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Dalia Grybauskaite, Präsidentin der Republik Litauen
"Diese Migrationskrise ist komplizierter als die Wirtschaftskrise"

Die Präsidentin der Republik Litauen, Dalia Grybauskaite, zollt Bundeskanzlerin Merkel großen Respekt. Weil es solche Führungspersonen gebe, sei Europa in der Lage, auch sehr schwierige Fragen zu lösen, sagte die Staatschefin im Interview der Woche des DLF. Die Kanzlerin nehme eine riesige Verantwortung auf ihre Schultern.

Dalia Grybauskaite im Gespräch mit Sabine Adler |
    Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite
    Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite (afp / Kenzo Tribouillard)
    Sabine Adler: Frau Präsidentin, Sie werden in der kommenden Woche Deutschland besuchen. Kann das als ein Zeichen der Solidarität mit Kanzlerin Angela Merkel verstanden werden, der viele Menschen vorwerfen, schuld an dieser ernsten Flüchtlingskrise zu sein?
    Dalia Grybauskaite: Ich habe die Kanzlerin immer unterstützt. Wir haben viel zusammengearbeitet, zwei Jahrzehnte lang praktisch schon. Ich treffe sie immer im Europäischen Rat, wo sie sich den globalen Herausforderungen stellt, von der Wirtschaftskrise über die Bankenkrise bis hin jetzt zur Migrationskrise. Und ich kann bezeugen: Nur, weil es solche Führungspersonen gibt, ist Europa in der Lage, auch sehr schwierige Fragen zu lösen. Denn die Kanzlerin ist sehr verantwortungsbewusst, nimmt riesige Verantwortung auf ihre Schultern. Sie kennt sich bei jeder Frage bis ins Detail aus, arbeitet hart und ist am Tisch jeweils eine der kenntnisreichsten Personen, jedenfalls im Europäischen Rat. Von daher denke ich, ohne sie war es nicht möglich, die Wirtschafts-, Euro-, Schulden- und Bankenkrise zu lösen und wäre es jetzt unmöglich, die Migrationsfragen zu lösen. Diese Migrationskrise jetzt ist noch komplizierter als die Wirtschaftskrise. Und noch sind wir erst am Anfang, eine Lösung zu finden, denn das Problem ist schwierig und kritisch. Aber ich unterstützte ihre Bemühung völlig."
    "Der große Zustrom von Migranten ist in jedem Land eine sehr sensible Angelegenheit"
    Adler: Hat sie einen Fehler gemacht?
    Grybauskaite: Ich denke, als Führungsperson stehst du vor Entscheidungen, die dich trennen von einem rein logisch betrachteten Gesichtspunkt und deinem ganz persönlichen Verständnis davon, welche Verpflichtung du hast gegenüber Menschen, die in Not sind in der Welt. Und manchmal kann es sein, dass diese beiden Herangehensweisen, die Verantwortung und der Wille, nicht zusammenpassen. Vor allem, wenn jemand denkt, dass es grundsätzlich Werte und Verantwortung für Menschlichkeit gibt, andere aber die Kapazität ihrer Wirtschaft sehen, die gebraucht wird, um so viele Flüchtlinge zu integrieren. Und dann ist da drittens noch das Verständnis der Bürger, ihre Bereitschaft, viele Menschen aus anderen Kulturen zu akzeptieren. All dies muss zusammengebracht und das übergeordnete, alle verbindende Interesse herausgefunden werden. Man muss bei den globalen Entwicklungen immer auch die jeweilige innenpolitische Situation betrachten. Der Terror und die vielen Bedrohungen ringsherum spielen eine Rolle, wenn es um die Akzeptanz von Migranten geht. Der große Zustrom von Migranten ist in jedem Land eine sehr sensible Angelegenheit.
    Adler: Würden Sie zustimmen, dass Deutschland in der Flüchtlingskrise isoliert dasteht in Europa?
    Grybauskaite: Nein, das denke ich nicht. Obwohl wir in unserem Land nicht immer einverstanden sind mit allen Details bei den Methoden und Vorschlägen, wie die Krise gelöst werden soll. Jeder versteht, dass Deutschland eine riesige Last und Verantwortung auf sich nimmt. Natürlich sind nicht alle Lösungsvorschläge für jeden gleichermaßen akzeptabel. Aber dass Deutschland als Problemlöser auftritt, vereint uns alle. Bei den Details sind wir unterschiedlicher Meinung.
