Stellen Sie sich vor, Mozart hätte ein Cellokonzert komponiert und Johann Sebastian Bach auch und Joseph Haydn statt zwei drei. Oder, nein, noch besser und viel einfacher: lassen Sie es sich vorstellen. Von einem, der schon seit seiner Kindheit solche Gedankenspiele spielt und der neben der nötigen Fantasie auch noch das Handwerkszeug besitzt, aus der Vorstellung Wirklichkeit zu machen. "Cello Reimagined" nennt Daniel Müller-Schott seine beim Label Orfeo erschienene neue Platte. Darauf Cellokonzerte, die es eigentlich gar nicht gibt.
Wolfgang Amadeus Mozart: Konzert D-Dur, KV 314, Allegro
Dass Mozart das Cello nicht mochte, ist nicht bekannt. In fast allen größeren Werken darf es mitspielen: den Sinfonien und Opern, den Messen und Quartetten. Nur bei den Konzerten, da hat Mozart das Cello schlicht vergessen. Im Köchelverzeichnis finden wir solistische Werke für Horn, Fagott, Klarinette, Harfe und Oboe, für Klavier und Geige sowieso, und sogar ein Konzert mit Bratsche. Doch Cello? Fehlanzeige. Die meisten Cellisten ärgern sich darüber oder zucken einfach mit den Schultern. Was soll man machen? Nun, man kann es zum Beispiel so machen wie Daniel Müller-Schott. Und sich ein eigenes Mozart-Cello-Konzert schreiben.
Wolfgang Amadeus Mozart: Konzert D-Dur, KV 314, Allegro
Neuer Mozart fürs Cello
Aus der Luft gegriffen ist diese Musik natürlich nicht und manch einem kommt sie wohl auch bekannt vor: Das neue Cellokonzert war nämlich mal ein Flötenkonzert. Im Köchelverzeichnis trägt es die Nummer 285d. Dass dieses Flötenkonzert ursprünglich aber mal ein Oboenkonzert war und Mozart die Musik selbst schon einmal übertragen hat und transponiert von einer Tonart in eine andere, das war für Daniel Müller-Schott ein Wink, dem er gerne folgte. Die nochmalige Bearbeitung der Solostimme ist also gar nicht so erstaunlich. Viel erstaunlicher ist, wie gut sie mit diesem Interpreten am Ende funktioniert. Denn Müller-Schotts Cello tanzt so flink und schnell und elegant, wie es eine Flöte oder Oboe nicht besser tun könnte. Wie schwer diese Leichtigkeit eigentlich ist, auf diesem Instrument, um wie viel größer die Masse, die in Bewegung versetzt werden muss, man hört es nicht. Was man stattdessen hört: ein glücklich sprudelndes, vitales, strahlendes Cello, das sich in jedem Takt freut über diesen neuen Mozart.
Wolfgang Amadeus Mozart: Konzert D-Dur, KV 314, Allegro aperto
Mozart ist nicht der einzige, dessen Musik sich Daniel Müller-Schott neu erträumt hat – er-träumt, so könnte man das Re-imagined im Titel der CD vielleicht am ehesten noch übersetzten. Auch Haydn hat in der Fantasie Müller-Schotts ein Cello-Konzert geschrieben, noch eines, denn zwei gibt es ja schon. Das dritte war mal ein Violinkonzert, das Violinkonzert G-Dur, ein Werk des Übergangs. Mit einem Fuß steht es noch im Barock. Für viele Interpreten ein Manko, für Müller-Schott eine Herausforderung. Er macht der braven Partitur gehörig Beine und peppt den Solopart nach altem Gusto auf mit virtuosen Verzierungen und Figuren. Seine Technik erlaubt solche Kunststücke scheinbar mühelos, nirgendwo stößt sie an Grenzen. Der Ton ist voller Spannung, hell und klar, er drückt und dröhnt nicht. Der Bogen fliegt leicht über die Saiten und gibt jedem Strich doch genug Reibung für einen kernigen, substantiellen Klang.
Joseph Haydn: Konzert G-Dur, Hob. VIIa, Allegro
CD mit viel Licht und ein wenig Schatten
Ganz ungetrübt ist der Jubel allerdings nicht über diese neue Platte und diese neuen Konzerte. Denn zur Höchstform läuft Daniel Müller-Schott nur dort auf, wo er Tempo machen kann. Die langsamen Sätze geraten weit weniger überzeugend. Das aber liegt wohl auch an seinen Mitstreitern. Werner Ehrhardt und sein Ensemble L‘arte del mondo, die in den Allegros auf Augenhöhe mit dem Solisten spielen, wirken in ruhigen Gefilden zuweilen desorientiert und phrasieren dann, als stocherten sie im Nebel. Bögen wirken schlaff, die Artikulation könnte wesentlich mehr Luft vertragen, natürlichen Atem und selbstbewusste Zäsuren, die Dynamik mehr Dynamik. Ziemlich müde wirkt das von Müller-Schott adaptierte Mozart-Adagio, KV 261, und auch der finale Mittelsatz aus Johann Sebastian Bachs E-Dur-Violinkonzert singt längst nicht so frei und innig, wie er könnte.
Bleiben wir also lieber dort, wo Müller-Schott und L‘arte del mondo auf volle Touren kommen. Dafür braucht es übrigens nicht unbedingt erträumte, will sagen adaptierte Konzerte. Ein Original geht auch. Denn damit beginnt diese neue und unterm Strich ja doch sehr hörenswerte Platte: mit einem echten Cello-Konzert von Carl Philipp Emanuel Bach. Wobei dessen Echtheit auch wieder nur relativ ist. Denn Bach junior hat für sein Cellokonzert ein eigenes Konzert für Cembalo umgearbeitet. "Cello Reimagined" – das gab es schon damals.
Carl Philipp Emanuel Bach: Konzert A-Dur, Wq 172, Allegro assai
Daniel Müller-Schott und das von Werner Ehrhardt geführte Ensemble L’arte del mondo mit dem Finale eines Cellokonzerts von Carl Philipp Emanuel Bach. "Cello Reimagined" – erträumte Cellokonzerte, von Bach junior und senior, von Mozart und Haydn, erschienen beim Label Orfeo und Ihnen vorgestellt von Raoul Mörchen.
#CELLOREIMAGINED
Werke von Bach, Mozart und Haydn
Daniel Müller-Schott, Violoncello
L’arte del mondo
Werner Ehrhardt, Leitung
Label: ORFEO
Labelcode: 08175
Bestellnr.: C920171
EAN: 4011790920122
Werke von Bach, Mozart und Haydn
Daniel Müller-Schott, Violoncello
L’arte del mondo
Werner Ehrhardt, Leitung
Label: ORFEO
Labelcode: 08175
Bestellnr.: C920171
EAN: 4011790920122