Archiv

"Dantons Tod" in Wien
Der Revolutionär als Warmduscher

Auch mehr als 110 Jahre nach seiner Uraufführung kann Büchners "Dantons Tod" begeistern – bei Jan Bosses Aufführung am Wiener Burgtheater allerdings nur in den ersten Minuten, urteilt unser Rezensent Christian Gampert. Dann nehmen schräge Regieeinfälle Überhand, die alle nicht taugen.

Von Christian Gampert |
    Das Wiener Burgtheater
    Das Wiener Burgtheater (picture-alliance / dpa / Georg Hochmuth)
    Von Jan Bosse war fast zu erwarten, dass die Revolution bei ihm auch ein bisschen Tingeltangel sein würde, die Revolte als Groteske und tragische Clownerie. Der Bühnenbildner Stéphane Laimé hat also ein riesiges Karussell auf die Drehbühne gebaut, in dem alle Spielorte an uns vorüberfahren - Denkerstube und Bordell, Garderobe und Badewanne, Büros mit vielen Akten und Schlafzimmer zum Kopulieren. Sitzt der frömmelnde Robespierre einsam in einer Art Mönchsklause, so steht für Danton eine schön illuminierte Variétébühne zur Verfügung. Er nutzt sie aber kaum, er hastet die ganze Zeit von Ort zu Ort, er läuft, er joggt, er rennt vor sich selber weg. Und in der Mitte des Karussells steht schon die Treppe zum Schafott.
    Die ersten Minuten, als dieses Karussell, dieses grässliche Rad der Geschichte sich schweigend dreht, geheimnisvoll und stumm, dunkel und bedrohlich, diese ersten Minuten sind die besten der Aufführung. Es passiert dann beiläufig dies und das, ein Paar geht miteinander ins Bett, der melancholisch gewordene Danton offenbart sich seiner Julie, der unglaublich schüchterne, sexualneidische Pastor Robespierre des Michael Maertens hält eine Video-Ansprache, und plötzlich brüllt er dann wie Goebbels.
    "Armes, tugendhaftes Volk! Du tust deine Pflicht. Du opferst deine Feinde. Volk! Du bist groß. Du offenbarst dich unter Blitzstrahlen und Donnerschlägen. Aber Volk! Du kannst nur durch deine eigene Kraft fallen. Das wissen deine Feinde!"
    An der Rampe, umgeben von den Lumpen des Lumpenproletariats, beschmiert sich derweil Danton mit Staub oder Lehm oder Kalk, jedenfalls will er zurück ins Grab, zu Mutter Erde. Einen Fuß vor den anderen setzen, das ist ebenso langweilig wie die Revolution mit all diesen "gespreizten Gestalten", die ihm gründlich zuwider sind.
    Joachim Meyerhoff als Danton trägt die Aufführung, er trägt sie über weite Phasen grandios, aber retten kann er sie nicht – dazu hat Regisseur Jan Bosse viel zu viele schräge Ideen, die er alle unterbringen muss und die alle nicht taugen. Bosse lässt das Publikum Richter spielen, ein Kinderchor singt die Marseillaise, weil das Volk so kindisch ist, und am Ende besetzen die lieben Kleinen sogar die Bühne.
    Meyerhoff ist hier ein effeminierter Lebensmüder, ein Décadent, der sich Beulen und merkwürdige Andy-Warhol-Haare an den Kopf klebt; ein Zombie der Revolution, der an nichts mehr glaubt. Am ehesten vielleicht noch an Julie, seine Frau, die ihn einmal, ganz am Schluss, in den Armen wiegt wie Maria den toten Jesus; eine Pietà der misslungenen Revolution, deren intelligenteste Akteure des Kämpfens überdrüssig sind.
    "Was liegt mir an euch und eurem Urteil! Ich hab es doch schon gesagt: das Nichts wird bald mein Asyl sein! – Das Nichts, ja! – Das Leben ist mir zur Last. Ich sehne mich danach, es abzuschütteln – man mag es mir entreißen."
    Wenn er nicht gerade mit seinen (in Wien eher biederen) Alt-68iger-Genossen Desmoulins und Lacroix debattiert, treibt sich Danton im Bordell herum; bei Jan Bosse ist das ein Pensionat giggelnder Zwitterwesen, ein Kasperltheater des Androgynen. Meyerhoff mit seinen Windmühlenarmen muss dort wie ein weibischer Gustaf Gründgens im seidenen Morgenrock herumtänzeln – der Revolutionär als Warmduscher. Er fährt auf dem Karussell der Geschichte manchmal ein bisschen mit, ein Rummelplatz-Liliom-Danton; dann joggt er wieder im Kreis. Und Michael Maertens spielt den sanftmütigsten Robespierre der Theatergeschichte, der hat bereits alle Manager-Entspannungsseminare hinter sich (und die Klosterschule dazu), also: Schwächlinge allerorten. Und die Frauen bleiben blass.
    Dantons lange Agonie zum Tode hin führt Bosse als eine Art Fegefeuer oder Kreuzigung vor: Danton und seine Freunde hängen an Seilen, werden immer wieder in die Höhe gehievt und suhlen sich am Boden – ein Leidensbild, das sich ziemlich schnell verbraucht.
    Immerhin bringt Meyerhoff die traurige Sprache Büchners zum Singen – und rettet das Stück so über die Debattierwut des letzten Teils. Am Ende sitzt Pastor Robespierre mit einem Wiener Sängerknaben in seiner Klause, "Lasset die Kindlein zu mir kommen". Jan Bosses Inszenierung aber verdämmert – nach großartigem Beginn – in allerlei Regieeinfällen, die so revolutionär leider nicht sind.