"Mittwegs, auf halbem Weg des Lebens, verirrt ich mich im Wald."
So hebt sie an, die "Divina Commedia" des Dante Alighieri. Für den Sprachwissenschaftler und Romanisten Jürgen Trabant ist es immer noch faszinierend, "dass eine ganze Nation diese Texte kennt. Auch Shakespeare ist in England nicht so präsent, nicht so in der DNA der Nation, glaube ich, wie Dante in Italien."
Ein erster Höhepunkt der italienischen Dichtung
Alighieris "Göttliche Komödie", entstanden ab 1307, kann als Gründungsdokument und erster Höhepunkt der italienischen Dichtung gelten. Erzählt wird eine Jenseitsreise, die von der Hölle über das Fegefeuer bis ins Paradies führt. Besonders packend sind die Schilderungen der Hölle, in der sich greinende Sünder tummeln: hier in der Hörspielfassung von Dieter Schönbach:
"Fort ging es übers Klippenjoch zum Rand, da sah ich unten in der Bucht gedrängt ein fürchterliches Schlangenknäuel sich winden, und zwischen diesen wütend bösen Nattern, gehetzt und angstvoll, liefen nackte Menschen."
"Aber das eigentlich Interessante, finde ich, bei Dante ist, dass er gleichzeitig auch ein großer Philosoph ist. Er hat eine große politische Theorie geschrieben, die Monarchia, und dann eben diesen Text 'De vulgari eloquentia', das übersetze ich immer mit 'Über das Dichten in der Volkssprache'. Darum geht es ja. Und da ist es so, dass dieser zweisprachige Florentiner zwei Sprachen hat. Das Lateinische, in dem er arbeitet und schreibt mit den anderen Doctores. Und dann hat er sein Vulgare."
Dante als Sprach-Theoretiker
Sagt Romanist Jürgen Trabant. Dante, 1265 als Angehöriger des niederen Adels in Florenz geboren, musste wegen politischer Machtkämpfe zu Beginn des 14. Jahrhunderts aus seiner Heimatstadt fliehen und wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Im Exil entstand sein Traktat "De vulgari eloquentia" - auf Lateinisch. Dazu Jürgen Trabant:
"Und was das Großartige ist, er entfaltet hier eine ganze Theorie der Sprache und eine ganze Sprachgeschichte, also vom Paradies, von Adam anfangend bis zu ihm hin, und er situiert dann seine Sprache, das Vulgare Italiens, an einer ganz bestimmten Stelle in dieser Geschichte. Und dann fragt er sich, was soll ich denn nun machen? Ich bin ein Dichter. Er hat ja schon Gedichte, er hat schon Lyrik geschrieben. Was mache ich jetzt mit meiner Sprache? Welche Sprache von den vielen Dialekten Italiens soll ich denn nun verwenden? Denn: Was will ein Dichter? Ein Dichter will ewig sein, er will nicht variieren, und er will überall in der Welt gelesen werden, also will sozusagen global und universal sein."
Wie Dante "gleichsam eine gemeinsame Sprache Italiens" erfindet
Als Erster durchdringt Dante die Variationen auch auf theoretischer Ebene, aber er hat gegen beinahe jeden der Dialekte etwas einzuwenden. Für seine Lyrik kommt nur eine hohe Sprache in Frage, so Jürgen Trabant:
"Und dann erfindet er sozusagen eine ideale Sprache, imaginiert gleichsam eine gemeinsame Sprache Italiens und vor allem der hohen Dichtung. Denn er will eigentlich Canzones dichten, und die Canzones sind die höchsten literarischen Formen, die man dichten kann. Er sucht also eine Sprache für diese Canzones. Dann ist immer die Frage: Ist das dann das, was er da so in der Komödie geschrieben hat, nun diese ideale Sprache? Und meine Antwort darauf ist: Nein, das ist sie nicht, sondern er hat dann wirklich gedichtet in dieser Volkssprache und hat die variatio mit hineingenommen. Er schreibt nicht nur Florentinisch, sondern greift aus allen Dialekten Italiens etwas auf."
"Und dann erfindet er sozusagen eine ideale Sprache, imaginiert gleichsam eine gemeinsame Sprache Italiens und vor allem der hohen Dichtung. Denn er will eigentlich Canzones dichten, und die Canzones sind die höchsten literarischen Formen, die man dichten kann. Er sucht also eine Sprache für diese Canzones. Dann ist immer die Frage: Ist das dann das, was er da so in der Komödie geschrieben hat, nun diese ideale Sprache? Und meine Antwort darauf ist: Nein, das ist sie nicht, sondern er hat dann wirklich gedichtet in dieser Volkssprache und hat die variatio mit hineingenommen. Er schreibt nicht nur Florentinisch, sondern greift aus allen Dialekten Italiens etwas auf."
Das Paradies ist abstrakter als die Hölle
Auch deshalb nennt Dante sein Werk eine Commedia: Durch diese Bezeichnung rechtfertigt er die Mischung der Stilebenen. Es ist ein revolutionäres Unterfangen. Während das Inferno mit seinen Teufeln und den vielen Geschichten über Ehebrecher und Tyrannen anschaulich wirkt, scheint das Paradiso mit seinen himmlischen Sphären zunächst abstrakter. Dazu Jürgen Trabant:
"Diese Sprache ist ja eigentlich Italienisch, also die Wörter sind fast alle die, die wir heute noch haben. Nur ist es natürlich doch anders ausgedrückt. Es ist geheimnisvoller ausgedrückt, es ist auch syntaktisch viel schwieriger."
Dantes Zeitgenossen waren mitgerissen von der "Göttlichen Komödie", denn sie bündelte nicht nur sämtliches Wissen, sondern handelte von dem, was die Menschen umtrieb und war in einer Sprache verfasst, die sie verstanden. Man rezitierte die Commedia auf Plätzen und Straßen. Dante starb am 14. September 1321 im Exil in Ravenna. Nach seinem Tod dominierte wieder 200 Jahre lang das Lateinische. Das Fundament für das Italienische hatte er längst geschaffen.