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"Dann rückt der Schwangerschaftsabbruch als Option statistisch näher"

Mit einem neuen Bluttest können Gen-Defekte wie das Down-Syndrom bei Embryonen mit geringerem Risiko für die Schwangere nachgewiesen werden. Der Test setze die Schwelle für Schwangerschaftsabbrüche bei Feststellung einer Behinderung herab, sagt der katholische Ethiker Dietmar Mieth. Moralisch rate er von der Pränataldiagnostik ab.

Dietmar Mieth im Gespräch mit Andreas Main |
    Andreas Main: In dieser Woche soll ein Bluttest eingeführt werden, mit dem ein Gen-Defekt erkannt werden soll – und zwar Trisomie 21, besser bekannt als Down-Syndrom. Rund 30.000 bis 50.000 Menschen mit Down-Syndrom leben in Deutschland. Behindertenverbände fürchten, dass der Bluttest der Konstanzer Firma Lifecodexx dazu führen wird, dass Embryonen mit Trisomie 21, also Down-Syndrom, aussortiert werden. Viele der Pro- und Kontra-Argumente sind ausgetauscht worden. Und doch bleibt eine gewisse Ratlosigkeit angesichts der ethischen Konsequenzen dieses Bluttests. Darüber möchte ich sprechen mit Dietmar Mieth, er ist einer der namhaftesten deutschen Ethiker, er war und ist Professor für katholische Moraltheologie, Professor für theologische Ethik, Mitglied in der Ethikkommission. Seine Stimme findet Gehör, auch in der Politik in Berlin.
    Guten Morgen Herr Mieth nach Rottenburg.

    Mieth: Guten Morgen!

    Main: Erstmal grundsätzlich: Was spricht aus Ihrer Sicht ethisch für diesen Bluttest?

    Mieth: Nun ist es ja so, dass dieser Bluttest ein geringeres Risiko für die Frauen, die eine Problemschwangerschaft vermuten oder auch haben, ein geringeres Risiko also für diese Frauen darstellt. Bisher war es so, dass diese Tests mit der Option gemacht worden sind, unter Umständen das Kind nicht zur Welt zu bringen, sondern einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, so dass man jetzt sagen könnte, was bisher mit größerer Belastung und mit größerem Risiko für die Frau verbunden war, dort wird jetzt diese Belastung zurückgefahren und das Risiko für die Schwangere ist also dann geringer beziehungsweise fast nicht vorhanden. Und dann kann hinterher die Sache genauso weitergehen, wie sie vorher mit anderen Methoden gegangen wäre. Die Option, die ja vom Gesetz her nicht verboten ist, die bleibt ja erhalten.

    Main: Sie sprechen die Fruchtwasser- oder Plazenta-Untersuchung an, bei der schon heute Risikoschwangere sich, beziehungsweise das Ungeborene auf Chromosomenstörungen untersuchen lassen können. Da verlieren eben von 1000 Frauen fünf bis zehn ihre Kinder aufgrund des Eingriffs. Was wären die zentralen Gegenargumente gegen diesen Bluttest, der jetzt eingeführt wird.

    Mieth: Zunächst einmal wird man davon ausgehen müssen, dass Menschen vielleicht doch eher zu einem Test greifen, der nicht so invasiv ist, der nicht mit einem so hohen Risiko behaftet ist. Und indem sie eher zu diesem Test greifen, greifen sie auch eher nach der Option, die mit diesem Test verbunden sein kann. Das heißt, dann rückt der Schwangerschaftsabbruch als Option gleichsam statistisch näher, als er es bisher war.

    Main: Gehen wir jetzt mal in Detail: Diejenigen Eltern, die sich ein gesundes Kind wünschen, denen zu unterstellen, sie würden Menschen mit Down-Syndrom nicht wertschätzen, ist das zulässig?

    Mieth: Ich glaube das kann man nicht auf den einzelnen Menschen beziehen. Der einzelne Mensch, der ein Kind haben will, das wenn es lebt eine geringere Belastung für ihn darstellt, also dass er mit dem Kind besser leben und vielleicht auch überleben kann, dem wird man das als Einzelnem in seiner Option für etwas nicht vorwerfen. Auf der anderen Seite ist es aber so, die Schwellenerniedrigung, die erzielt wird, durch pränatale Diagnostik – und in diesem Falle durch eine weniger risikoreiche pränatale Diagnostik – das ist natürlich ein gesellschaftliches Problem. Man kann ohne Weiteres sagen, dass eine Gesellschaft, die mit diesen Möglichkeiten lebt, zugleich auch die Schwelle herabsetzt, was die Überlebenschance von behinderten Föten anbetrifft.

