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Daniel Cil Brecher: Fremd in Zion. Aufzeichnungen eines Unzuverlässigen.

Tel Aviv - Düsseldorf - Jerusalem - und dann zurück nach Europa, in die Niederlande. Das sind die Lebensstationen eines Menschen, der die Zerrissenheit zwischen Diaspora-Judentum und zionistischer Erziehung nie überwinden konnte, der als Jude weder in Deutschland noch in Israel eine Heimat fand. Daniel Cil Brecher hat diese Erfahrung in seinen autobiographischen "Aufzeichnungen eines Unzuverlässigen" zu Papier gebracht. Er verbindet historische Analyse und persönliches Erleben und gelangt so zu provokanten Thesen, die ihm in Israel das Etikett "Nestbeschmutzer" einbrachten.

Von Brigitte Baetz. Red. am Mikrofon: Christina Janssen |
    " Natürlich kann man als Gegner der israelischen Politik sehr gut in Israel leben. Sehr viele, vielleicht zehn Prozent der Bevölkerung, denkt so wie ich heutzutage in Israel. Und das sind Menschen, die es auch in Israel aushalten. Also ich hätte das schon gekonnt, denke ich, aber der Grund, warum ich gekommen war, war eben eine neue Heimat für mich zu finden, und das ging nicht."

    Daniel Cil Brecher, 1951 in Tel Aviv geboren und in Düsseldorf aufgewachsen, lebt heute in Amsterdam. Sein Entschluss, Deutschland zu verlassen und sich als 25-Jähriger ein Leben in Israel aufzubauen, war, wie er sagt, eher das Resultat einer Abstoßung als das einer Anziehung.

    " Ich gehöre einer Generation an, die in Deutschland keinen Frieden gefunden hat. Ich sage das jetzt auch mit Sicht auf meine Altersgenossen, die auch noch in Deutschland leben und die immer noch dieses Gefühl haben, dort nicht zu Hause zu sein oder nicht in Frieden mit der Umgebung leben zu können."

    " Der Ursprung unserer Eltern war durch den Holocaust verdeckt oder hinter dem "Eisernen Vorhang" verschwunden, Vorgeschichte und Erinnerung an Familie und Heimat fielen unter das Schweigen, das um "die Vergangenheit" herrschte, und die deutsche Gesellschaft kam für viele von uns als Vorbild und Ziel von Anpassungsbemühungen nicht in Frage. (...) Als Lösung schien nur die Auswanderung nach Israel zu bleiben. Meine Generation in Deutschland war für diese nationalistischen und zionistischen Ideen nicht nur äußerst empfänglich, sie hatte ihnen so gut wie nichts entgegenzusetzen. Eltern und Umwelt entwarfen kein Gegenbild, keine alternative Diagnose für unser Gefühl der Fremdheit und Isolation und keine alternative Therapie. Stillschweigend wurde damit auch das negative Selbstbild fortgesetzt, das der Zionismus mit antisemitischen Ideologien teilt: dass die traditionelle jüdische Existenz in der Diaspora abnormal ist und durch den einen oder anderen Eingriff verändert werden muss."

    Brechers Buch lebt vom Blick des doppelten Außenseiters: dem des deutschen Juden, der sich mit dem Land der Täter nicht identifizieren kann, und dem des deutschen Nachkriegsintellektuellen, dem Nationalismus und Militarismus verhasst sind. Lebendig beschreibt der Autor seine Erfahrungen. So wie sich das hochgerüstete Israel im permanenten Ausnahmezustand befindet, so durchlebt der junge Neueinwanderer ein ständiges Wechselbad der Gefühle und Gewissenskonflikte. Als Historiker im Dienste der israelischen Armee fühlt er sich in seiner Arbeit von zu vielen Vorgaben behindert. Er findet, dass der Staat Israel den Holocaust für seine Zwecke instrumentalisiert und ist befremdet. Die tägliche Demütigung der Palästinenser kränkt seinen Sinn für Gerechtigkeit. Er bleibt ein Gespaltener: Bei den Feierlichkeiten zum Jahrestag der Eroberung Jerusalems kann er nicht vergessen, dass dieser Tag für die andere Hälfte der Bevölkerung, nämlich die Araber, ein Tag der Trauer ist.

