große Koalition beigetragen, die in jenen Jahren das Bild verkrusteter politischer Verhältnisse bot. Hingegen signalisierte die FDP nicht nur eine größere Nähe zum kritisch akademischen Milieu, in dem Dahrendorf beheimatet war. Als kleine Partei mit einer kaum ausgeprägten Hierarchie war sie zudem offener für Seiteneinsteiger, kürzere Karrierewege und raschere Einflussnahmen auf die Schaltzentralen der Partei.
Und Dahrendorf ließ von Anfang an keinen Zweifel daran, dass er sich zu Höherem berufen fühlte. Nach dem Freiburger Parteitag 1968, wo Walter Scheel zum neuen Vorsitzenden gewählt wurde und Ralf Dahrendorf wie ein Komet am FDP-Himmel aufstieg, meldete dieser in einem Interview mit dem "Spiegel" unverhohlen seine Ambitionen auf den gerade neu besetzten Parteivorsitz an.
In den Wochen und Monaten nach dem Freiburger Parteitag war er der Publikumsmagnet der FDP. Er bestach meist vor überfüllten Auditorien durch eine scharfsinnige Intellektualität, die selbst den gefeierten APO-Helden Rudi Dutschke bisweilen blass aussehen ließ. Dahrendorf erinnerte sich später:
"Rudi Dutschke, den ich sehr geschätzt habe, hatte an den parlamentarische Möglichkeiten verzweifelt und glaubte, dass man nur außerparlamentarisch Dinge bewegen kann. Ich war überzeugt, dass es parlamentarisch gehen muss und wollte jedenfalls dafür kämpfen mit dem berühmten Ende, dass er sagt - er sprach von den Fachidioten der Politik - und meinte darunter mich, gerade mich, und da habe ich doch irgendwie eine Grundentscheidung getroffen, die auch bis heute bei mir geblieben ist, nämlich der Glaube an die parlamentarische Demokratie und daran, im Rahmen der parlamentarischen Demokratie für Freiheit und für andere politische Ziele zu kämpfen."
Walter Scheels erzkonservativer Vorgänger Mende hatte noch gewarnt, dass ein FDP-Politiker, der sich gemeinsam mit Dutschke zeige, die FDP wenigstens zwei Prozent Stimmen kosten werde. Dahrendorf hielt dem entgegen, dass er dafür im Gegenzug womöglich fünf bis zehn Prozent einfahren könne. Ganz im Duktus der Außerparlamentarischen Opposition proklamierte er eine "Partei der Unruhe", eine "Volkspartei der Unzufriedenen" und meldete den Anspruch der FDP an - und damit auch seinen eigenen -, "das Land zu regieren".
In seinen im Jahr 2003 verfassten Lebenserinnerungen mit dem Titel "Über Grenzen" schreibt er rückblickend von der "durch Walter Scheel und auch mich zum Koalitionspartner umgeformten FDP".
Solche Formulierungen zeugten nicht nur von völliger Selbstüberschätzung, sondern auch von einer profunden Unkenntnis der innerparteilichen Machtstrukturen. Während Dahrendorf von der öffentlichen Resonanz eines expandierenden links-liberalen Milieus getragen wurde und sich von den radikaldemokratisch auftrumpfenden Jungdemokraten innerparteilich feiern ließ, stellten die machtbewussten Zentristen um Scheel und Genscher die Weichen.
Scheel brauchte Dahrendorf, um neue Schichten für die FDP zu erschließen, die sozialliberale Regierung plante er aber mit anderen Köpfen. Statt des von Dahrendorf anvisierten Wissenschaftsministeriums reklamierte Scheel aus parteistrategischen Erwägungen das Landwirtschaftsministerium für die FDP, um eine laute Stimme des immer noch starken konservativen Flügels ruhig zu stellen. Nicht "Bildung als Bürgerrecht", sondern Ertl in Brüssel war angesagt. Dagegen opponierte in der Parteiführung nicht nur Dahrendorf.
Doch wie Arnulf Baring in seinem Buch "Machtwechsel" schrieb, traute Scheel weder Dahrendorf noch der gleichfalls ambitionierten Parteilinken Hildegard Hamm-Brücher die Führung eines Ministeriums zu.
"Er traute ihnen einfach nicht zu, Ministerämter zum eigenen Vorteil und dem der FDP zu nutzen. (...) Man durfte sich gar nicht ausmalen, was aus der FDP geworden wäre, wenn man auf diese beiden gehört hätte. Das mindeste an Schaden war, dass sie die ganze Fraktion verrückt machten. Aber wegen ihrer vorlauten Aufmüpfigkeit wurden die beiden ja sofort vorsichtig aus dem eigentlichen politischen Geschäft entfernt, anderweitig mit Arbeit eingedeckt, an die disziplinierende Kette einer festen Bürotätigkeit gelegt."
Zu diesem Zweck bot Scheel Dahrendorf frühzeitig an, als Staatsminister ins Auswärtige Amt zu gehen. Der Wissenschaftler fühlte sich durch das Angebot geschmeichelt, und merkte erst, als es zu spät war, dass er auf elegante Weise kalt gestellt worden war. Die Erwartung, mit der neuen Ostpolitik ein Kernanliegen der FDP an zentraler Stelle umsetzen zu können, sollte sich nicht erfüllen. Mit Scheels Einverständnis unternahm der Sozialdemokrat Egon Bahr die ersten operativen Schritte in der Ostpolitik. Dahrendorf blieb nur Zaungast. Die Auswärtige Kulturpolitik, die ihm unterstellt war, schien ihn bald zu langweilen.
Doch der liberale Querkopf begann, mit unbedachten Interventionen, auch ihm Wohlgesonnene zu irritieren und zeigte dabei nicht nur ein hohes Maß an Selbstbezogenheit, sondern auch einen erstaunlichen Mangel an politisch-handwerklichen Fähigkeiten. So unterbreitete er im März 1970 im Bundestag in Gegenwart von Brandt und Scheel den mit beiden nicht abgestimmten Vorschlag, dass "über eine Friedensregelung mit Polen das ganze Volk entscheiden" solle. Über diese, wie Dahrendorf formulierte, "persönliche Meinung", fällte kurz darauf der Doyen der Politikwissenschaft Theodor Eschenburg das vernichtende Urteil:
"Auffällig an seiner Rede ist, dass er mehr als Brandt und Scheel das Wort 'ich' brauchte. Er sprach gern von seiner persönlichen Meinung. Sie ist aber für das Plenum so lange untragbar, als sie nicht von Dahrendorfs Minister akzeptiert ist - und dann wäre sie nicht mehr seine persönliche Meinung. (...) Die Einführung des Plebiszits bedarf einer Zweidrittelmehrheit. Nun wird man einen Volksentscheid allein über eine Friedensregelung mit Polen im Grundgesetz wohl nicht vorsehen können. Es müßte eine generelle Regelung getroffen werden, und welche Kategorien kämen dafür in Betracht? Doch keinesfalls alle Verträge mit fremden Staaten."