    Adler: Würden Sie unterstützen, dass Kanzlerin Angela Merkel UN-Generalsekretärin wird?
    Grybauskaite: Es tut mir leid zu sagen, dass sie als Deutschlands Kanzlerin wichtiger ist in Europa als in der UNO, diese Position ist heute wichtiger und nötiger für Europa
    Adler: Muss ich das so verstehen, dass Sie lieber eine schwache Führungspersönlichkeit hätten als UN-Generalsekretär?
    Grybauskaite: Jede internationale Organisation, einschließlich die Vereinten Nationen, besteht aus Mitgliedsstaaten und ist nur dann stark, wenn die Mitgliedsstaaten stark sind. Und deswegen: Merkel wird für Europa gebraucht und deswegen ist es besser, sie in Europa zu halten (lacht).
    "Wir haben keine Erfahrung mit der Integration muslimischer Menschen"
    Adler: Vorige Woche kam ein junger Mann aus Afghanistan nach Litauen. Er wurde willkommen geheißen, weil er bereits ein wenig Litauisch spricht. Können wir daraus schließen, dass sich das Verhältnis zu den Flüchtlingen ein wenig ändert?
    Grybauskaite: Das ist ein sehr spezieller Fall. Dieser junge Mann war Übersetzer, der in Afghanistan für unsere Armeeeinheiten gearbeitet hat. Und deswegen haben wir uns verpflichtet gefühlt, uns dieses, wie auch anderer solcher Helfer anzunehmen, denn sie schweben in großer Gefahr. Er hat uns unterstützt und geholfen, unsere Verpflichtungen in Afghanistan zu erfüllen. Aber deswegen ist dieses Beispiel noch kein Wandel der vorherrschenden Meinung. Die Menschen reagieren da immer noch sehr empfindlich, weil ein Teil von ihnen diese Frage auch mit der Terrorismusgefahr verbindet. Die Kulturen sind so verschieden und wir haben keine Erfahrung mit der Integration muslimischer Menschen, denn es gibt sie bei uns praktisch nicht. Man begegnet ihnen ziemlich negativ und deswegen sind wir vorsichtig Vorschlägen gegenüber, die mit aller Macht durchgesetzt werden sollen. Überhaupt sind die meisten Länder in unserer Region, die erst seit 26 Jahren ihre Freiheit wiedererlangt haben, sehr negativ jeder Entscheidung gegenüber eingestellt, die mit Macht durchgedrückt werden soll. Das betrifft alle Institutionen: die Europäische Kommission genauso wie die EU generell. Wir sind bereit mitzumachen und wir tun das in einer Reihe von Programmen, aber wir wollen es freiwillig und bewusst tun, mit unserem Verständnis von Solidarität und nicht, weil wir gezwungen werden, solidarisch zu sein.
    "Wir wollen keine Leute, die die Länder und ihre Kulturen, die sie aufnehmen, nicht respektieren"
    Adler: Einige Menschen in Deutschland sind enttäuscht, dass Litauen, die baltischen Länder und Polen keine Flüchtlinge aufnehmen. Würden Sie zustimmen, dass das Litauens Image beschädigt hat?
    Grybauskaite: Litauen war als erstes der Mitgliedsländer einverstanden, eine bestimmte Quote von Flüchtlingen aufzunehmen. Und wir nehmen bereits Flüchtlinge auf. Litauen leistet auch Unterstützung, finanzielle Hilfe und humanitäre Hilfe direkt vor Ort. Wir beteiligen uns an der Finanzierung von Flüchtlingseinrichtungen in der Türkei, wir finanzieren freiwillig Flüchtlingscamps in Jordanien, Libanon und Ägypten über den Madad-Fonds. Wir beteiligen uns an der Finanzierung des UN-Flüchtlings- und Kinderhilfswerks, UNHCR und UNICEF, und am Welternährungsprogramm und am Africa Trust Fond. Wir finden, dass es wichtiger ist, Nichtregierungsorganisationen und UN-Organisationen zu unterstützen und humanitäre Hilfe vor Ort zu leisten, in der Region, aus der die Flüchtlinge herkommen, als eine große Anzahl von Menschen nach Europa zu holen. Denn die Integration in Europa ist ein Vielfaches teurer, sie ist sehr schwierig. Das kann man in Frankreich sehen, wo keine Integration stattfand und auch in einigen anderen Staaten. Und aus dieser Erfahrung heraus sagen wir, dass wir keine Ghettos haben wollen. Wir wollen keine Leute, die die Länder und ihre Kulturen, die sie aufnehmen, nicht respektieren. Wir sind bereit, unsere Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention zu erfüllen, aber der effizientere Weg ist, finanzielle und humanitäre Hilfe vor Ort zu leisten.
    Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite beim Interview mit DLF-Osteuropa-Korrespondentin Sabine Adler.
    Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite beim Interview mit DLF-Osteuropa-Korrespondentin Sabine Adler. (Zivile Didzgalviene)
    Adler: Ich würde gern über die Türkei sprechen, die ihre Hilfe anbietet, mit der Migrationskrise fertig zu werden. Würden Sie sagen, dass die Türkei in diesem Fall ein verlässlicher Partner ist angesichts ihrer Demokratiedefizite?
    Grybauskaite: Lösungen mit der Türkei versuchen wir nur in sehr verzweifelten Situationen zu finden. Der Strom der Flüchtlinge geht ja exakt durch dieses Land. Ich habe das von Anfang an sehr kritisch gesehen, weil der Mechanismus so kompliziert ist.
    Adler: Sie fanden ihn zu kompliziert.
    Grybauskaite: Ja, er ist zu kompliziert. Er ist nah an der Verletzung des Völkerrechts. Und er ist schwer umzusetzen. Es ist ja nicht der Fall, dass der Zustrom der Flüchtlinge vermindert und verlangsamt werden konnte. Es wäre besser gewesen zu verhandeln, dass die Türkei niemandem erlauben darf auszureisen, der keine Chancen als Asylbewerber hat. Jetzt macht es das alles sehr teuer. Es kostet nicht nur Geld, sondern Zeit. Und die politischen Verpflichtungen gegenüber der Türkei, die Verhandlungen über die EU-Mitgliedschaft, das Geld, das die Türkei dafür bekommt, all diese Sachen sind schwierig und sehr sensibel. Aber wir haben das in einem Moment der Verzweiflung getan. Bislang ist das Problem erst mit einer Route gelöst. Die Schmuggler werden eine andere Route finden. Wir haben das grundsätzliche Problem noch nicht gelöst. Aber wie auch immer: Wir müssen verstehen und wir tun das, dass die Türkei wichtig ist – in der Region, bei der Lösung von Problemen, im Kampf gegen ISIS. Aber natürlich ist die Situation in Bezug auf die Meinungsfreiheit in unseren Beziehungen kompliziert. Ich verstehe, dass uns das empfindsamer gemacht hat und die ganze Sache verkompliziert hat.
    Adler: Wie interpretieren Sie die Reaktion von Präsident Erdogan auf das deutsche Satire-Gedicht?
    Grybauskaite: Normalerweise versuche ich Bewertungen anderer Staats- und Regierungschefs zu vermeiden. Ich sage Ihnen, wie ich damit umgehe. Ich werde natürlich auch kritisiert und man zeichnet Karikaturen von mir oder macht nicht besonders nette Fernsehshows über mich. Aber ich habe für mich entschieden, dass jeder das Recht hat zu kritisieren, in welcher Form auch immer. Und ich finde, dass nur die Öffentlichkeit entscheiden darf, ob derjenige Recht hat. Korrekt oder nicht, das sollen die Leute entscheiden, nicht ich. Jede Reaktion von mir würde die Kritiker in eine bessere Position bringen. Ich reagiere nicht und bitte jeden, keine Verfahren anzustrengen und nicht zu versuchen, jemanden dafür zu bestrafen, denn es ist das Recht der Leute, zu sein wie sie wollen.
    "Die Kriminellen sind uns voraus, weswegen Terroraktionen so tödlich und blutig enden"
    Adler: Deutschlandfunk. Das Interview der Woche mit der Präsidentin von Litauen, Dalia Grybauskaite. Ich würde gern zu einem anderen Thema kommen: Der Kampf gegen den Extremismus. Sie haben gesagt, dass wir Krieg auf den Straßen haben. Ist die EU in der Lage und unternimmt sie die richtigen Schritte im Kampf gegen Terror und Extremismus?
