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"Dann gibt es da noch meinen Kopf und meinen Körper"

Dimiter Gotscheff habe Stücke zerlegt, "in viele kleine Studien, um dann das allzu menschliche Verhalten herauszuarbeiten", sagt der Theaterkritiker Hartmut Krug. So habe er sich einer Sprache der Zeichen bedient.

Hartmut Krug im Gespräch mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: Der verstorbene Regisseur Dimiter Gotscheff, der als Kind eines bulgarischen Arztes 1962 in die DDR kam, an der Berliner Humboldt-Uni studierte, Tiermedizin übrigens wie sein Vater. Zwei Jahre später wechselte er zur Theaterwissenschaft, lernt Heiner Müller kennen und führt dann die Stücke von ihm auf, bleibt seit 1985 in Westdeutschland. Fünf Jahre lang war er in Bochum, von 95 bis 2000 in der Leitung des Schauspielhauses tätig, dann am Deutschen Theater seit 2005. - Hartmut Krug, den langjährigen erfahrenen Theaterkritiker aus Berlin, möchte ich fragen: Herr Krug, was hat er für Stoffe vornehmlich bearbeitet, welche Handschrift hatte er?

    Hartmut Krug: Na ja, er hat Stoffe bearbeitet, alle zu einer bestimmten Form hin. Das heißt, auf seiner Bühne fand nichts statt, das einer platten Widerspiegelung ähnelte. Er hat seine Schauspieler fast immer in leere Bühnenräume gestellt. Die sollten dann existenzielle Räume sein und ohne direkte gesellschaftliche Verweise auskommen. Er hat Klassiker von Büchner gespielt, von Shakespeare gespielt. Er hat alle seine Stücke, wie Thomas Oberender eben ja schon Müller erwähnte, er hat eigentlich nie ein Stück inszeniert, ohne dass er irgendetwas implantiert hat von Heiner Müller. Und auch das letzte, was ich von ihm gesehen habe – es war wohl auch seine letzte Inszenierung -, ist "Zement" am Residenztheater in München von Heiner Müller. Und was er dann gemacht hat, ist sozusagen sagen die Texte als das, was die Schauspieler auf der leeren Bühne machen. Er hat mal gesagt, ich nehme das Stück als Material, als Sprache und als Literatur, und dann gibt es da noch meinen Kopf und meinen Körper und den Kopf und den Körper der Schauspieler, und das ist es, was ich mache und was auf der Bühne passiert.

    Köhler: Fast alle Stücke von Heiner Müller, Sie haben es gesagt, prägend die Arbeit und die Freundschaft, Bekanntschaft mit ihm. Die antiken Klassiker Arthur Miller und Tschechow waren auch dabei. Was für eine Sprache ist das, wie muss ich mir so eine Bühne vorstellen? Nimmt er die an die Hand, ist das komisch? Nein, bei Leibe nicht, oder?

    Krug: Nein, es ist nicht absichtlich komisch. Aber es ist so, dass er nie Psychologie erzählt, es sind keine psychologischen Studien, sondern er zerlegt die Stücke eigentlich von der gesellschaftskritischen Aussage her in viele kleine Studien, um dann das allzu menschliche Verhalten herauszuarbeiten, Motiv, Strukturen aufzubauen. Und dieser Wille, immer nur den Schauspieler im nackten Raum zu haben, ist manchmal auch in doppelter Hinsicht der nackte Schauspieler im nackten Raum. Er hat ja zum Beispiel den Macbeth gespielt von sieben Schauspielern auf leerer Bühne, die aus dem Publikum nach oben traten mit ihren Wasserflaschen und dann weitgehend nackt waren und den Text spielten mit gestischen, mimischen Zeichen, mit Theaterblut. Die Künstlichkeit des Theaters, dass dieses, was dort gemacht wird, kein Realismus ist, das war für ihn das Entscheidende, das auszudrücken, und das kann dann auch einmal schief gehen. Als er 1988/89 seine Einstandsinszenierung an der Berliner Schaubühne als künstlerischer Leiter gab, da hat er Macbeth von rauschebärtigen Männern in bodenlangen Kleidern gespielt, wollte auch so Zeichen spielen lassen, wollte auch so Zeichen setzen, und das wurde dann zur unfreiwilligen Komik.

    Köhler: Herr Krug, zum Schluss: Welche Inszenierung aus den zahlreichen ist Ihnen besonders erinnerlich?

    Krug: "Die Perser" zuerst am Deutschen Theater und dann aber – und da zeigt sich …

    Köhler: Inszenierung des Jahres 2007 im übrigen.

    Krug: Ja, und das gleiche Stück hat er dann in Epidaurus im Freien gespielt und inszeniert und da hat sich bewiesen vor dieser mächtigen Kulisse, die gar keine Kulisse, sondern eine Leere war, wie genau er Schauspielern Zeichenhaftigkeit antrainieren kann und sie inszenieren kann.

    Köhler: Der Berliner Theaterkritiker Hartmut Krug zum Tod von Dimiter Gotscheff, dem Theaterregisseur, der in der vergangenen Nacht im Alter von 70 Jahren gestorben ist.


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