Dahrendorf blieb im Machtgefüge der FDP und im Auswärtigen Amt ein Exot. Als er knapp ein halbes Jahr nach Regierungsantritt Bonn den Rücken kehrte und Kommissar in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wurde, bedauerte kaum jemand diesen Schritt. Arnulf Baring schrieb zu seinem Abgang:
"Es fehlten ihm Eigenschaften, die für Inhaber von Spitzenämtern entscheidend wichtig sind. (...) Ihm fehlten Ausdauer, Stehvermögen, Geduld und Bescheidenheit im Umgang, vor allem Beliebtheit in der Partei, fehlten loyale Mitarbeiter, verlässliche Anhänger eine feste Hausmacht. Dahrendorf stand allein. Wie viele Intellektuelle war er leicht verletzbar, rasch zu entmutigen."
Als Ralf Dahrendorf für den Posten in Brüssel nominiert wurde, sagte er einem Reporter: "Wenn Sie wollen, nennen Sie es Resignation." Er war, wie Willy Brandt es ausdrückte, "ein in die Politik verirrter Professor" geblieben.
Während Dahrendorfs Stern sich auf Sinkflug gen Brüssel befand, stand Werner Maihofer noch der Zenit seiner Parteikarriere bevor. Beide "FDP-Professoren", wie sie genannt wurden, hatten erst Ende der sechziger Jahre zur FDP gefunden und sich sogleich in die Parteispitze katapultiert gesehen.
Sie waren brillante Wissenschaftler, denen der akademische Ruhm bisweilen zu Kopfe stieg. Beide hatten sich in den sechziger Jahren mit Vorschlägen zur Universitätsreform einen Namen gemacht und genossen gewisses Ansehen bei den revoltierenden Studenten. Damit endet aber die Gemeinsamkeit, denn der Soziologe Dahrendorf und der Jurist Maihofer waren sich in herzlicher Abneigung zugetan, was nichts Gutes für die Sozialliberalen im zähen innerparteilichen Flügelkampf verhieß. Der soziologische Rollentheoretiker Dahrendorf und der Rechtsontologe Maihofer waren - theoretisch betrachtet - akademische Antipoden, auch wenn sie dies nicht öffentlich austrugen.
Er kenne kaum zwei unterschiedlichere Leute, von Herkunft und überhaupt, befand Maihofer über die Beziehung zu dem elf Jahre jüngeren Dahrendorf, bei ihm gebe es eine "gewisse Ungeschliffenheit im Formalen", beim anderen eine "formale Hochgeschliffenheit". Im Gegenzug nannte Dahrendorf Maihofer, nicht weniger bissig, "den großen Obskuren der internationalen Rechtsphilosophie".
Doch wie bei Dahrendorf, so reichte auch bei Maihofer die intellektuelle Ausstrahlung, um ihn für den neuen Parteivorsitzenden Walter Scheel interessant zu machen. Scheel animierte ihn 1969 zum Parteieintritt und hievte ihn bereits kurz danach in den Vorstand, wo Dahrendorf ebenfalls seinen Platz gefunden hatte.
Maihofers Aufstieg in der FDP wurde mit der Verabschiedung des stark sozialliberal gefärbten Freiburger Programms von 1971 gekrönt, dessen geistiger Vater er als Vorsitzender der Programm-Kommission war. Er gab der FDP erstmals eine gesellschaftspolitische Prägung, indem er die Zentrierung des klassischen Liberalismus auf das Verhältnis des Bürgers zum Staat um das Feld der Arbeitswelt erweiterte. In den "Freiburger Thesen" heißt es dazu:
"Die freiheitliche Demokratie zielt nach der klassischen Tradition des Demokratischen Liberalismus auf eine Ordnung der größtmöglichen und gleichberechtigten politischen Teilhabe und Mitbestimmung aller Bürger an der verfassungsmäßigen Organisation des Staates.
Die freiheitliche Demokratie zielt nach der modernen Konzeption eines Sozialen Liberalismus zugleich auf eine Ordnung der größtmöglichen und gleichberechtigten sozialen Teilhabe und Mitbestimmung aller Bürger an der arbeitsteiligen Organisation der Gesellschaft."
Was damit gefordert war? Die "Gegenwartsaufgabe" der alten liberalen Theorie lasse sich ...) in dem obersten Leitsatz einer liberalen Gesellschaftspolitik zusammenfassen:
"Industrieuntertanen müssen in Industriebürger verwandelt werden!"
Der analytische Bezugspunkt dieses Liberalismus war eine kritische Kapitalismusbetrachtung, wie sie dem damaligen Zeitgeist entsprach. Maihofer sah in den protestierenden Studenten künftiges Wählerpotenzial für eine reformierte FDP. Sein akademischer Ansatz, so erläuterte er seine Position, sei "so links, linker geht´s nicht" gewesen. Nur habe er früher als andere begriffen, dass es "in der marxistischen, materialistischen Theorie nicht weitergeht". Folglich habe er, obgleich "im Bewusstsein mit der Studentenrevolte identisch", den studentischen APO-Rebellen zur innerparlamentarischen Opposition, zum Eintritt in die Parteien geraten, um den Kapitalismus zu reformieren.
Dieser polittheoretische Ansatz machte Maihofers Thesen attraktiv, doch blieben sie diesem Zeitgeist verhaftet und waren für die Weiterentwicklung der FDP kaum anschlussfähig. Das Programm läutete keineswegs, wie Maihofer lauthals verkündete, "den Beginn der zweiten Phase der bürgerlichen Revolution" ein, denn die gesellschaftspolitischen Reformvorstellungen die sich innerhalb der FDP damit verbanden, blieben diffus. Ihr Kernstück war Maihofers Mitbestimmungsmodell, doch dieses erlitt bereits auf dem Freiburger Parteitag eine Niederlage. Es setzte sich der Wirtschaftsflügel durch, mit der Grundüberzeugung, dass die Arbeitgeberseite die Mehrheit behalten müsse.
Das Freiburger Programm sollte eine für die weitere sozialliberale Politik weitgehend folgenlose Episode bleiben. Das zeigte sich spätestens, als zu dessen Fortschreibung Maihofer Mitte der siebziger Jahre die Leitung der Perspektiven-Kommission der FDP übertragen wurde. Parallel tagte die gleichzeitig ins Leben gerufene Wirtschaftskommission. Ihre Ergebnisse leiteten die unter Otto Graf Lambsdorff betriebene wirtschaftsliberale Wende der FDP ein, die auf dem Kieler Parteitag 1977 besiegelt wurde, ohne dass Maihofers Ergebnisse überhaupt berücksichtigt worden wären.
