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Damon Albarns Brexit-Pop
Soundtrack eines nationalen Nervenzusammenbruchs

Mit seinem Bandprojekt The Good, The Bad & The Queen hat Damon Albarn von Blur und Gorillaz nun das essentielle Album der Brexit-Ära produziert: "Merrie Land" ist der täuschend fröhliche Titel der Platte. Den bedrohlichen Zustand fasst er in einem Wort zusammen: "Angelsächsistenzkrise."

Von Robert Rotifer |
    The Good The Bad & The Queen 2018
    Der britische Musiker Damon Albarn mit seiner Band The Good, the Bad & the Queen (Pennie Smith)
    Was man außerhalb von Großbritannien oft unterschätzt: Sich als erfolgreicher britischer Künstler über den Brexit zu beschweren, ist eine heikle Sache. Schnell ist man als Teil einer jammernden Elite entlarvt, die bloß ihren abgehobenen internationalen Lebensstil verteidigt. Als wir Damon Albarn in seinem Londoner Studio treffen, ist er dementsprechend defensiv in seinem Versuch, den Kontext seiner neuen Platte "Merrie Land" zu umschreiben.
    Fehlentscheidung der britischen Arbeiterklasse?
    Damon Albarn: "Man muss schon tief Luft holen, wenn alles rundherum immer rechtsgerichteter wird. Es ist kein gesunder Zustand. Ich weiß nicht, ob es gut für die Beziehungen zwischen Menschen ist. Alles hat einen Rhythmus: Das, was mit Brexit passiert ist, was in Amerika seinen Widerhall fand und weiter dann nach Europa geflossen ist, das war erst der Anfang dessen, was ich gerne als die 'Angelsächsistenzkrise' bezeichne."
    London, 20 Januar 2015.
    Bandkollege und Künstler Paul Simonon mit seinen gemalten Werken (imago stock&people)
    Während wir uns mit Damon Albarn unterhalten, kommt sein Bandkollege Paul Simonon auf seinem alten Motorrad angefahren. Als Ex-Bassist von The Clash ist er auch sowas wie ein Botschafter der Punk-Generation. Und ein beträchtlicher Teil davon hat vor zwei Jahren für den Brexit gestimmt, darunter auch einer von Simonons alten Kollegen: John Lydon alias Johnny Rotten von den Sex Pistols, der nach dem Referendum jubelte: "Die britische Arbeiterklasse hat gesprochen."
    Paul Simonon: "Well, yeah, they have spoken, but they have been misinformed."
    Nun ja, die haben gesprochen, aber sie waren fehlinformiert, entgegnet Paul Simonon. Für den 62-Jährigen, der Mitte des letzten Jahrhunderts im ethnisch durchmischten West-London aufwuchs, wiederholt sich im Geist des Brexit eine ganz alte Geschichte: "Es macht mich stutzig, wenn die Leute diese Angst vor Menschen haben, die in unser Land kommen. Als ich jung war, hatten die Leute Angst vor den Flüchtlingen aus Uganda, die in den Siebzigern kamen, oder vor den Einwandern aus der Karibik in den Fünfzigern. Dabei sollten sie sich ansehen, was daraus alles entstanden ist. Bands wie die Specials zum Beispiel. Wenn ich diese Einflüsse nicht in mich aufgenommen hätte, dann wäre ein Element von The Clash nie passiert."
    "Brexit Monday" – sechsteilige Podcast-Serie zu britischer Popkultur vor dem geplanten EU-Austritt
    "The Last Man To Leave", einer der verstörendsten Songs auf Merrie Land, klingt geradezu panisch, so als fühlte sich der Sänger gehetzt und verfolgt. Damon Albarn schrieb dieses Lied nach einem betrunkenen Spaziergang zum Nachtsupermarkt, bei dem ihn plötzlich das Gefühl beschlich, er, ein geborener Londoner, der sich selbst als Weltbürger versteht, sei in seiner eigenen Stadt nicht mehr wirklich erwünscht.
    Gefährlicher Präsendenzfall für die Demokratie
    Damon Albarn: "Was hier passiert, ist so eigenartig. Als wären die Leute zu höflich zu sagen: 'Eigentlich wollen wir mit dir nicht mehr leben.' So fühlt sich das für mich an. 'Ihr wollt Leute wie mich nicht wirklich mehr hier haben, oder?' Sie respektieren uns nicht. Nun, wenn ihr uns nicht respektiert, dann werden wir euch dafür nicht missachten, aber wir werden unseren Platz am Tisch einverlangen. Und der einfachste Weg dazu wäre ein zweites Referendum. Ja, es wäre wohl ein gefährlicher Präzedenzfall für die Demokratie, aber wie sich klar erwiesen hat, war das erste Referendum schon genauso gefährlich."
    Der britische Musiker Damon Albarn von der Band "The Good, the Bad & the Queen"
    Der britische Musiker Damon Albarn von der Band "The Good, the Bad & the Queen" (dpa / picture alliance / JazzArchiv / Michi Reimers)
    Ist das überhaupt noch Popmusik oder vielmehr die Vertonung eines nationalen Nervenzusammenbruchs? Im täglichen Strom neuer Soundbites und technischer Details über Binnenmarkt und Zollunion erinnert "Merrie Land" von The Good, The Bad & The Queen daran, dass die Essenz des Brexit eigentlich ganz woanders liegt: In Gefühlen der Entfremdung, der Angst und Paranoia. Und zwar auf beiden Seiten der gespaltenen Nation. Damon Albarn mag in seinem Leben schon ein glücklicherer Mensch gewesen sein, aber er hat das bisher beste Album über diese britische Tragödie geschrieben.