    " Am jüdischen Feiertag hatte ich mich meiner Frau und einigen Freunden angeschlossen, stand nun verlegen und verloren am "Platz der Israelischen Verteidigungsarmee" und wartete auf den Beginn des Marsches. Unter Freunden und Kollegen wurde mir inzwischen eine nörgelnde "Negativität" gegenüber allem, was Israel betraf, nachgesagt. Ein Vorwurf, gegen den ich mich hartnäckig wehrte. Aber kaum am Treffpunkt angelangt, bereute ich mein Kommen. Das Schauspiel, was sich mir bot, erinnerte mich an Massenaufmärsche kommunistischer und faschistischer Regimes und machte meine Hoffnungen, an diesem Tag nicht durch "negative" Bemerkungen aufzufallen, gleich zunichte."

    Brecher bleibt "fremd in Zion", auch weil er seine Bedenken und Skrupel mit fast niemandem teilen kann, weil er vielen als Nestbeschmutzer gilt. Eine Gemeinschaft, die sich als David versteht, der gegen einen immer gefährlichen Goliath antreten muss, lässt ihren Kritikern wenig Raum.

    " Der politische Konformismus, der hat mich am meisten gestört, die Kritiklosigkeit, mit der alle wichtigen politischen Dinge von der Bevölkerung hingenommen werden. Das störte mich sehr. Ich kam ja aus einer ganz anderen Situation, mit der Kritik gegenüber dem Staat und den Ideologien, im Nachkriegsdeutschland sind wir alle so aufgezogen worden. Und Israel war das genaue Gegenteil: Da gab es wohl eine große ethische und kulturelle Vielfalt der Einwanderungsgruppen, aber politisch war alles gleich geschaltet."

    Wie sich die Reihen der Gemeinschaft schließen, erlebt Brecher, als die israelische Armee 1984 in den Libanon einmarschiert. Er muss sich zum Dienst melden - hin und her gerissen zwischen Solidaritätsgefühlen mit seinem Land und dem Mitleid für die palästinensischen Flüchtlinge, die unter Beschuss geraten.

    " Nach der schlaflosen Nacht machte ich mich, um dem morgendlichen Verkehrsstau zu entgehen, früh auf den Weg. Auf Höhe des Kreuzklosters musste ich anhalten. Mir zitterten die Beine, und mein Magen hatte sich völlig verkrampft. Während hinter mir pausenlos wütende Autofahrer hupten, übergab ich mich am Straßenrand. Die Angst hatte inzwischen ganz von mir Besitz ergriffen. Alle Rundfunksender hatten das normale Programm unterbrochen. Aus dem Autoradio strömten die Berichte über die ersten Zusammenstöße mit der syrischen Armee, die Teile des Libanon kontrollierte. Die Nachrichten wurden in jenem schnellen, nervösen Ton vorgetragen, der allein schon das Publikum darauf vorbereitete, dass etwas Schreckliches geschehen war. Der Tonfall gehörte zu den vielen kleinen, oft unmerklichen Signalen, die in den Momenten der Gefahr die Menschen in den Modus der kollektiven Handlungen und Gefühle versetzten."

    Diesen kollektiven Gefühlen widersetzt sich Brecher, er will nicht Teil einer Wagenburg Israel sein, und zum Helden fühlt er sich wohl auch nicht geboren. Die Idee von der Notwehr der israelischen Bevölkerung gegen eine ungerechtfertigte arabische Aggression ist für ihn ein Mythos, der die Ursachen und die Dynamik des Nahostkonflikts ausblendet. Und da dieser Mythos zum Selbstverständnis Israels gehört, kann sich Brecher auch mit dem Staat auf Dauer nicht identifizieren. Sein Lebensbericht, der Mitte der 80er Jahre mit seinem Wegzug nach Europa endet, ist allerdings mehr als eine Reflexion über die Unmöglichkeit, eine neue Heimat in Nahost zu finden. Parallel dazu erzählt er die Geschichte des Staates Israel von seinen Anfängen bis heute. Wer sich in der Historie der Region auskennt, wird dabei vielleicht nicht viel Neues finden. Die doppelte Perspektive von persönlichem Erleben und historischer Rückschau hat jedoch ihren besonderen Reiz und eröffnet einen neuen Blick auf einen Konflikt, der weiterhin einer der brisantesten der Weltpolitik bleiben wird.

    Eine Rezension von Brigitte Baetz. Daniel Cil Brecher, heißt der Autor. Der Titel: Fremd in Zion. Aufzeichnungen eines Unzuverlässigen. Die Deutsche Verlags-Anstalt München hat das Buch herausgegeben. 416 Seiten. 22,90 Euro.