Obgleich es faktisch ohne Konsequenzen blieb, hatte das Freiburger Programm vor allem in intellektuellen Kreisen, unter Akademikern und Journalisten eine gewisse Ausstrahlung. Die FDP erwies sich im Gegensatz zur CDU und zur Sozialdemokratie damit programmatisch auf der Höhe der Zeit. Maihofer hatte der Koalition von SPD und FDP eine eigene Philosophie gegeben, während zur gleichen Zeit die SPD programmatisch nach links driftete. Diese Philosophie fand ihren geschichtsträchtigen Ausdruck in der gleichfalls von Maihofer geprägten Formel vom "historischen Bündnis von Arbeiterschaft und einem geläuterten Bürgertum".
"Alle Koalitionen sind Bündnisse auf Zeit. Aber es gibt doch manche unter uns, die dieses Regierungsbündnis nicht nur als eine pragmatische, sondern als eine programmatische Sache sehen, eine Rückbesinnung und Wiederanknüpfung an gemeinsame politische Tradition jener, Tradition also, von der schon Karl-Hermann Flach sprach, die diese beiden sozialen und liberalen Partner einmal schon auf der gleichen Seite der politischen Barrikade vereinigt hatte. Wenn man das so sieht, dass hier also ein Bündnis entstanden ist, wenn sich, wenn ich das einmal etwas zuspitzen darf, zwischen Arbeitern, die nicht zu Proletariern deklassiert sind, und Bürgern, die nicht zu Bourgeois denaturiert sind, also nun wirklich mal ein Bündnis über diese klassenkämpferischen Gräben hinweg, dann könnte daraus nun eine tragfähige Grundlage gerade für solche substanzielle Reformen, solch weitreichender Wirkung werden, die doch alle fortschrittlichen Kräfte in unserem Lande von den Arbeitnehmern bis zu den Unternehmern hin erfassen müssen, wenn sie wirklich fruchtbar werden soll und nicht wieder zu neuen Spaltungen und Verwerfungen in unserer politischen Landschaft führen soll."
Herbert Wehner schätzte Maihofer wegen dieser intellektuellen Rolle als Bündnisgarant und Walter Scheel umgab sich gerne mit ihm. Er ließ ihn bei Vorstandssitzungen an seiner Seite Platz nehmen und nachdem Maihofer 1972 Minister ohne Geschäftsbereich in der Regierung Brandt geworden war, begleitete er seinen Vorsitzenden auch zu Gesprächen mit Brandt, bei denen er dann auf den zweiten Minister ohne Geschäftsbereich, auf Egon Bahr traf.
Das Blatt wendete sich jedoch, als 1974 Walter Scheel ins Bundespräsidentenamt wechselte und das Kabinett unter dem neuen Kanzler Helmut Schmidt neu gebildet wurde. Genscher wechselte ins Außenministerium, doch die FDP bestand aus Prestigegründen darauf, auch das Bundesinnenministerium zu behalten statt es gegen das Bundesjustizministerium einzutauschen, was ihrem liberalen Profil wohlmöglich dienlicher gewesen wäre.
Vor allem hätte es besser zu der Person gepasst, die für das Innenministerium gehandelt wurde. Aus innerparteilichen Proporzgründen wurde es mit einem Parteilinken, mit Werner Maihofer besetzt. Damit begann sein Abstieg. Bei den Wahlen zum stellvertretenden Parteivorsitzenden im gleichen Jahr unterlag er dem wirtschaftsliberalen Hans Friderichs. Ein erstes Signal, dass sich die Stimmung in der Partei drehte und Maihofers Rückhalt zu schwinden begann. Dies umso stärker, als nun die schwache Seite des einst Umjubelten sichtbar wurde.
Seine administrativen Fähigkeiten wurden vom neuen Kanzler Helmut Schmidt ähnlich abschätzig eingestuft, wie die Dahrendorfs von Willy Brandt. Schmidt betrachtete die Berufung des linken Freidemokraten von vornherein als eine ihm vom kleinen Koalitionspartner aufgezwungene "Fehlbesetzung, an der ich nichts ändern konnte".
Maihofer war mit einer Mammutbehörde wie dem Bundesinnenministerium überfordert, er konnte nicht delegieren und verlor sich häufig in Details. In den Medien wirkte er spröde, er war wie Dahrendorf sensibel und beratungsresistent. Als oberster Verfolger der RAF konnte er seinem liberalen Leitspruch "im Zweifel für die Freiheit" nicht mehr entsprechen. Als die RAF den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer tötete und Fahndungspannen öffentlich wurden, war es um Maihofers politische Karriere geschehen.
Seine Grundierung der sozialliberalen Koalition als ein "historisches Bündnis zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum" war eine Festlegung über den Tag hinaus. Sie bedeutete die gleiche Bindung an den großen Koalitionspartner SPD wie der Bürgerblock mit der CDU in den Jahrzehnten zuvor. Damit hatte die FDP schlechte Erfahrungen gemacht und eine eigenständige Positionierung zwischen den beiden Volksparteien war denn auch das Credo, dem Karl-Hermann Flach folgte. In dieser entscheidenden Frage unterschied sich der dritte große liberale Parteiintellektuelle von Maihofer.
Unter den drei intellektuellen Köpfen der damaligen FDP ist Flach derjenige, der die sozialliberale Programmatik in den Kategorien der praktischen Umsetzung dachte und gleichzeitig die Partei zu integrieren verstand. Das war kein leichtes Unterfangen, denn als er 1971 Generalsekretär wurde, befand sich die FDP und damit die sozialliberale Koalition in einer existenziellen Krise. Eine starke national- wie wirtschaftsliberale Minderheit befehdete das Bündnis mit der SPD, mehrere Landtagswahlen waren verloren gegangen. Flach aber meisterte diese Krise. Er schuf ein organisatorisches Fundament indem er die Parteizentrale restrukturierte und professionalisierte.
