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Dan Diner: Feindbild Amerika. Über die Beständigkeit eines Ressentiments

Da kann man mit noch so großer Begeisterung amerikanische Literatur gelesen, Filme gesehen, Musik gehört haben oder gar durch die USA gereist sein, wenn man die US-amerikanische Außenpolitik für gefährlich oder George Bush II für einen rechten Simpel im Geiste hält, fällt man in diesen Zeiten schnell in Ungnade. Man ist anti-amerikanisch, ist mit einem besonders verwerflichen Vorurteil behaftet. Diese Argumentationsstruktur, die in der Kritik immer nur das Ressentiment sehen will, ist beleibe nicht neu, wird aber aus den verschiedensten Anlässen immer wieder in neuem Gewande hervorgeholt. Zu Wort gemeldet hat sich in dieser Sache nicht zum ersten Mal jetzt der Historiker Dan Diner. Er hatte schon in der Golfkriegsdiskussion der Feuilletons und politischen Talkshows eine Rolle gespielt.

Barbara Eisenmann |
    Die nur geringfügig modifizierte Neuauflage einer bereits 1993 veröffentlichten Polemik des deutsch-israelischen Historikers Dan Diner zur historischen Genese des Antiamerikanismus in Deutschland, aktualisiert durch ein Kapitel zur Lage der Dinge nach dem 11. September, trägt wenig zur gegenwärtig emotional höchst aufgeladenen Diskussion um die angespannten deutsch-amerikanischen Verhältnisse bei, ja wirkt geradezu kontraindikativ. Indem der Autor sich auf das Genre der Polemik verlegt und das komplexe Gefüge "Antiamerikanismus" auf seine ressentimenthaften Anteile verkürzt, also bewusst keinen analytischen und methodisch stringenten Zugang zu seinem Thema wählt, verschenkt er die Möglichkeit eines klärenden Beitrags und trägt sein alt-neues Scherflein zum Erregungsoverkill im transatlantischen Zwist bei. Dem hierzulande unmittelbar nach dem 11. September verordneten Anti-Antiamerikanismus hat sich inzwischen ein Befremden gegenüber den USA hinzugesellt, das einer genauen Analyse bedürfte, statt unter den mundtot machenden Verdacht des Antiamerikanismus zu fallen, ein Verdikt, das im Moment gegen jeden geschleudert werden kann, der sich US-amerikanischer Politik gegenüber nicht affirmativ verhält. Die Lager sind leicht zu überschauen: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, lautet die Parole, und Zwischentöne sind nicht erlaubt.

    Angesichts einer zunehmend komplexer werdenden Welt bedarf das verwirrte Bewusstsein Amerikas als alles beherrschende Macht, als Hort der Kabale, der Ränke und des Bösen. Solcher Manichäismus erleichtert zweifellos die Orientierung in einer unübersichtlichen Zeit. Und so gesehen ist Antiamerikanismus auch eine weltanschauliche Reduktion von Komplexität.

    So stellt sich aus einem etwas anderen Blickwinkel das Panorama aus der Sicht des Autors dar. Polemisch lässt sich hier fragen, ob auch die US-Administration Komplexitätsreduktion betreibt, wenn sie die Welt schlicht in Freunde und Feinde Amerikas teilt. Als Fachmann für moderne Geschichte hätte der Autor die Gelegenheit nutzen können, dem "verwirrten Bewusstsein", das hier verallgemeinernd entmündigend unterstellt wird, mit einer kritischen Bestandsaufnahme auf die Sprünge zu helfen. Er hätte sich die gegenwärtig abzeichnenden Veränderungen im Verhältnis Europas zu Amerika vornehmen und dabei den transatlantischen Gemeinsamkeiten und Differenzen nachgehen können - Stichwort: Militarisierung der Außenpolitik - oder beispielsweise nach den "tieferen Schichten eines gegen Amerika gerichteten historischen Ressentiments" graben können.

    Nicht einmal den Begriff 'Antiamerikanismus’, der gegenwärtig so viel Verwirrung stiftet, vermag der Leser nach der Lektüre genau zu definieren. Liest man Diners psychologisierende Polemik im gegenwärtigen Zusammenhang, so erweist sie sich nämlich in erster Linie als historische Zitatenfundgrube. Sie bietet bloß den Fackelträgern des Antiamerikanismusvorwurfs, die unter diesem Label allerorten nach Feinden des Westens und der Freiheit fahnden, reichhaltig Material. Diners zentrales Argument dabei:

    Bei aller Unterschiedlichkeit der Embleme und Metaphern des antiamerikanischen Ressentiments ist ein Element jedenfalls von durchgängiger Beständigkeit – das Element einer ambivalenten, vornehmlich aber feindseligen, durch Angst bestimmten Reaktion der Moderne gegenüber. Schließlich gilt die amerikanische Moderne als die modernste aller möglichen Varianten. Und weil sie in welcher Ausformung auch immer zur Zukunft aller zu werden droht, neigen Traditionsgesellschaften unterschiedlicher Provenienz dazu, auf die allgegenwärtigen Phänomene der Moderne in Gestalt eines antiamerikanischen Ressentiments zu reagieren.

