Am Anfang der Ausstellung hängt ein unscheinbares, unwirkliches Bild des Schweizer Malers Niklaus Stoecklin aus dem Jahr 1919, das einen schneebedeckten Bergkegel in den Vogesen darstellt wie einen Mondkrater, umgeben von Baumstümpfen und Scherben, dazu ein Kreuz, ein Mensch, ein Kabel, eine Geschoßhülse. Hier, am Hartmannsweilerkopf, fielen im ersten Weltkrieg mehr als 10.000 Soldaten, und dieses in seiner Leere eher neusachliche Bild macht uns noch einmal klar, dass der Surrealismus aus dem Trauma des Ersten Weltkriegs geboren wurde: Die Erfahrung, dass alles auseinanderfliegt, Körperteile, Häuser, Menschen, Weltbilder, die wurde nun künstlerisch umgesetzt, Unvereinbares zusammenmontiert, der Schmerz, der Traum, das Unbewusste sollten revolutionär genutzt und Türen aufgestoßen werden, der Künstler war Vorhut, Provokateur, Magier und Wissenschaftler zugleich.
Während andere Ausstellungen der letzten Jahre, etwa in Ludwigshafen, den Surrealismus als internationale Bewegung herausstellten, unter Einbeziehung vor allem der osteuropäischen Avantgarde, nimmt der Kurator Philippe Büttner nun Paris als das Zentrum der Bewegung ins Visier.
"Wir nehmen die Künstler, die wirklich mit Breton und seiner Gruppe zusammen waren, und schauen, wie vielgestaltig diese Bewegung gewesen ist und ob es nicht möglich ist, an gewissen Stellen historisch ganz präzise zu werden."
Historisch präzise ist die Ausstellung vor allem darin, dass sie auch die Literaten einbezieht – auf einem langen Tisch sieht man Bücher und Manuskripte, darunter den ersten Seitenumbruch des surrealistischen Manifests von 1924, das bei Breton zuerst "Introduction au surréalisme" hieß, mit handschriftlichen Korrekturen. Die Schau versucht nun nicht, die Bewegung chronologisch nachzubuchstabieren, mit allen Klüngeleien, Abspaltungen und Exkommunikationen aus der surrealistischen Kirche, sondern sie öffnet jedem wichtigen Künstler einen Raum. Die Wände der Ausstellung sind ganz in Schwarz gehalten, sie führen uns quasi in eine surrealistische Séance, eine Welt des Traums; und in dieser Dunkelheit beginnen die Bilder zu leuchten wie Fenster in eine andere Welt.
Philippe Büttner beginnt mit den Vorläufern, mit de Chiricos leergefegten Stadtansichten, weitet den Blick aber sehr schnell auf Miró und Max Ernst, die im Hauptsaal miteinander Zwiesprache halten. Man hat Miró immer wieder als dekorativ gescholten – hier sind seine farbintensiven Ding-Aquarien wie Tauchstationen ins Unbewusste arrangiert, während man von Max Ernst grandiose Werke sieht wie "La grande forêt", verrenkte Figuren, erstarrte Materie, und bahnbrechende Skulpturen wie den Vogelkopf oder, im Foyer, das mächtige Königspaar der "Capricorne"-Plastik. Victor Brauners Tier-Visionen bekommen ihren Platz, Meret Oppenheims irritierende Objekte ("ma gouvernante" als Hühner-High-Heels auf Tablett), Hans Bellmers verschnürte Körperteile und Puppen. Das Archaisch-Mächtige ist ebenso da wie die Miniatur, also Duchamps "Boîte-en-valise", Picassos Amöbenweib mit Kind aus der surrealistischen Phase ebenso wie Arp oder Giacomettis Löffelfrau, der Film ebenso wie die Fotografie.
Zusätzlich werden zwei Privatsammlungen vorgeführt: zum einen – erstmals - der Besitz von Bretons erster Frau Simone Collinet, deren Besitz zeigt, wie die Surrealisten sich selbst definierten – zwischen Stammeskunst und Collage, mit allumfassenden Anspruch. Zweitens: Werke aus der Peggy Guggenheim Collection in New York, die zeigen, wie der Surrealismus im Zweiten Weltkrieg Fuß fasste in Amerika.
Aber das ist schon das Ende der Bewegung. Die ungeheure Kraft dieser Kunstrichtung zeigt sich aber noch in den schwächeren Arbeiten, denn auch von Tanguy oder Dalí, von Magritte und Delvaux gibt es hier Wegweisendes zu sehen. Am Ende historische Fotos von Sitzungen, bei denen Bretons Ehefrau die Trance-Gedanken des Dichters Robert Desnos notiert, und Filme wie Bunuels "Andalusischen Hund", der als Endlosschleife läuft.
