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Daniela Dröscher
"Zeige deine Klasse"

Der Klassenbegriff wirkt etwas veraltet. Zu Unrecht, findet die Autorin Daniela Dröscher, und reaktiviert ihn für ihr neues Buch. Darin erzählt sie die Geschichte ihrer sozialen Herkunft in den fetten Jahren der Bundesrepublik. Es geht um Aufsteigermilieus, Mittelklasse und soziale Migration.

Von Ralph Gerstenberg |
    Im Hintergrund die die Schriftstellerin Daniela Dröscher (2012); Buchcover "Zeige Deine Klasse"
    Die Schriftstellerin Daniela Dröscher (2012) mit ihrem Buch "Zeige Deine Klasse" (imago/Thomas Frey / Hoffmann und Campe)
    Die Dröschers sind eine ganz normale westdeutsche Kleinfamilie. In den 1970er und -80er Jahren haben sie sich in der Mitte der Gesellschaft etabliert. Der Wohlstand wächst. Bald wird das Einfamilienhaus bezogen. Es sind die fetten Jahre der Helmut-Kohl-Ära.
    Nach dem Schulabschluss verlässt die Tochter dieses Milieu, studiert, promoviert, publiziert. In ihrem Buch "Zeige deine Klasse" wird nun die eigene Familie der inzwischen mehrfach ausgezeichneten Autorin Daniela Dröscher zum exemplarischen Untersuchungsobjekt.
    Die Mittelklasse im Mittelpunkt
    Bei der Beschreibung ihrer sozialen Herkunft benutzt sie den guten alten Klassenbegriff: "Ich verwende absichtlich diesen scharfen und lauten Begriff der Klasse. Ich weiß, das ist ein lauter Begriff, eigentlich ist es ein leises Buch, glaube ich", sagt Daniela Dröscher. "Aber in der Klasse verdeckt liegt die soziale Migration, die in der Mitte wurzelt, in der viel beschworenen Mitte. Die Mitte ist eine Ansammlung von sozialen Migrantinnen und Migranten."
    Der Klassenbegriff erfährt in Daniela Dröschers Buch eine überraschende Neuausrichtung oder Erweiterung. Ihre Hoffnung auf politisches Bewusstsein, Engagement und Veränderung richtet sich nicht - wie im marxistischen Diskurs - auf die unteren Gesellschaftsschichten, die, im Klassenkampf solidarisch vereint, als Brüder oder Schwestern zur Sonne, zur Freiheit streben, sondern auf die gesellschaftliche Mitte.
    In der "Mittelklasse" - ein Begriff, der bislang eher in der Autoindustrie Anwendung fand - stecke nicht nur die Norm, sondern auch das Maß, schreibt Daniela Dröscher:
    "Maß muss nicht Norm bedeuten. Eher vielleicht: Mäßigung. Durch den entfesselten Turbokapitalismus werden Stimmen nach Verstaatlichung laut. Ein Chor, in den auch die Neuen Rechten einstimmen. Die Rechten aber predigen das Gegenteil eines friedvollen Miteinanders: die Abwertung. Den Ausschluss. Die Rechte braucht ein konstitutives Außen. Und verkauft die Maskierung dieses Außen als Mut. Wirklicher Mut aber bedeutet, den Kapitalismus gemeinsam zu mäßigen und zu erkennen, dass es für alle reicht."
    "Ich glaube, dass es vielleicht fruchtbar sein könnte, die Mitte an ihre linken Wurzeln zu erinnern", sagt Dröscher. "Also ganz konkret biografisch. Es gibt dieses Milieu, in dem man meine Eltern verorten kann, in dem damaligen Aufsteigermilieu. Das war das größte Milieu dieser Zeit. Und diese Bevölkerungsschicht gibt es immer noch. Sie hat Nachfahren. Es steckt zwischen, in den Generationen."
    Milieuwechsel und materieller Wohlstand
    Um Orientierung und Handlungsfähigkeit zu erlangen, einen Mittelklassenstandpunkt gewissermaßen, erinnert sich Daniela Dröscher an den Blick aus dem Küchenfenster ihres Elternhauses am Fuße des Hunsrück, an den Vater, der aus einer Kleinbauernfamilie stammte und in einem Industriebetrieb zum Maschinentechniker avancierte, an die Mutter, Tochter eines Bergmannes, die als Schlesiendeutsche aus Polen in die Bundesrepublik übergesiedelt war und als Fremdsprachenkorrespondentin arbeitete.
    Der Milieuwechsel der Eltern und der damit verbundene materielle Wohlstand wurde zur Chance für die heranwachsende Tochter, ebenfalls das Milieu zu wechseln, die kleinbürgerliche Welt der Eltern zu verlassen und sich eine neue Welt zu erschließen, die Welt der Bildung, der Sprache, der Kunst, der Reflexion. Lange Zeit hatte sie das Gefühl, ihre Herkunft verschleiern zu müssen, um mit der Konkurrenz am Campus mithalten zu können, und spürte eine Scham, eine lähmende Unsicherheit.
    "Zum einen hat sich das geäußert in vielen Fragezeichen in meinem Kopf", erzählt die Autorin. "Also man ist immer so leicht verschoben, nie so wirklich glasklar am Gegenstand oder an der Sache oder in der Situation, sondern immer so, na ja, fast sich selbst beobachtend. Feine, kleine Unterschiede feststellend, und irgendwie fühlt es sich nicht selbstverständlich an."
    Die Scham verschwindet, indem man sie benennt, sagt Daniela Dröscher. Wohl deshalb beschließt sie ihr Buch auch mit einem "Alphabet der Scham".
    Schonungslose Subjektivität
    Die Geschichte ihrer wenig glamourösen sozialen Herkunft handelt davon, wie man trotz oder gerade wegen eines Milieuwechsels Selbstbewusstsein erlangen kann. Sich nicht verstecken, sondern in seiner Ambivalenz akzeptieren, stärker werden, wacher, politisch aktiver, das ist erklärtes Ziel der sozialen Migrantin Daniela Dröscher. Darauf verweist auch der in seiner Zweideutigkeit eindeutige titelgebende Appell "Zeige deine Klasse".
    "Das ist ein Aufruf, der erstmal mir selbst gilt, sonst niemandem", so Daniela Dröscher. "Ich möchte mich eigentlich ermutigen zu einem sozialen Selbstbewusstsein. Soziales Selbstbewusstsein ist Voraussetzung für Empathie. Und für Handlungsfähigkeit. Also überhaupt ins Handeln zu kommen. Ich bin dabei, ich suche, ich finde, ich verwerfe, ich schaue neu. Ja, das ist ein Appell an mich selbst."
    "Zeige deine Klasse" ist ein Mut machendes, beispielgebendes Buch. Die schonungslose Subjektivität und der Hang der Autorin zum Zitieren, Reflektieren und Kontextualisieren bewahren es vor allzu raschen Verallgemeinerungen, aber auch vor biografischer Belanglosigkeit.
    Daniela Dröschers sprachliche Präzision sowie ihr ausgeprägter Sinn für die Absurditäten des eigenen Daseins machen es zudem zu einem unterhaltsamen Lesevergnügen. Und wenn die verschnarchte Mittelschicht, zu der natürlich auch der Autor dieses Beitrags zählt, tatsächlich mal Klasse zeigen würde, wäre das ja auch nicht verkehrt.
    Daniela Dröscher "Zeige deine Klasse. Die Geschichte meiner sozialen Herkunft",
    Hoffmann und Campe, 250 Seiten, 20 Euro.