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Daniel Dennett: "Von den Bakterien zu Bach - und zurück"
Blick des Philosophen auf die Evolution des Geistes

Körper und Geist, Natur und Kultur - dazwischen besteht kein grundlegender Unterschied. Vielmehr ist alles ein Ergebnis der Evolution. Diese These vertritt der US-amerikanische Philosoph Daniel Dennett. Anschaulich und mit Sprachwitz legt er sie dar in seinem neuen Buch "Von den Bakterien zu Bach – und zurück. Die Evolution des Geistes".

Von Tomma Schröder | 08.08.2018
    Cover von Daniel C. Dennett: "Von den Bakterien zu Bach – und zurück. Die Evolution des Geistes", im Hintergrund ist ein Notenblatt zu sehen
    Daniel Dennett beschreibt in seinem neuen Sachbuch, warum auch der menschliche Geist ein Ergebnis der Evolution ist. (Suhrkamp / imago / Collage: Deutschlandradio)
    Daniel Dennett hält nicht viel von Übernatürlichem. Er glaube "nicht an Geister, nicht an Elfen, nicht an den Osterhasen und auch nicht an Gott", schrieb der amerikanische Star-Philosoph mal in der "New York Times". In seinem neuen Buch "Von den Bakterien zu Bach - und zurück" wandelt er daher strikt auf den naturwissenschaftlichen Pfaden.
    "Wenn wir die Reparaturmechanismen in Bakterien, die Atmung bei Kaulquappen und die Verdauung von Elefanten erklären können, warum sollte dann nicht auch das bewusste Denken des Homo sapiens seine Geheimnisse diesem sich immer weiter optimierenden Moloch Wissenschaft offenbaren?"
    Dualismus von Materiellem und Immateriellem
    Spätestens seit Descartes den Dualismus von Materiellem und Immateriellem in eine philosophische Theorie gegossen hat, gilt die Kluft zwischen Körper und Geist, zwischen Natur- und Geisteswissenschaften vielen als unüberwindbar. Die kartesische Wunde nennt Dennett dies – und er will sie heilen. Denn dem Philosophen zufolge, und er weiß viele Wissenschaftler an seiner Seite, existiert diese Wunde gar nicht. Für Dennett gibt es nichts Immaterielles, nichts Mirakulöses, das außerhalb der Reichweite der Naturwissenschaften verbleibt. Vom Bakterium bis zu Bach – und seinem Geist – ist alles ein Ergebnis der Evolution – auch wenn viele das nicht wahrhaben wollen.
    "Schon der Gedanke, die Evolution durch natürliche Selektion könne für das Verständnis der Kultur eine grundsätzliche Rolle spielen, erfüllt manche Menschen – darunter auch kluge und nachdenkliche Leute – mit Abscheu. Für sie ist die menschliche Kultur etwas Einzigartiges, ein wunderbares Geschenk, das uns vom Tier unterscheidet."
    "Kompetenz ohne Verständnis"
    Dennett ermahnt seine Leser immer wieder, dieser Abscheu nicht nachzugeben. Er will die Dinge ganz von vorn erklären. Und er tut das in seiner gewohnten Art und Weise: anschaulich, sehr klug und mit viel Sprachwitz. Am Nestbau der Vögel, den Prellsprüngen der Antilopen und dem Verhalten des Flötenregenpfeifers erklärt er, wie die Natur "Kompetenz ohne Verständnis" schafft. Wie sie Lebewesen hervorbringt, die auf intelligenteste Weise an ihre Umgebung angepasst sind, ohne dass sie ihr eigenes intelligentes Verhalten verstehen müssen.
    Doch nicht nur die Natur ist ein intelligenter Designer, auch der Mensch schafft intelligentes Design. Als Kronzeuge dient Dennett hier Alan Turing, der ähnlich wie die Natur, eine Maschine erschaffen hat, die nicht wissen muss, was sie tut oder was Mathematik ist, und dennoch die komplexesten Rechnungen durchführen kann.
    "Darwin als auch Turing behaupten, etwas wahrhaft Beunruhigendes entdeckt zu haben – Kompetenz ohne Verständnis. Darwin zeigte, wie brillantes Design durch Kaskaden völlig stupider Prozesse entsteht; das System für Turings Prozesskaskaden war jedoch das Produkt eines höchst intelligenten Designers, nämlich Turings selbst. Man könnte sagen, dass Darwin die Evolution durch natürliche Selektion entdeckte, während Turing den Computer erfand."
    "Ein Evolutionsprozess kultureller Entitäten"
    Doch wie entstand dieser intelligente Designer Alan Turing, wenn am Anfang der Entwicklung nur eine Ursuppe stand, in der völlig geistlose Prozesse stattfanden?
    "Es gibt einen Mittelweg, der sowohl den Geistes- als auch den Naturwissenschaften Genüge tun kann. Er erklärt, wie die menschliche Kultur sich durch einen Evolutionsprozess kultureller Entitäten – Meme – entwickelte, die unsere Gehirne in etwa so infizierten, wie Viren es mit unseren Körpern tun."
    Wie macht man Feuer? Wie funktioniert eine Rechenmaschine? Was ist ein Choral? Erst durch die Entwicklung der Sprache und der Kultur, die diese Information quasi vererbar machte, so Daniel Dennett, habe der Mensch begonnen ein Verständnis und eine Kultur zu entwickeln, die weit über die Fähigkeiten aller anderen Lebewesen hinaus geht.
    Zielgruppe
    Alle die mehr über die Evolution des Gehirns erfahren wollen.
    Erkenntnisgewinn
    Die oft streng getrennten Bereiche der Natur- und Geisteswissenschaften lassen sich aus der Sicht des Philosophen mühelos vereinen.
    Spaßfaktor
    Wer teils recht anstrengende Langstrecken nicht scheut, wird auf seine Kosten kommen.
    Daniel Dennett
    "Von den Bakterien zu Bach – und zurück. Die Evolution des Geistes."
    Aus dem Englischen von Jan-Erik Strasser
    Suhrkamp-Verlag, 510 Seiten, 34 Euro