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Dakar, Touba, Saly
Die spirituelle Seite des Senegal

Saly gilt als das "Saint Tropez" Senegals, an den Hotelstränden sonnen sich europäische Touristen, in die Restaurants und Diskotheken kommen auch Senegalesen aus der Umgebung und aus der Hauptstadt Dakar. Doch Senegal hat nicht nur Amüsement zu bieten, sondern auch eine spirituelle Seite.

Von Martina Zimmermann |
    Sonnenaufgang an Senegals Atlantikküste
    Sonnenaufgang an Senegals Atlantikküste (imago / Robert Harding)
    Die Bäcker holen ihre Brote aus dem Ofen, die Verkäuferin schwatzt mit einer Kundin. Es ist acht Uhr morgens. Die Bäckerei liegt an der Hauptstrasse, die von den Einheimischen "Boulevard Ousmane" genannt wird. Auf der Terrasse sitzen auch sog. "Senegallier" beim Kaffee. Das sind Franzosen, die in Senegal überwintern, darunter der Rentner Jean-Pierre:
    "Ich trinke jeden Morgen Kaffee und Orangensaft auf dieser Terrasse und schaue nach den hübschen Frauen. Und den Taxen, die Chaos schaffen. Jeden Morgen Chaos und Hupen! Ich liebe es."
    Die Kollektivtaxen hupen, sie halten an und lassen Kunden aus- oder zusteigen, das sorgt immer wieder für Verkehrsstau. Eine armselige Ziege irrt zwischen den Autos. Auf einem Lastwagen stiefeln Müllmänner mit Mundschutz auf dem Abfall herum. Néné heißt die Bedienung der Bäckerei, die im figurbetonten lila Kleid die Croissants bringt. Sie freue sich auf den Feierabend um 21 Uhr, erzählt mir die Senegalesin:
    "Samstag ist Partystimmung in Restaurants und Diskotheken. - Weil ich am Sonntag frei habe, gehe ich mit meinen Freundinnen in ein Restaurant."
    Doch noch ist es morgens um zehn. Um den Dorfplatz von Saly reihen sich kleine Häuschen, in den Buden sind Metzger, Eisenwarenhändler und afrikanische Fastfoodimbisse. Jugendliche spielen vor einem Haus Tischfussball, Ziegen grasen unter dem Baobab-Baum. Ibrahim bietet sich als Führer an. Laut Reiseführer hat Saly 20 000 Einwohner; Ibrahim behauptet aber, es seien nur 2000 echte Einwohner. Während der Hauptsaison, wenn in Europa Winter sei, kämen dann Tausende von Touristen und Afrikanern auf Arbeitssuche hinzu. Ibrahim zeigt auf ein Haus.
    Kulisse wie aus dem Urlaubskatalog
    "Das ist das Haus des Dorfchefs. Wir haben jetzt auch einen Bürgermeister, der die Kommune verwaltet. Aber bestimmte Probleme regeln die Afrikaner auf afrikanische Art, mit dem Dorfchef. – Probleme in einer Ehe oder zwischen Nachbarn lösen wir lieber auf afrikanische Art, statt zur Polizei zu gehen. Wenn zwei Probleme haben sie, kommen sie und diskutieren und finden einen Konsens. Der unrecht hat, wird dann eine Kolanuss kaufen. Und er wird vor dem Rat der Weisen um Verzeihung bitten."
    Im Sklavenhaus wurden einst Afrikaner gemästet, bevor sie über den Atlantik verschifft wurden. Ibrahim führt mich in das Haus, wir begrüßen den Künstler Halifa Djiteh, der an einem Rahmen für seine halb-abstrakten Sandbilder bastelt. Er hat hier sein Atelier und dient gleichzeitig als Wärter. Seine Werke haben die afrikanische Familie zum Thema. Der Künstler erklärt in der Landessprache Wolof:
    "Senegal ist ein islamisches Land. Muslime dürfen vier Frauen heiraten. Aber die Männer heiraten mehrere Frauen und behandeln sie nicht gleich. Ich appelliere an die Leute, der Wahrheit ins Auge zu sehen: Es ist besser, eine einzige Frau zu haben."
    Ortswechsel: Eine Kulisse wie aus dem Urlaubskatalog im "Safari Beach": Sandstrand, blauer Himmel und blaues Meer, eine Bucht mit Kokospalmen. Kellner im Anzug bringen Cocktails an den Swimmingpool. Hier treffe ich die 21jährige Senegalesin Irène, die hier den Nachmittag mit einer Freundin verbringt. Viel Zeit habe sie allerdings nicht, sagt mir Irène:
    "Ich gehe auf den Markt und kaufe Zöpfe, dann zur Frisörin, wo ich mir eine neue Frisur machen lasse. Danach ziehe ich mich zu Hause um.
    Denn es ist Samstagabend, Saturday! Da gehe ich mit meinem Schatz ins Restaurant, da muss ich doch schön sein!"