    Von der deutschen Romantik über die Weimarer Republik, die Nazizeit bis zur Gegenwart reicht dabei Diners Kollektion antimoderner und im Fall Deutschlands völkisch-national gefärbter "antiamerikanischer" Äußerungen. Allerhand Disparates wird umstandslos unter dem Überbegriff des Antiamerikanismus versammelt. Und ebenso umstandslos lässt sich dann auch die zentrale These, dem antiamerikanischen Ressentiment in Europa und zumal in Deutschland liege historisch gesehen eine antiwestliche Haltung zugrunde, im letzten Kapitel mit dem Titel "Nach dem 11. September. Amerika verstehen" auf arabische und islamische Gesellschaften heute übertragen.

    Amerika sei, weil als imperiale Republik verfasst, grenzenlos. Diese interessante Überlegung Diners, die übrigens auch Michael Hardts und Antonio Negris Empire zugrunde liegt, wird leider nur angerissen, und auch die Frage, in welcher Weise diese anders geartete Beschaffenheit Amerikas, sein so genannter Exzeptionalismus sich auf europäische Wahrnehmungsmuster des amerikanischen Kontinents ausgewirkt habe, gehen unter. Die USA zum "pluralistisch verfassten Imperium der Zukunft" zu deklarieren, das weder territorial verstandener Nationalstaat noch Vielvölkerstaat kontinentalen Zuschnitts sei, ist eine Sache; wie es seine imperiale Aufgabe angemessen wahrnehmen könnte, aber eine andere. Da hätte man schon gerne Genaueres gewusst; auch um das europäisch-us-amerikanische Verhältnis gegebenenfalls neu zu bestimmen.

    Gerne rekurriert Dan Diner übrigens auf psychologische Spekulationen, deren Vokabular sich auf Begriffe wie narzisstische Kränkung, Wiederholungszwang, Rationalisierung oder Reaktionsbildung beschränkt. Der Erklärungswert derartiger Psychologisierungen ist allerdings gering. Was beispielsweise soll wohl die Äußerung erhellen, die historische Kontinuität antiwestlicher Bilder und Embleme gleiche einem Wiederholungszwang? Oder die Verbrechen des Nationalsozialismus, gleichsam psychisch verschoben, würden in der westdeutschen Kultur der Bundesrepublik den USA aufgebürdet?

    Wenn, wie Diner es in verschiedenen Kontexten tut, ein Zusammenhang zwischen Antiamerikanismus und Antisemitismus hergestellt wird, dann steht sicher außer Frage, dass beide Haltungen in der nationalsozialistischen Propaganda eng miteinander verwoben waren und Amerika als der Ort verteufelt wurde, an dem – so die Diktion - einflussreiche Juden die Weltherrschaft zu erlangen versuchten. Wenn aber dieser Zusammenhang sehr viel weiter gefasst wird und beiden Haltungen eine vergleichbare formale und inhaltliche Struktur zuerkannt wird, eine "untergründige Verwandtschaft", wie Diner es formuliert, weil beispielsweise beide auch ohne jegliche Kenntnis des Gegenstandes vertreten würden oder beide ähnliche Metaphern verwendeten oder eben auch beide Einstellungen als weltanschauliche Reaktionen auf die Moderne verstanden werden könnten und nicht zuletzt weil, wie es unter Verweis auf Max Horkheimer heißt, Antiamerikanismus immer von Antisemitismus begleitet würde, dann wird damit eine vorurteilsfreie Diskussion um den Antiamerikanismus heute eher verhindert, indem einer noch stärkeren Immunisierung gegen amerikakritische Einwände jeglicher Art das Wort geredet wird. Am Ende ist der Autor wohl selbst einem Ressentiment erlegen, und zwar dem des Anti-Antiamerikanismus, denn Ressentimentanalyse betreibt er hier letztlich als polemisierende und auch ideologisierende Ressentimentproduktion. In der gegenwärtigen Diskussion ist damit niemandem geholfen.

    Dan Diner: Feindbild Amerika. Über die Beständigkeit eines Ressentiments, Propyläen Verlag, kostet 20 Euro und hat 236 Seiten.