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"Dann wird halt gar nichts mehr veröffentlicht"

Mit abschreckenden Strafen für die Weitergabe behördlicher Geheimnisse schaffe man die Medien und auch die Demokratie ab, kritisiert Guido Strack, Vorsitzender des Whistleblower-Netzwerk e.V. die Forderung des Vorsitzenden des Bundestags-Rechtsausschusses, Siegfried Kauder.

Guido Strack im Gespräch mit Peter Kapern |
    Peter Kapern: Was da passiert ist, das kann man wohl nur als Supergau bezeichnen. Sie erinnern sich noch, als die Enthüllungsplattform WikiLeaks gemeinsam mit großen Medienhäusern Hunderttausende geheimer Depeschen von US-Diplomaten veröffentlichte? – Die journalistischen Partner hatte sich WikiLeaks ins Boot geholt, um in dem gigantischen Berg von Mitteilungen Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, um sicherzustellen, dass für Informanten der US-Regierung durch die Veröffentlichung keine Gefahr entsteht. So weit, so gut. – Jetzt aber geschah das Desaster. Hunderttausende dieser Diplomaten-Depeschen sind jetzt frei zugänglich, und zwar in ihrer Ursprungsfassung, in der unredigierten Version.
    Bei uns am Telefon ist nun Guido Strack, der Vorsitzende des Whistleblower-Netzwerks e.V. Guten Morgen, Herr Strack!

    Guido Strack: Guten Morgen!

    Kapern: Herr Strack, wenn jetzt Informanten der US-Regierung in totalitär regierten Ländern in Lebensgefahr geraten, wie bewerten Sie das?

    Strack: Ja das ist natürlich auf den ersten Blick erst mal etwas ziemlich Schlimmes. Die Frage ist aber, wer dafür die Verantwortung trägt.

    Kapern: Und was denken Sie?

    Strack: Ich denke, die Amerikaner kannten das Buch von dem Guardian-Journalisten ja auch, haben gesehen, dass da ein Passwort drinsteht, und wenn sie clever gewesen wären, hätten sie das ja auch mal ausprobieren können, schon im Februar.

    Kapern: Gleichwohl, vor diesem Desaster hat es ja einen monatelangen Schlagabtausch zwischen Julian Assange, dem WikiLeaks-Gründer, und seinem ehemaligen Sprecher Daniel Domscheit-Berg gegeben, der selbst eine Enthüllungsplattform jetzt aufbauen will hier in Deutschland. Sie hatten sich gegenseitig vorgeworfen, es mit dem Informantenschutz nicht ernst zu nehmen. Ist die Ursache für das, was wir da jetzt erleben, nicht auch der Konflikt zweier Egomanen?

    Strack: Ich denke nicht, dass es der Konflikt zweier Egomanen ist. Ich denke, dass es ein strukturelles Problem von Leaking-Plattformen ist, die eben nicht rein automatisch funktionieren und die Sicherheit nicht automatisch herstellen können, was ja immer behauptet wurde.

    Kapern: Worin besteht dieses strukturelle Problem?

    Strack: ..., dass einfach jemand sich die Dokumente anschauen muss, die Dokumente analysieren muss. Zum einen verraten sie den Whistleblower, also den, der das Dokument geleakt hat, aber auch dahin gehend sind andere Informationen darin, die den Datenschutz betreffen, oder die Sicherheit von anderen Informanten, die herausgenommen werden müssen, und das geht halt nicht automatisch. Dann haben sie also Leute, die das machen müssen, und das ist eine potenzielle Gefahr, dass diese Leute das nicht vernünftig machen, oder die Informationen über die nach außen gelangen, und genau das ist passiert.

    Kapern: Aber das heißt doch in Wahrheit, Herr Strack, das Risiko dieser Leaking-Plattformen besteht darin, dass man es auch dort mit Menschen zu tun hat?

    Strack: Genau!

    Kapern: Dann sollte man sie doch besser schließen, weil dieses Problem lässt sich ja nicht lösen.

    Strack: Das Problem lässt sich zum Teil eingrenzen, indem man halt den Kreis verringert, indem man mehr Erfahrungen mit solchen Dingen macht. Ich denke, die jetzige Erfahrung wird sicherlich dazu führen, dass die viel vorsichtiger sein werden, als sie das in der Vergangenheit waren.

    Kapern: Wer wird vorsichtiger sein?

    Strack: Die Leaking-Plattformen und diejenigen, die mit ihnen zusammenarbeiten. – Und das andere Problem ist ja eines, das beim klassischen investigativen Journalismus auch bestand. Nur haben die bisher halt nicht mit solchen Datenmengen zu tun gehabt und brauchten deswegen auch nicht so große Kreise von Leuten, die an einem einzigen File dann beteiligt waren.