Als stellvertretender Chefredakteur der "Frankfurter Rundschau" hatte Karl-Hermann Flach unter dem berühmten Kürzel KHF in den sechziger Jahren auf das Zustandekommen einer sozialliberalen Koalition hingeschrieben. Mit seiner Streitschrift "Noch eine Chance für die Liberalen" legte er 1971 ein Konzept vor, das sich als Mittelweg zwischen Kapitalismus und Kommunismus empfahl. Es war die Planskizze für das mit Maihofer zusammen konzipierte Freiburger Programm. Darin hieß es:
"Die Suche nach dem 'Dritten Weg' zwischen Kapitalismus und Sozialismus gilt im Kapitalismus als abwegig und im Kommunismus als kriminell. Das enthebt den Liberalismus nicht von der Pflicht, nach ihm zu streben. (...) Die Misere des etablierten Sozialismus besteht vorwiegend darin, dass der Mensch nicht beliebig manipulierbar und das Bewußtsein nicht kurzfristig änderbar sind.(...) Die Ausführungen über das bisherige Mißlingen des Sozialismus werden von seinen kapitalistischen Gegnern sicher freudig ausgewertet werden. Doch die marxistische Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen in der kapitalistischen Welt verliert nicht einen Deut ihrer Berechtigung, weil das marxistische Gegenmodell bisher nicht befriedigt."
Seine Bewerbungsrede auf dem legendären Freiburger Parteitag vom Oktober 1971 entsprach dem kapitalismuskritischen Zeitgeist, bot jedoch zugleich genügend Anschlusspunkte für die konservativen Liberalen, denen er den sozialen Liberalismus als einzig wirkungsvolles Abwehrmittel gegen das europaweite Aufkommen der Parteien des demokratischen Sozialismus anzudienen versuchte. Außerdem konnt er sich auf eine verschüttete soziale Tradition des Liberalismus berufen:
"Es ist richtig, dass die FDP mit ihrem Freiburger Parteitag die Hinwendung zu einer modernen sozialliberalen Partei vollzogen hat. Aber gerade das ist eigentlich klassische, liberale Haltung, das war nur zeitweilig ein wenig verschüttet. Unsere liberalen Urväter, Friedrich Naumann zum Beispiel, haben ja sehr früh die soziale Verpflichtung des Liberalismus erkannt, haben sie postuliert in unzähligen Schriften, und haben eigentlich schon - das haben wir mit Freude, Überraschung und auch ein wenig mit Staunen entdeckt - haben sie die Vorarbeit schon für das geleistet, was wir jetzt in Freiburg vollzogen haben."
Bereits als er zum Generalsekretär der FDP gekürt wurde, war seine Gesundheit angegriffen. Der Preis seines politischen Engagements für einen Kurswechsel der Liberalen war ein körperlicher Raubbau. Karl-Hermann Flach starb im Sommer 1973. Zu diesem Zeitpunkt hatte die sozialliberale Reform-Ära bereits ihren Zenit überschritten. Deutschland stand vor der Ölkrise, der Streik im Öffentlichen Dienst hernach lähmte das Land. Die finanziellen Grundlagen für eine ambitionierte Reformpolitik schrumpften ebenso wie das öffentliche Ansehen der Regierung Brandt. Unter ihren Anhängern machte sich Enttäuschung breit und in der FDP waren weitere Absetzbewegungen bemerkbar. Der Sozialliberalismus verging, lange bevor die sozialliberale Koalition ihr Ende fand.
Mit dem Kieler Programm von 1977 schuf die FDP dann die programmatische Grundlage für ihren Wechsel zur CDU 1982. Diesen wirtschaftsliberalen Kurs verschärfte sie nochmals mit den Wiesbadener Grundsätzen von 1997, an deren Erarbeitung Werner Maihofer zwar beteiligt war, ohne jedoch seine frühere Handschrift erkennen zu lassen. Hernach bescherte ihr die wirtschaftsliberale Engführung beachtliche Erfolge, doch ist sie auch der Grund, weshalb die Partei derzeit am Abgrund steht. In der SPD war der Sozialliberalismus schon zu seiner Blütezeit nicht gemocht, der programmatische Mainstream war links. Es liegt eine gewisse Tragik darin, dass die SPD-Intelligenz bei der Wiederentdeckung des demokratischen Sozialismus Flachs und Maihofers Ideen glaubte wie eine Unterabteilung behandeln zu können. In Wahrheit aber hätte deren Sozialliberalismus eine mögliche programmatische Antwort sein können auf eine Entwicklung, die Ralf Dahrendorf, der vormalige Parteiintellektuelle der Liberalen, zu Beginn der 80er Jahre als das Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts beschrieben hatte.
Diese funktionale Distanz zwischen intellektuellem Raisonnement und politischer Praxis hat Arnold Gehlen im Nachkriegsdeutschland auf die abschätzige Formel gebracht:
"Intellektuelle sind diejenigen, die die Macht des gesprochenen und geschriebenen Wortes handhaben, die keine direkte Verantwortung für praktische Dinge tragen und keine Kenntnisse aus erster Hand haben und deshalb eine 'Neigung zu einer kritischen Haltung' aufweisen."
Diese Grenzziehung zwischen Intellektualität und Politik wurde in der bundesrepublikanischen Realität nicht allzu oft überschritten, vor allem in den Jahren der Regentschaft Konrad Adenauers und Ludwig Erhards, wo Intellektuelle keine besondere Wertschätzung durch die Politik erfuhren. Erhards Wort von den "Pinschern" stand sogar für einen dezidiert anti-intellektuellen Zeitgeist.
Das sollte sich erst in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre ändern, als die Studentenbewegung die etablierte Politik nicht nur vor eine politische sondern auch intellektuelle Herausforderung stellte.
Unter den Parteien wurde im Nachhinein vornehmlich die SPD mit der Studentenbewegung in Zusammenhang gebracht. Doch dieses wohlwollende Bild stimmte noch nie. Während der Anfangs- und Hochphase von 1966 bis '68 stand die SPD vielmehr als Teil der Großen Koalition und vor allem wegen der heiß umstrittenen Notstandsgesetze im Fokus des Protestes.
Hingegen entfesselte die Unruhe der Studenten in der FDP eine Dynamik, die zu einer völligen Umorientierung der Partei führen sollte: Das "liberale Korrektiv zur Union", das der konservative Vorsitzende und Ritterkreuzträger Erich Mende in den sechziger Jahren verkörperte, mauserte sich unter dessen Nachfolger Walter Scheel zur "Partei der dritten Kraft".
Die Rede ist von der kurzen Ära des Sozialliberalismus, die noch heute mythischer Bezugspunkt innerparteilicher Orientierung, koalitionärer Spekulationen und der öffentlichen Wahrnehmung der FDP ist - auch wenn sie selbst schon lange inhaltlich dafür keinen Anlass mehr bietet.
Dieser Mythos der FDP trägt drei Namen: Ralf Dahrendorf, Karl-Hermann Flach und Werner Maihofer. Sie verkörperten auf recht unterschiedliche Weise die Verbindung von Geist und Macht. Mit ihren Namen verbinden sich politische Karrieren von Intellektuellen, wie sie eine Zeit lang nur in der FDP möglich waren. Die Namen Dahrendorf und Maihofer stehen allerdings in gewisser Weise auch für das Scheitern des Intellektuellen in diesem Metier. Sie können auch als später Beleg für die Richtigkeit der Thesen von Karl Mannheim und Arnold Gehlen angesehen werden.
