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Danny Boyle über "T2 Trainspotting"
"Da ist nichts Romantisches mehr"

Mit "T2 Trainspotting" startet nun die Fortsetzung des legendären Films von 1996 in den Kinos. Er solle nicht einfach eine Kopie des ersten Teils sein, sagte Regisseur Danny Boyle im Corso-Gespräch. Es geht beim Film ums Altern und den Umgang damit, der Film sei so viel persönlicher. Ein Stilelement bleibt: Die Musik sei wieder vollkommen sichtbar und spürbar.

Danny Boyle im Gespräch mit Amy Zayed |
    Der britische Regisseur Danny Boyle auf der Berlinale 2017, wo er seinen Film "T2 Trainspotting" präsentierte.
    Der britische Regisseur Danny Boyle auf der Berlinale 2017, wo er seinen Film "T2 Trainspotting" präsentierte. (AFP/ Tobias Schwarz)
    Danny Boyle: Ich finde es interessant, wie sehr sich die Deutschen alle für den Brexit interessieren. Ich liebe es, mit Journalisten zu sprechen. Gestern war ich in Moskau und davor war ich in Frankreich und Rom und Madrid. Und mir fällt auf, dass von all den Journalisten, die ich spreche, die deutschen sich am meisten für den Brexit interessieren.
    Amy Zayed: Aber das muss doch total anstrengend sein, wenn man jeden Tag so viele Leute trifft, die einen immer wieder dasselbe fragen. Auch gerade wegen des Brexit. Das hat ja nun nichts mit dem Film zu tun. Oder finden sie das in Ordnung?
    Boyle: Wenn ich anfange, so zu denken, dann benehme ich mich auch so. Und wenn ich mich so benehmen würde, wäre ich widerlich! Daher ist es total wichtig, dass auch ich etwas Interessantes an diesen Interviews sehe. In Moskau zum Beispiel: Ich fand Moskau total super, aber auch total abgefahren und bizarr. Allein schon, wie schwierig es ist, überhaupt nach Russland einreisen zu dürfen. Und darüber habe ich gerade nachgedacht, als mich wieder jemand nach dem Brexit gefragt hat.
    Mir wird immer klarer, was den Leuten in Großbritannien noch gar nicht bewusst ist. Dass wir einen Schritt zurück machen. Dass wir genau dahin wieder zurückkehren, wo Russland jetzt ist. Wir werden es richtig schwer haben, in europäische Länder einzureisen und umgekehrt. Das ist so ein Albtraum, überhaupt nach Russland einzureisen! Da muss man erst mal irgendwo aufschlagen, tausend Formulare ausfüllen, wird angeguckt wie ein Außerirdischer und es ist einfach anders! Meine Kinder sind Europäer. Sie sind damit aufgewachsen, einfach in Europa rumfahren zu können. Sie sehen Europa als ihre Heimat. Sie fühlen sich als Europäer. Und plötzlich sagt man denen: Sorry, das ist aber nicht mehr so. Das ist schrecklich für junge Leute. Sie werden noch mehr desillusioniert. Das System desillusioniert sie noch mehr, als sie es schon sind.
    Als ob wir noch mehr Desillusion in der Politik brauchen. Es ist wirklich das Letzte, was wir jetzt brauchen. Ich glaube, wenn wir heute noch mal wählen müssten, würden alle fürs Bleiben abstimmen. Die Linksparteien und die Parteien der Mitte haben uns nicht wirklich richtig informiert. Nicht die schwerwiegende Bedeutung klargemacht, was es bedeutet, der EU den Rücken zu kehren. Wir haben zugelassen, dass die Rechten, die "Little Englanders", uns dominieren mit ihrem ganzen wirtschaftlichen Gequatsche über Europa.
    Die Schauspieler Jonny Lee Miller, Ewen Bremner, Anjela Nedyalkova und Regisseur Danny Boyle (v.l.) aus  "T2 Trainspotting" bei den 67. Internationalen Filmfestspielen in Berlin.
    Die Schauspieler Jonny Lee Miller, Ewen Bremner, Anjela Nedyalkova und Regisseur Danny Boyle (v.l.) aus „T2 Trainspotting“ bei den 67. Internationalen Filmfestspielen in Berlin. (picture alliance / dpa / Hubert Boesl)
    Wer hat denn über Kultur geredet oder über Frieden oder über Einheit? Niemand, nichts! Das hätte man den Leuten doch einbläuen müssen. Aber was am Ende passiert ist, war, dass die Leute verständlicherweise das Gefühl hatten, sie würden gegen irgendwas protestieren. Bloß hatten sie keine Ahnung wogegen: Ja ja, wir werden doch bloß rumgeschubst von europäischen Politikern! Ist klar! Da gibt's ganze Ortschaften in Wales und Cornwall, die eigentlich nur überleben können, weil sie von EU-Geldern gefördert werden. Und die haben fürs Verlassen der EU abgestimmt. Und du fragst die: Wie bitte? Ihr wollt weg aus der EU? Ihr könntet doch ohne das Geld gar nicht existieren. Und die sagen: Klar wollen wir raus aus der EU, aber die Knete wollen wir trotzdem.