    Grybauskaite: Vor einigen Tagen ist der erste Schritt gemacht worden im Europäischen Parlament für den Austausch von Flug-Passagier-Daten. Das war sehr notwendig. Während eines Besuches in Slowenien war ich an der Grenze, um zu sehen, wie sie die Flüchtlinge behandeln. Ich erfuhr von den Polizisten, dass die Fingerabdrücke, die sie von den Flüchtlingen machen, in Slowenien bleiben. Sie werden noch nicht einmal unter den EU-Mitgliedsstaaten ausgetauscht. Das heißt, dass eine Person mit ihren Fingerabdrücken in eine Reihe von Ländern gehen und unter einem anderen Namen Asyl beantragen kann und die Länder nicht kontrollieren können, wer diese Person eigentlich ist. Wir brauchen den Daten- und Informationsaustausch und müssen zusammenarbeiten gegen potentielle Kriminelle oder Terroristen. Wir sind spät dran damit, wir liegen zurück. Die Kriminellen sind uns voraus, weswegen Terroraktionen so tödlich und blutig enden.
    Adler: Müssen wir zugeben, dass Russland den sogenannten Islamischen Staat bekämpft?
    Grybauskaite: Zumindest den Informationen zufolge, die wir als Staatsoberhäupter von unseren Geheimdiensten und von den NATO-Geheimdiensten bekommen, ist nur ein kleiner Teil der Aktivitäten gegen ISIS gerichtet. Anfangs waren es rund 10 Prozent, derzeit sind es rund 20 Prozent. Der Rest richtet sich gegen die Opposition von Assad, um das Assad-Regime zu unterstützen. So gesehen sind Russlands Ziele doch ein wenig andere. Es geht mehr um den Schutz und die Sicherheit des Assad-Regimes und dessen Machterhalt, als darum, ISIS zu bekämpfen.
    Adler: Würden Sie Russlands Ziel in Syrien als einen Versuch interpretieren, sich auf den Westen zuzubewegen, um globale Probleme zu lösen?
    Grybauskaite: Nein. Weil Russland nicht das Ziel hat, globale Probleme zu lösen. Sie haben das Ziel, ihr eigenes Problem zu lösen, zu diplomatischen Ausnahmen zurückzukehren und sie zu legalisieren. Sie wollen zeigen, dass sie wichtig sind. Das Problem in Syrien war, dass die Kampagne gegen ISIS nicht effizient und effektiv genug war und Russland die Möglichkeit ergriffen hat, diesen leeren Platz in der Kommandozentrale zu übernehmen. Wir haben unsere Erfahrungen mit Russland und glauben nicht, was sie sagen. Wir beobachten, was sie tun und bewerten ihr Verhalten anhand der Fakten. Ich kann nicht sehen, dass sich Russland auf den Westen zubewegt, vor allem wegen der jüngsten Ereignisse. Erst vor wenigen Tagen, als ein US-amerikanisches Schiff für Militärübungen auf dem Weg zum Hafen in Klaipeda war, haben sich ihm russische Kampfflieger von Kaliningrad aus genähert, als würden sie es attackieren wollen. Russland hat sich demonstrativ aggressiv verhalten gegenüber NATO-Verbündeten, gegen westliche Länder. Sie zeigten, dass sie irritieren und gegen alle internationalen Verträge und Vereinbarungen verstoßen wollen.
    "Russland demonstriert seine Fähigkeiten mit Gewalt"
    Adler: Ist das vergleichbar mit dem Fall in der Türkei?
    Grybauskaite: Das Verhalten Russlands im Baltikum und auch gegen Länder, die nicht Mitglied der NATO sind wie Schweden zeigt, dass sich Russland international geschwächt fühlt und immer noch seine Fähigkeiten mit Gewalt demonstriert. Russland will gewaltsam an den Tisch der westlichen Kräfte zurückkehren, durch Aggression.
    Adler: Die NATO-Botschafter treffen sich in der kommenden Woche mit Russland. Das wird das erste Treffen seit zwei Jahren sein. Gibt es ein kleines Hoffnungszeichen dafür, dass man zur Kooperation zurückkehrt oder doch zumindest zum Dialog?