    Kapern: Angesichts dessen, was da passiert ist, müsste doch jemand, der brisante Unterlagen in der Tasche hat und überlegt, sie zu veröffentlichen, weil er damit Missständen vorbeugen will, jetzt eigentlich seine Unterlagen in einen Schredder stecken und sagen, ich bring mich doch nicht um Hals und Kragen mit so einer Aktion.

    Strack: Das machen die meisten Leute ja ohnehin: Sie schweigen, wenn sie Missstände sehen. Und wir wollen halt auch andere Änderungen in Organisationen auf staatlicher Seite, dass diese Leute auch andere Ansprechpartner haben als nur die Medien oder Leaking-Plattformen. Denn es zeigt sich ja auch an anderen Dingen, dass die nicht in der Lage sind, die Missstände wirklich zu beseitigen. Das geht nur unter ganz speziellen Voraussetzungen, die in vielen Fällen gar nicht gegeben sind.

    Kapern: Welche Ansprechstationen könnten das sein?

    Strack: Das könnten zum Beispiel Ombudsleute sein, die es in vielen anderen Ländern ja gibt. Es könnten Korruptionsbeauftragte in Organisationen sein, die dann aber auch nach außen abgesichert werden müssen, dass sie eben nicht nur auf das Wohl und Wehe der Unternehmensleitung zum Beispiel angewiesen sind. Es muss unabhängige Stellen geben, das ist ganz wichtig.

    Kapern: Aber auch da sitzen wieder Menschen.

    Strack: Auch da sitzen wieder Menschen, aber da geht es ja nicht so sehr darum, die Dinge in die Öffentlichkeit zu tragen. Das ist ja schon noch mal eine ganz andere Zielrichtung. Da geht es ja darum, Probleme intern zu lösen.
    Andererseits ist auch richtig: Je mehr Daten elektronisch vorhanden sind, desto mehr müssen wir uns wahrscheinlich auch alle daran gewöhnen, dass hundertprozentige Sicherheit nicht zu haben ist.

    Kapern: Mit der Idee des Leakens, der Leaking-Plattformen waren ja große Hoffnungen verbunden gewesen, vielleicht sogar utopische Hoffnungen, dass dadurch jegliche Demokratie, jegliche Politik besser, offener, transparenter, gerechter werden würde. Können wir das jetzt alles vergessen? Ist das das Ende der Leaking-Plattformen, was wir gerade erleben?

    Strack: Nein! Wir sind ja noch in einem ziemlich frühen Stadium. Die Leaking-Plattformen gibt es ja gerade mal seit ein paar Jahren und wie gesagt, die Dinge werden sich weiterentwickeln. Richtig ist, dass elektronische Dokumente viel leichter verbreitet werden können und dass diese Welt auch viel mehr Transparenz braucht, als sie bisher hat. Wir sind dafür – und das ist ja auch ein Anliegen unseres Vereins -, die Dinge in die Politik zu bringen und zu sagen, es muss in den Gesetzen und es muss in den Köpfen der Menschen Änderungen geben, die dann hoffentlich auch wesentlich langlebiger sind, als das irgendwelche Leaking-Plattformen und einzelne Leaks sind.

    Kapern: Jetzt könnte Ihnen aber WikiLeaks genau in dieser Sache einen Bärendienst erwiesen haben. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Siegfried Kauder von der CDU, fordert nun Gesetzesverschärfungen und er will beispielsweise, dass künftig für klassische Medien, also Hörfunk, Zeitungen, Fernsehen und so weiter, und auch für Internet-Plattformen jede Veröffentlichung Tabu und verboten sein muss, die Menschen potenziell nur in Gefahr bringen kann.

    Strack: Ja gut, dann wird halt gar nichts mehr veröffentlicht und dann schaffen wir die Medien ab. Aber damit schaffen wir auch die Demokratie völlig ab, und mit solchen Vorstellungen wird sich Herr Kauder genauso wenig wie sein Bruder, der Whistleblower ja als Blockwarte bezeichnet hat im Bundestag, durchsetzen können. Und insoweit ist es ja auch hilfreich, dass einige Leute da jetzt ihre Masken fallen lassen und es zu einer Polarisierung kommt, und ich erhoffe mir, dass die Leute, die für mehr Demokratie und mehr Transparenz gerade auch in der Politik und in der Wirtschaft sind, sich Herrn Kauder entgegenstellen werden.

    Kapern: Worauf stützt sich denn Ihre Hoffnung? Ich meine, das was wir gerade erleben mit WikiLeaks ist ja nun wirklich ein Desaster.

    Strack: Das mit WikiLeaks ist ein Desaster, aber wie gesagt, es gibt Alternativen zu WikiLeaks, die aufgebaut und aufgebaut werden müssen. Und dass sich Demokratie langfristig durchsetzt, sehen wir ja zum Beispiel auch in den arabischen Staaten.

    Kapern: Das war Guido Strack, der Vorsitzende des Whistleblower-Netzwerks e.V., heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Strack, vielen Dank für das Interview und auf Wiederhören.

    Strack: Gern geschehen. Tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.