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Dank dem Diktator

Wie kaum einer anderer hat der Schriftsteller Stefan Zweig zu Beginn des 20. Jahrhunderts so fein die charakteristischen Seelenlagen des modernen Menschen ziseliert, etwa in der "Schachnovelle" oder in "Verwirrung der Gefühle". Wie ein neu entdeckter Briefwechsel zeigt, schient Zweigs Instrumentarium gegenüber einer realen Figur jedoch nicht ganz gegriffen zu haben: bei Benito Mussolini.

Von Thomas Migge |
    "17. Januar 1933. Exzellenz, mit tiefer Bewegung und großer Dankbarkeit habe ich heute die Nachricht von Ihrem Großmut erhalten. Ich fühle mich wirklich bewegt von ihrer Güte..."

    Mit diesen Worten beginnt ein Brief, den Stefan Zweig verfasste und dessen Existenz bisher unbekannt war. Zweig schrieb ihn an einen Italiener. An einen Politiker, mit dem er sich in keiner Weise identifizieren konnte. Für den erklärten Antifaschisten Zweig war der italienische Duce Benito Mussolini eher eine abschreckende Figur, ein Mann, den der österreichische Jude 1933 aber noch nicht verachtete. Erst 1938 führte das faschistische Regime die Rassengesetze ein. Im Jahr des Briefes von Stefan Zweig fand sich in Italien noch keine Spur von staatlich verordnetem Antisemitismus.

    Den erstaunlichen Brief von Zweig entdeckte vor wenigen Wochen der Italiener Fabio Rugge im römischen Staatsarchiv. Rugge ist Dekan der politikwissenschaftlichen Fakultät der Universität Pavia:

    "Ich recherchiere das Leben eines italienischen Antifaschisten mit Namen Giuseppe Germani, der ein Anhänger von Giacomo Matteotti war, einem Sozialisten, der von Benito Mussolini ermordet wurde. Ich hoffte im Nationalarchiv jenen Brief zu finden, den Stefan Zweig an Mussolini geschrieben hatte, um sich für Germani einzusetzen. Zweig hatte diesen Brief in einem seiner Bücher erwähnt."

    Rugge fand den Brief und zu seinem großen Erstaunen las er, wie inbrünstig sich der österreichische Schriftsteller - 1933 bereits international bekannt - beim Duce für die Freilassung Germanis bedankte.

    Ende 1932 suchte die Ehefrau des verhafteten und zum Tode verurteilten Antifaschisten Germani nach einem berühmten nichtitalienischen Intellektuellen, um ihn zu bitten, sich beim Duce für ihren Mann einzusetzen. Ihre Wahl fiel auf Zweig. Der Schriftsteller entschied sich allerdings nicht für einen öffentlichen Appell an die italienische Regierung.

    "Zweig wählte nicht einen öffentlichen Akt, sondern er schrieb einen Brief, direkt an Mussolini. Der Österreicher war ein Mann, der an das Individuum glaubte und an seine Menschlichkeit. Das erklärt den respektvollen Ton, mit dem Zweig seinen Brief verfasste."

    Die Reaktion des Duce ließ nicht lange auf sich warten. Zunächst begnadigte er den zum Tode Verurteilten zum Exil auf einer Insel in Süditalien. Später wurde Germani sogar freigelassen und lebte weiterhin in Italien. Das Schicksal wollte es aber, dass Germani 1943, nachdem die Deutschen Norditalien besetzt hatten, ins Konzentrationslager nach Mauthausen gebracht wurde.

    Der von Fabio Rugge wiederentdeckte Dankesbrief von Stefan Zweig an Benito Mussolini ist voll des Lobes für den italienischen Diktator. Zweig bezeichnet ihn als einen "Staatsführer", der versuche, sein Land durch "das wilde Meer zu führen, in das sich die Weltgeschichte verwandelt" habe und "in dem viele Staaten untergehen". Der Pazifist und Antifaschist hätte solche Worte nicht schreiben müssen, meint Rugge. Er schrieb sie aber, glaubt der Politologe und Faschismusexperte, weil er Mussolini nicht nur für einen kaltblütigen Diktator hielt:

    "Vielleicht lag das auch daran, dass Zweig, der ja später nie explizit gegen den Nationalsozialismus Position bezog, in Mussolini eine Art guten Diktator sah, der auch menschliche Seiten hatte, und nicht wie die Nazis in Deutschland von Antisemitismus und entarteter Kunst sprach."

    Fabio Rugge weist darauf hin, dass Romand Rolland, der mit Zweig in engen Kontakten stand, die Freilassung Germanis nicht als humanitären Akt interpretierte, sondern als reines politisches Kalkül eines auf sein internationales Image bedachten Diktators. In diesem Sinn verstand Rolland auch die Freilassung eines anderen zum Tode Verurteilen, für den sich Paul Valery beim Duce eingesetzt hatte.

    Zweig kam später nur noch ein einziges Mal auf seinen enthusiastischen Brief zu sprechen. Anscheinend sei er ihm, so Fabio Rugge, peinlich gewesen. "Nichts, noch nicht einmal die wichtigsten literarischen Auszeichnungen, haben mich so glücklich gemacht wie diese Freilassung", schrieb Zweig kurz vor seinem Tod. Von seiner persönlichen und leidenschaftlichen Intervention beim Duce ist keine Rede mehr. Auch nicht davon, dass er Mussolini seine Biographie der Marie Antoinette nach Rom schicken wollte.