    Zayed: Lass uns mal über den Film "T2 Trainspotting" reden. Wie seid Ihr überhaupt darauf gekommen, eine Fortsetzung zu verfilmen, beziehungsweise sprachen nicht auch eine Menge Argumente dagegen, eine Fortsetzung zu verfilmen?
    Offizieller Trailer zum Film "T2 Trainspotting" auf Youtube:
    Boyle: Der Grund, den Film zu machen ist der, dass die Leute sich an den ersten immer noch erinnern. Aber genau das war auch das stärkste Argument dagegen, den Film zu machen. Denn die Leute lieben diesen Film. Warum also das herausfordern?
    Wir haben es vor zehn Jahren schon einmal versucht mit einer etwas konventionellen Version von "Porno" dem Roman von Irvine Welsh, der der eigentliche Fortsetzungsroman zu "Trainspotting" ist. Auch eine ähnliche Geschichte wie in unserem Film: Renton kommt aus Amsterdam nach Hause et cetera. Der Film war jetzt nicht schlecht. Er war okay, professionell gemacht und alles. Aber es fühlte sich wie eine schlechte Kopie vom ersten Film an und deshalb wurde er auch nie veröffentlicht. Er hätte nämlich nur enttäuscht. Er wäre eben nicht das Original gewesen. Und das war genau der Grund, den Film eben nicht zu machen.
    Wir haben uns erst wirklich entschlossen, einen zweiten Versuch zu wagen, als wir das Gefühl hatten, dass wir etwas zu sagen haben. In diesem Film geht es um Zeit. Und um das Verhalten von Männern im Allgemeinen. Es war also keine Kopie. Und der Film ist viel persönlicher als der erste.
    John Hodgins, der den Roman für den Film umgeschrieben hat, hatte eine Nahtoderfahrung, genau wie Renton im Film. Man hat ihn gerettet und er wusste, er kann noch viele Jahre leben. Und seine Reaktion war: Was mache ich denn jetzt? Ich bin 54, nicht 46 wie Renton. Ich habe vielleicht noch 30 Jahre zu leben! Was mache ich damit? Ich fand jung sein super. Und jetzt bin ich im mittleren Alter und finde das total blöd. Was mache ich denn nun mit all der Zeit? Und das hat er in den Film eingebracht, diesen negativen Aspekt des Älterwerdens.
    Seine Wahl hat nur zu Enttäuschungen geführt
    Und so wird Rentons "Choose life"-Monolog im Film eine Art Geständnis. Er hat früher dieses ganze "Choose life"-Gefasel der Drogenrehabilitation verlacht und darüber seine Witze gerissen. Heute stellt er fest, dass seine Wahl, seine Entscheidungen im Leben alle nur zu Enttäuschungen geführt haben.
    Er hat nichts erreicht von dem, was er erreichen wollte. Er ist nicht mit der Person zusammen, mit der er zusammen sein wollte. Die Leute, die er mal geliebt hat, sind weg oder tot. Seine Mutter ist gestorben und er hat es nicht mal zur Beerdigung nach Hause geschafft. Dadurch wird der Film viel emotionaler. Trotzdem hoffe ich, dass noch genug Spaß dabei ist. Trotzdem: Der Film ist viel persönlicher als der erste.
    Zayed: Ich weiß nicht, wie sehr Ihnen bewusst ist, das der erste Film deshalb so erfolgreich war, und bis heute zu den Klassikern zählt, weil er eben den Geist der damaligen Zeit eingefangen hat. Unabhängig von den Drogenexzessen. War das nicht schwer, den Film zu machen? Nicht nur, wegen dem, was die Leute nun davon halten, aber die Verantwortung ihren Charakteren gegenüber, die sie da schaffen. Damals ging es um Leidenschaft, ums jung sein, um die Positivität dieser Zeit, aber auch um das Weglaufen vor der Realität. In diesem Film kann man nichts mehr verherrlichen. Es geht ums Altwerden. Daran ist nichts, was man verherrlichen kann. War der Film allein deshalb nicht viel schwerer umzusetzen?
    Boyle: Sie haben vollkommen recht. Da ist nichts Romantisches mehr. Und das ist sehr schwer. Insbesondere da gerade im Film die Jugend immer verherrlicht wird und romantisch dargestellt wird. Aber genau darin haben wir auch unsere Chance gesehen. Im Film versuchen sie ja krampfhaft, noch mal jung zu sein, noch mal die Dinge zu tun, die sie mal gemacht haben. Und scheitern kläglich daran. Darum geht es auch im Film.