    Main: Sollte diese Gesellschaft sich dann sich dafür entscheiden, diesen Konstanzer Bluttest, der in den USA entwickelt wurde, zu verbieten, wie es gefordert wurde.

    Mieth: Da gibt es sozusagen zwei Seiten. Das eine ist die moralische Seite, das andere ist die juristische Seite. Auf der moralischen Seite würde ich ja ohnehin schon wie bisher eine Pränataldiagnostik nicht empfehlen, sondern davon abraten. Auch in dem meist vorhandenen Risikofall, das heißt, in dem Fall, in dem eine Frau sagen wir mal 35 Jahre und älter ist, also das Risiko des Down-Syndroms bei der Schwangerschaft dann wächst, ich würde natürlich aus moralischen Gründen sagen, man sollte sich überhaupt nicht auf eine Pränataldiagnostik einlassen und man sollte im Rahmen von einem Schwangerschaftsverlauf das Recht auf Nichtwissen in Anspruch nehmen und sich zu einem Kind einstellen, gleich wie dieses Kind dann einmal sein wird.

    Eine andere Sache ist die, wie ist es auf der juridischen Ebene, also auf der gesetzlichen Ebene. Und da ist es wohl so, dass das eine Folge bereits vorhandener Gesetze ist und dass wenn man sozusagen diese Folge auszuschließen versucht, man in logische Probleme hineinkommt und dann müsste man das ganze Fass der Pränataldiagnostik wieder öffnen und müsste sich überhaupt noch einmal auseinandersetzen vor allen Dingen mit den Spätabtreibungen, mit Endimplikationen, die ja immer wieder aus moralischen Gründen hochkommen.

    Ob das möglich sein wird, das wird im Wesentlichen natürlich von politischen Konstellationen abhängen. Ich bin ein bisschen unentschieden bei der Frage, wie man gleichsam von dem moralischen Rat, keine Pränataldiagnostik zu machen, sondern Kinder so anzunehmen, zu akzeptieren, wie man von diesem moralischen Rat sozusagen in das Gesetz kommt, denn das Gesetz kann ja keine Tugenden, also Wohlverhalten auf moralischem Gebiet einfach vorschreiben, sondern es ist ein Gesetz, dass der Gefahrenabwehr für Grundrechte verpflichtet ist. Und diese Gefahrenabwehr steht sicherlich auch hier zur Debatte, wenn es ein Recht auf Leben gibt und zwar vom Anfang der Schwangerschaft an, mindestens. Dann wird man wohl sagen müssen, dass das juristisch neu zu überlegen ist, wie weit man hier gehen will.

    Ob man hier eine Lösung findet, die noch in Kontinuität zu dem bisherigen Vorgehen steht, das halte ich für zweifelhaft. Da müssten wir glaube ich auch gesellschaftlich begleitend eher so handeln, dass Menschen nicht in Risiken hineingeraten bei ihren Schwangerschaften. Das würde also heißen, Ermöglichung von früheren Schwangerschaften und Geburten im früheren Alter bei den Frauen, wenn sie dass denn wollen und wenn das denn verträglich ist mit ihrer Lebensplanung. Und diese Verträglichkeit der Lebensplanung ist eine gesellschaftliche Aufgabe und ich denke, da sollte man vielleicht vorrangig ansetzen.

    Main: Menschen wollen wissen, per se. Sie haben eben vom Recht auf Nicht-Wissen gesprochen. Also in Fragen von Leben und Tod, ist eine ethische Entscheidung nicht leichter zu treffen, wenn ich weiß, was Sache ist? Also auch mit Blick auf Down-Syndrom. Oder überfordert Wissen?

    Mieht: Wissen überfordert selbstverständlich auch. Ich kann mich gleichsam auf Wissen einlassen und vorher noch nicht genau wissen, wie ich mit diesem Wissen umgehen werde. Aber ich gerate dann, wenn ich dieses Wissen auf mich einwirken lasse selbstverständlich in eine gewisse Gesetzmäßigkeit, in eine Option und natürlich auch unter Einfluss. Es ist ja nicht so, als wenn die betreffenden Personen allein stünden. Sie haben einen Mann an ihrer Seite, hoffe ich doch. Oder sie haben auch Ärzte um sich herum. Und die Selbstverständlichkeit, mit der heute Ärzte gleichsam auch mit dem Abbruch ausgebildet werden und dass man in irgendeiner Weise von vorneherein Alternativen vorsieht, die wird sicher auch einwirken auf jemand, der etwas weiß und damit umgehen soll.

    Main: Dietmar Mieth, katholischer Ethiker und Moraltheologe. Mit ihm sprachen wir über die Einführung von Bluttests in dieser Woche, mit denen Gen-Defekte bei Ungeborenen erkannt werden sollen. Danke Ihnen für diese Einschätzung.

    Mieth: Bitteschön.