Dunkelkammer der Träume, Spielzeugladen der Revolution: mit dieser ungeheuer vielfältigen, wissenschaftlich präzisen und atmosphärisch dichten Ausstellung hat der Kurator Philippe Büttner eine Art Meisterstück abgeliefert, und wenn er jetzt, als Nachfolger des legendären Christian Klemm an Kunsthaus Zürich wechselt, sei ihm ein dreifaches Salut nachgerufen: Man wird ihn in Basel vermissen.
Während andere Ausstellungen der letzten Jahre, etwa in Ludwigshafen, den Surrealismus als internationale Bewegung herausstellten, unter Einbeziehung vor allem der osteuropäischen Avantgarde, nimmt der Kurator Philippe Büttner nun Paris als das Zentrum der Bewegung ins Visier.
"Wir nehmen die Künstler, die wirklich mit Breton und seiner Gruppe zusammen waren, und schauen, wie vielgestaltig diese Bewegung gewesen ist und ob es nicht möglich ist, an gewissen Stellen historisch ganz präzise zu werden."
Historisch präzise ist die Ausstellung vor allem darin, dass sie auch die Literaten einbezieht – auf einem langen Tisch sieht man Bücher und Manuskripte, darunter den ersten Seitenumbruch des surrealistischen Manifests von 1924, das bei Breton zuerst "Introduction au surréalisme" hieß, mit handschriftlichen Korrekturen. Die Schau versucht nun nicht, die Bewegung chronologisch nachzubuchstabieren, mit allen Klüngeleien, Abspaltungen und Exkommunikationen aus der surrealistischen Kirche, sondern sie öffnet jedem wichtigen Künstler einen Raum. Die Wände der Ausstellung sind ganz in Schwarz gehalten, sie führen uns quasi in eine surrealistische Séance, eine Welt des Traums; und in dieser Dunkelheit beginnen die Bilder zu leuchten wie Fenster in eine andere Welt.
Philippe Büttner beginnt mit den Vorläufern, mit de Chiricos leergefegten Stadtansichten, weitet den Blick aber sehr schnell auf Miró und Max Ernst, die im Hauptsaal miteinander Zwiesprache halten. Man hat Miró immer wieder als dekorativ gescholten – hier sind seine farbintensiven Ding-Aquarien wie Tauchstationen ins Unbewusste arrangiert, während man von Max Ernst grandiose Werke sieht wie "La grande forêt", verrenkte Figuren, erstarrte Materie, und bahnbrechende Skulpturen wie den Vogelkopf oder, im Foyer, das mächtige Königspaar der "Capricorne"-Plastik. Victor Brauners Tier-Visionen bekommen ihren Platz, Meret Oppenheims irritierende Objekte ("ma gouvernante" als Hühner-High-Heels auf Tablett), Hans Bellmers verschnürte Körperteile und Puppen. Das Archaisch-Mächtige ist ebenso da wie die Miniatur, also Duchamps "Boîte-en-valise", Picassos Amöbenweib mit Kind aus der surrealistischen Phase ebenso wie Arp oder Giacomettis Löffelfrau, der Film ebenso wie die Fotografie.
Zusätzlich werden zwei Privatsammlungen vorgeführt: zum einen – erstmals - der Besitz von Bretons erster Frau Simone Collinet, deren Besitz zeigt, wie die Surrealisten sich selbst definierten – zwischen Stammeskunst und Collage, mit allumfassenden Anspruch. Zweitens: Werke aus der Peggy Guggenheim Collection in New York, die zeigen, wie der Surrealismus im Zweiten Weltkrieg Fuß fasste in Amerika.
Aber das ist schon das Ende der Bewegung. Die ungeheure Kraft dieser Kunstrichtung zeigt sich aber noch in den schwächeren Arbeiten, denn auch von Tanguy oder Dalí, von Magritte und Delvaux gibt es hier Wegweisendes zu sehen. Am Ende historische Fotos von Sitzungen, bei denen Bretons Ehefrau die Trance-Gedanken des Dichters Robert Desnos notiert, und Filme wie Bunuels "Andalusischen Hund", der als Endlosschleife läuft.
Dunkelkammer der Träume, Spielzeugladen der Revolution: mit dieser ungeheuer vielfältigen, wissenschaftlich präzisen und atmosphärisch dichten Ausstellung hat der Kurator Philippe Büttner eine Art Meisterstück abgeliefert, und wenn er jetzt, als Nachfolger des legendären Christian Klemm an Kunsthaus Zürich wechselt, sei ihm ein dreifaches Salut nachgerufen: Man wird ihn in Basel vermissen.