    Männer altern einfach schlecht
    Männer altern einfach schlecht. Frauen wissen, wie man altert. Sie tun es mit Würde. Männer nicht. Männer klammern sich verzweifelt an ihre Jugend. Sie wollen nicht erwachsen werden. Aber ihr Frauen seid anders, ihr wisst Bescheid über eure biologische Uhr und seid euch über die begrenzte Zeit, die ihr habt, jung zu sein, viel bewusster. Männer verdrängen und verdrängen und verdrängen. Bis es dann irgendwann total peinlich wird. Wie die Stelle im Film, wo einer der Typen mit Mitte 40 zwischen zig Teenagern tanzt und man denkt sich: Stop! Bitte hör' auf! Das ist peinlich! Benimm dich nicht wie ein Teenager, du machst dich total lächerlich!
    Und genau das macht den Fun-Faktor im Film aus, aber auch seine Melancholie, seine emotionale Seite. Am Ende wird dem Zuschauer klar, dass man die schönen Seiten am Älterwerden entdecken und verstehen lernen muss.
    Aber um auf die Frage zurückzukommen: Was wirklich schwierig war, ist den Spagat zu finden, die Brücke zwischen dem ersten und zweiten Film. Irgendwie musste er ein bisschen so sein wie der erste. Aber trotzdem anders. Weil die Leute wollen, dass er wenigstens ein bisschen an den ersten erinnert. Wenn man nämlich was ganz anderes macht, will den Film keiner mehr sehen. Also muss man immer im Kopf haben: Er muss ähnlich sein, aber anders.
    Und genau so haben wir es auch mit der Musik gemacht. Wir haben schon auch die Musik aus dem ersten Film benutzt, aber als Remix. Wir brauchten die Musik, um Erinnerungen wachzurütteln, um die Leute einzustimmen auf den Film, aber es konnte nicht genau dieselbe sein.
    Zayed: Ich möchte noch mal auf die Musik zurückkommen. Sie spielen großartig damit in diesem Film. Allein bei diesem "Choose life"-Monolog von Renton, wo man im Hintergrund die ganze Zeit diese vier Akkorde von "Born Slippy" hört. Und irgendwie denkt, gleich geht der Song los, und irgendwo aus der hintersten Ecke des Raums stürmen die 20 Jahre jüngeren Geister der vier Jungs noch mal raus. Und lachen sich schlapp. Aber der Gesang bleibt aus. Und dadurch wird einem klar: Die Zeiten sind anders. Der Anfang des Films ist ein reines Musikvideo, mit sehr wenig Dialog. Die Songs sind zum Teil sogar noch viel älter als auf dem ersten. Blondie zum Beispiel. Ging es Ihnen auch diesmal darum, wieder Popkultur einzufangen?
    Boyle: Man kann mit Musik viel mehr Erinnerungen auslösen, als mit irgendetwas anderem. Musik ist das machtvollste Mittel der Welt.
    Normalerweise wird Musik im Film eher als Hintergrund benutzt. Sie soll den Zuschauer emotional beeinflussen, ohne dass er es merkt. Aber in beiden "Trainspotting"-Filmen wollte ich, dass die Musik vollkommen sichtbar und spürbar wird. Die soll einem ins Gesicht springen.
    Über die Musik bewusst werden
    Wir wollen, dass ihr euch über die Musik bewusst werdet und sie erkennt. Und eure Erinnerungen, die ihr mit dieser Musik verbindet, Revue passieren lasst: Jawohl, hier ist Blondie! Wir wollen es gar nicht verbergen. Ihr könnt sie sogar sehen.
    Und genau das liebe ich an Musik. Sie haben recht. Es ist Popkultur, die ich zeigen will. Sie begleitet uns seit den 50er -oder 60er-Jahren. Das ist unsere Kultur, mit der wir aufgewachsen sind. Sie ist ein Teil von uns. Es geht hier nicht um Bilder oder Ballett oder klassische Musik. Es ist Popkultur. Und alles, was damit zusammenhängt. Und alles, was aus dieser Musik, dieser Zeit, dieser Kultur hervorgeht. Ich will Popkultur zeigen. Jawohl. Und Erinnerungen auslösen!
    Das Herzstück des ersten Films war Underworld. Hier musste ich das Pendant dazu finden. Ich wusste, dass Rick von Underworld sich mit der Musik beschäftigen würde, aber ich wollte dieses Pendant allein rausfinden. Um dem Film ein modernes Herzstück zu geben.
    Es gibt diese großartige Band in Edinburgh, die "Young Fathers". Die machen eine Art Hip Hop gemischt mit Soul. Und sie kommen genau aus dem Milieu, aus dem auch Irvine Welsh seine Inspiration geschöpft hat. Das passt super. Wir haben fünf von deren Tracks im Film benutzt. Sie passen zu den Charakteren im Film, auch, wenn sie 20 Jahre jünger sind, als unsere Protagonisten.
    Ich hatte echt Glück, dass die das Herzstück des Films geworden sind. Sie kamen zum Set, waren überhaupt nicht beeindruckt: und ich dachte: Die haben keinen Bock. Von denen höre ich nie wieder was. Und dann haben sie mir plötzlich einen Track geschickt und gefragt, ob der wohl passen würde zu meinem Film.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.