Dahrendorf ist 1967 der FDP beigetreten und seine Biografie hat diesen Weg keinesfalls vorgezeichnet. Als Sohn eines sozialdemokratischen Widerstandskämpfers, der die Folgen des 20. Juli überlebt hatte, war er in jungen Jahren Mitglied der SPD. Sein Engagement erlahmte allerdings bereits 1953, als er seine wissenschaftliche Laufbahn in England begann. Er selbst bekannte einmal, dass er als Sozialist nach England gegangen und als Liberaler zurückgekommen sei.
Einen wesentlichen Anteil an Dahrendorfs Wandel hatte dessen Londoner Lehrer, der Philosoph Karl Popper, dessen kritischer Rationalismus ihn nachhaltig intellektuell prägte.
Als Dahrendorf in die FDP eintrat, war er nicht nur ein renommierter Wissenschaftler, der sich auf den Höhen der soziologischen Theorie bewegte, sondern auch ein anerkannter Wissenschaftspolitiker, der sowohl Willy Brandt bei dessen erster Kanzlerkandidatur 1961 als auch hernach den christkonservativen Kurt-Georg Kiesinger als Ministerpräsident von Baden-Württemberg beraten hatte. Dahrendorf prägte Anfang der sechziger Jahre die eingängige Formel vom "Bürgerrecht auf Bildung" und nahm damit eine zentrale Forderung der Studentenbewegung vorweg.
Über die Motive von Dahrendorfs FDP-Beitritt ist viel gerätselt worden. Ein Wechsel in die Politik war nicht abwegig, zumal in den sechziger Jahren wissenschaftliche Politikberatung, wenn nicht gar -steuerung im Trend lag. Konflikt, Partizipation, Reform waren Leitbegriffe seiner Soziologie, er befand sich damit auf der Höhe der Zeit. Was fehlte, war ein politischer Ort, der nach seinen Worten folgende Anforderungen erfüllen musste:
"Eine liberale Position durchhalten - und wenn schon Partei, dann bitte eine Volkspartei."
Die Volkspartei SPD, in der er politisch aufgewachsen war, genügte den Ansprüchen Dahrendorfs nicht: Ihr attestierte er schon damals die "Erschöpfungssituation einer politischen Entwicklung", da die Grundforderungen des demokratischen Sozialismus inzwischen erfüllt worden seien. Zu dieser scharfsinnigen Diagnose hat sicher auch die Große Koalition beigetragen, die in jenen Jahren das Bild verkrusteter politischer Verhältnisse bot. Hingegen signalisierte die FDP nicht nur eine größere Nähe zum kritisch akademischen Milieu, in dem Dahrendorf beheimatet war. Als kleine Partei mit einer kaum ausgeprägten Hierarchie war sie zudem offener für Seiteneinsteiger, kürzere Karrierewege und raschere Einflussnahmen auf die Schaltzentralen der Partei.
Und Dahrendorf ließ von Anfang an keinen Zweifel daran, dass er sich zu Höherem berufen fühlte. Nach dem Freiburger Parteitag 1968, wo Walter Scheel zum neuen Vorsitzenden gewählt wurde und Ralf Dahrendorf wie ein Komet am FDP-Himmel aufstieg, meldete dieser in einem Interview mit dem "Spiegel" unverhohlen seine Ambitionen auf den gerade neu besetzten Parteivorsitz an.
In den Wochen und Monaten nach dem Freiburger Parteitag war er der Publikumsmagnet der FDP. Er bestach meist vor überfüllten Auditorien durch eine scharfsinnige Intellektualität, die selbst den gefeierten APO-Helden Rudi Dutschke bisweilen blass aussehen ließ. Dahrendorf erinnerte sich später:
"Rudi Dutschke, den ich sehr geschätzt habe, hatte an den parlamentarische Möglichkeiten verzweifelt und glaubte, dass man nur außerparlamentarisch Dinge bewegen kann. Ich war überzeugt, dass es parlamentarisch gehen muss und wollte jedenfalls dafür kämpfen mit dem berühmten Ende, dass er sagt - er sprach von den Fachidioten der Politik - und meinte darunter mich, gerade mich, und da habe ich doch irgendwie eine Grundentscheidung getroffen, die auch bis heute bei mir geblieben ist, nämlich der Glaube an die parlamentarische Demokratie und daran, im Rahmen der parlamentarischen Demokratie für Freiheit und für andere politische Ziele zu kämpfen."
Walter Scheels erzkonservativer Vorgänger Mende hatte noch gewarnt, dass ein FDP-Politiker, der sich gemeinsam mit Dutschke zeige, die FDP wenigstens zwei Prozent Stimmen kosten werde. Dahrendorf hielt dem entgegen, dass er dafür im Gegenzug womöglich fünf bis zehn Prozent einfahren könne. Ganz im Duktus der Außerparlamentarischen Opposition proklamierte er eine "Partei der Unruhe", eine "Volkspartei der Unzufriedenen" und meldete den Anspruch der FDP an - und damit auch seinen eigenen -, "das Land zu regieren".
In seinen im Jahr 2003 verfassten Lebenserinnerungen mit dem Titel "Über Grenzen" schreibt er rückblickend von der "durch Walter Scheel und auch mich zum Koalitionspartner umgeformten FDP".
Solche Formulierungen zeugten nicht nur von völliger Selbstüberschätzung, sondern auch von einer profunden Unkenntnis der innerparteilichen Machtstrukturen. Während Dahrendorf von der öffentlichen Resonanz eines expandierenden links-liberalen Milieus getragen wurde und sich von den radikaldemokratisch auftrumpfenden Jungdemokraten innerparteilich feiern ließ, stellten die machtbewussten Zentristen um Scheel und Genscher die Weichen.
Scheel brauchte Dahrendorf, um neue Schichten für die FDP zu erschließen, die sozialliberale Regierung plante er aber mit anderen Köpfen. Statt des von Dahrendorf anvisierten Wissenschaftsministeriums reklamierte Scheel aus parteistrategischen Erwägungen das Landwirtschaftsministerium für die FDP, um eine laute Stimme des immer noch starken konservativen Flügels ruhig zu stellen. Nicht "Bildung als Bürgerrecht", sondern Ertl in Brüssel war angesagt. Dagegen opponierte in der Parteiführung nicht nur Dahrendorf.
Doch wie Arnulf Baring in seinem Buch "Machtwechsel" schrieb, traute Scheel weder Dahrendorf noch der gleichfalls ambitionierten Parteilinken Hildegard Hamm-Brücher die Führung eines Ministeriums zu.