    Grybauskaite: Ich habe schon gesagt, dass ich nicht über Hoffnungen sprechen möchte. Ich sehe sehr konkret, was sie in Kaliningrad machen, wie sie sich in Weißrussland benehmen und in der Ostsee, auf See und an Land. Ich nehme an, dass sie mit Weißrussland einen Militärstützpunkt auf belorussischem Gebiet vereinbart haben. Das heißt, dass Litauen von russischen Streitkräften in Kaliningrad und Weißrussland umstellt sein wird. Und für uns ist sehr klar: Solange sie nicht aufhören, sich derart aggressiv zu benehmen und zu provozieren, können wir nicht von Hoffnungen oder Glauben reden. Wir wollen ein anderes Verhalten sehen.
    Adler: Das Pentagon plant, eine Brigade nach Osteuropa zu entsenden. Wird das helfen, das Problem wenn auch nicht zu lösen, so doch in Angriff zu nehmen?
    Grybauskaite: Wir brauchen eine größere Präsenz und eine glaubwürdige Abschreckung in unserer Region, in allen baltischen Staaten und in Polen. Denn ganz gleich, was Russland sagt und welche Propaganda es macht, Fakt ist, dass wir Aggressivität sehen und Provokationen erleben. Wir brauchen NATO-Truppen und größere eigene Truppen. Wir haben die Verteidigungsausgaben erhöht, modernisieren unsere Armee, kaufen neues Equipment, einschließlich Boxer-Transportpanzer aus Deutschland. Wir haben letztes Jahr eine schnelle Eingreiftruppe geschaffen, wir haben die Wehrpflicht wieder eingeführt. Das heißt, wir tun zuerst, was wir selbst können und bitten erst dann unsere Verbündeten, präsenter zu sein.
    "Wir müssen schneller werden bei Entscheidungen und der Anpassung unserer Politik"
    Adler: Welche Entscheidungen muss die NATO auf dem Gipfel im Juni treffen?
    Grybauskaite: Wir müssen schneller werden bei Entscheidungen und der Anpassung unserer Politik, denn das Leben und die Herausforderungen verändern sich schneller. Wir müssen schneller verabreden, wie wir darauf antworten. Wir sehen, wie sich in den zurückliegenden zwei Jahren die Herausforderungen verändert und die Sicherheitslage verschlechtert haben wegen Russlands aggressivem Verhalten in unserer Region. Es geht nicht nur um militärische Attacken, sondern auch um Cyber-Angriffe. Erst vor wenigen Tagen wurde mein Büro angegriffen, das Parlament sowie die Regierung. Wir haben ständig die Informationskampagnen, die Propaganda und die sogenannten unkonventionellen Instrumente der Kriegsführung. Für Warschau gilt also weiter: eine größere Präsenz in unserer Region. Denn dieser Versuch, den Zugang des amerikanischen Schiffs der US-Flotte zu verhindern, ist ein neues Phänomen, dem wir uns stellen müssen. Dann brauchen wir stärkere Luftstreitkräfte. Angesichts der sich wandelnden Bedrohungen müssen auch unsere Verteidigungspläne ständig aktualisiert werden. Militärisch gesehen bleibt Russland die größte Bedrohung und der Warschauer Gipfel muss darauf reagieren.
    Adler: Die Panama-Papiere diese Woche haben gezeigt, dass die Ukraine ein großes Problem mit Korruption hat, sogar oder gerade an der Spitze des Staates. Unterstützt die EU das falsche Land?
    Grybauskaite: Zuallererst muss ich sagen: Wir unterstützen die ukrainischen Menschen. Wir unterstützen keine Regierungen. Die Ukrainer auf dem Maidan haben eine europäische Entscheidung getroffen. Sie sehen ihre Zukunft in Europa und wollen sich in Europa integrieren. Sie wollen, dass ihr Land transparent und effizient ist und nicht korrupt. Jeder Politiker in der Welt, und da schließe ich mich ein, muss transparent und berechenbar für die Menschen sein, die ihn gewählt haben. Alle, die jetzt auf dieser Liste stehen, müssen jetzt klar sagen, nicht nur der Welt, sondern vor allem ihrem eigenen Volk, warum sie in dieser Liste auftauchen, um wieviel Geld es geht und was sie in Zukunft tun werden. Das ist ihre Verantwortung. Das müssen sie zuallererst ihren eigenen Menschen erklären.
    Adler: Frau Präsidentin, vielen Dank für das Interview.
    Grybauskaite: Ich danke Ihnen.

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