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Daniel Gerlach
"Der Nahe Osten geht nicht unter"

Kriege, Terror, Autokraten - aus dem Nahen Osten dringen nur selten gute Nachrichten zu uns. Die arabische Welt gilt als die Krisenregion der Welt schlechthin. Grund genug für den Autor Daniel Gerlach, einen Kontrapunkt zu setzen.

Von Jan Kuhlmann |
Daniel Gerlach, Chefredakteur der Zeitschrift "Zenith"
Daniel Gerlach, Chefredakteur der Zeitschrift "Zenith" (Zenith)
Es ist nur wenig Jahre her, da sorgten die arabischen Aufstände für einen seltenen Optimismus in einer Region, die vor allem für ihre Krisen und Konflikte bekannt ist. Auf einmal, so schien es, befreiten sich die Menschen mit einer Art Urschrei von jahrzehntelanger Unterdrückung und stürzten ihre Diktatoren. Das Ergebnis ist bekannt. Dem arabischen Frühling folgte der Winter, wie eine beliebte Metapher lautet. Der Journalist Daniel Gerlach sieht das anders. Für ihn ist der Frühling noch lange nicht am Ende:
"In jedem Fall handelt es sich um eine epochale Entwicklung, die sich trotz etlicher Bemühungen autoritärer Kräfte in der arabischen Welt nicht mehr ungeschehen machen lässt. Denn sie hat gezeigt: Kein Diktator, kein Autokrat kann mehr sicher sein zu herrschen, bis er an Altersschwäche stirbt. Und absolute Macht ist eine Illusion."
So viel Optimismus tut gut beim Blick auf eine Region, die ansonsten vor allem düstere Gedanken auslöst. Und es ist kein Zweckoptimismus, den Gerlach hier beschwört. Die arabische Welt erlebt historische Veränderungsprozesse, schon allein wegen ihrer Gesellschaften, die immer jünger werden. Gerlach, Chefredakteur des auf den Nahen Osten spezialisierten Magazins "Zenith", kennt die Region, nicht zuletzt durch viele Reisen. Er beschreibt in dem Buch episodenhaft und in einem Plauderton Menschen, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft machen. Und die die großen Übel der Region bekämpfen könnten - etwa den Konfessionalismus. Oder, wie Gerlach ihn nennt, den Sektarismus - also etwa die Trennung zwischen den beiden großen Strömungen des Islam, zwischen Sunniten und Schiiten.
"Diese Geisteshaltung hat dem Nahen Osten großen Schaden zugefügt. Sie war nicht die Ursache, sehr wohl aber der Brandbeschleuniger für Kriege. Sie stellte die Betriebstemperatur für explosive Reaktionen her. Nach dem Despotismus ist der Sektarismus die zweite große Geißel der nahöstlichen Gesellschaften."
Kein Vergleich zum 30-jährigen Krieg
Der Einfluss der Religion verführt zu einem historischen Vergleich, der in Deutschland populär geworden ist: Die arabische Welt, so heißt es da, erlebe wie einst Europa einen 30-jährigen Krieg. Parallelen sind zu erkennen - doch hält Gerlach den Vergleich letztlich für irreführend. Und bringt ein gerne übersehenes Argument an: dass es sich beim Konflikt in Syrien weniger um einen Stellvertreterkrieg größerer Mächte handelt - sondern dass sich große Teile der Bevölkerung gegen ein diktatorisches Regime erhoben haben:
"An der Beschaffenheit und Lage des syrischen Regimes scheitert dann auch jeder direkte Vergleich mit den Zuständen im Dreißigjährigen Krieg und mit dessen Beilegung: Was 1618 in die Katastrophe führte und ausländische Mächte zur Beteiligung einlud, war eben kein Aufstand großer Teile der Bevölkerung innerhalb eines souveränen Staates mit dem Ziel, das Staatsoberhaupt [...] zu stürzen."
Am spannendsten wird Gerlachs Buch dort, wo er von Orten und Begegnungen erzählt, die für Journalisten sonst nur schwer zugänglich sind: etwa vom früheren irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki. Er wird für die vertiefte Spaltung zwischen Schiiten und Sunniten und somit für den Vormarsch des IS verantwortlich gemacht. Al-Maliki spielt heute in Iraks Machtkampf nur noch eine Nebenrolle.
"Wie er da saß, in seinem intarsienverzierten Sessel und in einem verhältnismäßig großen, leeren Raum, wirkte der gefürchtete Nuri al-Maliki tatsächlich allein gelassen. Wie ein ehemals geliebter, aber vom Leben gezeichneter Star, der nach dem Ende seiner Karriere gerade den ersten größeren Absturz hinter sich hat. Und der ahnt, dass noch viele folgen werden."
Löblicher Ansatz widerspricht Realität
Gerlach berichtet auch über eine Gruppe von syrischen Clanchefs, Stammesführern, Ärzten, Intellektuellen und Militärs, die zwei Jahre lang eine Charta ausgearbeitet haben - einen neuen syrischen Gesellschaftsvertrag, der nach vielen Jahren Bürgerkrieg den Weg zu einem Frieden ebnen soll und 2017 feierlich in Berlin unterzeichnet wurde. "Ritter der Tafelrunde" nennt Gerlach die Gruppe.
"In unseren Rittern von der 'syrischen Charta' und in vielen anderen gesellschaftlichen Initiativen nimmt ein Syrien Gestalt an, das eine unmissverständliche Antwort darauf geben will: Wir wollen unser Volk zurück und miteinander in Frieden leben. Wir glauben, dass wir den Sektarismus besiegen können - und irgendwann auch einmal die andere Geißel der arabischen Welt, den Despotismus."
Doch hier wird auch eine Schwäche des Buches deutlich. So löblich eine solche Charta sein mag - im syrischen Bürgerkrieg spielt sie derzeit keinerlei Rolle. Den Ton geben andere Kräfte vor - das Regime etwa, das sich jeden Verhandlungen verweigert und nur am Machterhalt interessiert ist. Gerlach will in seinem Buch Hoffnungsschimmer beschreiben - doch diese bleiben angesichts der Realität vage. Veränderungen werden kommen - sie dürften aber noch lange auf sich warten lassen.
Daniel Gerlach: "Der Nahe Osten geht nicht unter. Die arabische Welt vor ihrer historischen Chance",
Edition Körber, 312 Seiten, 18 Euro.