"Er traute ihnen einfach nicht zu, Ministerämter zum eigenen Vorteil und dem der FDP zu nutzen. (...) Man durfte sich gar nicht ausmalen, was aus der FDP geworden wäre, wenn man auf diese beiden gehört hätte. Das mindeste an Schaden war, dass sie die ganze Fraktion verrückt machten. Aber wegen ihrer vorlauten Aufmüpfigkeit wurden die beiden ja sofort vorsichtig aus dem eigentlichen politischen Geschäft entfernt, anderweitig mit Arbeit eingedeckt, an die disziplinierende Kette einer festen Bürotätigkeit gelegt."
Zu diesem Zweck bot Scheel Dahrendorf frühzeitig an, als Staatsminister ins Auswärtige Amt zu gehen. Der Wissenschaftler fühlte sich durch das Angebot geschmeichelt, und merkte erst, als es zu spät war, dass er auf elegante Weise kalt gestellt worden war. Die Erwartung, mit der neuen Ostpolitik ein Kernanliegen der FDP an zentraler Stelle umsetzen zu können, sollte sich nicht erfüllen. Mit Scheels Einverständnis unternahm der Sozialdemokrat Egon Bahr die ersten operativen Schritte in der Ostpolitik. Dahrendorf blieb nur Zaungast. Die Auswärtige Kulturpolitik, die ihm unterstellt war, schien ihn bald zu langweilen.
Doch der liberale Querkopf begann, mit unbedachten Interventionen, auch ihm Wohlgesonnene zu irritieren und zeigte dabei nicht nur ein hohes Maß an Selbstbezogenheit, sondern auch einen erstaunlichen Mangel an politisch-handwerklichen Fähigkeiten. So unterbreitete er im März 1970 im Bundestag in Gegenwart von Brandt und Scheel den mit beiden nicht abgestimmten Vorschlag, dass "über eine Friedensregelung mit Polen das ganze Volk entscheiden" solle. Über diese, wie Dahrendorf formulierte, "persönliche Meinung", fällte kurz darauf der Doyen der Politikwissenschaft Theodor Eschenburg das vernichtende Urteil:
"Auffällig an seiner Rede ist, dass er mehr als Brandt und Scheel das Wort 'ich' brauchte. Er sprach gern von seiner persönlichen Meinung. Sie ist aber für das Plenum so lange untragbar, als sie nicht von Dahrendorfs Minister akzeptiert ist - und dann wäre sie nicht mehr seine persönliche Meinung. (...) Die Einführung des Plebiszits bedarf einer Zweidrittelmehrheit. Nun wird man einen Volksentscheid allein über eine Friedensregelung mit Polen im Grundgesetz wohl nicht vorsehen können. Es müßte eine generelle Regelung getroffen werden, und welche Kategorien kämen dafür in Betracht? Doch keinesfalls alle Verträge mit fremden Staaten."
Dahrendorf blieb im Machtgefüge der FDP und im Auswärtigen Amt ein Exot. Als er knapp ein halbes Jahr nach Regierungsantritt Bonn den Rücken kehrte und Kommissar in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wurde, bedauerte kaum jemand diesen Schritt. Arnulf Baring schrieb zu seinem Abgang:
"Es fehlten ihm Eigenschaften, die für Inhaber von Spitzenämtern entscheidend wichtig sind. (...) Ihm fehlten Ausdauer, Stehvermögen, Geduld und Bescheidenheit im Umgang, vor allem Beliebtheit in der Partei, fehlten loyale Mitarbeiter, verlässliche Anhänger eine feste Hausmacht. Dahrendorf stand allein. Wie viele Intellektuelle war er leicht verletzbar, rasch zu entmutigen."
Als Ralf Dahrendorf für den Posten in Brüssel nominiert wurde, sagte er einem Reporter: "Wenn Sie wollen, nennen Sie es Resignation." Er war, wie Willy Brandt es ausdrückte, "ein in die Politik verirrter Professor" geblieben.
Während Dahrendorfs Stern sich auf Sinkflug gen Brüssel befand, stand Werner Maihofer noch der Zenit seiner Parteikarriere bevor. Beide "FDP-Professoren", wie sie genannt wurden, hatten erst Ende der sechziger Jahre zur FDP gefunden und sich sogleich in die Parteispitze katapultiert gesehen.
Sie waren brillante Wissenschaftler, denen der akademische Ruhm bisweilen zu Kopfe stieg. Beide hatten sich in den sechziger Jahren mit Vorschlägen zur Universitätsreform einen Namen gemacht und genossen gewisses Ansehen bei den revoltierenden Studenten. Damit endet aber die Gemeinsamkeit, denn der Soziologe Dahrendorf und der Jurist Maihofer waren sich in herzlicher Abneigung zugetan, was nichts Gutes für die Sozialliberalen im zähen innerparteilichen Flügelkampf verhieß. Der soziologische Rollentheoretiker Dahrendorf und der Rechtsontologe Maihofer waren - theoretisch betrachtet - akademische Antipoden, auch wenn sie dies nicht öffentlich austrugen.
Er kenne kaum zwei unterschiedlichere Leute, von Herkunft und überhaupt, befand Maihofer über die Beziehung zu dem elf Jahre jüngeren Dahrendorf, bei ihm gebe es eine "gewisse Ungeschliffenheit im Formalen", beim anderen eine "formale Hochgeschliffenheit". Im Gegenzug nannte Dahrendorf Maihofer, nicht weniger bissig, "den großen Obskuren der internationalen Rechtsphilosophie".
Doch wie bei Dahrendorf, so reichte auch bei Maihofer die intellektuelle Ausstrahlung, um ihn für den neuen Parteivorsitzenden Walter Scheel interessant zu machen. Scheel animierte ihn 1969 zum Parteieintritt und hievte ihn bereits kurz danach in den Vorstand, wo Dahrendorf ebenfalls seinen Platz gefunden hatte.
Maihofers Aufstieg in der FDP wurde mit der Verabschiedung des stark sozialliberal gefärbten Freiburger Programms von 1971 gekrönt, dessen geistiger Vater er als Vorsitzender der Programm-Kommission war. Er gab der FDP erstmals eine gesellschaftspolitische Prägung, indem er die Zentrierung des klassischen Liberalismus auf das Verhältnis des Bürgers zum Staat um das Feld der Arbeitswelt erweiterte. In den "Freiburger Thesen" heißt es dazu:
"Die freiheitliche Demokratie zielt nach der klassischen Tradition des Demokratischen Liberalismus auf eine Ordnung der größtmöglichen und gleichberechtigten politischen Teilhabe und Mitbestimmung aller Bürger an der verfassungsmäßigen Organisation des Staates.