    Fischer am Strand von Dakar/Senegal
    Fischer am Strand von Dakar (Deutschlandradio / Gabor Paal)
    Samstagabend in Saly: Die ganze Nacht tummeln sich Touristen und Einheimische in den zahlreichen Restaurants und Diskotheken, in denen internationale Hits gespielt werden. Mir gefällt es besser in einer gemütlichen Kneipe, die ein paar Meter abseits von der Hauptstrasse liegt: Unter dem Baobab-Baum im Innenhof lauschen die Gäste Musikern. Es wird auch der typisch senegalesische Mbalax getanzt. Diese Kneipe heißt eigentlich "Baobab"; doch in Saly sagt jeder, er gehe "zu Yvon". Yvon ist der Wirt:
    "Wir machen keine Werbung, aber das ist Mund-zu-Mund-Propaganda: Die Leute sagen, wir gehen zu Yvon. Daraus wurde "Chez Yvon" als Kneipenname, obwohl ich das gar nicht vorhatte. – Hier kennt jeder jeden, die meisten Gäste kennen sich untereinander, ich kenne fast alle, das ist wie eine Familie."
    In Saly wird bis in die frühen Morgenstunden getanzt und gefeiert. Aber die Senegalesen mit den Rastalocken, die bei Yvon Bier trinken, und die Frauen, die in sexy Kleidung tanzen, sind gläubige Muslime. Viele von ihnen pilgern jedes Jahr in die Heilige Stadt Touba, 160 Kilometer östlich der Hauptstadt Dakar.
    Die größte Moschee Schwarzafrikas
    Dann feiern zwei Millionen Menschen, dass ihr spiritueller Führer Cheikh Amadou Bamba 1907 aus dem Exil heimkehrte. Der Begründer der in Senegal sehr bedeutenden Muriden-Bruderschaft war von den französischen Kolonialherren zweimal verbannt worden, weil diese seine Macht fürchteten. An der Stelle, an der der heilige Mann starb, wurde die größte Moschee Schwarzafrikas errichtet. Sie begründete die Stadt Touba.
    Gefühlte Temperatur am Mittag: 36 Grad. Vom großen Minarett tönt der Ruf des Muezzins und die Menschen strömen zuhauf über den riesigen Vorhof aus Marmor in die Moschee. Vor dem Tor ziehen sie ihre Schlappen aus und nehmen sie in die Hände oder stecken sie in die Tasche. Frauen tragen bunte Schleier, Männer lange farbige Kaftane.
    Die größte Moschee Schwarzafrikas liegt mit ihren Mausoleen auf einer Fläche von über drei Hektar. Sogar die vier kleinen Minarette und die lilafarbenen Kuppeln sind schon von weitem sichtbar. Keramikmosaike zieren die Wände. Hier starb 1927 der Begründer der Muriden-Bruderschaft Cheikh Amadou Bamba. Seine Nachfolger bauten mit den Spenden der Gemeinschaft die Moschee immer weiter aus. Senegal ist zu 90 Prozent muslimisch, die Gläubigen gehören verschiedenen Bruderschaften an. Die Muriden seien besonders tolerant, erklärt Führer Mamadou Diabey:
    Die große Moschee der Stadt Touba 
    In der Stadt Touba: Schwarzafrikas größte Moschee (imago)
    "Der zweite Kalif, der oberste Chef, hatte bereits dazu aufgerufen, unseren ersten Präsidenten Senghor zu wählen. Der war kein Moslem, sondern ein Christ! ... Es gibt bei uns keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Religionen!"
    Im Innern des Mausoleums knien Frauen vor dem Grabmal. Männer rezitieren Koransuren, bitten um Verzeihung, beten für Frieden. Touristen müssen passende Kleidung tragen. Ich habe von einer senegalesischen Freundin einen Kaftan geliehen und trage einen Schal, den ich auch auf dem Kopf binden kann. Ohne Probleme komme ich in die Moschee, darf sogar fotografieren! Immer wieder ertönen Gesänge. Singen gehört zur Religion, erklärt Mamadou Diabey:
    "Wir singen die Schriften des Begründers, das ist die einzige Musik, die hier aus den Lautsprechern dringt. Cheikh Amadou Bamba hat Tausende von Gedichten geschrieben, seine Bücher befinden sich hier in der Bibliothek. Die Leute, die sie singen, kennen sie auswendig und singen die typischen Mouridengesänge."
    Auch zahlreiche senegalesische Künstler singen Lobgesänge auf die Stadt Touba und ihre spirituellen Führer. Darunter Youssou Ndour, der senegalesische Superstar:
    "Der Islam ist eine Religion des Friedens, und um den Islam zu zeigen, darf man auch die Musik benutzen. Eine Minderheit von Extremisten sieht das vielleicht anders, aber ich glaube, Musik und Islam gehören zusammen. Wir glauben alle an Gott und wir glauben, dass diese Religion uns Nächstenliebe lehrt und Toleranz."