Die freiheitliche Demokratie zielt nach der modernen Konzeption eines Sozialen Liberalismus zugleich auf eine Ordnung der größtmöglichen und gleichberechtigten sozialen Teilhabe und Mitbestimmung aller Bürger an der arbeitsteiligen Organisation der Gesellschaft."
Was damit gefordert war? Die "Gegenwartsaufgabe" der alten liberalen Theorie lasse sich ...) in dem obersten Leitsatz einer liberalen Gesellschaftspolitik zusammenfassen:
"Industrieuntertanen müssen in Industriebürger verwandelt werden!"
Der analytische Bezugspunkt dieses Liberalismus war eine kritische Kapitalismusbetrachtung, wie sie dem damaligen Zeitgeist entsprach. Maihofer sah in den protestierenden Studenten künftiges Wählerpotenzial für eine reformierte FDP. Sein akademischer Ansatz, so erläuterte er seine Position, sei "so links, linker geht´s nicht" gewesen. Nur habe er früher als andere begriffen, dass es "in der marxistischen, materialistischen Theorie nicht weitergeht". Folglich habe er, obgleich "im Bewusstsein mit der Studentenrevolte identisch", den studentischen APO-Rebellen zur innerparlamentarischen Opposition, zum Eintritt in die Parteien geraten, um den Kapitalismus zu reformieren.
Dieser polittheoretische Ansatz machte Maihofers Thesen attraktiv, doch blieben sie diesem Zeitgeist verhaftet und waren für die Weiterentwicklung der FDP kaum anschlussfähig. Das Programm läutete keineswegs, wie Maihofer lauthals verkündete, "den Beginn der zweiten Phase der bürgerlichen Revolution" ein, denn die gesellschaftspolitischen Reformvorstellungen die sich innerhalb der FDP damit verbanden, blieben diffus. Ihr Kernstück war Maihofers Mitbestimmungsmodell, doch dieses erlitt bereits auf dem Freiburger Parteitag eine Niederlage. Es setzte sich der Wirtschaftsflügel durch, mit der Grundüberzeugung, dass die Arbeitgeberseite die Mehrheit behalten müsse.
Das Freiburger Programm sollte eine für die weitere sozialliberale Politik weitgehend folgenlose Episode bleiben. Das zeigte sich spätestens, als zu dessen Fortschreibung Maihofer Mitte der siebziger Jahre die Leitung der Perspektiven-Kommission der FDP übertragen wurde. Parallel tagte die gleichzeitig ins Leben gerufene Wirtschaftskommission. Ihre Ergebnisse leiteten die unter Otto Graf Lambsdorff betriebene wirtschaftsliberale Wende der FDP ein, die auf dem Kieler Parteitag 1977 besiegelt wurde, ohne dass Maihofers Ergebnisse überhaupt berücksichtigt worden wären.
Obgleich es faktisch ohne Konsequenzen blieb, hatte das Freiburger Programm vor allem in intellektuellen Kreisen, unter Akademikern und Journalisten eine gewisse Ausstrahlung. Die FDP erwies sich im Gegensatz zur CDU und zur Sozialdemokratie damit programmatisch auf der Höhe der Zeit. Maihofer hatte der Koalition von SPD und FDP eine eigene Philosophie gegeben, während zur gleichen Zeit die SPD programmatisch nach links driftete. Diese Philosophie fand ihren geschichtsträchtigen Ausdruck in der gleichfalls von Maihofer geprägten Formel vom "historischen Bündnis von Arbeiterschaft und einem geläuterten Bürgertum".
"Alle Koalitionen sind Bündnisse auf Zeit. Aber es gibt doch manche unter uns, die dieses Regierungsbündnis nicht nur als eine pragmatische, sondern als eine programmatische Sache sehen, eine Rückbesinnung und Wiederanknüpfung an gemeinsame politische Tradition jener, Tradition also, von der schon Karl-Hermann Flach sprach, die diese beiden sozialen und liberalen Partner einmal schon auf der gleichen Seite der politischen Barrikade vereinigt hatte. Wenn man das so sieht, dass hier also ein Bündnis entstanden ist, wenn sich, wenn ich das einmal etwas zuspitzen darf, zwischen Arbeitern, die nicht zu Proletariern deklassiert sind, und Bürgern, die nicht zu Bourgeois denaturiert sind, also nun wirklich mal ein Bündnis über diese klassenkämpferischen Gräben hinweg, dann könnte daraus nun eine tragfähige Grundlage gerade für solche substanzielle Reformen, solch weitreichender Wirkung werden, die doch alle fortschrittlichen Kräfte in unserem Lande von den Arbeitnehmern bis zu den Unternehmern hin erfassen müssen, wenn sie wirklich fruchtbar werden soll und nicht wieder zu neuen Spaltungen und Verwerfungen in unserer politischen Landschaft führen soll."
Herbert Wehner schätzte Maihofer wegen dieser intellektuellen Rolle als Bündnisgarant und Walter Scheel umgab sich gerne mit ihm. Er ließ ihn bei Vorstandssitzungen an seiner Seite Platz nehmen und nachdem Maihofer 1972 Minister ohne Geschäftsbereich in der Regierung Brandt geworden war, begleitete er seinen Vorsitzenden auch zu Gesprächen mit Brandt, bei denen er dann auf den zweiten Minister ohne Geschäftsbereich, auf Egon Bahr traf.
Das Blatt wendete sich jedoch, als 1974 Walter Scheel ins Bundespräsidentenamt wechselte und das Kabinett unter dem neuen Kanzler Helmut Schmidt neu gebildet wurde. Genscher wechselte ins Außenministerium, doch die FDP bestand aus Prestigegründen darauf, auch das Bundesinnenministerium zu behalten statt es gegen das Bundesjustizministerium einzutauschen, was ihrem liberalen Profil wohlmöglich dienlicher gewesen wäre.
Vor allem hätte es besser zu der Person gepasst, die für das Innenministerium gehandelt wurde. Aus innerparteilichen Proporzgründen wurde es mit einem Parteilinken, mit Werner Maihofer besetzt. Damit begann sein Abstieg. Bei den Wahlen zum stellvertretenden Parteivorsitzenden im gleichen Jahr unterlag er dem wirtschaftsliberalen Hans Friderichs. Ein erstes Signal, dass sich die Stimmung in der Partei drehte und Maihofers Rückhalt zu schwinden begann. Dies umso stärker, als nun die schwache Seite des einst Umjubelten sichtbar wurde.
Seine administrativen Fähigkeiten wurden vom neuen Kanzler Helmut Schmidt ähnlich abschätzig eingestuft, wie die Dahrendorfs von Willy Brandt. Schmidt betrachtete die Berufung des linken Freidemokraten von vornherein als eine ihm vom kleinen Koalitionspartner aufgezwungene "Fehlbesetzung, an der ich nichts ändern konnte".
Maihofer war mit einer Mammutbehörde wie dem Bundesinnenministerium überfordert, er konnte nicht delegieren und verlor sich häufig in Details. In den Medien wirkte er spröde, er war wie Dahrendorf sensibel und beratungsresistent. Als oberster Verfolger der RAF konnte er seinem liberalen Leitspruch "im Zweifel für die Freiheit" nicht mehr entsprechen. Als die RAF den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer tötete und Fahndungspannen öffentlich wurden, war es um Maihofers politische Karriere geschehen.
Seine Grundierung der sozialliberalen Koalition als ein "historisches Bündnis zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum" war eine Festlegung über den Tag hinaus. Sie bedeutete die gleiche Bindung an den großen Koalitionspartner SPD wie der Bürgerblock mit der CDU in den Jahrzehnten zuvor. Damit hatte die FDP schlechte Erfahrungen gemacht und eine eigenständige Positionierung zwischen den beiden Volksparteien war denn auch das Credo, dem Karl-Hermann Flach folgte. In dieser entscheidenden Frage unterschied sich der dritte große liberale Parteiintellektuelle von Maihofer.
Unter den drei intellektuellen Köpfen der damaligen FDP ist Flach derjenige, der die sozialliberale Programmatik in den Kategorien der praktischen Umsetzung dachte und gleichzeitig die Partei zu integrieren verstand. Das war kein leichtes Unterfangen, denn als er 1971 Generalsekretär wurde, befand sich die FDP und damit die sozialliberale Koalition in einer existenziellen Krise. Eine starke national- wie wirtschaftsliberale Minderheit befehdete das Bündnis mit der SPD, mehrere Landtagswahlen waren verloren gegangen. Flach aber meisterte diese Krise. Er schuf ein organisatorisches Fundament indem er die Parteizentrale restrukturierte und professionalisierte.
Als stellvertretender Chefredakteur der "Frankfurter Rundschau" hatte Karl-Hermann Flach unter dem berühmten Kürzel KHF in den sechziger Jahren auf das Zustandekommen einer sozialliberalen Koalition hingeschrieben. Mit seiner Streitschrift "Noch eine Chance für die Liberalen" legte er 1971 ein Konzept vor, das sich als Mittelweg zwischen Kapitalismus und Kommunismus empfahl. Es war die Planskizze für das mit Maihofer zusammen konzipierte Freiburger Programm. Darin hieß es:
"Die Suche nach dem 'Dritten Weg' zwischen Kapitalismus und Sozialismus gilt im Kapitalismus als abwegig und im Kommunismus als kriminell. Das enthebt den Liberalismus nicht von der Pflicht, nach ihm zu streben. (...) Die Misere des etablierten Sozialismus besteht vorwiegend darin, dass der Mensch nicht beliebig manipulierbar und das Bewußtsein nicht kurzfristig änderbar sind.(...) Die Ausführungen über das bisherige Mißlingen des Sozialismus werden von seinen kapitalistischen Gegnern sicher freudig ausgewertet werden. Doch die marxistische Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen in der kapitalistischen Welt verliert nicht einen Deut ihrer Berechtigung, weil das marxistische Gegenmodell bisher nicht befriedigt."
Seine Bewerbungsrede auf dem legendären Freiburger Parteitag vom Oktober 1971 entsprach dem kapitalismuskritischen Zeitgeist, bot jedoch zugleich genügend Anschlusspunkte für die konservativen Liberalen, denen er den sozialen Liberalismus als einzig wirkungsvolles Abwehrmittel gegen das europaweite Aufkommen der Parteien des demokratischen Sozialismus anzudienen versuchte. Außerdem konnt er sich auf eine verschüttete soziale Tradition des Liberalismus berufen:
"Es ist richtig, dass die FDP mit ihrem Freiburger Parteitag die Hinwendung zu einer modernen sozialliberalen Partei vollzogen hat. Aber gerade das ist eigentlich klassische, liberale Haltung, das war nur zeitweilig ein wenig verschüttet. Unsere liberalen Urväter, Friedrich Naumann zum Beispiel, haben ja sehr früh die soziale Verpflichtung des Liberalismus erkannt, haben sie postuliert in unzähligen Schriften, und haben eigentlich schon - das haben wir mit Freude, Überraschung und auch ein wenig mit Staunen entdeckt - haben sie die Vorarbeit schon für das geleistet, was wir jetzt in Freiburg vollzogen haben."
Bereits als er zum Generalsekretär der FDP gekürt wurde, war seine Gesundheit angegriffen. Der Preis seines politischen Engagements für einen Kurswechsel der Liberalen war ein körperlicher Raubbau. Karl-Hermann Flach starb im Sommer 1973. Zu diesem Zeitpunkt hatte die sozialliberale Reform-Ära bereits ihren Zenit überschritten. Deutschland stand vor der Ölkrise, der Streik im Öffentlichen Dienst hernach lähmte das Land. Die finanziellen Grundlagen für eine ambitionierte Reformpolitik schrumpften ebenso wie das öffentliche Ansehen der Regierung Brandt. Unter ihren Anhängern machte sich Enttäuschung breit und in der FDP waren weitere Absetzbewegungen bemerkbar. Der Sozialliberalismus verging, lange bevor die sozialliberale Koalition ihr Ende fand.
Mit dem Kieler Programm von 1977 schuf die FDP dann die programmatische Grundlage für ihren Wechsel zur CDU 1982. Diesen wirtschaftsliberalen Kurs verschärfte sie nochmals mit den Wiesbadener Grundsätzen von 1997, an deren Erarbeitung Werner Maihofer zwar beteiligt war, ohne jedoch seine frühere Handschrift erkennen zu lassen. Hernach bescherte ihr die wirtschaftsliberale Engführung beachtliche Erfolge, doch ist sie auch der Grund, weshalb die Partei derzeit am Abgrund steht. In der SPD war der Sozialliberalismus schon zu seiner Blütezeit nicht gemocht, der programmatische Mainstream war links. Es liegt eine gewisse Tragik darin, dass die SPD-Intelligenz bei der Wiederentdeckung des demokratischen Sozialismus Flachs und Maihofers Ideen glaubte wie eine Unterabteilung behandeln zu können. In Wahrheit aber hätte deren Sozialliberalismus eine mögliche programmatische Antwort sein können auf eine Entwicklung, die Ralf Dahrendorf, der vormalige Parteiintellektuelle der Liberalen, zu Beginn der 80er Jahre als das Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts beschrieben hatte.